Ein spontaner Dienst

Mittwochabend.
Ein stressiger Tag neigt sich dem Ende. Am Mittag hatte ich noch Therapie. Die Therapeutin und ich hatten uns nicht viel zu erzählen. Ich habe langsam keine Worte mehr für die Situation. Wirklich nicht. Es ist alles gesagt. Sie kommt mir zum gefühlt tausendsten Mal damit um die Ecke, dass es doch mit dem Freund ein Unfall gewesen sein könnte. „Na klar, er fragt mich am Abend vorher noch, ob er sich etwas antun soll, wir reden drei Stunden und kochen die Situation runter und dann soll in der Nacht plötzlich etwas Ominöses passiert sein? Das glauben Sie wohl selbst nicht.“ Danach schweigen wir wieder 10 Minuten. Mir kommt wieder in den Sinn, dass das fahrlässig war. Auch, wenn es schwer gewesen wäre, aus über 400 Kilometer Entfernung etwas zu retten.
Es bringt einfach alles nichts mehr. So nicht. Es stellt sich auch heraus, dass die Therapeutin noch nicht mal in der Psychosomatik angerufen hat. Mh ja, ist wohl irgendwie unter gegangen.
Sie nimmt das hier alles sehr ernst… - nicht.

Ich muss mich beeilen, weil am Abend noch Fortbildung ist. Da unser Chef einen Vortrag hält, tut das junge Gemüse gut daran, dort zahlreich zu erscheinen.
Bis  anschließend zu Hause bin, mich ein bisschen beruhigt habe und bereit bin ins Bett zu gehen ist es fast 23 Uhr. Der Wecker klingelt knapp sechs Stunden später und wenn man auch noch ewig braucht zum Einschlafen… bleibt nicht mehr viel von der Nacht.
Nur noch Donnerstag und Freitag, dann ist die Woche wieder überstanden. Denke ich mir so.  Mir hängt immer noch die fehlende Nacht vom Sonntag nach, nach der ich direkt noch den gesamten Montag arbeiten musste. 

 


Donnerstag.
Frühbesprechung. Es stellt sich heraus: Der Dienstarzt des heutigen Tages ist kurzfristig erkrankt. Man braucht Ersatz. Und wir sind halt alle nicht zum Dienst gekommen, sondern schon seit dem Morgen dort. „Ich möchte bis Mittag eine Mail haben“, sagt der Chef und entlässt uns an unsere Arbeitsplätze. Natürlich fällt jedem Kollegen plötzlich etwas ganz Wichtiges ein, das er zu tun hat. Bis die Frage bei mir hängen bleibt. Ich habe natürlich nichts Dringendes zu tun. Ich bin erschöpft, das ja, aber das ist natürlich kein Grund den Dienst nicht zu machen.
Am Ende stimme ich zu. Es gibt auch keine anderen Optionen, niemand anders kann. Ob das wirklich so ist, sei ja mal dahin gestellt.

Ich komme den Tag über eigentlich ganz gut durch mit meiner Arbeit. Ich bin ja schon seit kurz vor halb 8, statt um 10 da. Da schaffe ich zumindest locker meine Aufnahmen, meine Visite und auch noch ausstehende Diagnostik durchzuführen.
Um 16 Uhr packe ich meine Sachen und trabe rüber in die Notaufnahme.

Ich bin halt gar nicht vorbereitet. Weder habe ich eine Zahnbürste dabei, noch Wechselklamotten für morgen früh. Und mehr als einen Apfel, ein paar Weintrauben und einen Müsliriegel beherbergt mein Rucksack auch nicht. Eine Kollegin ist so lieb, hält auf dem Heimweg noch beim Supermarkt und bringt mir etwas zu essen mit. Als ich das irgendwann abends im Aufenthaltsraum neben der Notaufnahme finde, bin ich ganz berührt davon, dass sie scheinbar meine Khaki – Liebe von der ich mal gesprochen hatte, nicht vergessen hat.

