Psychosomatik #4 Erschütterung

Vorab. Der Jahresrückblick ist noch nicht fertig.
Ich versuche es bis zum Ende des Wochenendes fertig zu bekommen.
Es ist so viel passiert die Tage dazwischen, dass ich daran nicht mehr weiter arbeiten konnte.

Daher dazwischen kurz noch eine andere Geschichte.
Therapieziele. Hatten wir Anfang der Woche definiert.
Erstes Ziel: Reflexion emotionaler Prozesse im Zusammenhang mit dem Suizid des Freundes.
Zweites Ziel: Stärkung der Fähigkeit zur Selbstfürsorge durch die vertiefte Wahrnehmung eigener Bedürfnisse und Akzeptanz von Leistungsgrenzen.

Natürlich wusste ich, was wir mündlich besprochen hatten. Der Herr Therapeut wollte das dann nochmal verschriftlichen und mir einen Zettel ins Postfach legen. Den habe ich Mittwochmittag aus dem Postkasten gezogen. „Suizid des Freundes“. Es war, als würden sich diese Worte vor meinem Auge vergrößern, aus dem Blatt heraus springen und mir direkt ins Gesicht schlagen. Ich hatte schon auf dem Weg in mein Zimmer Tränen in den Augen; dort habe ich dann erstmal zwei Stunden am Stück geweint.
Da stimmt doch etwas nicht. Wie kann dieser Mensch, der so sehr Halt in meinem Leben war, der während Klinikaufenthalten immer mit einer helfenden Hand zur Seite stand plötzlich Teil eines Therapieziels sein. Er soll nicht tot sein, ich will nicht in dieser Situation sein; ich will eigentlich überhaupt nicht schon wieder in einer Klinik sein. Habe ich überhaupt schon begriffen, dass er wirklich tot ist?

Und irgendwie wurde daraus noch am Abend eine Enge. Was soll ich machen? Ich kann mich nicht bewegen. Jeder Schritt nach vorne in ein Leben, ist ein Schritt weg vom Stillstand, vom Tod, vom Freund. Was mache ich, wenn die Erinnerungen blasser werden, mir zwischen die Finger rinnen und ich sie irgendwann nicht mehr farbig vor meinen Augen sehe? Und wenn ich nur den Fuß anhebe, um ein Stück weiter vor zu setzen in Richtung Licht ist es, als würde mich jemand am Kragen zurück ziehen. Der Freund und das Leben sind zwei Dinge, die nicht mehr zu vereinbaren sind. Und ich weiß nicht, wie ich dazwischen einen Platz finden soll.
Ich habe keine Ahnung, was ich machen soll, wohin ich in den nächsten Schritt machen soll, ich fühle mich wie eine Raupe im Kokon.
Mir wurde dann auch relativ schnell klar: Okay, das wird jetzt irgendwie gefährlich, wenn ich es nicht auflösen kann. Und mir ist auch mal klar geworden: Ich war drei Mal in der Klinik und ich habe jeweils so viel nicht mitnehmen können, weil ich mich entweder nicht getraut habe um Hilfe zu fragen, oder das an den falschen Stellen oder mit den falschen Worten getan habe.

Mittwochabend hat mich dann der Weg in die Pflege geführt. Mit der Dame komme ich aber nicht gut zurecht; ich kenne sie schon, sie lässt mich nie ausreden. Dann am Donnerstag also nochmal hin zu einer anderen Tageszeit in der Hoffnung, auf wen anders zu treffen. Hat auch geklappt. War aber nicht hilfreicher. „Sie müssen ihn loslassen.“ Erster Moment, wo ich das dringende Bedürfnis habe, wem mit der Bratpfanne auf den Kopf zu hauen. Und dann „Also bei meinen Eltern…“ Puh… - der andere reagiert meist auch sensibel, wenn ich sage, dass man das einfach nicht vergleichen kann. Wenn die Eltern irgendwann im Alter sterben ist das etwas anderes, als wenn der Freund freiwillig aus dem Leben geht. Natürlich nicke ich brav und tue so, als wäre das ein für mich hilfreiches Kommentar. Das hat nur irgendwie die Spannung in mir nicht aufgelöst.

Dann also die Idee… - vielleicht machen wir uns das System hier mal zu Nutze. Jeder Therapeut hier hat einen Briefkasten neben seiner Tür hängen. Hier läuft generell viel über Zettelkommunikation. Wir haben auch alle ein Postfach. Warum soll ich nicht mal frech was mich bewegt auf einen Zettel schreiben, beim Therapeuten in den Briefkasten schmeißen und dazu schreiben, dass es vielleicht schon der Vorbereitung für das nächste Einzel dient und ich das schonmal notieren möchte. 

Letztens auf einem Spaziergang

Heute. Therapiegruppe. Nach einer Stunde Orga – Kram: „Frau Mondkind, ich habe da einen Zettel von Ihnen in meinem Briefkasten gefunden – sollen wir da vielleicht heute nochmal drüber reden, oder reicht das Anfang der nächsten Woche?“ „Naja, wenn Sie heute Zeit haben, wäre ich sehr dankbar.“ Vor der ganzen Gruppe. Ich hatte so ein schlechtes Gewissen zu viel Raum einzunehmen. Oder mehr, als mir zusteht. Aber ich habe noch einen Termin bekommen. Vor dem Jahreswechsel. Vor dem Wochenende. Ich weiß nicht, ob ich es sonst gepackt hätte.

