Von Therapiestunde und Gedanken zur Klinik

Hey,
ich hoffe Du bist okay, wo immer Du auch bist.

Noch ist es stressig hier und ich hoffe so sehr, dass ich bald zur Ruhe kommen darf. Dass die Klinik wirklich ein Ort wird, an dem ich erstmal wieder atmen kann. Ich bin quasi das erste Mal in der Position, dass ich mir überlegen kann, was ich alles mitnehmen möchte. Da haben sich dann auch mal Dinge wie ein neues Notizbuch, ein Malbuch, Lichterketten, eine Thermoskanne, Tee, eine Tasse und eine Verlängerungssteckdose eingefunden – ich hoffe es passt alles in den Koffer, mich kann nämlich niemand fahren.
Und nachdem ich das letzte Mal so eine furchtbar anstrengende Zimmernachbarin hatte hoffe ich sehr, dass ich ein Zimmer für mich bekomme. Einen Rückzugsort, an dem nur meine Gedanken durch den Raum schweben, die Tränen für das Außen ungesehen bleiben, in dem ich mich einigeln kann, wenn ich das brauche.

Ich war diese Woche übrigens zwei Mal an zwei Tagen hintereinander bei der Therapeutin. Den zweiten Termin habe ich mal als „Bonus“ betrachtet und habe random von allen meinen Gedanken von der Nacht erzählt. Was für Bögen wir da geschlagen haben – das war eigentlich echt produktiv am Ende.
Ein Song von Max Giesinger, den ich in der Nacht gehört hatte, hat mich an das PJ erinnert. Als wir so auf halber Strecke waren. Ich schon vorgefühlt habe an dem Ort, der es werden sollte. Dich zu mir geholt habe, Dir die Stadt und den Campus gezeigt habe. Und trotzdem waren wir nie unbeschwert, weil da immer noch das Chirurgie – Tertial und das Examen über mir geschwebt haben, die bei Versagen potentiell lebensbedrohlich waren. Und was wäre, wenn ich mir damals hätte bewusst machen können, dass man nicht nur Dinge bezwingen und gewinnen wird, sondern auch wieder verlieren wird. Und das am Ende des Weges nicht das Licht wartet, auf das ich so lange hin gearbeitet habe, sondern dass Du mir so sehr fehlen wirst? Und dann haben wir echt beide geweint.

Wir haben über unsere Post – Therapie – Café – Dates geredet und dass die mir heute nach der Stunde so sehr fehlen. Sie meint, ich sei sehr reflektiert und das könne sie schon verstehen, dass ich nach der Stunde das Bedürfnis habe, die nochmal auseinander zu nehmen. Ich erzähle vom letzten Café – Treffen, es war irgendwo auf halber Strecke zwischen der Psychiatrie und der Innenstadt. Ich berichte, dass es kalt war, dass wir trotzdem draußen saßen und ich das aus irgendeinem Grund ganz besonders genossen habe und heute noch genau das Bild vor Augen habe. Danach kam Corona und dann bist Du gestorben.
Ich erzähle davon, dass ich heute nach den Stunden meist der potentiellen Bezugsperson schreibe – er hat es mal erlaubt – aber die Worte dieser Mails bleiben irgendwo stecken, selten kommt mal eine Antwort. Das ist kein Austausch, kein Diskutieren, ich weiß nicht mal, ob er das liest.

Ich erzähle von der Psychiatrie, von meinem Liegen vor dem klingenden Klavier des Herrn Musiktherapeuten, von der Wichtigkeit der Musik in meinem Leben. Und irgendwann schwenken wir zurück zum Klinikaufenthalt. „Ich habe Angst. Angst, dass das nochmal so schief geht. Das schaffe ich nicht nochmal. Die Klinik war letzten Sommer mal rückblickend betrachtet absolut kontraproduktiv. Ich habe mich damals schon ab und an mit dem Tod eines nahestehenden Menschen auseinander gesetzt, bin damals schon auf den AGUS  - Verein gestoßen, in dem ich heute bin. Aber nachdem man mir erfolgreich eingeredet hat, dass jeder der einen lieben Menschen verloren hat trauern darf, es bei mir nur leider kein Mensch war, der wichtig genug war, habe ich mich damit nicht weiter beschäftigt. Dass ich heute das Gefühl habe mich so stark überall rechtfertigen zu müssen, wächst vielleicht auch ein bisschen in mir und geht nicht unbedingt von den anderen aus. Aber jeder Anflug von Misstrauen bei mir nicht ernst genommen zu werden, löst sofort wieder die Panik aus, ich könnte für eine Simulantin gehalten werden. Ich möchte das nie, nie wieder erleben, dass ich nach acht Wochen einem vertretenden Stationsarzt und Oberarzt gegenüber sitze und die mir zusammenfassen: „Sie sind also hier wegen einer beruflichen Überforderungssituation.“ Und auf mein „Eigentlich bin ich hier, weil mein Freund gestorben ist“, erstmal aufgeregtes Scrollen im System folgt.“
Und dann sehe ich schon wieder Tränen auch in Ihren Augen und sie bekräftigt mich, dass das ein ziemlicher Skandal ist.