Glücklicherweise ist der Dienst relativ ruhig. Die meisten Patienten sind etwas kratzbürstig und gehen am Ende gegen ärztlichen Rat – damit bin ich aber bei jeglicher Form von rechtlichen Problemen raus, von daher stört es mich wenig. Am Nachmittag war herum kursiert, dass im Nachbardorf jemand mit dem Auto gegen eine Wand gefahren ist – das passiert scheinbar doch nicht jeden Tag. Den Patienten sehe ich auch noch in der Notaufnahme. Und irgendwann nach Mitternacht kommt ein über 90 – jähriger Patient mit unklarer Vigilanzminderung. Am Ende stellt sich heraus, dass er kein neurologisches Problem, aber einen Infekt hat, unter dem er wohl schon fast septisch ist. Die Internisten sind mal wieder abgemeldet und haben kein einziges Bett. Es gibt also die Option, dass ich ihm eines meiner IC – Betten leihe, oder wir den Patienten mitten in der Nacht in einen benachbarten Landkreis bringen müssen – wenn wir Pech haben unter Bindung der Notarztkapazität des Landkreises. Ich rufe meinen Hintergrund an – für solche politischen Entscheidung nachts den Oberarzt wecken zu müssen, tut mir immer ein bisschen weh – und er stimmt zu, ein IC – Bett auszuleihen. Allerdings wird dieser Anruf noch wichtig werden am nächsten Morgen.

Ich bin schon länger als 24 Stunden in der Klinik, als ich am nächsten Morgen in der Frühbesprechung sitze und von der Nacht berichte. Allerdings gibt es meine Station ja auch noch und auch dort muss ich mich um meine Patienten und meine freitäglichen Entlassungen kümmern.
Es ist gegen 10 Uhr, mir fallen schon fast die Augen zu, als ich mir im Arztzimmer den Kopf über eine meiner Parkinson – Patientinnen zerbreche, die gerade sehr an der Medikamentenumstellung zu knacken hat. Das Telefon klingelt. Der Oberarzt von der IC – Station. Er ist nicht begeistert. „Mondkind, Du weißt warum ich anrufe…“, legt er los. „Wegen dem internistischen Patienten“, gebe ich zurück. „Genau Mondkind. Du hast ihn heute Nacht hier aufgenommen – wenn auch mit Rücksprache mit dem Oberarzt - jetzt musst Du Dir bitte überlegen und das organisieren, wie er wieder von meiner Station kommt. Er muss jetzt dort weg. Du weißt, das wird ein Kampf mit den Internisten. Und ich habe keine Lust zu streiten. Kümmere Dich darum.“ „Mache ich“, gebe ich zurück. Und das ist dann irgendwie der Tropfen zu viel. „Mondkind, was ist los?“ fragt die Kollegin, die das Glitzern in meinen Augen sieht. Die, die gestern für mich einkaufen war. Ich erzähle es ihr kurz. „Jetzt komme ich nicht zu meiner Visite, muss mich um die Verlegung kümmern, sitze hier noch bis ewig und muss mich mit den Internisten streiten. Ich habe auch keinen Bock darauf, aber ich bin auch schon 26 Stunden hier. Die können ja alle selbst mal nachts mit halb sterbenden Patienten in der Notaufnahme stehen…“

Die netten internistischen Oberärzte, mit denen ich im PJ mal gearbeitet habe, haben alle schon gekündigt, also muss ich versuchen das über die Dienstärzte zu organisieren. Zum Glück erwische ich einen der ganz lieben assistenzärztlichen Kollegen, mit dem ich auch lange in der Notaufnahme zusammen gearbeitet habe. Ich bete, dass er eine Lösung findet. Am Ende sichert er mir zu, mir den Patienten  innerhalb der nächsten zwei Stunden abzunehmen und nennt mir auch die Station auf die er hin soll. Ich rufe nochmal den Oberarzt der IC – Station an und erzähle es ihm. Ich hoffe, es hat geklappt, nachgefragt habe ich nicht mehr. 

