Weihnachten 2024
23. Dezember 2024
Dienst. Wenn der vorbei ist, ist quasi Weihnachten.
Die Idee, dass alle Menschen sich auf Weihnachten freuen und in ihrem Bett liegen und schlafen, geht allerdings nicht so auf. Wenn man nachts um vier Uhr vier Patienten zu betreuen hat – davon zwei Schockräume – weiß man, dass man in dieser Nacht wohl eher kein Auge mehr zu tun wird.
Der Kardiochirurg hat auch Dienst – wir sehen uns allerdings nicht viel in dieser Nacht, weil jeder seinen eigenen Krempel abarbeitet.
24. Dezember
Ich fahre so gegen kurz vor Mittag in Richtung Heimat. Den Weihnachtseinkauf habe ich zum Glück schon am Samstag zuvor erledigt, sodass jetzt nichts mehr zu tun ist, außer ins Bett zu fallen. (Naja – ein paar wenige Geschenke sind noch einzupacken, da ich nach fünf Jahren in diesem Verein die fixe Idee hatte, ich könnte doch die Geschenke nach dem Dienst einpacken, weil ich bestimmt geschlafen habe und Weihnachtskarten im Dienst schreiben. Ähm… - nein). Den Wecker stelle ich mal auf 17 Uhr – meistens fühlt es sich an, als würden einen drei Stunden Schlaf nach 30 Stunden wach sein einfach nur noch kaputter machen – dann habe ich genug Zeit, um aufzustehen, mich fertig zu machen und in meiner Vorstellung gegen 19 Uhr zum Kardiochirurgen rüber zu düsen. Der ist an diesem Nachmittag noch bei seiner Familie – aber da ich immer noch nicht in deren Dunstkreis aufgetaucht bin, kann er mich auch nicht mitnehmen.
Am Ende meldet er sich aber erst gegen 21 Uhr und ich bin dann erst gegen 22 Uhr bei ihm, nachdem er noch die Wohnung aufgeräumt hat. Wir essen noch kurz etwas und dann fallen ihm auch die Augen zu, sodass wir die Bescherung auf den nächsten Morgen vertagen müssen.
25. Dezember
Der Morgen startet etwas später. Er zieht dann recht optimistisch los, um irgendwo Brötchen zu organisieren, aber das wird nichts am ersten Feiertag. Deshalb machen wir dann einfach Pfannkuchen. Im Anschluss wollen wir noch ein wenig ins Umland – dort hat es nämlich schon vor Wochen geschneit und ich liege ihm seitdem in den Ohren, dass ich in den Schnee möchte. Am Ende haben wir nicht viel Zeit, da wir ab den späten Nachmittag schon bei meiner Schwester und ihrem Freund eingeladen sind. Dort sind wir dann auch bis fast Mitternacht und es ist wirklich eine schöne Zeit. Die anderen haben ein leckeres Menü auf den Tisch gezaubert, es gibt noch eine kleine Bescherung und wir sitzen neben dem Weihnachtsbaum am Tisch und reden bis fast Mitternacht und bis uns allen die Augen zufallen. Manchmal wünsche ich mir, dass wir irgendwann in zehn Jahren mal auf diese Anfänge zurück schauen, mit Kindern auf dem Schoß und einem Leben, das sich irgendwie nach „angekommen“ anfühlt.
26. Dezember
Der Kardiochirurg hat Rufdienst. Das Telefon klingelt schon um kurz nach acht Uhr, er springt hoch, hüpft schnell ein Mal durch die Dusche und dann ist er weg. Keine Ahnung, wann er heute wieder kommt. Ich bin indes zu mir gefahren und werde den Tag mit Neuro lernen verbringen. Da gibt es immer noch viel zu tun. Ich freue mich aber sehr darauf, dass irgendwann ein „ich muss zum Dienst“ von seiner Seite für mich wieder heißen wird, dass ich zwar allein bin, aber nicht unbedingt lernen muss.
***
Ich weiß es nicht.
Ich könnte nicht mal sagen, dass er sich nicht bemüht hat.
Er war schon so deeskalierend wie möglich. Natürlich wusste er, dass ich es nicht cool finde, dass wir uns am Heiligabend quasi überhaupt nicht sehen und hat schon vorsorglich, bevor ich etwas sagen konnte, für etwas zu essen an Heiligabend gesorgt.
Aber ansonsten ist das halt weiterhin einfach eine komplett andere Lebenseinstellung. Gestern Abend bei meiner Schwester sind dann ja schon wieder so ein paar Dinge gefallen: „Ja, ich würde morgen gern schon eine OP machen.“ „Naja, ich habe jetzt seit dem 8. Dezember durchgearbeitet.“ „Also bei uns ist das Ausbildungskonzept wir gehen morgens auf die Arbeit und dann geht das mit open – end. Ich habe so 80 – 90 – Stunden – Wochen.“ Und ich sitze nur so daneben und denke mir so „okay, deshalb funktioniert halt auch nichts bei uns.“
Und weil das alles so ist, war es auch quasi unmöglich dieses Jahr irgendetwas wie eine Weihnachtsstimmung zu entwickeln. Wir haben ganz Weihnachten im Prinzip in mehr oder weniger 24 Stunden gequetscht – das hat irgendwie für mein Gehirn nicht ausgereicht, um zu realisieren, dass Weihnachten ist. Und ja – wir waren im Schnee, aber mit enger begrenzter zeitlicher Maßgabe, weil eben keine Zeit war, das irgendwie zu entzerren. Mein Kopf kommt bei so viel Stress nicht hinterher sich zu entspannen, zumal eine Grundspannung wegen des Facharztes ja ohnehin immer da ist.
Ich frag mich immer wieder, ob es das jetzt wirklich ist. Ob wir wirklich die nächsten Jahre so weiter machen können, oder ob wir irgendwann mal sehen müssen, dass wir so völlig unterschiedliche Vorstellungen von Leben, Lebensgestaltung und Lebensqualität haben, dass es einfach nicht geht – so sehr, wie wir uns auch bemühen mögen.
Immerhin bin ich dieses Jahr nicht so wütend wie letztes Jahr, sondern einfach nur traurig, weil es ja erwartbar war. Letztes Jahr kannten wir uns ja noch nicht so lange – da habe ich mir schon ein bisschen etwas anderes unter einem Weihnachten als Paar vorgestellt, mittlerweile weiß ich ja, dass ein Tag das Höchste der Gefühle ist.
Und wahrscheinlich ist es eben mit unseren Jobs so. Wir sind immer für alle anderen da, aber nie für uns selbst. Jeder kann und darf seine Pfoten in unseren privaten Raum stecken und uns zu irgendwelchen Diensten, OPs oder Überstunden zitieren und es völlig egal, ob die Beziehung das tragen kann, oder nicht. Ich möchte auch eigentlich nicht so sein, ihm ständig irgendetwas abzusprechen. Ich weiß zu Beispiel, dass er unser einziges freies Wochenende im Januar, das ich extra frei geschaufelt habe, gern mit Fliegen verbringen würde. Aber das geht einfach nicht, wenn wir wochenlang am Stück durcharbeiten. Dann muss freie Zeit bei uns beiden eben einfach mal Paarzeit werden. Sonst kommen wir nicht weiter.
Mondkind
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