Was so los ist...
Verrückte Zeiten.
So oft habe ich in den letzten Wochen gedacht, dass ich gern mal wieder bloggen würde und so oft kam irgendetwas dazwischen. Meist, dass ich eigentlich noch hatte lernen wollen und wieder so spät nach Hause gekommen war, dass Beides zusammen irgendwie nicht machbar war.
Deshalb nur ein paar Schnipsel… von dem, was gerade passiert.
***
Und plötzlich wird mir klar, dass es in erster Linie um Angst geht.
Nicht um mich oder um sie, sondern um ihn.
„Was ist, wenn sie sich nicht meldet?“
Ich sehe die Nachricht von seiner Schwester auf seinem Handy und mir wir schon fast schlecht.
Die letzten Tage haben mich zurück katapultiert in Zeiten, die ich so, so ähnlich, oder doch irgendwie anders nie wieder erleben wollte. Aber jetzt sind sie da. Und selbst, wenn er es mir nicht erzählen würde, wüsste ich das.
Er wischt die Nachricht zur Seite.
„Das hat sie mir zuletzt geschrieben“, sagt er und öffnet den Chat auf seinem Handy.
Wir liegen zusammen auf dem Sofa, aber ich habe gerade das Gefühl, dass ich neben ihm kaum atmen kann.
Ich lese die Nachricht. Zu sehr erinnert mich das an unsere letzten Monate vor über vier Jahren. An Nachrichten, die ich täglich bekommen habe. Der erst Satz noch halbwegs verständlich und alles danach irgendwie Kauderwelsch, auch wenn man meist verstanden hat, was gemeint war. Aber auch nicht immer.
Es war schlimm damals. Aber aushaltbar. Es würde besser werden. Daran haben wir geglaubt. Wir würden nur Zeit brauchen. Und einen langen Atem. Wir würden es hinbekommen. Wir haben es immer irgendwie hinbekommen.
Und dennoch - tiefste Corona – Zeiten, ich hätte nicht mal kommen können, wenn ich gewollt hätte. Dazu kein halbes Jahr im Job, tägliche Überforderung dort, Routinen hatte ich noch nicht. Und daneben eine Situation, die so viele Ressourcen gekostet hat, so viel Zugehen auf den anderen, so viel Zugestehen. 10 Minuten telefonieren am Tag und die hat er bestimmt. Wenn das mitten in der Arbeitszeit war, dann war es so.
Natürlich habe ich mich auch damals ganz leise ab und an gefragt was wäre, wenn das jetzt hier das Ende sein würde. Wahrscheinlich fragt sich das jeder in dieser Situation zumindest ganz leise, wenn die Nächte am Stillsten sind. Und manchmal habe ich mich dabei ertappt, wie ich gedacht habe, ich will, dass es zu Ende ist; ich kann es nicht mehr. Die Situation ist so verfahren, so schwierig und ich sehe nicht, wie ich ihn und wie wir uns daraus retten können. Zumindest mit Corona hatte niemand gerechnet, mit diesem Ausnahmezustand, den allein das mit sich gebracht hat.
Aber ich konnte es mir nicht ausmalen. Ich konnte nicht glauben, wie sehr das mein Leben ändern würde, wenn das wirklich das Ende sein würde.
Ich weiß, es war auch schwierig zwischen dem Menschen, der da neben mir liegt und mir zuletzt. Wobei zuletzt… - eigentlich war es die ganzen letzten Monate so. Und trotzdem spüre ich in diesem Moment eine so große Angst, dass er das auch erleben muss. Ich möchte das nicht, dass er da rein geschmissen wird, so ungefragt, so unvorbereitet und all diesen Weg, auf den ich mich auch machten musste, gehen muss. Er ist der Mensch, den ich am meisten liebe und alles was gerade um ihn herum passiert, macht mir Angst.
Und ich kann es selbst nicht mal gut verstehen. Es ist eine Situation, die eigentlich Alltag ist. Es geht jemandem nicht gut, also wird er in der Psychiatrie behandelt. So einfach ist das. Und in so vielen Fällen nimmt das ein gutes Ende.
Aber mich schmeißt es gerade echt ein bisschen um. Vielleicht verschwimmt das Gestern und das Heute irgendwie, vielleicht sind es die alten Emotionen. Diese Tage waren damals das Ende von so Vielem. Von dem Leben, das ich bis dahin kannte...
***
Erster Urlaubstag.
Ich treffe mich mit zwei ehemaligen Kolleginnen aus der Psychosomatik und bin irgendwie recht geplättet, dass die beiden sich offensichtlich mehr freuen mich zu sehen, als umgekehrt. Ich hatte immer gesagt ich melde mich, wenn ich mal freie Spitzen habe, aber die hatte ich ja nie.
Allerdings ist heute Urlaubsstart, der Freund hat sich mal wieder nicht an seine Worte gehalten und startet mit einem Dienst in unserem gemeinsamen Urlaub (wundert es noch wen…?) und deshalb habe ich gedacht, dass ich dann eben mit den beiden frühstücken gehe. Das wollte ich ja so gern mal wieder tun – ins Café um die Ecke gehen.
