15 Monate - Studienstadt, ich komme!


 

Hey mein lieber Freund,
wie geht es Dir? Ich hoffe es ist okay dort, wo Du jetzt bist. Ich hoffe, Du hast nicht so viel Sehnsucht wie ich. Ich hoffe, Du hast Dir verziehen und mir auch. Ich hoffe, Du bist gedanklich ein bisschen bei mir und schaust, was ich so mache.

Es wird Herbst. Die Blätter fallen von den Bäumen. Machen die nicht eingelösten Versprechen des Sommers deutlich, wie es ein Mensch formuliert hat, den ich mal kannte. Das trifft es ziemlich gut. Das hat mich schon sehr beschäftigt die letzten Wochen. Es war der stillste Sommer. Zwischen viel zu viel Arbeit, viel zu wenig von meiner Bezugsperson, zu viel Traurigkeit und zu wenig Sonne. 

 

Ich komme zurück. In die Studienstadt. Mal abgesehen von der Psychiatriezeit – da habe ich aber das Gelände während des Aufenthaltes so gut wie nicht verlassen – wird es das erste Mal sein, dass ich wieder in der Stadt bin, seitdem das alles passiert ist. Das erste Mal, dass ich auf den Wegen laufe, die wir nur zusammen kannten. Das erste Mal wieder am Fluss stehen in dem Wissen, dass wir dort nie wieder zusammen stehen werden.
Mir macht das ja aktuell alles noch ziemlich Bauchschmerzen. Allein die Planung ist etwas verrückt. Ich habe ja nur drei Tage Urlaub bekommen, aber zum Glück hat man mir wenigstes das Wochenende frei zugestanden. Dann habe ich von Donnerstag auf Freitag noch 24 – Stunden – Dienst. Allerdings ist Freitag noch Chefarztvisite – die Aussicht, dass ich nach 24 Stunden die Klinik verlassen darf geht also gegen Null, vielleicht komme ich am früheren Nachmittag weg. Und dann muss ich die Wohnung fertig machen, nochmal Wäsche waschen, noch ein paar Dinge für die Rückkehr in den Kühlschrank legen, packen, den Orga – Kram vorbereiten, das massive Schlafdefizit aufholen und dann geht es Samstag ganz früh los.
So richtig Pläne gibt es noch nicht. Unsere alte Studiengruppe ist zum Leben erwacht und da wurde spontan nächstes Wochenende ein Treffen vorgeschlagen und da wäre ich dann ja sogar da! Einen Kumpel aus der Klinik wollte ich besuchen. Eine andere Bekannte aus der Klinik hatte mich auch gebeten Bescheid zu sagen, wenn ich da bin – mit ihr ist es immer ein bisschen verrückt. Dann gibt es da noch zwei Freundinnen. Vielleicht gehe ich im Labor vorbei bei meinem Lieblings – MTA; dem muss ich noch mal eine Mail schreiben die Tage. Aber das Wichtigste ist natürlich die Zeit, die ich mutmaßlich mit mir alleine verbringen werde. In die Altstadt fahren, ein bisschen am Fluss sitzen, an den Cafés vorbei gehen in denen wir saßen und zu spüren, wie sich das anfühlt. Ich hoffe ehrlich gesagt, dass es neben ganz viel Traurigkeit auch ein bisschen Frieden wird. Dass ich Dich nochmal spüre und hoffentlich einfach nochmal das Glück dieser Momente nachvollziehen kann.
Und weil ich nicht weiß, ob das alles wirklich gut funktioniert, ob ich das gut aushalten kann und wie es mir damit geht, habe ich meiner alten Therapeutin geschrieben. Du weißt schon, die zu der Du mich ab und an mal hingebracht hast. Mittlerweile sitzt sie aber in der Tagesklinik. Bei ihr darf ich Dienstagnachmittag noch vorbei, bevor ich Mittwochfrüh wieder zurück fahre. Und im Zweifel kann ich alles was ich wahrnehme erstmal in mir aufsaugen, speichern und mich gar nicht so viel damit beschäftigen, um das alles mit ihrer Begleitung zu tun. Ich bin dieser Frau so unendlich dankbar.

