Von einem Telefonat

Streifzug durch meine Wohnung.
Ich glaube, es ist das erste Mal seit Jahren, dass es hier im Ansatz weihnachtlich aussieht.

Wohnung selbst gestalten.
Manchmal fühlt es sich immer noch an, wie erwachsen werden.
Oder wie „wieder erwachsen werden.“

Ich laufe ins Arbeitszimmer, das man jetzt mal so langsam wirklich als Arbeitszimmer und nicht mehr als zweite Abstellkammer bezeichnen kann.
Sammle meine Kaffeetasse ein, die dort noch steht vom Telefonat mit der ehemaligen Frau Therapeutin am Freitag.
Manchmal machen mich allein Szenen nachdenklich. Ich glaube, zwischenzeitlich hätte keiner von uns beiden gedacht, dass wir das eines Tages mal so erleben. Ich kann leider nicht in der Studienstadt sein an diesem Freitag, aber ich sitze weit weg in meiner eigenen Wohnung und sinniere über den Facharzt.  
Zum warmwerden.
Oder so.

„Nach dem Facharzt gehen Sie ja zurück in die Psychosomatik…“, postuliert sie.
„Weiß ich nicht“, unterbreche ich sie.
Ich kann die Fragezeichen in ihrem Kopf fast hören.
„Also – die halten mir da schon ein Plätzchen frei…“, sage ich.
„Dann sollten Sie dafür sorgen, dass das so bleibt“, meint sie. „Und was hält Sie in der Neuro?“, fragt sie.
Ich überlege. Berichte, dass ich mich wieder etwas kompetenter fühle, seitdem ich zurück bin. Aber auch weiß, dass ich dort keine Perspektive haben werde. „Und ich habe nicht mehr viel Zeit zum Denken“, ergänze ich. „Das ist manchmal auch nicht schlecht…“
Ich weiß es nicht. Ich habe die Psychosomatik wirklich gern gemacht, aber für die meisten Menschen in meinem Umfeld war das so ein kurzweiliger Quatsch. Auf der einen Seite habe ich die Neurodienste nicht unbedingt vermisst, auf der anderen Seite konnte ich ein „Naja, in den Psychsomatikdiensten macht man doch eh nichts“, auch nicht mehr hören. Wenn ich bedenke, dass ich den Rest meines Berufslebens mit Vorurteilen und der Annahme, dass ich ja ohnehin nicht arbeiten würde leben muss. Es sollte nicht der Grund sein etwas nicht zu tun. Aber man sollte sich dem auch bewusst sein, dass man da einiges aushalten muss und ich für die meisten in meinem Umfeld keine Ärztin mehr sein werde.

Wie das mit dem Facharzt alles werden soll, weiß ich ohnehin noch nicht. Ich fühle mich, als hätte ich mich seit Monaten nicht mehr irgendwo entspannt, weil man ja doch immer weiß, dass man gerade effektiv Zeit verliert, sobald man den Griffel fallen lässt. Deshalb komme ich auch nicht mehr zum Schreiben. Ich habe so Vieles im Kopf und so wenig davon verarbeitet.





„Und wie geht es sonst so?“, fragt sie. „Was macht die Beziehung?“
Es ist schon komisch, dass wir das mittlerweile thematisieren. Den verstorbenen Freund haben wir höchst selten thematisiert. Aber irgendwie lief das damals auch so vor sich hin und es gab in meinen Augen keinen Grund zu größerer Sorge oder Unruhe. Manchmal frage ich mich, ob sich das auch geändert hätte. Schließlich stand Beziehung damals für mich nicht an erster Stelle, aber irgendwie war es halt auch einfach da.
Ich bin eine Weile still. „Im Grunde nichts Neues“, sage ich irgendwann. „Man gewöhnt sich irgendwann dran, dass ziemlich viel nicht den eigenen Vorstellungen entspricht“, füge ich hinzu. „Klingt nicht so überzeugend“, meint sie.