Wir reden über die Wichtigkeit von Worten. Meine Schwester behauptet, sie würde immer auf mich eingehen und mich unterstützen. „Das ist halt die Oberflächlichkeit der Familie. Wenn aber zeitgleich kommt: „Wann ist denn Dein komischer Termin?“ bezogen auf die Therapie, dann kann ich die Dinge nicht ernst nehmen. Und das ist bei vielen Dingen so. Man kann sich nicht auf Worte verlassen – das ist am Ende immer eine Kombination von Worten, Verhalten und auch dem, was ungesagt bleibt.

Es tut gut von ihr zu hören, dass sie mich für einen sehr reflektierten Menschen hält, der trotz der schwierigen Vergangenheit dabei ist, eine Persönlichkeit zu entwickeln. 

Kürzlich im Schnee...

Und dennoch habe ich jetzt wahnsinnige Angst vor der Klinik. Es ist kurz vor Weihnachten, jeder zieht sich in seine Bubble zurück. Wen rufe ich am ersten Tag dort an? Was mache ich, wenn ich nicht damit leben kann schon wieder krankgeschrieben zu sein, weil es mir meine Existenzberechtigung nimmt? Ich werde nie vergessen, wie ich beim zweiten Klinikaufenthalt den ganzen Nachmittag auf der Fensterbank saß, Du in der Leitung und Du mich irgendwie versucht hast, zu beruhigen. Das sind die Momente, die bleiben, die so wertvoll waren, so voller Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit. Klar, ich habe die potentielle Bezugsperson, aber die kann ich nicht einfach anrufen, so läuft das nicht. Das ist nicht so etwas, das wir hatten. Und was um Himmels Willen soll ich meinen Eltern erzählen…?
Bei der alten Klinik wusste ich, auf was ich mich einlasse und Du wusstest noch mehr als ich, wie der Hase da läuft. Jetzt weiß ich genau genommen nichts, außer dass die Klinik einen ziemlich guten Ruf hat, die Wartezeiten normalerweise relativ lang sind und zwei Telefonkontakte schon mal ganz gut waren. Und ich versuche wirklich mich da jetzt drauf einzulassen. Denn am Ende des Tages glaube ich, ist es doch eine Chance. Und selbst wenn wir nicht mehr bekommen als das, aber wir bekommen Zeit. Objektiv das Zweite Mal, seitdem Du tot bist, subjektiv das erste Mal.

Es wird noch ein ziemlicher Trubel bis dahin. Ich wollte meiner Schwester noch ermöglichen zu kommen, weil sie seit Monaten von nichts anderem geredet hat, aber sie zu beschäftigen, jeden Tag für uns kochen, die Wohnung abflugsbereit zu machen (jetzt wollen Montag noch Handwerker kommen wegen einer Lüftung, die seit mindestens 8 Monaten nicht geht, ich könnte kotzen), noch Dinge zu besorgen und zu Packen ist schon recht viel, wenn man bedenkt, dass ich körperlich einfach am Ende bin. Einmal am Tag zu essen ist schon eine hohe Kunst, nachts schlafe ich nicht vor drei Uhr und vor 11 Uhr in der Früh darfst Du mich eigentlich nicht ansprechen.
Und die potentielle Bezugsperson und ich wollten sich auch nochmal sehen – das geht aber tatsächlich von mir aus. Ich kann mir noch nicht vorstellen, ihn dann wieder so lange nicht zu sehen. Und da sind wir wieder: Es ist nicht wie Familie. Man kann sich nicht zwischendurch mal sehen, weil einem danach ist. Zwischen uns muss immer das Krankenhaus bleiben und jetzt gerade geht es uns verloren, weil ich eben nicht arbeite. Das kann man nie laut sagen, aber das hält mich in und auf dieser Arbeit gefangen.

Und dann hoffe ich, dass ich endlich ruhiger werden darf.
Ich hoffe Du fühlst Dich sicher, wo immer Du auch bist. Ich hoffe, Du wirfst ein Auge auf mich in der Zeit. Ich hoffe, ich spüre Deine Hand auf meiner Schulter, die mich durch die Flure dort lotst.
Du fehlst mir hier so sehr.

In Liebe
Mondkind

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