Rollenverständnis

 Samstagabend.
Wir hatten beide Dienst.
Ich auf der Neuro – IC – Station, er auf der Intensivstation.

Am Nachmittag hatte er gesagt, dass er am Abend mit seinen Freunden telefonieren möchte, deshalb hatte ich mich schon damit abgefunden, heute bei mir zu bleiben. Nicht ohne anzumerken, dass es schon schön wäre, wenn wir das vorher besprechen könnten, weil ich dann meine Sachen von ihm mitgenommen hätte – ich wollte nämlich am Sonntag eigentlich Wäsche machen, aber das bringt nichts, wenn die Hälfte der dreckigen Wäsche bei ihm ist.
Am Abend kommt er dann auf die Idee, dass ich doch vorbei kommen könnte, aber der Kühlschrank sei leer, etwas zu essen müsste ich vielleicht mitbringen. Ich wollte eigentlich Sonntag Pfannenlasagne machen, aber das kann man ja auch Samstag machen und ich könnte die dafür benötigten Zutaten einfach mitbringen.
Wenig später sitze ich im Auto und bin wieder auf dem Weg zu ihm.

Als ich komme liegt er auf dem Sofa, hat die Decke bis zur Nasenspitze gezogen und ich brauche keine zehn Sekunden um zu realisieren, dass er sehr schlechte Laune hat und ich wahrscheinlich besser zu Hause geblieben wäre.
Ich suche mir in der Küche alles zusammen und fange an, unser Essen zu kochen, während er weiter auf dem Sofa liegt. Ihm zum Aufstehen und Essen zu bewegen kostet dann auch nochmal einiges an Mühe und mehrere Anläufe. Danach schicke ich ihn sofort zum Zähne putzen und ins Bett, ehe er irgendwo anders einschläft – dann bin ich wieder ewig beschäftigt, ihn ins Bett zu bugsieren.
Die Küche würde ich am nächsten Früh aufräumen.

Er ist noch wach, als ich hoch komme.
„Ich habe heute auch mal mit meinem Oberarzt über das nächste Jahr geredet“, sagt er in die Stille.
„Was habt Ihr besprochen?“, frage ich.
„Ich muss mich da mehr rein hängen. Im Moment falle ich in der Ausbildung eher zurück. Wahrscheinlich muss ich mal zusätzlich zu OPs kommen und mehr externe Fortbildungen machen.“
Ich kommentiere das überhaupt nicht, aber ich spüre fast, wie mir das Herz zerbricht.
Er kriegt einfach gar nichts auf die Reihe außerhalb seines Jobs. Und jetzt will er noch mehr arbeiten??? Wir haben uns abgesehen vom Schlafen fast nicht gesehen diesen Monat…

Auch an diesem Sonntag hat er Dienst, weshalb er früh aufsteht, durch die Dusche hüpft, in der Küche irgendetwas zu essen zusammen schmeißt und dann das Haus verlässt. Ich stehe in Ruhe nach ihm auf, bringe die Küche in Ordnung, stelle die Rest von gestern in den Kühlschrank und fege ein Mal den Boden durch, ehe ich diesmal wirklich alles zusammen packe und wieder mit zu mir nehme. Und mein eigener Haushalt wartet danach. 

Noch darf man Weihnachtsbilder posten, oder?



***

Ich habe die Tage viel mit einer Freundin darüber gesprochen, wie es mir in dieser Beziehung geht und auch, was das Jetzt für die Zukunft heißt. Sie ist da nicht super geduldig, aber zumindest kurz hatte sie ein Ohr.

Im Prinzip ist diese Beziehung aktuell mehr oder weniger eine Zweckgemeinschaft. Hauptsächlich für ihn. Entweder wir sehen uns gar nicht, oder wir sehen uns, aber er ist geistig überhaupt nicht da, weil er zu müde ist, oder mit dem Kopf immer noch auf der Arbeit ist.
Es fühlt sich an, wie ein permanenter Kampf, ihn überhaupt zwischendurch mal sehen zu können und selbst die dann verbrachte und hart erkämpfte Zeit ist dann irgendwie davon geprägt die Antennen zu spitzen, wann die Stimmung umschlägt und wie man sich anzupassen hat, um die Situation irgendwie zu halten. Überhaupt fühlt sich das aktuell häufig nach Haltearbeit an. Manchmal habe ich wirklich gute Laune, wenn ich komme und spüre dann irgendwann in der Nacht ein innerliches Durchatmen, wenn er neben mir eingeschlafen ist.
Es ist auch nicht so, dass da irgendetwas besprechbar ist. Wenn man ihn fragt, was denn los ist oder warum die Laune heute mal wieder im Keller ist, dann kommt oft „es ist nichts los“, obwohl das offensichtlich nicht der Fall ist.

