Psychosomatik 1.0 ?
Ich dachte, ich lasse Euch mal ein kleines Update da.
Es gäbe viel zu erzählen. Die Dienste sind wirklich heftig geworden; mittlerweile lysieren und thrombektomieren wir in jedem Dienst. „Unter 10 Aufnahmen fängt die Mondkind doch gar nicht erst an“, kommentierte letztens ein Oberarzt meinen Dienst.
Neben der Arbeit ist das Leben wirklich sehr still geworden. Und das
ist nicht nur die Erschöpfung nach dem Dienst – es ist eine generelle
Erschöpfung, die mich nach der Arbeit auf das Sofa trägt und mich nicht mehr
aufstehen lässt, bis es Zeit ist, ins Bett zu gehen. WhatsApps werden nur noch
spradisch beantwortet, Anrufe die nicht zwingend wichtig sind, werden nicht
getätigt. Auch der Blog ist sehr ruhig geworden und trägt nicht mehr den Spirit
in sich, den er mal hatte. Spiegelt nicht mehr das Zwischenmenschliche, das man
so oft in den Texten zwischen den Zeilen gefunden hat.
Die Sonne erreicht das Herz nicht mehr, selbst die guten Momente kann
ich nicht leben, weil ich viel zu erschöpft bin, um mich über etwas zu freuen.
Es ist alles ein Zwang und auch nach einem ruhigen Tag könnte ich immer noch
jedem, der etwas von mir will, mit einer Akte auf den Kopf hauen. Auch körperlich
merke ich mittlerweile, dass ein einfacher Gang in den Keller anstrengend ist,
dass mir ständig schlecht ist und mein Kopf weh tut. Und so gerne würde ich mal
wieder einfach nur etwas richtig Positives fühlen, unbeschwert sein.
Und gerade die Zeit in der Studienstadt hat deutlich gemacht, dass da einfach unglaublich viel verloren gegangen ist. Ich habe mich selbst gespürt aus den Zeiten, die noch anders waren. Ich habe die Hoffnung nochmal für einen Bruchteil einer Sekunde wahrgenommen, dass es irgendwann okay werden kann. Dass auch ein zweifelndes, perfektionistisches, bindungsängstliches Wesen irgendwann einen Menschen an ihrer Seite haben wird, ein emotionales zu Hause, einen Ort, an den es hingehört.
Die neue Therapeutin hat das Wort Klinik schon häufiger in den Mund genommen und ich habe das lange Zeit geflissentlich überhört. So weit ist es doch nicht schon wieder. Ich möchte nicht schon wieder fehlen, die Kollegin sein, die langsam sicher die höchsten Krankenstände hat. Ich möchte keine Angst haben müssen, verurteilt zu werden. Und überhaupt: Ich kann doch bis jetzt jeden Tag zur Klinik laufen und dort irgendwie meinen Job machen. Die Betonung liegt auf „irgendwie“.
Ich habe nochmal lange mit meinem Oberarzt geredet. Und ich hoffe
sehr, dass er jedes Wort, das er in dem Gespräch benutzt hat so meint, wie er
es gesagt hat. Die Klinik sei alternativlos sagt er. Er beobachte die
Entwicklung seit Wochen und es würde sicher nicht mehr lange dauern, bis es
dann wieder so wenig händelbar ist, dass man ganz akut handeln muss, damit ich
es überlebe. Und das würde – wenn ich das überhaupt kommunizieren würde –
Psychiatrie bedeuten. Und das würde auch wieder heißen, dass man Wochen braucht
um mich zurück in einen funktionsfähigen Zustand zu bringen, in dem ich dann
entlassen werde und das alles wieder von vorne losgeht. Deshalb sei es so viel
sinnvoller selbst auf eine Klinik zuzugehen, bevor man in dem Zustand ist und
nach ein bisschen Päppalarbeit wirklich aktiv an sich arbeiten könne. „Personaltechnisch
können wir es uns aktuell leisten Mondkind“, sagte er. Dem Chef hat er schon
vor Monaten erklärt, dass ich nochmal ein paar Wochen ausfallen werde. Und auf
meinen Einwand hin, dass die anderen dann mehr arbeiten müssen, sagt er selbst,
dass ich mir das ja alles nicht ausgesucht hätte.
Er ermahnt aber auch, nicht nur den Freund zu thematisieren. Auch,
wenn er langsam versteht, dass wir ungefähr alles außer unser Bett geteilt
haben und er vermutlich die Person war, die mich am meisten ins Leben geschubst
hat und an dessen Seite ich am meisten gelebt habe, ist es doch so, dass viele
Schwierigkeiten auch schon vorher existiert haben und in der Familiensituation
begründet liegen. Auch daran müsse man arbeiten.