Wir reden ein bisschen über die neuesten Entwicklungen in der Neuro und in der Psychosomatik und offensichtlich lobt man mich dort immer noch in den höchsten Tönen. Schon ein bisschen verrückt…
Irgendwann kommen wir beim Thema Urlaubsplanung an. Tja – zwar habe ich noch zwei Wochen Urlaub im Dezember, aber die werde ich wohl hauptsächlich mit Lernen verbringen müssen. Ich spreche über unseren Dezember – Urlaub vom letzten Jahr. „Das war schon sehr schön. Den Tag über waren wir im Schnee wandern, abends ging es dann ins hoteleigene Schwimmbad und in die Sauna und danach gab es Essen und Wein vor dem Kamin. Das war ein Träumchen.“ Offensichtlich schwärme ich so enthusiastisch davon, dass die Kolleginnen direkt den Hotelnamen haben wollen.
Nach dem Treffen habe ich gute Laune.
Ich habe mal wieder etwas gemacht, das mir Spaß macht. Und irgendwie habe ich die leise Hoffnung, dass wir vielleicht doch noch zwei oder drei Tage nochmal dorthin können. Aber eigentlich hat der Kardiochirurg auch das vergeigt. Die dritte Dezemberwoche als Urlaubswoche ist seit über einem Jahr im Neuro – Kalender eingetragen. Ich habe immer die Woche vor Weihnachten frei und beteilige mich dann nicht an der Weihnachtskklopperei. Das geht normalerweise gut, weil die Woche vor Weihnachten bei uns nicht viele wollen und dann habe ich auch das Gefühl, dass ich Weihnachten gut arbeiten kann, wenn ich die Sessions mit Kakao und Marshmallows, Plätzchen backen und hoffentlich ein bisschen Schnee schon hatte. Er hat immer gesagt, er hat noch ein paar Tage vor Weihnachten frei und mehr als zwei oder drei Tage sind ohnehin nicht entbehrlich wegen der Facharztvorbereitung. Aber als der Dienstplan raus kam, waren die versprochenen Tage natürlich irgendwie nicht da. Diese Woche kann ich aus verschiedenen Gründen nicht verreisen.
Vielleicht kann er ja nochmal nachfragen. Vielleicht können wir zum Jahresabschluss noch drei Tage Pirouetten tanzen. Vielleicht könnte es nach dem Chaos der vergangenen Monate ein guter Jahresabschluss werden. Ich glaube das waren neben Slowenien die schönsten Tage dieser ganzen Beziehung und ich habe so sehr geweint als wir wieder zu Hause waren weil mir irgendwie klar war, dass das hier gerade etwas Besonderes war.
Es ist irgendwie unwahrscheinlich dass es klappt, aber ich freue mich heute den ganzen Tag so sehr, dass ich ein bisschen durch meine Wohnung tanze. Der Facharzt bekommt zwar schon viel Aufmerksamkeit, viel Zeit, nimmt gerade echt viel weg, aber vielleicht kann man sich ab und an auch in diesen Zeiten ein bisschen was zurück holen. Und die Psychosomatik – Oberärztin, die ich manchmal auf dem Weg zur Arbeit treffe kennt mich schon ganz gut und ermahnt immer wieder zur Selbstfürsorge und zum Akkus aufladen.
Wahrscheinlich werde ich demnächst unsanft auf dem Boden der Tatsachen landen. Wahrscheinlich werde ich in der dritten Dezemberwoche doch eher einsam am Schreibtisch sitzen und es wird nicht mal viel mit Plätzchen backen oder Kakao trinken, weil die bessere Hälfte auf der Arbeit versacken wird. Auch die Adventswochenenden sind halt ziemlich dicht – auch im letzten Monat des Jahres haben wir es nicht geschafft, mal ein Wochenende zusammen frei zu haben.
Aber – großer Pluspunkt an mich – ich habe jetzt in Rücksprache mit meinem Oberarzt Wünsche eintragen dürfen für Tage an denen ich keinen Dienst machen möchte im Januar. Und keine Sorge, ich habe das nur sehr punktuell eingetragen, aber vielleicht habe ich uns mal ein freies Wochenende gesichert… das wäre Premiere nach über einem Jahr dann, wenn das klappt. Erstmal sind es ja nur Wünsche und das wird darauf ankommen, ob der dienstplanverantwortliche Oberarzt den Plan selbst macht, oder unser neuer ziemlich narzisstisch aufgeladene Möchtegern - Oberarzt, der aber eben noch kein Oberarzt ist. „Ich glaub wir trennen uns bald, wenn das so weiter geht – wir sehen uns gar nicht mehr“, habe ich dem Oberarzt als Begründung gesagt. „Seitdem ich zurück in der Neuro bin und drei Wochenenden im Monat arbeite, funktioniert einfach gar nichts mehr.“ Dass das vorher auch nicht anders war, verschweige ich mal. Man schraubt halt so an allen Rädchen, die es so gibt…
Und manchmal denke ich, dieser Facharzt wird so etwas wie ein Befreiungsschlag. Danach kann man sich nach 14 Jahren Konzentration auf die Karriere mal um Dinge wie Familienplanung kümmern. „Vielleicht solltet Ihr erstmal versuchen zusammen zu ziehen", kommentiert ein Kumpel dazu trocken, als ich mit ihm noch kurz spreche am Abend. „Hypomane Phase heute glaube ich...", sage ich. „Vielleicht", entgegnet er. „Aber ist doch auch mal schön..." "Wahrscheinlich... wenn nicht die Hälfte davon irgendwelcher Bullshit wäre, der wahrscheinlich so wie ich mir das gerade vorstelle, nicht realisierbar ist..."
Und trotzdem freue ich mich, dass ich mich heute mal freuen konnte. Das passiert zu selten in letzter Zeit.
Mondkind
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