Und dann frage ich mich im Moment auch, wie denn eine Zukunft aussähe. Offensichtlich haben wir ja völlig unterschiedliche Vorstellungen davon. Während er unbedingt Karriere machen möchte und alles andere – inklusive mir – weit dahinter kommt (wobei ich auch hinter Treffen mit Kumpels und Fliegen komme), möchte ich eben irgendwann mal ein bisschen zur Ruhe kommen und eine Familie gründen. Mir ist Karriere auch wichtig, aber nach dem Facharzt reicht es dann auch erstmal. Irgendwann wird man dann ja auch tatsächlich zu alt, um eine Familie zu gründen und die Karriere hat schließlich noch viele Jahre Zeit.
Ich glaube nicht, dass er sich dem komplett in den Weg stellen würde – ich glaube aber schon, dass wir eine klassische 50er Jahre Rollenverteilung leben würden. Mondkind ist für Haushalt und Familie zuständig, der Herr bringt das Geld nach Hause, ist fast nie zu Hause, aber wenn er kommt ist das Essen gekocht, es ist geputzt und die Kinder sind versorgt.

Die Freundin mit der ich gesprochen habe meinte, es sei nun mal so, dass die Kinder ja zu Beginn des Lebens in erster Linie die Mutter brauchen – nicht zuletzt, weil nur die Mutter das Kind stillen kann und die Frau eben gesellschaftlich in der schweren Rolle gelandet ist, dass sie doch bitte alles machen soll. Kinder versorgen, Haushalt schmeißen und bitte auch noch arbeiten gehen. Und natürlich ist der Vorteil, dass man damit unabhängiger sein kann – selbst Geld zu verdienen ist schon nicht schlecht. Auf der anderen Seite meint die Freundin, dass es doch nicht schlecht ist das Privileg zu haben weniger arbeiten gehen zu können und sich mehr um den Haushalt kümmern zu können, wenn der Mann genug Geld verdient. Und mit Facharzttitel wird man auch nach einigen Jahren Pause wieder einen Job finden – wie der Einstieg dann aussieht, das ist sicher ein anderes Thema.

Und trotzdem muss da aber meiner Meinung nach eine gegenseitige Wertschätzung entstehen. Es kann nicht sein, dass ich zwei Haushalte mache, für uns einkaufen zu gehen, weil er es nicht schafft und sich dann nach einem langen Arbeitstag auf dem Sofa ausruht und sich bedienen lässt. Ist ja nicht so, als würde ich nicht arbeiten – zwar weniger, aber immerhin habe ich auch einen Vollzeitjob – und den Kram mit ausbügeln, den er nicht schafft. (Drei Mal dürft ihr raten, wer für den Jahreswechsel und Neujahr einkaufen geht und sich bitte auch das Programm ausdenkt – ich habe schon mehrfach gesagt, dass wir uns darüber zusammen Gedanken machen müssen, aber außer ein Grummeln kommt da gar nichts). Und schließlich ist es ja nicht so, als würde da nicht noch ein Facharzt warten.

So dermaßen über die Stränge zu schlagen, was das Arbeitspensum anbelangt, ist halt irgendwo auch eine Entscheidung. Und die muss man nicht mal bewerten im Sinn von „gut“ oder „schlecht“. Nur ist eine Entscheidung für etwas auch immer eine Entscheidung gegen etwas anderes. Das kann ja jeder so machen, wie er will. Ich frag mich nur immer öfter, ob das dann mit uns beiden wirklich geht.

Ich glaube, heute Abend werde ich mal bei mir bleiben. Am Ende habe ich ohnehin nichts davon – außer, dass wir wieder Stress haben, bis er dann irgendwann in der Koje liegt und ich morgen früh wieder die Küche aufräumen darf…

Mondkind


Kommentare

  1. Ich wünsche dir erstmals einen für dich schönen Rutsch ins Neue Jahr, ich wünsche dir von Herzen nur das Beste. Nun noch kurz zu deinem Freund: Ja, so dermassen über die Stränge zu schlagen & erdies im neuen Jahr sogar noch ausbauen- IST eine Entscheidung, aber leider auch eine Entscheidung gegen Zweisamkeit, Intimität.

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    1. Ich wünsche dir erstmals einen für dich schönen Rutsch ins Neue Jahr, ich wünsche dir von Herzen nur das Beste. Nun noch kurz zu deinem Freund: Ja, so dermassen über die Stränge zu schlagen bei der Arbeit & er will dies ja im neuen Jahr sogar noch ausbauen- das IST eine Entscheidung, aber leider auch eine Entscheidung GEGEN mehr gmeinsame Zeit, Zweisamkeit, Intimität. Und dass die Treffen mit Kumpels wichtiger sind als das Treffen mit der eigenen Freundin, da habt ihr einfach andere Vorstellungen von Beziehungen. Eine Familie zu gründen, brdarf einer gesunden, authentischen, funktionierenden Beziehung, die ihr definitiv nicht habt. Aber wird dies wirklich besser, wenn er noch mehr arbeiten will. Ich hoffe auch, ihr verhütet gut genug, weil das hier ist keine Grundlage für eine Familienplanung. Herzlich, Nicole

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    2. Bitte mur die zwei Antworrten, die angehängt sind die richtigen. Ich kann leider die 1. Nachricht nicht mehr löschen

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