Von Vertrauen und Angst
„Und am Ende schwingt in jedem guten Moment ein leises „Warum?“ mit. Also
vielleicht war die Frage nie, ob ich es mir vorstellen kann, nochmal glücklich
zu werden. Sondern immer eher die Frage, ob ich es mir vorstellen kann, so viel
Licht und Schatten nebeneinander zu erleben, ohne temporär daran zu
zerbrechen.“ Vielleicht trifft es das.
Meine eigenen Worte. Vor einiger Zeit.
***
Nächste Woche geht es los. In die Studienstadt. Am Mittwochabend oder
Donnerstagfrüh. Je nachdem, wie es mir nach dem Dienst geht. Zwei kurze Tage,
eine kleine Stippvisite.
Und jedes Mal, wenn ich mir nur ganz kurzzeitig vorstelle, wie es sein
könnte wieder am Fluss zu sitzen, spüre ich schon die Tränen in mir aufsteigen.
Es tut einfach so unendlich weh.
Ich sehe Dich und ich sehe mich. Wie wir da nebeneinander sitzen, ganz
still. Allein deswegen glücklich, weil wir eine Ecke Zeit füreinander gefunden
haben. Weil wir uns viel zu selten gesehen haben, obwohl wir in derselben Stadt
gewohnt haben. Ich sehe, wie das Wasser vor uns orange wird, wie die Sonne
langsam unter geht, wie die Stadt hinter uns am Abend aufwacht, nachdem die
drückende Mittagshitze allmählich weicht. Ich sehe den Fernsehturm neben uns, dessen
Anblick für mich ein Symbol von Leben geworden ist. Dort am Fluss zu sitzen,
ist Leben.
Ich spüre dieses grenzenlose Vertrauen in den anderen. Darin, dass wir
uns haben und dass wir alles irgendwie rocken können, solange das so bleibt.
Ich will mir nicht vorstellen, wie das wäre alleine zu sein. Ich weiß auch,
dass Du bleibst.
Uns wird die Welt gehören, wenn ich ein Mal fertig studiert habe. Wenn
ich für uns einen Platz gefunden habe, an dem wir bleiben können. Wenn wir so
weit weg sind von dem was war, dass es ein „wir“ geben kann ohne uns in der
Masse der Großstadt zu verstecken.
Wir müssen nur geduldig sein. Und vertrauen.
Dann wird das Leben, dass da jetzt noch mit angezogener Handbremse
läuft, das nur temporär da sein kann, Normalität werden. Keine großen Sprünge.
Nur Du und ich, mehr Zeit füreinander. Nicht mehr in der Großstadt, sondern
vielleicht abends am Flüsschen im Ort in der Ferne.
Das ist die Zukunft. Ganz sicher.
Heute tut diese grenzlose Naivität von damals grenzenlos weh. Und gleichzeitig ist es schön, dass es die mal gab. Dass da nicht viele Gedanken waren. Einfach weiter in die Zukunft. Immer weiter.
Es gab keine Zeit, sich zu verabschieden. Von dem, was damals war.
Bewusst die letzten Momente zu genießen. Die letzten Minuten dort zusammen in
der Altstadt am Fluss. Ich wusste es nicht, als ich Dich das letzte Mal gesehen
habe, als ich das letzte Mal Deine Stimme gehört habe.
Ich war auf der Arbeit, als dein Herz aufgehört hat zu schlagen. Ich
habe nicht geahnt, dass in diesem Moment diese Katastrophe passiert, die alles
für immer ändern wird.
Ich habe nicht gewusst, dass diese letzte Umarmung die letzte für
immer war.
***
Ich bin ein bisschen vor dem Wecker wach.
Ich liege nicht in meinem Zimmer, sondern in seinem Wohnzimmer auf seinem
super bequemen Sofa. Ich könnte mich daran gewöhnen, dass die Tage hier
beginnen. Dass da morgens wer unter meine Decke kriecht, bevor ich energisch
sagen muss, dass wir Aufstehen sollten, weil unser Zeitmanagement sonst wieder
eine Katastrophe wird. Dass ich nicht alleine frühstücken muss.
Ich könnte mich an das gefühl gewöhnen, in seinen Armen zu liegen und alles um mich herum zu vergessen - selbst die aktuellen Arbeitsbedinungen, die selten schlimmer waren.
In diesen Momenten spüre ich ein bisschen die „alte Mondkind“. Auch, wenn sich sonst viel geändert hat. Aber es hat ein bisschen etwas von der Unbeschwertheit, die ich mal hatte.
Und dennoch kommt jedes Mal dieser Moment im Flur.
Vor dem ich schon Angst habe, wenn ich noch auf dem Hinweg zu ihm bin.
Eine letzte Umarmung. Ein letztes Mal in die Augen sehen. Ein letzter
Kuss.
Und jedes Mal spüre ich mein Herz rasen.
Es gibt kein Vertrauen mehr.
Wer weiß, ob wir uns nochmal sehen.
Wer weiß, ob dieser Augenblick nicht für immer reichen muss?
Was ist, wenn das gerade der letzte Moment vor dem Fallen ist.
Ich hasse diese Heimfahrten.
Eigentlich ist es nicht schlimm. Wir sehen uns zwar zu selten und es
ist meistens irgendwie Stress, weil es einfach keine Zeit gibt, aber eigentlich
können wir uns sicher sein uns wieder zu sehen.
Eigentlich.
Ich glaube mein Kopf kann nicht loslassen, was da war. Und diese
paranoide Angst, dass man nie sicher sein kann.
Ich hatte seitdem er gestorben ist nicht mehr so viel Angst um einen Menschen.
***
Was ist , wenn ich nicht mehr der Mensch werde, der ich damals war?
Was ist, wenn es nie wieder diese Unbeschwertheit von früher geben
wird?
Was ist, wenn jeder gute Moment auch weiterhin so viel Schmerz in sich
tragen wird?
Was ist, wenn die Angst nicht weniger wird?
Was ist, wenn wir heute keine Verbindung mehr zueinander hätten, weil ich heute nicht mehr der Mensch bin, der ich damals war. Alles was Du noch von mir kennst, ist ein Teil von mir, aber gefühlt ein sehr Kleiner. Dein Tod hat mich auf den Kopf gestellt.
Ich habe so viel Angst. Vor dem Leben, der Zukunft, vor dem Menschen, der ich nach allem geworden bin.
Mondkind
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