Herrn Therapeutens Büro. Unter der Dachschräge.
„Es tut mir leid wegen dem Zettel, wir haben vorher nicht drüber gesprochen, ob das für Sie okay ist“, leite ich ein. „Es ist alles gut, das ist in Ordnung, dafür ist der Briefkasten da“, sagt er.
Ich rede von dem ewigen Gedankenkreisen der letzten anderthalb Jahre und dass ich – wie schon geschrieben – nicht vorwärts und nicht rückwärts komme und mir das zu viel Druck macht. „Vielleicht müssen Sie das wirklich mal bis ans Ende durchdenken um dann festzustellen, dass es so viele „was – wäre – wenns“ gibt, dass es gar keinen Sinn macht. Es weiß ja nicht mal jemand, ob die Beziehung noch lange funktioniert hätte, wenn er sich schon immer beschwert hat, dass Sie keine Zeit für ihn haben. Und in Ihrem Job gibt es wenig Zeit.“ Und dann. „Wie Sie schon selbst bemerkt haben, macht Trauer sehr einsam. Vielleicht müssen Sie das mal nutzen und am Montag in der Gruppe Ihre Geschichte erzählen – es „passt“ ja eh, wenn es dann anderthalb Jahre werden an diesem Tag. Sich auch der Angst davor stellen, dass das andere überfordern könnte, oder dass blöde Kommentare kommen, die Sie durchaus wieder kommentieren dürfen. Und ich bin da und fange die Gruppe auf, dafür sind Sie nicht verantwortlich. Vielleicht geht es gar nicht um ein kollektives Verstehen Ihrer Geschichte, sondern darum, dass Sie lernen, dass Sie auch damit gehört werden und dazu gehören zu dürfen. Es muss ja raus, wenn Sie das in sich einsperren, dann macht es Druck, das merken Sie ja. Deswegen haben Sie ja dieses Redebedürfnis darüber. Und all die Leute, die Ihnen sagen, dass Trauer ein Ablaufdatum hat, die müssen Sie auch nicht auf ihrem Lebensweg begleiten, die dürfen Sie abschütteln.“

Und wenn ich so darüber nachdenke: Ich rede im Privaten kaum darüber. Tue immer so, als ginge es mir gut, weil sonst niemand etwas mit mir macht. Die Kollegen nehmen mich nicht mit zum Essen, wenn sie befürchten, dass ich nur über den Freund rede. Ich traue mich auf die Frage wie es mir geht, immer noch nicht zu sagen: „Naja, immer noch nicht gut – mein Freund ist eben auch immer noch tot, aber ich wäre trotzdem dankbar, wenn ich mitkommen dürfte und vielleicht ein bisschen auf andere Gedanken kommen könnte, auch wenn ich vielleicht selbst nicht so viel rede.“
So etwas sagt doch Keiner. Ich sage meistens es geht mir gut, nehme die Einladung zum Essen an und rede dort über dieselben Banalitäten wie die anderen.

Mir ist auch noch etwas aufgefallen – wenn ich mich traue, werde ich das vielleicht Montag im Einzel noch thematisieren. Was wieder aktuell wurde, war das Thema Suizidalität; deshalb kam ich glaube ich auch hauptsächlich so ins Rotieren. In einer Psychosomatik eine suizidale Krise hinzulegen, ist glaube ich sehr schlecht. Und ich habe mich gefragt: Warum ist das jetzt da? Sonst war es oft vor großen Prüfungen wie dem Examen oder den Diensten da, manchmal auch dazwischen. Und jetzt hatte ich das Gefühl, es kam auf, weil ich das Gefühl hatte, mich nicht bewegen zu können. Es kann nichts gut werden. Weder der Weg ins Leben, weil er weiter weg geht vom Freund und ich das nicht akzeptieren kann, noch kann ich weiter dort bleiben, wo ich bin. Und dadurch, dass ich es jetzt geschafft habe nicht das Thema Suizidalität – was mir selbst auch immer Angst macht – zum Thema zu machen, sondern den Auslöser – die gefühlte Bewegungsunfähigkeit – konnte ich auch an der Stelle den Druck raus nehmen und es geht jetzt wirklich etwas besser. Ich denke über das Wochenende komme ich, Montag habe ich ein reguläres Einzelgespräch (naja, da muss man Gas geben in 20 Minuten…). Und irgendwie bringt die eigene Suizidalität in Verbindung mit der erlebten Endgültigkeit der Suizidalität des Freundes nochmal ein völlig neues Kapitel auf den Tisch.

Am Ende des Gesprächs sitze ich mit dem Mut – Stein einer Mitpatientin mit blauen Fingern auf dem Stuhl. Aber es ist so viel weniger Druck in mir. Und ein bisschen stolz bin ich auch auf mich, dass ich es mal geschafft habe, mir selbstständig – ohne dass es wie so oft eskaliert ist – wieder Luft zum Atmen verschafft zu haben. 

Mondkind 

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