Hintergründig...
Es ist viel los.
Und irgendwie bin ich noch nicht so gut darin, mein
Jobleben und mein Privatleben parallel zu jonglieren und dazwischen nicht unter
zu gehen.
In der letzten Zeit hatte ich wenig Zeit mir Gedanken
um die Dinge zu machen, die wichtig sind.
Eigentlich ist es doch okay. Es passiert so viel Gutes
und ich versuche mit jeder Faser meines Körpers jeden guten Moment in mir
aufzusaugen. Irgendwo im Hinterkopf ist mir in jeder Sekunde bewusst, wie viel
Glück das ist.
Und so ganz langsam finde ich ein bisschen Vertrauen.
In uns und unsere Beziehung zwischen dem Freund und mir. Ein bisschen ist jeder
von seinem gefühlt unverrückbaren Standpunkt hinsichtlich mancher Themen weg
gerückt, wir gehen langsam und vorsichtig auf einander zu und merken, dass auch
das geht. Ich traue mich zum ersten Mal in dieser Beziehung weiter als bis
nächste Woche zu denken.
Und dennoch habe ich am Wochenende das Flattern in mir gespürt, das Beben meines Körpers und dann reichte – während ich in seinen Armen lag und er das das latente Zittern wohl gespürt haben muss - ein „Mondkind, bist Du traurig?“ vom lebenden Freund aus, dass ich die Tränen nicht mehr in mir halten konnte. Ich konnte gar nicht richtig sagen was los ist. Natürlich ging es da auch viel um den verstorbenen Freund und den Jahrestag, aber das war nicht der einzige Grund. Und seitdem ist es ein bisschen schwierig.
Die Intensivstation ist nach wie vor eine
Vollkatastrophe und ich betrachte die Arbeit erstmals wirklich als notwendiges
Übel. Ich vermeide selten Arbeit, aber dort versuche ich mich so ungesehen wie
möglich durchzuschlagen – obwohl das bis Ende des Jahres eben noch eine lange
Zeit ist. Ich muss lernen damit zu leben, dass ich nicht in allem gut sein
kann. Aushalten, dass die Oberärzte nicht viel von mir halten, obwohl ich mich immer sehr über die Leistung definiere. Es reicht ja theoretisch auch, wenn
die Kollegen aus dem Akutbereich nach wie vor gern mit mir zusammen arbeiten
und das auch kommunizieren.
Ob ich allerdings Dienste auf der Intensiv noch lange
vermeiden kann, weiß ich nicht. Und das wird dann wirklich ein Knackpunkt. Wir
können uns alle erinnern, was passiert ist, als ich – ohne selbst zu glauben
vorbereitet genug zu sein – in die
Notaufnahme – Dienste geschmissen werden sollte. Eine Wiederholung davon
brauche ich eigentlich nicht. Und da ich mich nicht mal traue, einen ZVK
alleine zu legen und mit den daueralarmierenden Dialysemaschinen auch ziemlich
überfordert bin… Und wenn jemandem nachts eine Trachealkanüle raus fällt, dann
stirbt der Patient wahrscheinlich. Ich habe seit dieser Katastrophe noch nicht
eine Kanüle selbstständig wechseln können.
Ich habe einfach Angst davor, dass das wieder bis zur
Suizidalität eskaliert, wenn ich befürchte, nachts meine Patienten umzubringen.
Daneben kotzt mich die ganze Geschichte mit dem verstorbenen
Freund aktuell eigentlich nur noch an. Das heißt nicht, dass ich ihn nicht
vermisse, aber irgendwie habe ich mich zwei Jahre non – stop damit beschäftigt.
Auch die AGUS – Treffen, die ich eigentlich immer als recht unterstützend
wahrgenommen haben, lösen irgendwie eine Menge Widerstand aus. Ich möchte nicht
mehr mit dem geballten Leid von anderen und mir konfrontiert sein – das macht
mir Angst. Und wenn es jetzt gut wäre, dann könnte man das ja so annehmen, aber
es ist nicht gut.
Die jetzige Situation mit dem lebenden Freund löst so
viele Schuldgefühle und Ängste aus, so viele Themen, die doch irgendwie „neu“
sind und mit denen ich mich in dem Zusammenhang noch nie beschäftigt habe, dass
es nicht so einfach ist. Mir wird immer wieder klar, wie sehr mich dieses
Erlebnis geprägt hat und dass eigentlich schon noch die Notwendigkeit besteht,
sich damit zu beschäftigen – auch wenn ich darauf keine Lust habe. Es stellt
sich nur auch die Frage, wo aktuell ein geeigneter Rahmen dafür ist.
Es ist so Vieles Parallel. Die guten Momente und das, was schwierig ist und war und die permanente Angst, dass das was gut ist, nicht bleiben kann.
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Vom letzten Wochenende... |
Gestern Abend auf dem Sofa. Der Freund in der Leitung.
„Vordergründig ist ja alles okay… nur hintergründig –
ist es halt bisweilen ein bisschen schwierig… Und irgendwie habe ich das Gefühl
ich darf gar nicht mehr so viel meckern, eben weil ich jetzt dieses Leben leben
kann, das ich mir so lange gewünscht habe. “
„Ich würde das ernst nehmen – das Hintergründige“
Und dann kippe ich ihm mal das ganze Körbchen von Gedankenschnipseln vor die Füße, obwohl nichts für sich genommen das Problem zu sein scheint. Der Job war schon öfter mal eine Katastrophe, das Thema mit dem Freund ist nicht neu und die Schuldgefühle sind auch nicht neu – die haben nur eine neue Richtung, seitdem der Freund und ich sich kennen, weil es weniger um das geht, was ich versäumt habe und viel mehr darum, dass es sich anfühlt, als würde ich ihn betrügen.
