Von Sehnsucht und Lücken

Wir stehen uns gegenüber und wissen nicht, was wir sagen sollen.

Wenn ich mir eine Sache hätte noch dieses Jahr wünschen dürfen, dann wäre es gewesen, nochmal bei der potentiellen Bezugsperson zu sein. Mitte der Woche hatte ich ihn mal gefragt, da meinte er, er schaut mal, ob wir am Wochenende Zeit finden. Offenbar war das nicht der Fall.

Jetzt laufen meine Schwester und ich ihm und seiner Frau in der Stadt über den Weg. Es ist eine seltsame Konstellation. Ich hätte hunderttausend Dinge, die ich noch mit ihm besprechen wollen würde, aber natürlich nicht im Beisein meiner Schwester und das weiß er wahrscheinlich auch.
„Was habt Ihr vor?“, fragt er. „Ein bisschen spazieren gehen. Und Tesafilm kaufen. Ich habe nämlich keins mehr“, entgegne ich. „Was hast Du denn mit Tesafilm vor?“, fragt er. „Lichterketten… - an die Wand kleben“, entgegne ich. Also eigentlich ist das mehr der Plan für die Klinik. „Ich hoffe, das hält“, schiebe ich hinterher. „Du könntest auch Paketklebeband nehmen, aber damit reißt Du unter Umständen den Putz von der Wand“, wirft seine Frau mit einem Lachen ein.
„Alles Gute Dir Mondkind“ sagt er, dann gehen die beiden weiter.

Das war unsere letzte Begegnung für die mindestens nächsten sechs Wochen. Ich bin froh, dass wir uns überhaupt nochmal kurz gesehen haben – auch wenn es mehr ein aneinander vorbei gehen war – aber natürlich hätte ich mir das anders gewünscht. 


Und während meine Schwester und ich eine Runde durch den Park drehen und ich nur so halb bei dem bin, was sie sagt, wird mir etwas klar. Ich glaube, ich habe die potentielle Bezugsperson ein bisschen versucht in die Lücke des Freundes zu stopfen. Nach jeder Therapiestunde bekommt er eine Mail – ein bisschen als Ersatz für die nicht mehr vorhandenen Post – Therapie – Café – Dates. Und es enttäuscht mich jedes Mal, wenn er das ignoriert. Wenn wir darüber nicht diskutieren können, wie früher. Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass er nicht gesagt hätte „Alles Gute Mondkind“ und damit wäre das Thema abgehakt. Ein paar Worte, die das Herz sich auch seltsam zusammen ziehen lassen. Ich hätte mir gewünscht, dass er sagt: „Ruf mich an, wenn Du mich brauchst.“

Es ist so schwer zu akzeptieren, dass die Lücke die da ist, bleiben wird. Dass ich froh bin, dass die potentielle Bezugsperson da ist, aber dass es mit ihr nie so war wie mit dem Freund und auch nie so werden wird. Er akzeptiert im Bestfall mein Geschreibsel, manchmal kommen auch wirklich unschöne Kommentare zurück, aber er versteht das Meiste davon wahrscheinlich nicht. Er spürt nicht diese emotionale Not oder kann – wenn er sie spürt – keinen Zentimeter auf mich zugehen.

Es tut einfach weh. Wirklich.
Ich muss da alleine durch. Selbst überlegen, wie ich das meinem Umfeld verkaufe. Die kleinen Erfolgserlebnisse alleine feiern und die Rückschläge selbst verarbeiten. Bestimmt gibt es einige Mails. Aber das wird die Spitze des Eisberges sein. So wie es mit ihm immer war.

Mondkind

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