Von Krisen

Abend.
Ich liege auf dem Sofa.
Mir fallen schon die Augen zu. Die letzten beiden Nächte waren viel zu kurz. Und vom Wochenende fehlt auch noch eine halbe Nacht aus dem Dienst.
Er wollte noch anrufen und ist wieder mal spät dran. Das Telefon klingelt erst, als ich schon darüber nachdenke ins Bett zu gehen und beschließe, dass es unserem Konflikt sicher nicht gut tut, wenn ich schon versuche den Kopf zur Ruhe zu bringen, wenn er sich meldet.

Es ist ein zähes Telefonat.
Ein sehr Zähes.

„Ich denke über Abschied nach“, sagt er.
Ich spüre wie mein Herz anfängt zu rasen und mir warm und kalt gleichzeitig wird.
Es scheint kaum eine andere Lösung zu geben und doch wird das glaube ich das Schlimmste, seitdem der Freund gestorben ist. Ich will es eigentlich nicht erleben. Und klar habe ich Angst davor, wo das für mich endet.
Und natürlich gibt es Niemanden, der erstmal halten könnte. Das gibt das soziale Umfeld eben einfach nicht her. Hat es noch nie hergegeben. Das muss mir eigentlich immer klar sein bei allem was ich tue. Ich habe nur mich selbst. Und wenn ich mich nicht mehr halten kann, dann falle ich halt. Und habe keine Ahnung, wo ich aufschlage. 


 

Er bewegt sich halt auch einfach keinen Millimeter. Und hängt die ganz Verantwortung komplett an mich. Ich hätte das vorher sehen müssen, dass er da andere Ansichten hat als ich (die ich glaube ich immer noch nicht hundert prozentig verstanden habe), ich muss entscheiden, ob ich damit leben kann; er braucht es auf jeden Fall, wobei es ihn umgekehrt und auf mich bezogen halt nicht betrifft. Er müsste nie Angst haben, wo ich umgekehrt wahrscheinlich ständig Angst hätte. Und was die Wochenendplanung betrifft soll ich halt einfach vorbei kommen, oder auch nicht. Auf jeden Fall nicht Freitagabend, wenn ich befinde nach einer anstrengenden Woche auf der Intensiv und viel zu wenig Schlaf nicht in der Lage zu sein, an diesem Tag noch sinnvolle Gespräche zu führen.

Ich habe das Gefühl, so eine Meinung von Außen zu der Geschichte wäre gar nicht schlecht. Und dann fällt mir auf, dass ich mein Helfersystem schon ziemlich zerschossen habe. Die potentielle Bezugsperson ist für Beziehungsfragen im Allgemeinen selten geeignet, beim Seelsorger war ich dieses Jahr zwei Mal oder so; er hat überhaupt keine Ahnung was los ist und darüber hinaus Urlaub und die ehemalige Frau Therapeutin hat auch Urlaub – abgesehen davon weiß ich nicht, ob die Angelegenheit dringend genug ist, um mich bei ihr zu melden.

Es ist schon komisch. Es ist erst zwei Tage her, dass er morgens von hier los gedüst ist und ich ihm einen Wohnungsschlüssel mitgegeben habe, weil er nach mir los ist. Zwei Tage, dass wir uns das letzte Mal morgens umarmt und geküsst haben. Nicht wissend, dass es vielleicht der letzte Kuss war.

Erstmal überleben wir heute die Chefarztvisite. Bei kompletter Ahnungslosigkeit, was die Patienten anbelangt. Dafür reicht der Kopf einfach nicht. Wie für die Intensiv an sich eigentlich nicht. Langsam werden die Kollegen ungemütlich. Ich kann es auch verstehen. Ich versuche halt immer Gründe zu finden zu vermeiden, in Patienten irgendwelche Katheter zu versenken. Ich kann die Notaufnahme rocken, aber davor habe ich so unendliche Angst.
Seit knapp sechs Monaten geht dieses Versteckspiel, das in der Früh mit Magenschmerzen beginnt und mit unendlicher emotionaler Erschöpfung am Nachmittag aufhört. Eigentlich ist es eine absolute Katastrophe. Die ist eben nur ein bisschen unter gegangen hinter diesem Sommer.

Mal sehen, wie lange das hier alles noch funktioniert.
Es gab dieses Jahr wenige Krisen in denen tage- bis wochenlang nichts mehr lief, außer mehr oder weniger schlecht der zwingend notwendige Alltag, durch den ich mich mit einer massiven Erschöpfung geschlagen habe. Und dann das Sofa vom Nachmittag bis zum nächsten Früh nicht mehr verlassen habe.
Aber ich glaube – ich bin kurz davor. Gefühlt brennt es an allen Ecken gleichzeitig und ich komme einfach nicht mehr hinterher. Und wie viel Energie dieser Job ziehen kann – das versteht halt auch irgendwie kaum Jemand. Ich kann mich aktuell nicht hauptsächlich um dieses Beziehung kümmern. So gerne ich auch würde.

Mondkind 

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