Vom ersten Intensiv - Dienst und einem neuen Kennenlernen

Emotionales Vollchaos.
Zwischen den guten Momenten, in denen die Zeit still stehen bleiben könnte und Momenten, in denen so viel Adrenalin und so viel Angst den Körper flutet, dass ich meine, ich müsste auf der Stelle in mich zusammen sacken.
Zwischen der Art, in der ich Problemen in der Vergangenheit begegnet bin und dem Umgang damit heute. Zwischen der Mondkind vor noch gar nicht so vielen Monaten und der Mondkind von heute.
Zwischen absoluter Fragilität und dem Gefühl, angekommen zu sein.
Und eigentlich habe ich keine Ahnung mehr, wer ich bin.
Das Leben hat sich ein Mal auf den Kopf gestellt.

Mittwochmorgen.
Nachdem ich um den Intensivdienst nicht herum gekommen bin, muss ich am Morgen erst um 10 Uhr auf der Arbeit sein. Und wenn man da schon unvorbereitet rein geschmissen wird, kann ich wenigstens die Vorteile nutzen und meinen Freund besuchen fahren, da wir uns auch am Wochenende nicht sehen werden. (Ein Kollege wird mir später erzählen, dass er dem Oberarzt vorgeschlagen habe, mich als Backup für die Dienste vorzubereiten, auch wenn ich die vielleicht nie machen muss, aber das wurde nicht als notwendig angesehen, weil jeder wohl okay damit war, dass ich die nicht mache).
Scheinbar haben wir uns still darauf geeinigt, dass die Aufgabe meines Freundes ist, mich morgens zu wecken und selbst im größten Zeitstress noch ein paar Minuten unter meine Decke zu kriechen. Ich habe am Abend davor eine Mango mitgebracht und das hat ihn dazu motiviert einen Obstsalat zu schnibbeln – für den Zweck ist er extra etwas eher aufgestanden; alle Achtung.
Und dann liegen die schönsten Momente schon in der Früh. Beim gemeinsamen Frühstück. Darin, dass wir uns diese Woche ganz unverhofft nochmal sehen konnten. Und ich liebe das, wenn er einfach ein Mal um mich herum läuft und mich von hinten in den Arm nimmt.
Ein wenig getrübt ist der Morgen im Verlauf aber doch. Die Zeit rennt unaufhörlich vorwärts und ich muss bis 10 Uhr im Berufsverkehr über die Landstraßen zurück ins Nachbardorf fahren, zu Hause vorbei, mein Essen für den Dienst in die Tasche schmeißen und auf die Arbeit düsen.

Bisher konnte ich diesen Dienst auch ganz gut verdrängen – das geht zunehmend nicht mehr.
Es erinnert mich sehr daran, wie ich früher mit solchen sehr schwerwiegenden Sorgen umgegangen bin – in der Nacht mal so eben für 30 kritisch kranke Patienten verantwortlich zu sein, ist nicht ohne. Mich von heute auf morgen ohne fachliche Vorbereitung in die Dienste zu schmeißen – das hätte früher mit einer beinahe hundert prozentiger Wahrscheinlichkeit in eine suizidale Krise geführt. Ich war da immer ziemlich zickig. Ich war sowieso schon überfordert genug, Tage waren ein ständiges Jonglieren um die nach außen vermittelte Standfestigkeit und wenn dann noch etwas dazu kam, war die Grenze sehr schnell erreicht. Es gab auch wenige gute Momente, die ich gegenüber stellen konnte. Von denen ich sagen konnte: Naja dafür lohnt es sich und um die guten Momente weiterhin haben zu können, muss ich mir halt überlegen, wie ich eine schwierige Situation händeln kann.