Ich denke eine Weile nach. „Ich kenne Deinen Alltag nicht und wenn Du nicht darüber sprichst, bleibt er wie Deine Sachen in meinem Schrank.“ Revolverheld. Unser Lied. Der verstorbene Freund hat es mir damals an dem Abend geschickt, als es frisch raus kam und irgendwie hat es sich angefühlt, wie für uns geschrieben. Ich denke oft an diesen Song, wenn ich an den Kardiochiurgen und mich denke, dabei könnte die Lage ja eine ganz andere sein.
„Ich glaube, ich projiziere eine Menge rein in diese Beziehung, das es gar nicht gibt“, sage ich irgendwann. „Real sind wir immer noch bei: Wir parken woanders, wenn der Nachbar vor der Tür steht, weil er nicht mit mir gesehen werden will.“ Aber ich wäre gern bei „Einer bleibt die Woche über mal beim anderen und wir versuchen einfach mal, ein Leben als Paar zu führen.“ In meiner Vorstellung funktioniert das dann natürlich ziemlich gut – man muss aber ehrlich zugeben, dass es hier die letzten Urlaube ordentlich geknallt hat. Also realistisch betrachtet: Uns abends noch eine halbe Stunde über unseren Tag austauschen können wir – alles darüber hinaus wird ein bisschen schwierig.“ Ich bin wieder eine Weile still. „Ich verstehe langsam Vieles selbst nicht mehr. Ich habe schon den Eindruck, dass da viel Verbindung verloren gegangen ist, aber vielleicht ist das auch nur die Idee von Bindung. Ich weiß nicht, ob die je existiert hat. Ich hatte auch irgendwie die tolle Idee, uns einen Paar – Adventskalender für die Weihnachtszeit zu organisieren. Kurz habe ich überlegt, ob uns das eventuell hoffnungslos überfordert und dachte aber dann, dass wir das schon hinkriegen.  Es stellt sich heraus: Es überfordert uns. Jedenfalls steht der jetzt bei ihm, Keiner spricht an, dass es dieses Ding gibt und ich habe mal rein gelesen: Es wäre erforderlich, den anderen ein bisschen zu kennen. Und dann fällt auf: Wir kennen den anderen ja gar nicht. Er trennt mich so strikt von sich und seinem restlichen Leben – ich bekomme manchmal Ausschnitte mit, aber es sind und bleiben Ausschnitte.“ Ich seufze. „Vielleicht würde das einfach gar nicht funktionieren, dass der eine mal beim anderen bleibt. Und vielleicht weiß er das längst. Immerhin kommt ja von ihm auch weiterhin gar keine Initiative. Alle Vorschläge bezüglich irgendetwas kommen immer von mir. Ich kenne die Dienstpläne – wenn er mir seinen dann mal irgendwann schickt – ich suche die Lücken, ich frage, ob da etwas geht. Und selbst in der besten Auslegung spricht allein das für sich. Im Urlaub übernachtet wenigstens mal einer beim anderen, aber wirkliche Planungen für gemeinsames Tun gibt es auch nicht und dann weiß ich auch nie, ob ihm nicht einfällt, dass es wieder dringend etwas erledigen muss. Wir tun auch mittlerweile so wenig miteinander, dass einem da auch kaum noch etwas einfällt.“
Ich lege die Füße auf den Tisch und lehne mich an meinen Stuhl. „Ich weiß es nicht“, sage ich irgendwann, um zu signalisieren, dass ich etwas sagen möchte, aber sie mir noch kurz Zeit geben soll. „Ich habe so gekämpft im Sommer um diese Beziehung. Die meisten Menschen haben mir damals gesagt, dass ich das doch lassen soll. Dass es vielleicht besser ist, wenn es eben nicht geht. Irgendwie habe ich in den letzten Tagen das erste Mal selbst gespürt, wie müde ich davon bin. Dass es vielleicht einfach keinen Sinn ergibt.“
„Naja, ich würde jetzt nicht zu großen Entscheidungen vor dem Facharzt raten. Vielleicht entspannt es sich dann wieder. Das ist eine schwierige Zeit für sie beide. Examenszeiten sind immer schwer.“
Als hätte sie ihre Schallplatte von vor fünf Jahren eingeschaltet. Ich muss fast ein bisschen schmunzeln. „Außer Sie merken natürlich, es geht gar nicht“, fügt sie irgendwann hinzu.