Es ist schon traurig, dass bald alles wieder kahl ist, aber die Farben des Herbstes sind schon sehr hübsch. 🍂🍁

 

Irgendwann gegen 13 Uhr verlasse ich die Klinik. Meine Briefe sind noch nicht vorbereitet. Da ich auch Dienstag wieder Dienst habe, diesmal wirklich erst um 10 komme, wir schlecht besetzt sind, viele Aufnahmen haben und ich die Epilepsie – Patienten von einer Kollegin übernehmen muss die dann Urlaub hat, die ich alle auch nicht kenne, muss ich am Wochenende rauf kommen und die Briefe schreiben.
Was ich aber ein bisschen vermisse nach diesem spontanen Dienst, der unvorbereitet und noch ein bisschen länger als die üblichen Dienste ging, ist ein „Danke Mondkind“. Das muss niemand besonders lobend hervorheben, aber nachdem ich meine Patienten berichtet habe in der Früh – wäre es so schwer gewesen, den Einsatz mal kurz wertzuschätzen? Und wäre es so schwer gewesen, sich vielleicht selbst um die Verlegung zu kümmern, statt von mir zu erwarten, dass ich nach 26 Stunden Dienst die Arbeit der Assistenten auf der IC – Station mache, statt meiner eigenen Arbeit…?

Auf dem Heimweg berichte ich einem Kumpel in einer kurzen Sprachnachricht davon. „Gib mir mal bitte die Quintessenz“, sagt er, statt sie abzuhören.

Der Plan ist, mich am Wochenende ein bisschen auszuruhen. Und… - na gut, mich ein bisschen um die Doktorarbeit zu kümmern. Da gibt es auch Neuigkeiten, das erzähle ich auch mal. Und naja, Briefe schreiben halt.

Ein paar Stunden habe ich jetzt doch mal geschlafen zwischendurch. Und jetzt sitze ich auf meinem Sofa. Wünsche mir, der Freund wäre noch hier. Dem ich erzählen könnte, vom Dienst. Ich wünschte, wir könnten jetzt am Wochenende ein bisschen Zeit miteinander verbringen. Ich wünschte so sehr, ich könnte ihn hier nochmal spüren. Ich weiß nicht, wie man einen einzelnen Menschen schon fast anderthalb Jahre lang jeden Tag so unglaublich vermissen kann. Ich stehe mit dem Gedanken an ihn auf und gehe mit ihm ins Bett. „Ich würde ein Jahr meines Lebens für einen Tag mit Dir geben“, singt Florian Künstler. Ich würde sogar 10 Jahre geben. Wenn wir uns einfach noch ein Mal sehen könnten und die Dinge klären könnten. Damit ich vielleicht irgendwann meinen Frieden damit finden kann.
Und die potentielle Bezugsperson und ich haben sich auch schon lange nicht mehr gesehen. Seitdem ich aus dem Neubau weg rotiert bin, ist es still geworden. Ich kann halt nicht mehr bei ihm vorbei hüpfen. Das war zu erwarten. Es ist okay. Ich bin es so gewohnt, dass mir wichtige Menschen durch die Finger gleiten. Aber es tut trotzdem weh zu spüren, wie diese Distanz wieder wächst. Und dass einer der einzigen Menschen, der diesen Klinikplan unterstützt ein bisschen wie ein Fähnchen im Wind ist. Ob er bis zum Ende dahinter steht, weiß man nicht. Und ganz sicher ist er nicht da, wenn ich wieder in den ersten Tagen irgendwo weinend sitze, weil ich so viel Versagen nicht aushalte.

Und am Ende muss man vielleicht irgendwann lernen, dass es – zumindest in meinem Fall – wahrscheinlich um gute Erinnerungen geht. Die bleiben. Auch, wenn die Realen Verbindungen loser werden oder – wie im Fall des Freundes – im Diesseits nicht mehr existieren. Irgendwie ist mir letztens nochmal eingefallen, wie wir beide wenige Tage nach dem Examen einer meiner Prüferinnen in die Arme gelaufen sind. Sie hat uns einen schönen Sommer nach der stressigen Examenszeit gewünscht. Es war unser letzter Sommer.

 

Mondkind

 

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