Dieses Wochenende habe ich schon einige Reisevorbereitungen getroffen. Den Koffer entstaubt, die Herbstjacke gewaschen, weil ich vermutlich die mitnehmen werde. Weil meine bequemen Schuhe kaputt gegangen sind war ich Schuhe kaufen, damit ich es gemütlich habe im Zug und auf den Beinen werde ich in den Tagen ja auch sehr viel sein. Und dann habe ich ein Buch gekauft, dass ich auf der Fahrt etwas lesen kann; ein weiteres Buch zum Thema Trauer ist noch auf dem Weg hierher. Das Zugticket habe ich natürlich auch schon und ein bisschen Bargeld war ich auch abheben.

Noch sechs Tage, zwei Dienste, ein Stationswechsel und zwei Chefarztvisiten

Es ist so ein hin und her. Manchmal freue ich mich ganz doll. Es war die längste Etappe, in der ich nicht richtig in der Stadt war und ich freue mich so sehr ein paar Tage zurück zu kommen. Und dann denke ich daran, dass mein Hirn noch nicht begriffen hat, dass es nicht so sein wird, wie immer. Und dann bin ich plötzlich ganz traurig und weine ganz viel. Noch sechs Tage, zwei Dienste und dazwischen wenig Schlaf und ganz viel Stress. Hätte mir jemand gesagt was passieren wird bis ich die Frau Therapeutin wieder sehe, als ich das letzte Mal bei ihr in der Ambulanz saß… - es hätte sich mutmaßlich so absurd angehört, dass ich es nicht hätte glauben können.
Mit Deiner Mum ist jetzt übrigens auch mal endlich etwas geplant. Die erste Novemberwoche – wenn ich da meinen Urlaub bekomme – werde ich sie besuchen fahren und Dich. Auf dem Friedhof eben. Dann bringe ich Dir all die Briefe mit, okay?

Ansonsten… - ja, what can I say? Ich musste wieder meinen Arbeitsplatz wechseln, wo ich mich doch gerade so gut ins Team integriert hatte, dass ich sogar gefragt wurde, wenn die anderen abends essen gegangen sind. Die Ansage war ganz amüsant am Freitag. Nachdem im Altbau ja angeblich nur Chaos herrscht (okay, ich musste da aushelfen die Tage, es herrscht Chaos), hat man sich wohl überlegt, wer strukturiert arbeitet und fachlich gut genug ist, um endlich diese Station mal in den Griff zu bekommen, die das Sorgenkind seit Jahren ist und dem Chef langsam Kopfschmerzen macht. Und dann habe es wohl eine Liste gegeben, auf der ein paar Namen standen, wer dafür in Frage kommt. Und da war ich wohl mit dabei. Keine Ahnung, ob das wirklich stimmt, oder ob man uns nur den Wechsel schmackhaft machen wollte. Aber man kann es gegebenenfalls schon als Motivation nehmen.

Oh und noch was… - die potentielle Bezugsperson ist in die Heimat gefahren. Vorher hat er mir noch kurz geschrieben: „Das Handy habe ich natürlich dabei, falls was Dringendes ist.“ Natürlich werde ich ihn in Ruhe lassen; vielleicht geht es ihm genauso wie mir, wenn man die Heimat fährt. Man hat so viel vor, dass es nur Stress ist. Aber es hat mich berührt, dass er an mich denkt.

So… - Du hörst von mir.
Ich werde Dir berichten, wie es aussieht auf unseren alten Straßen.
Ganz, ganz viel Liebe ins Universum. Du fehlst hier. Immer noch so sehr nach all der Zeit.
Pass ein bisschen auf mich auf heute im Dienst, okay?

 Mondkind


 

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