Samstagsgedanken

Samstag.
Mittags bin ich endlich auf dem Weg zum Supermarkt. Unterwegs sehe ich die potentielle Bezugsperson, die wohl auch gerade unterwegs zum Einkaufen ist. Ich glaube, er sieht mich nicht.

Und irgendwie ist das der Moment, an dem ich mir wünsche, dass mal wieder ein Wochenende wäre, an dem er spontan auf die Idee kommt, dass ich doch vorbei kommen könnte. Naja… - ob ich dort mit dem Fahrrad mit meiner aktuellen Erschöpfung derzeit ankommen würde, weiß ich nicht, aber gerade im Winter hat er mich manchmal zumindest die halbe Strecke gefahren.

Ich bleibe gedanklich in diesen Momenten hängen, die so heilend und tragend und doch viel zu selten waren. Bei ihm zu sein hat immer einen Hauch von längst vergangenen Zeiten an sich. Eingebettet in eine feste Familienstruktur und feste Routinen, in die ich im Dezember des letzten Jahres mal wie selbstverständlich aufgenommen worden war.
Aber am Ende ist es halt schon so: Was hat er von mir in seinem Leben… - nichts. Deswegen bin ich da auch nicht.

Zu Hause liege ich erstmal zwei Stunden auf dem Sofa, ehe ich aufstehen kann und zumindest Wohnzimmer und Küche putzen kann. Das Badezimmer und die Wäsche müssen bis morgen warten. Und ob ich noch etwas koche heute… ?

Die Therapeutin war letztens dezent geschockt darüber, als ich ihr erklärt habe, dass alle Alltagsaufgaben ein riesen Aufriss und ganz viel Planung sind. Bis ich die Wäsche aus dem Keller geholt habe, vergehen schonmal dreißig Minuten, weil ich mich zwischendurch ausruhen muss. Nach dem Einkaufen brauche ich meistens zwei Stunden. Auf dem Heimweg noch am Supermarkt vorbei, ist absolut undenkbar.
Ich weiß nicht, woher ich noch die Kraft für den Job und ungeplante Dienste nehme. Manchmal glaube ich, das geht alles von der Kraft für den Alltag ab und am Wochenende bekomme ich jedes Mal die Quittung dafür. Wenn ich auf dem Sofa hänge, vor Erschöpfung nichts mehr sehen kann und es mir dabei trotzdem nicht gut geht, weil selbst liegen zu anstrengend ist.
Ich weiß es nicht. Manchmal frage ich mich, ob das nicht einfach Faulheit ist. Wieso klappen spontane Dienste, aber der Alltag nicht? Warum ist da die Energie plötzlich da? Ist das nicht unlogisch?

 

Arbeitsweg...

Ich bin irgendwo. In der Vergangenheit. Oder der Zukunft. Aber nicht hier. Weil das so unglaublich weh tut, dass ich es nicht aushalten kann. Ich hatte mal ein Leben. Keine Familie, aber ein paar Freunde. Den Freund, den ich gestern nach dem Dienst sofort hätte anrufen können. Diesen einen Menschen, bei dem ich wirklich ich selbst sein konnte.
Und so oft tut es immer noch so weh wie am ersten Tag. Dann suche ich die alten Sprachnachrichten durch und schaue, ob ich etwas „Neues“ entdecke.

Einsamkeit mag gut sein, wenn man sie sich aussucht. Wenn man aber in ihr drin hängt, weil man gerade keine andere Wahl hat, ist es ziemlich beschissen. Und selbst in Gesellschaft komme ich mir aktuell immer fremd vor. Weil das nicht ich bin. Selbst, wenn ich abends bin den Kollegen essen bin. Dann bin ich die, die jetzt dazu gehört. Eine dienstfähige Ärztin, die mindestens genauso viele Dienste macht, wie die anderen. Aber Thema ist natürlich nicht die Traurigkeit, diese Erschütterung, die es immer noch ist. Der Verlust von diesem Grundvertrauen, dass es irgendwann okay werden kann. Die Sehnsucht nach einer Familie, die mir fast das Herz zerreißt, wenn ich auf dem Weg zum Supermarkt die potentielle Beuzgsperson von der Ferne treffe. Und mir wünsche, dass er auf die Idee kommen könnte, dass ich mal ganz kurz ein Stück von seinem Familienleben mitbekommen darf, damit die Sehnsucht ein bisschen weniger wird. Damit die „kleine Mondkind“ mal kurz zur Ruhe kommen darf.

Die Realität ist: Wir brauchen das Krankenhaus zwischen uns. Er ist mein Chef und kann mir auch befehlen, mich nach 26 Stunden Dienst noch um Verlegungen kümmern. Und wahrscheinlich hätte mich das bei niemandem so gestört wie bei ihm, weil die „kleine Mondkind“ sich eigentlich eher eine schützende Hand, als Sonderaufgaben erhofft. Was da manchmal, ganz selten, am Wochenende abläuft ist eine Parallelwelt, die nicht mal exisitieren dürfte und die so unglaublich fragil ist, dass ich nie weiß, ob sich das nochmal wiederholen wird, wenn ich fahre. 

Ich weiß auch nicht, warum geplante Kakao – Sofa – Nachmittage (okay, wenn dann eh irgendwann mal nichts anderes mehr geht), immer in zu viele Gedanken und zu viele Tränen ausarten.

Ich hoffe, die Therapeutin kommt aus dem Tee. Mit der Klinik. Auf der einen Seite könnte das bitte noch hundert Jahre dauern. Auf der anderen Seite spüre ich, dass mir die Kraft ausgeht. Und ich möchte diesmal wirklich kein Drama. Und irgendwie mal mehr, als am Ende wieder ein funktionsfähiges Wesen zu sein, was dann wieder nur ein Jahr – wenn ich Glück habe – gut geht. Ich möchte mal irgendwann wieder leben.

Mal schauen, was sie Mittwoch zu sagen hat. Wenn ich nach dem nächsten 24 – Stunden – Dienst völlig platt bei ihr sitze. Und wir uns wahrscheinlich wieder nichts zu erzählen haben. Therapie war auch schon mal sinnvoller.

 

Mondkind

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