Jegliche Argumentationen, was die anderen wohl sagen werden, was meine
Eltern machen werden, ob ich nicht doch erst die Doktorarbeit machen sollte,
könnte ich mir sparen sagt er. „Wie willst Du denn so wie es Dir geht, eine
Doktorarbeit schreiben? Hast Du darüber mal nachgedacht…? Du musst jetzt
wirklich ganz dringend etwas für Dich tun Mondkind, das steht an erster Stelle.“
Das Ende vom Lied ist, dass die neue Therapeutin sich mit einer Klinik
in der Nähe in Verbindung setzt. Zufällig ist ihr Mann an einem Standort dort
der Chef. Ehrlich gesagt könnte man sich ja jetzt noch bilden, welche Klinik
ich in meiner Situation aufsuchen sollte – ich hatte diesbezüglich auch mal mit
einer ganz lieben Leserin hier Kontakt.
Allerdings reicht die Kraft auch nicht, sich ewig damit zu beschäftigen. Wir
sind uns nur einig, dass es eine Klinik sein sollte, die nicht nur auf Trauer
spezialisiert ist, weil die Themen breiter gefächert sind als das – auch wenn
dieses Ereignis natürlich die Dinge wesentlich schwieriger gemacht hat.
Bis dahin soll ich – laut meines Oberarztes – nochmal versuchen mich
vom Mann von der Therapeutin medikamentös vernünftig einstellen zu lassen; im
Moment nehme ich nämlich gar keine Medikamente mehr, weil die Mondkind ja eine
sehr incompliante Patientin ist und immer irgendwann beschließt, dass sie die
chemische Hilfe fürs Hirn nicht mehr braucht. „Vielleicht sollte ich mal
irgendwann anfangen mich ernst zu nehmen“, sage ich, woraufhin mein Gegenüber
nickt. „Das solltest Du“, sagt er.
Und dann ist der Plan irgendwann im Dezember in die Klinik zu gehen;
diesmal eine Psychosomatik.
Ihr wisst nicht, wie viele Nächte ich schon geweint habe, seitdem das
jetzt feststeht. Und ich sage mir, dass es immer noch genügend Stellen gibt, an
denen ich Stopp sagen kann. „Mondkind Du und Dein Herumgeeier mit der Klinik –
das ist langsam wirklich nicht mehr schön“, sagt der Oberarzt dazu. Und ich hoffe sehr, dass er sich immer an dieses Gespräch erinnern wird und da nie wieder etwas von wegen "psychiatrische Hängematte" kommt.
Und trotz der ganzen Zweifel und so sehr wie man den Laden von Klinik auch oft verurteilen kann, weil wir alle viel zu viel arbeiten – aber solche Oberärzte und Chefs muss man erstmal haben. Die am Ende einfach hinter mir stehen. Mich ein paar Wochen gehen lassen und mich hoffentlich danach wieder in ihre Mitte aufnehmen.
Mondkind
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Wenn alles klappt, wird dieses Stadt ein paar Wochen mein Aufenthaltsort. |
P.S. Langsam überlege ich mir auch, ob das mit dem Bloggen noch Sinn hat. Nicht, weil ich es nicht gerne machen würde, sondern weil das nicht besonders viel Vorbildcharakter hat. Zwischen 2017 und 2021 wäre das dann das vierte Mal Klinik…
Hallo Mondkind!
AntwortenLöschenDeine Geschichte berührt mich, unter anderem, weil es so viele Parallelen zu mir gibt... Ich hoffe, ich trete dir nicht zu nahe und gehe dir nicht auf die Nerven. Ich wollte nur kurz loswerden, was mir damals geholfen hat: ISTDP (intensive short term dynamic psychotherapy). Das ist ein etwas anderer Ansatz, sehr intensiv. Mir hat es soweit geholfen, dass ich seit über 10 Jahren keine therapeutische Hilfe benötigt habe und ein glückliches und ausgeglichenes Leben führe. Ich weiß nicht, wo du wohnst, ob es Therapeuten in der Nähe gibt (https://istdp.de/uber-uns/mitglieder/). Ich bin damals auch immer eine weitere Strecke gefahren. Da die Termine aber nur alle 4 Wochen waren (dafür mehrere Stunden), ging das aber gut. Und beruflich war es für mich auch einfacher, alle paar Wochen 1 Tag Urlaub zu nehmen, als jede Woche zu fehlen.
Wo auch immer dein therapeutischer Weg dich hinführt, ich denke an dich und wünsche dir von Herzen alles Gute!
Morgen :)
LöschenJa das mit dem Fehlen jede Woche ist schon schwierig - insbesondere weil die Station wo ich jetzt bin ein einziger Haufen von Chaos ist und man ungefähr Null planen kann. Da wäre die Version schon praktischer.
Danke Dir; ich werde es mir mal anschauen, wenn ich wieder die Kraft dazu habe. Im Moment bin ich froh, wenn die Energie bis zum Ende des Tages irgendwie ausreicht.
Alles Liebe
Mondkind