Intensivstation. Am Mittwoch.
Zum Glück sind alle Patienten für die Verhältnisse einer Intensivstation relativ stabil und Neuaufnahmen hat es den Tag über auch nicht gegeben, die des Nachts gern mal zum Überraschungs – Ei mutieren. Klar, es gibt septische und delirante Patienten und einen Patienten, dessen Lunge komplett zugelaufen ist und wo wir aber noch auf die Zustimmung des Betreuers warten müssen, um ihm endlich eine Bülau – Drainage zu legen – es sei denn er schmiert irgendwann mit seiner Sättigung ab, dann ist es eine Notfallindikation und eine Aufklärung ist nicht erforderlich.
Ich versuche mir zu sagen, dass die Voraussetzungen doch okay sind. Bis 21 Uhr habe ich seinen sehr erfahrenen Spätdienst, ich habe einen sehr lieben Oberarzt im Hintergrund, der nie böse ist. Und dennoch kann des nachts natürlich alles passieren und erstmal stehe ich damit alleine da. Und mein Problem sind ja schon internistische Komplikationen. Neuro kann ich – aber Kardio und Innere… ?

Um 21 Uhr geht der Spätdienst und dann sitze ich mit einem mulmigen Gefühl alleine im Arztzimmer. Nehme das Herzrasen in mir wahr. Schrecke bei jedem Alarm hoch. Spüre schon bald die Magenschmerzen (der Magen entpuppt sich zunehmend als Stressbarometer und meldet sich sehr häufig in der Woche) und bemerke von der ganzen innerlichen Anspannung die fast exponentiell zunehmende Müdigkeit. Ich gehe nochmal Labore durch, kontrolliere die Dialysen, versuche die Probleme der Schwestern mit den Patienten zu lösen. Nebenbei überlege ich mir, dass ich mir ja immer noch überlegen kann, was ich jetzt mit mir und meinem Leben anstelle, wenn wirklich etwas schief gegangen ist.
Die Nacht verbringe ich dann hauptsächlich mit internistischen Komplikationen. Tachykardien (was gar nicht so einfach ist, wenn der Patient schon die volle Latte an Medikamenten hat, die eigentlich bremsen und die Schwester sagt, dass das eigentlich schon seit Tagen so geht, aber es scheinbar jetzt in der Nacht akut ein Problem ist, obwohl der Patient nicht kardial dekompensiert), Sättigungsabfälle (schon bedrohlicher, da sehe ich immer schon die Intubationspflicht am Ende der Fahnenstange), akutem Delir, Schlaflosigkeit und dann gibt es auch wirklich noch einen Neuro – Notfall mit einem mutmaßlich unbeobachteten Krampfereignis. Dazwischen noch Dialysemaschinen kontrollieren, PTTs kontrollieren und Heparinperfusoren anpassen – aber wie durch ein Wunder fällt niemandem eine Trachealkanüle raus, kein ZVK wird aus Versehen gezogen, und niemand wird reanimationspflichtig.
Grundsätzlich ist es aber natürlich so, dass ich als Ärztin die Verantwortung trage bei intensivmedizinisch gesehen – völliger Ahnungslosigkeit was Notfälle anbelangt. Allerdings muss man auch ehrlich dazu sagen – irgendwann fängt jeder an. Und erst letztens erzählte ein Oberarzt aus der ZNA, dass es völlig okay ist, ein Reanimationsschema in der Tasche zu haben und im Ernstfall mitzunehmen, damit man zwischendurch immer wieder drauf schauen kann, weil es etwas anderes ist es immer und immer wieder praktisch an Puppen zu üben und es dann wirklich machen zu müssen.
Am Morgen gibt es noch ein bisschen Aufregung. Ein Patient muss um 7 Uhr in den OP ins andere Gebäude und eigentlich war am Vortag vereinbart worden, dass der zweite Oberarzt etwas früher kommt und den Transport begleitet, während ich auf der Intensiv bleibe. Der Transport verspätet sich etwas und dann hat der Oberarzt die fixe Idee, dass ich mitfahren soll. „Sie wissen aber schon, dass ich noch nie einen Transport begleitet habe“, sage ich. „Das macht doch nichts. Im Notfall haben die Rettungssanitäter Erfahrung.“ Naja, ich bin sowieso nicht die Königin, was die Kompetenz hinsichtlich Beatmungsgeräten angeht und jetzt habe ich noch ein fremdes Gerät vom Rettungsdienst. Zum Glück kommt in der Zwischenzeit der andere Oberarzt der Intensiv und sieht mich etwas verzweifelt daneben stehen. „Frau Mondkind, wo ist der Oberarzt? Er sollte doch mitfahren…“ „Er hat gesagt, ich soll das machen und er bleibt auf der Station“, entgegne ich. „Nein Frau Mondkind, das geht nicht. Sie haben das doch noch nie gemacht. Da müssen Sie auch Ihren Finger heben. Was wollen Sie denn machen, wenn etwas passiert? (Haha – meine Frage der Nacht…) Entweder ich fahre oder [der zweite Oberarzt].“ Am Ende fährt doch der Oberarzt, der geplant war, aber er ist etwas zickig. Allerdings stimmt es eben wirklich. Die volle Verantwortung bei kompletter Ahnungslosigkeit zu tragen, kann halt böse ins Auge gehen und nachdem alle Patienten und ich die Nacht überlebt haben, muss man das Risiko jetzt vielleicht nicht mehr erhöhen.

