Psychosomatik #3 Über das Fremdsein
Ich sitze am Schreibtisch.
Schaue aus dem Fenster vor mir.
Ich sehe die Straße, die in die Stadt hinein führt und auf der sehe
ich die Lichter von Frontscheinwerfern der Autos. Ich frage mich, was das für
Menschen sind in den Autos. Wohin sie wollen. Ob sie ein Leben leben, das sie
glücklich macht.
Ein bisschen ist es, als würde dieses Fenster meine Welt in dieser
Käseglocke hier von dem Außen – dort wo
das Leben spielt – trennen. Ich stelle fest, dass ich das Leben da draußen auch
irgendwie vermisse. Nicht all die Dinge, die am Ende nicht mehr funktioniert
haben, aber das Ärztin sein. Eine sinnvolle Tätigkeit im Tag. Ich habe den Dienstplan, ich weiß, wer sich aktuell in der Notaufnahme herum treibt und ich wünsche mir für mich, wieder Teil des Teams zu sein.
Ich sitze hier und mein Kopf explodiert von all dem Gedankensalat. „Ich könnte den Therapeuten morgen erstmal zwei Stunden an die Wand labern“, habe ich heute einer Mitpatientin erklärt. Aber irgendwie fehlen mir Menschen, die im Thema sind, die ich kenne, die mich kennen. Ich habe keine Lust mehr, mich verständlich zu machen, mir Gehör zu verschaffen, diesen unnötigen Nervenkitzel zu spüren über die Frage, ob mich wer ernst nimmt und versteht.
Ich vermisse den Freund, der als verlässlicher Gesprächspartner in der
Klinik immer zur Hand war, mit dem man die Innenräume der Seelen austauschen
konnte, weil wir das sowieso immer getan haben. Wir brauchten nicht die Klinik
und die Fokussierung auf unser Innenleben um darüber zu reden, was uns bewegt.
Ich würde Dir sagen Du fehlst mir und jetzt gerade brauche ich Dich. Ich
würde sagen, ich habe Heimweh nach meinen eigenen vier Wänden, die so viel
Einsamkeit sein können, aber jetzt gerade möchte ich dort sein, mich mit
Kopfhörern auf den Wintergarten legen können und keine Angst haben müssen, dass
meine Zimmernachbarin hier auftaucht.
Ich glaube, ich bin eifersüchtig. Heute war eine Veranstaltung, in der
jeder sagen musste, warum er da ist. „Wegen einem Trauerfall“, habe ich gesagt,
um das nicht weiter ausführen zu müssen. Ich wäre so gern einer dieser
Menschen, die sagen: „Ich weiß nicht, wie ich hierhergekommen bin; irgendwie
hat mich das Leben überfordert.“ Das war so viele Jahre Ich. Das war so viele
Jahre das Mantra: Depressionen sind heilbar.
Mir ist aufgefallen, die Dinge haben sich geändert. Ich weiß, warum
ich hier bin. Ich kann einen Auslöser benennen. Das, was den anderen fehlt und
die darüber verzweifeln, dass es ihnen fehlt, das habe ich jetzt. Aber das
macht die Sache nicht mehr heilbar. Ich bin nicht heilbar. Jetzt nicht mehr. Dieser
Verlust wird immer bleiben. Und ich wünsche mir so sehr ein anderes Leben in
dem ich das nicht hätte erleben müssen.
Weihnachtsbeleuchtung hier in der Stadt |
Ich fühle mich fremd in den Gruppen hier. Denn auch wenn langsam klar
wird, dass ich hier wegen eines Trauerfalls bin und in einer Gruppentherapie
sich ja die Gruppe helfen und Halt geben soll, ist das Gesagte eher weniger
hilfreich. Es macht mich wütend. Dann höre ich etwas von „Loslassen“, wo ich ja
schon die Wände hochgehen könnte. Ich höre etwas von „Als meine Eltern
gestorben sind…“ Und das ist alles lieb gemeint und mit Aufrichtigkeit
geäußert, aber es verfehlt mein Herz. Denn so einfach ist es mit einem Suizid
des Freundes eben nicht. Man sollte nicht mit 27 Jahren schon den Menschen verlieren,
den man liebt. Seinen Seelenverwandten. Ich möchte ihn nicht loslassen, ich
möchte ihm nur einen neuen Platz in mir geben. Und ich bin auch nicht „nicht
schuldig“, weil das jemand sagt, der die Grundzüge des Schuldprinzips nicht
verstanden hat und auch, dass mit Schuld nicht nur die objektivierbare Schuld
gemeint ist, sondern dass Schuld auch dazu dient, eine Ordnung in das
unerklärliche Chaos zu bringen, dass ein bisschen Selbstbestimmung in der
Hilflosigkeit bleibt und ein Stück Verbundenheit, weil ich an die guten Zeiten
kaum Erinnerungen habe.
Hier in diesem Mikrokosmos entsteht das, was in der großen Welt schon
Bestand hatte.
Ich bin immer noch in der Rekapitulation dieser Endlosschleife. Und finde aber keine Ohren. Zumindest nicht ausreichend Ohren. Wir sollen hier über unser Gefühl reden und nicht über die auslösende Situation. Aber die Gefühle sind anders, seitdem er tot ist. Und in der Gruppentherapie zu sitzen und die Traurigkeit, die Sehnsucht und die Verzweiflung im Herzen konservieren zu müssen, weil das gerade keinen Platz hat, ist schon beinahe unmöglich. Ich muss jedem Mitpatienten der hier ist, seine 100 % zugestehen; die habe ich mir ja früher auch eingefordert. Aber eine nicht ausgeräumte Spülmaschine des Partners zum Thema für die Gruppenstunde zu machen, ist seltsam verstörend.
Ich habe Angst. Angst, dass ich hier nicht ankomme, dass ich keinen
Halt finde, dass ich keinen Zugang zu einer Art von Trauerverarbeitung finden
kann. Ich versuche immer noch das Positive zu sehen. Ich kann immer noch meine
Bücher hier durcharbeiten, ich kann viel spazieren gehen. Ich kann mich fragen,
wie eine Zukunft vielleicht ansatzweise aussehen könnte.
Es wäre nur schön gewesen, wenn jemand hätte mitgehen können.
Mondkind
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