Und irgendwann: „Ich glaube das Ding ist, dass
ich nicht das Vertrauen habe, das etwas das gut ist, bleiben kann. Das war
einfach nie so. Ich habe einfach jeden Tag das Gefühl, dass irgendetwas ganz Schreckliches
passieren muss, das das wieder zum Einstürzen bringt. Sei es auf der Arbeit (im
Moment habe ich sehr viel Angst Fehler auf der Arbeit zu machen), in der
Beziehung oder sonst irgendwo. Das ist so eine ganz große Angst und ein ganz
großes Misstrauen, mit dem ich jeden Morgen aufstehe.“
„Misstrauen in was?“
„In das Leben, das Schicksal, vielleicht auch in mich
selbst?“
„Inwiefern in Dich?“
„Dass ich vielleicht einfach nicht in der Lage bin,
zwischenmenschliche Beziehungen zu führen. Ich gebe mein Bestes, aber
vielleicht reicht es nicht.“
Er meint, dass das Beste gut genug ist. Ich meine,
dass diese Sichtweise etwas schwierig ist, wenn daran ein ganzes Leben hängt.
Er sagt, dass es reicht. Auch wenn daran ein ganzes Leben hängt. Und ich habe
irgendwie auch Angst um mein Gegenüber am Telefon. Das ist, als würde man nicht
nur sein eigenes Herz, sondern auch das eines anderen Menschen mittragen und
mitschützen müssen.
Und irgendwann kurze Zeit später
„Ich bin mir einfach glaube ich auch noch nicht
sicher, ob ich ein Recht habe, wieder ein gutes Leben zu führen.“
„Ich meine das ist kein Recht. Das ist eine Pflicht.“
„Mir selbst gegenüber, oder wie?“
„Ja…“
„Weißt Du, was das Problem ist?“
„Was?“
„Ich verstehe das schon rational alles irgendwie. Ich
verstehe, dass ich sicher an einigen Dingen, die schief gelaufen sind Schuld
bin, aber nicht an allen. Ich verstehe, dass ich nichts generalisieren soll.
Nur weil die Dinge ein Mal so schief gegangen sind, ist das kein Gesetz für
immer. Ich verstehe, dass ich das Recht – oder vielleicht auch die Pflicht habe,
wie Du sagst – wieder glücklich zu werden. Das Ding ist nur – da rennt das
Gefühl sozusagen dagegen. Das nützt nichts, wenn ich versuche die Sichtweise
des Außen für mich anzunehmen – auch weil ich sie vielleicht richtig finden
möchte. Ich muss aber selbst davon überzeugt sein und es muss sich auch richtig
anfühlen und das tut es nicht. Ich habe das Gefühl, ich mache es mir da zu
einfach. So nach dem Motto: „Das Bestreben ist einfach an allen Ecken zu
relativieren, sodass ich trotz dieser Geschichte wieder ein Leben führen darf.“
Und das ist ja irgendwie nicht der Punkt.“
Und nach einer Pause.
„Kannst Du Dich noch erinnern, als ich Dir mal
irgendwann erzählt habe, dass es sich – jedes Mal, wenn ich einen Fuß in
Richtung Leben setze so anfühlt, als würde mich jemand an der Kapuze zurückziehen?
Im Dezember war das…“
„Ja, ich erinnere mich.“
„Und jetzt habe ich irgendwie gleich drei Schritte ins
Leben gemacht (eigentlich waren es drei ganze Sprünge) und jetzt rastet dieser
Teil der an der Kapuze zieht ein bisschen aus, weil er nicht aufgepasst hat und
die Frage für ihn ist, wie er mich wieder zurück bekommt. Und ich will das ja
eigentlich gar nicht – also zurück gehen – weil ich ja auch merke wie hungrig
ich nach dem Leben bin und wie schön das alles im Moment ist.“
Und nach einer Pause. „Ich glaube so langsam haben wir
schon mal einen Knackpunkt erreicht.“ Interessant, was sich doch alles heraus
kanalisiert, wenn es ein offenes Ohr hat und jemanden, der durch pointierte
Fragen ein bisschen durch das eigenes Kopfchaos leitet.
Nur leider ist es schon nach 23 Uhr und ich habe
Dienst am nächsten Tag. Und obwohl ich an der Stelle gerne weiter reden würde,
ist mir aber auch klar, dass ich am nächsten Früh schon jetzt wie eine
verwirrte Schildkröte aus der Wäsche schauen werde. (Was genau jetzt auch so
ist… - ich bin so müde… ;) )
Er betont nochmal, dass es für ihn nicht schlimm ist zwischendurch solche Gespräche zu führen (nachdem er am Wochenende schon gesagt, dass alles was mich beschäftigt und auch ein Thema für ihn ist) und ich denke mir, dass ich vielleicht nicht zu viel Angst haben sollte, ihn auszunutzen. Vielleicht können wir das ab und an mal machen. Mir geht es nämlich jetzt ein bisschen besser, der Druck ist etwas weniger. Obwohl es ja nicht mal eine Lösung gibt. Aber ich weiß jetzt zumindest ein bisschen, was hier los ist.
So, drückt mir die Daumen, dass es ein ruhiger Dienst wird. Die letzten Dienste waren alle chaotisch, so langsam wäre ich mal bereit für ein bisschen Ruhe. Auch, wenn man nie damit rechnen sollte.
Mondkind
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