Was ein Mal funktioniert hat – wenn auch aus massiver Personalknappheit heraus – kann offensichtlich auch ein zweites Mal funktionieren. „Frau Mondkind es tut mir leid, ich muss sie noch Mal für einen Dienst im August eintragen. In der ersten Augustwoche direkt am Montag. Also habe ich in dieser Woche Montag Intensivdienst, Mittwoch und Sonntag ersten Dienst in der ZNA – das war schon vorher geplant. Herzlichen Glückwunsch. Ich weiß nicht, wie ich drei Dienste in einer Woche überleben soll. Ich hoffe, das wird personaltechnisch eine ähnlich gute Kombi. Das ist halt das Problem, wenn man jetzt in zwei verschiedenen Dienstplänen steht und die einen Oberärzte nicht wissen, was die anderen planen.

 

Mal kurz zwischendurch die Füße hochlegen im Dienst...


***
Es sind so viele Fragen und Unsicherheiten, die mich begleiten und für die ich keine Lösungen habe. Gefühlt bin ich jetzt ein völlig anderer Mensch, als noch vor wenigen Monaten. Irgendwie mehr im Leben angekommen. Vielleicht spüre ich das erste Mal seit Jahren das Leben.

Und doch denke ich mir, es kann doch nicht sein, dass ein Partner im Leben so viel verändert. Klar – er gibt mir schon irgendwie das Gefühl, dass ich mit und trotz meiner Geschichte, die ich mit mir trage, geliebt werden kann. Er lässt langsam so etwas wie ein zwischenmenschliches zu Hause entstehen. Ich habe selten einen Menschen erlebt, der mir so viel Wertschätzung entgegen bringt.
Und dennoch ist er ganz anders, als alle Menschen die jemals Teil meines Lebens waren und diese Beziehung ist so anders als alles, was ich bis jetzt gewohnt war, dass es mich auch immer noch sehr doll verunsichert – streckenweise zumindest.
Und dennoch ist es ja nicht die erste Beziehung, sondern die Zweite. Ich frage mich oft in den letzten Tagen, warum der verstorbene Freund und ich uns nicht gereicht haben. Ich habe diesen Menschen auch mehr als mein eigenes Leben geliebt und dennoch konnte diese Beziehung nie so stabilisieren. (Auch, wenn das natürlich nicht die Aufgabe eines Partners ist – aber ich glaube eben, da steckt auch mehr als der Partner dahinter, sondern ein komplettes zwischenmenschliches Konzept und der Einfluss dessen auf das Leben).
Und ich frage mich: Warum nicht? Es weckt immense Schuldgefühle, dass etwas, das scheinbar heute möglich ist, damals nicht möglich war. „Am Ende hat er einfach nicht mehr dran geglaubt.“ Dieser Satz seiner Mutter schlägt bis heute in meinem Kopf. Und irgendwie kann ich das sogar nachvollziehen.

Vielleicht bin ich aber auch über die Jahre ein bisschen abgebrühter im Job geworden. Klar, man braucht etwas von dem man das Gefühl hat, für das es sich lohnt das auszuhalten. Aber ich hatte so oft die Verantwortung bei völliger Ahnungslosigkeit, mir sind Menschen auf dem CT – Tisch gestorben und auch, wenn mich das immer noch belastet und ich tatsächlich häufiger drüber nachdenke – aber ich habe es überlebt.

