Psychosomatik #2 Ein Weihnachtsbrief

 

Hier bei uns im Kurpark

Hey mein lieber Freund,
frohe Weihnachten auf der anderen Seite des Seins – kann man das so sagen? Wie ist die Welt bei Dir so? Habt Ihr es fein? Sind es friedliche Tage? Schneit es? Schaust Du mir zu? Bist Du in Sicherheit?

Wahrscheinlich ist dieses Weihnachten jetzt gerade eines der stillsten Weihnachten meines Lebens. Aber auch eines der Jahre, in denen ich am Besten aufgehoben und eingebettet bin.
Und tatsächlich – es schneit draußen. Ich sitze gerade an meinem Holzschreibtisch mit Blick auf den Kurpark und der dahinter liegenden Stadt; habe mich in meinen Rentier – Pullover eingekuschelt, trinke einen Kaffee und denke an Dich. Dass ich Weihnachten ernsthaft mal in der Psychosomatik hier als Patientin verbringen werde hätte ich im Sommer – als ich das letzte Mal hier in der Stadt war – auch nicht gedacht.

Und weißt Du – ich frage mich schon wieder etwas. Ich frage mich, ob nicht auch für Dich diesen Weg zu gehen, hätte heilsam sein können. Vielleicht ist es auch immer eine Frage von Glück irgendwann an die richtigen Menschen zu geraten.

Ich war heute Morgen noch bei meiner Co - Therapeutin; sie hat mich nach unserer „Weihnachtsfeier“ einfach nochmal kurz beiseite genommen. Sie hatte bemerkt, dass es mir nicht so gut geht. Ich habe ihr erzählt von dem Ohnmachtsgefühl, das mich die letzten Tage so sehr einholt, ein bisschen was von dem, als ich damals morgens auf dem Sofa saß, als Deine Mum sich bei mir gemeldet hat. Von dem „Gap“ zwischen dem Ort, an dem ich immer noch stehe, und dem Jetzt. Von den „Blitzlichtmomenten“, die wie eine zweisekündige Filmaufnahme ein Leben aus einer anderen Zeit abbilden. Davon, dass es so viel Schmerz ist zu begreifen, dass es dieses „wir“ nicht mehr gibt, dass ich nicht mehr Dieselbe bin wie Damals, dass ich mich ein Stückweit neu finden muss. Ich kann mich erinnern, dass ich Dir am Anfang so häufig geschrieben habe „Versprich mir, dass ich an diesem Schmerz nicht sterben kann“ und das fühlt sich wieder so real an. Ich berichte von dem Bedürfnis immer und immer wieder dasselbe im Kreis zu erzählen, bis ich das subjektive Gefühl habe einmal gehört worden zu sein. Vertrauen Sie uns eigentlich? Ihre letzten Erfahrungen in einer Klinik waren ja nicht so toll, was ich mitbekommen habe. Ich versuche es", entgegne ich. Aber im Moment habe ich noch ein bisschen Schwierigkeiten", füge ich hinzu. Mh...", erwidert sie nachdenklich.
Wo sind Sie mir gerade?“, fragt sie mich nach einer Weile und ich berichte von einer Parallelwelt. Ich in meiner Welt und die anderen alle in ihrer Welt. Ich weiß nicht, ob wir jemals nochmal zusammen finden können. „Manchmal weiß ich nicht, ob eine Zukunft möglich sein kann.“
„So gern ich Ihnen dieses Trauma abnehmen würde, aber das kann ich nicht. Wie sind aber alle gerne für Sie da, wenn Sie sich uns ein Stück öffnen und uns erlauben, Sie auf Ihrer Reise mitzunehmen. Wir helfen Ihnen auch, eine Idee von einer Zukunft zu entwickeln.“ Sie reißt einen Zettel von ihrem Notizblock ab und schreibt „Es ist okay und darf sein“ drauf und überreicht ihn mir.
So wärmende Worte an Weihnachten, an einem Tag der sonst vermutlich still und einsam gewesen wäre oder von hektischem Treiben in der Notaufnahme geprägt gewesen wäre.

Am Nachmittag versuche ich ein bisschen was zu lesen, aber irgendwie reicht die Konzentration noch nicht. Also gehe ich eine Weile im frisch gefallenen Schnee durch den Kurpark spazieren, schaue mir die geschmückte Kurstadt an. Mir kommt in den Sinn, dass es eigentlich ein ziemlich schönes Weihnachten wäre, wenn man die Umstände ausblenden würde. Wir sind gut aufgehoben und sind gut versorgt - in vielerlei Hinsichten. Und wie gerne würde ich mit Dir die Erfahrungen dieses Klinikaufenthaltes teilen. Gute Erfahrungen in der Klinik hätten uns 2020 wohl beide gut getan.

Ich hoffe Du bist sicher, wo immer Du auch bist aktuell. Ich hoffe, Du hast ein Auge auf mich. Und auch wenn der Plan dieses Aufenthaltes natürlich ein besserer Umgang mit der Situation mit Deinem Tod ist hoffe ich, dass ich immer Deine Hand auf meiner Schulter spüre. Ich hoffe, dass die Erinnerungen immer zwischen uns bleiben, dass ich nie vergessen werde täglich bei Dir vorbei zu kommen und zu fragen, wie es bei Dir ist. Ich hoffe, Du hörtst mich.
Du fehlst hier. So unendlich doll. Und auch nach bald anderthalb Jahren ist es immer noch komisch in einem Park ohne Dich am Ohr spazieren zu gehen. 

Ganz viel Liebe
Mondkind

 

Zettelwirtschaft kann die neue Co - Therapeutin auch. Ich glaube, ich mag sie. Und sie ist einfach super kompetent

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