„Was ist eigentlich, wenn es nie wirklich besser wird?“, frage ich irgendwann. „Wenn das Leben einfach so bleibt. Ein ewiger Strudel zwischen gescheiterten Beziehungen, Arbeiten bis um Umfallen, weil es scheinbar das Einzige ist, das ich gut kann und das ja auch irgendwie erwartet wird. Und klar, Dinge ändern sich ja auch dann und wann mal… Und manchmal dachte ich schon, es wird gut zwischendurch, aber – was ist, wenn es das nicht wird?“

Es gibt so Tage, an denen ist man gar nicht bereit für irgendeinen Dienst und heute ist so Einer. Urlaub ist immer ein kurzes Annähern. Ehe es aber auch immer ein Abschied ist. Wir werden uns diese Woche nicht mal richtig sehen können. Und die danach wahrscheinlich auch nicht. Geschweige denn, dass es Weihnachtsplanungen gibt.
Aber jetzt erstmal Nachtdienst mit anschließendem Tagdienst, was so ziemlich die beschissenste Kombi ist, die man haben kann. Morgen Nachmittag kann ich dann wahrscheinlich schon nicht mehr denken vor Müdigkeit.

Mondkind

Kommentare

  1. Liebe Mondkind, wann wirst du endlich nach deinem Herzen handeln und auf die Meinung von anderen (Familienmitgliedern) pfeifen? Was nützt dir die gute Meinung von andern für dein Leben und deine Zukunft? Was nützt es dir, wenn auf deinem Grabstein steht „die andern hatten eine gute Meinung von ihr und sie hat gemacht, was andere von ihr erwarten haben“? Und vor allem: Wann willst du aufhören, die andern als Vorwand zu nehmen, dass du dich nicht auf deinen eigenen Weg begibst, dass du deine Träume verrätst und deine Komfortzone nicht verlässt? Wenn du in der Neuro bleiben willst, dann tue das, das ist doch in Ordnung, aber steh’ dazu und übernimm die Verantwortung dafür und mache nicht andere dafür verantwortlich (und auch nicht das Leben, das Schicksal, das Wetter oder was auch immer). Das mag jetzt hart klingen, aber glaube mir, es lohnt sich. Steh endlich auf! DU weisst, dass du Ärztin BIST. Mit welchem Label auch immer die andern dich versehen. Ist das wichtig? Du wirst nicht mehr Liebe von deiner Familie erhalten, nur weil du tust, was sie von dir erwarten. Du weisst, wer du bist und was du zu geben hast. Den Halt für dein Leben findest du in dir drin - nicht ausserhalb von dir ❤️

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    1. Morgen,
      Danke für das Kommentar... - auch wenn ich beim Lesen echt ein bisschen Schlucken musste, weil es wirklich ein bisschen hart klingt...

      Ich glaube, ich weiß gerade selbst noch nicht so richtig, was ich will. Für mich ideal wäre glaube ich ein Halb-halb - Modell, aber das gibt es natürlich nicht. In der Psychsomatik vermisse ich schon die Action der ZNA, in der Neuro vermisse ich es, wirklich mal bei einem Patienten voll und ganz bleiben zu können.

      Man verliert sich aber eben auch schnell in der Neuro. Kürzlich kam die Frage auf, wie viel Zeit ich mir eigentlich in der letzten Zeit nehmen konnte mal hinzuschauen und hinzuhören, was mich gerade wirklich bewegt und ob es da gerade etwas braucht. Die Neuro ist eher machen und reagieren, ganz viel Verdrängen - wie ich kürzlich erfahren habe - und ein eigenartiger Sog, den ich auch noch nicht ganz erklären kann.
      Und ich glaube aber, auch dort spielt viel der Leistungsgedanke rein. Was würde ich entscheiden, wenn ich nicht der Meinung wäre, dass es im Leben so oft um die Leistung geht? Was würde ich entscheiden, wenn ich nicht der Meinung wäre, immer noch eine Schuld hinsichtlich des verstorbenen Freundes abarbeiten zu müssen. Und es mag sehr nach der alten Leier klingen, das weiß ich auch - aber das sind eben die Themen dahinter, die mich nicht loslassen, die wirklich über viel entscheiden und deren Rolle man sehr genau hinterfragen muss.

      Es hat kürzlich nochmal ein ziemlich interessantes Gespräch gegeben, dazu demnächst nochmal etwas (oder heute nach dem Dienst; ich mach nie wieder vier Dienste in einer Woche... ), aber da haben genau die Themen auch eine Rolle gespielt. Ich muss da aber auch noch ein bisschen drüber nachdenken.

      Mondkind

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