Und dennoch tut es mir leid, dass der verstorbene Freund das immer aushalten musste. Er wusste nie, wie schlimm es streckenweise wirklich war und wäre sein Tod nicht gewesen glaube ich immer noch, dass ich vor diesen ersten Diensten damals endgültig in die Knie gegangen wäre.
Und das weckt auch bis heute das Verantwortungsgefühl ihn bis zum Ende meines Seins auf meinen Schultern zu tragen.

 

***
Donnerstagnachmittag.
Ich komme nach dem Dienst völlig erschöpft nach Hause – denn Schlafen war auch hier nicht drin im Dienst.
Ich kann mich selten erinnern an das, was ich träume, aber heute kann ich es.
Ich war mit ein paar Menschen unterwegs und es war Regen und Sturm angesagt. Irgendwie waren wir ein ganzes Stück entfernt von dem Haus zu dem wir wollten und mussten noch unendlich lange über Wiesen und Felder wandern, während es um uns herum schon geblitzt und gedonnert hat. Ich weiß, dass ich Angst hatte und dann waren wir endlich in diesem Haus. Nur ist plötzlich ein Baum auf das Haus gekippt und zwar so ungünstig, dass wir alle gestorben sind.

Irgendwie war ich dann in einer Parallelwelt unterwegs – ich war in irgendeinem Dorf und das Wetter war wieder schön und war super unglücklich damit, dass ich ausgerechnet jetzt sterben musste. Und dann war da irgendein Typ, der scheinbar den Hut auf hatte. Den habe ich gefragt, ob ich nicht noch ein bisschen weiter leben darf. Und dann musste irgendetwas vorbereitet werden und irgendwie hatte ich danach dieses Bild mit dem Haus in dem wir waren wieder vor Augen. Dort lag ich dann unter den ganzen Trümmern und plötzlich kamen irgendwelche Leute und haben mich lebend aus diesem Haus gerettet. Ich glaube, die anderen waren immer noch tot.

Alles irgendwie ein bisschen komisch. Ich weiß auch wirklich fast nie, was ich geträumt habe.
Aber man sieht – irgendetwas beschäftigt mich.
Dass eine Mondkind für ihr Leben kämpft und darum bittet es weiter leben zu dürfen – ich glaube, den Gedanken hat es auch noch nicht gegeben seit sehr, sehr vielen Jahren.

Es ändert sich so viel im Moment. Ich kenne mich selbst nicht mehr.
Und irgendwie sieht die Welt anders aus, wenn man das erste Mal seit Jahren spürt, sein Leben leben zu wollen. Da ist so viel mehr Initiative die schwierigen Momente in den Griff zu bekommen. Ich bin so gespannt, was die Zukunft wohl bringen mag. Ich freue mich sehr auf die gemeinsame Urlaubswoche mit meinem Freund. Und ich habe eine sehr ambivalente Haltung zu der Mondkind von früher. Sehr viel Wut, sehr viel Unverständnis. Und gleichzeitig frage ich mich ein bisschen, warum die Mondkind von früher so selten gezählt hat (und bis heute auch wenig zählt in dieser Familie, aber das ist gerade nicht mehr so wichtig). Meine Familie wusste schon als ich Jugendlich war, wie es mir geht (das war der Vorteil vom ungefragten Tagebuch lesen meiner Eltern) und trotzdem hat sich – weil die Außenwirkung der Familie ja gewahrt bleiben musste – niemand genötigt gesehen, eine Mondkind zu unterstützen. Als Individuum war ich so lange völlig egal. Ich habe es dann irgendwann im Studium selbst organisiert, aber da war ich so kaputt und verunsichert von all den Jahren davor, dass das ein unendlich mühsamer Weg war. Dennoch – auch wenn ich der jetzigen Situation viel zu verdanken habe – ohne viel therapeutische Unterstützung im Vorfeld wäre es wahrscheinlich nicht möglich gewesen, sich auf einen anderen Menschen in der Form einzulassen.
Jetzt, wo ich zum ersten Mal seit so vielen Jahren wirklich die Farben sehe und das Leben spüre, führt das zu unendlich großer Verwirrung.

Und dennoch – ich kann dem Frieden immer noch nicht trauen. Ich würde so gerne. Aber ich kann nicht, nach allem was war. Mir fehlt noch das Vertrauen ins Leben - merkte auch mein Freund letztens mal an. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. 

Mondkind

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