Wir - über das was war und ist

Hey Du,
Ich glaube, das mit Dir ist die härteste Geschichte, die ich je erzählt habe. Erzählen musste. Weil ich so Vieles davon einfach raus in die Welt schreien muss, was vorher, als Du noch an meiner Seite warst, im Stillen laufen konnte. Weil es manchmal immer noch so weh tut, dass ich das Gefühl habe, dass Herz müsste einfach in tausende Teile zerspringen. Weil manche Erkenntnisse immer noch wie ein Meteorit sind, der einfach so runter auf die Erde fällt. Unangekündigt.

Und es ist die härteste Geschichte nicht nur, weil es an sich tragisch ist.
Sondern, weil Du viel mitgenommen hast.
Viele zwischenmenschliche Aspekte, die man noch hätte klären müssen, bis es auf beiden Seiten hätte Frieden geben können.

Ich habe einen neuen Freund. Das weißt Du. Und alleine das ist natürlich irgendwie ein Problem. Weil alleine das Schuldgefühle auslöst.
Aber weißt Du… - man fängt an – ob man will oder nicht –  Vergleiche zu ziehen. Wie das war. Mit mir und Dir. Und wie es ist. Mit mir und ihm.

Mit Dir, das war ein Vertrauen, wie ich es nirgendwo anders je gespürt habe. Ich wusste, wir waren da füreinander und insbesondere Du für mich. Ich habe Dich viel gebraucht in dieser Zeit; es ging ständig um die Weichen für die Zukunft, die gestellt werden mussten. Um die großen Fragen, wo und wie ich mal arbeiten möchte. Es ging darum, dass wir uns in all dem Chaos ein Leben aufbauen wollten. In dem engen Korsett in dem ich noch war, nicht weit genug weg von meinem Elternhaus, immer noch zu sehr in meinen Wertvorstellungen gefangen, die ich irgendwann mal ganz unkritisch übernommen hatte. Immer noch in dem Glauben, dass ich nur ein wertvoller Mensch bin, wenn ich genug leiste. Dass sich Lebenskatastrophen verhindern lassen, wenn man emsig arbeitet.
Ich hatte das Gefühl, dass ich dir grenzenlos vertrauen konnte, dass du jederzeit für mich einspringen würdest, dass Du immer versuchen würdest, einen guten Rat für mich zu finden. Du warst der wichtigste Mensch meines Lebens in dieser Zeit. Und ob ich es ohne Dich geschafft hätte, weiß ich nicht. Wenn die Menschen mich gefragt haben, woher meine Kraft in den schwierigsten Zeiten kam, dann warst Du meine Antwort.

Mit dem lebenden Freund läuft es irgendwie anders.
Wir sind noch vorsichtiger. Wir wissen, dass es da noch Themen zwischen uns gibt, mit denen wir behutsam umgehen müssen, die ein heißes Eisen für Beide sind. Wir sind noch tendentiell misstrauisch. Haben Erwartungen von denen wir nicht wissen, ob die realistischerweise erfüllt werden können. Wir machen uns mehr Gedanken, als Du und ich damals. Und klar, wir haben bisher viel weniger Zeit geteilt, als Du und ich über die Jahre. Bei ihm zu sein wird normaler, aber ist immer noch ein bisschen fremd.
Und dennoch: Wenn wir uns heute sehen – wenn wir Glück haben ein Mal die Woche, wobei allerdings immer einer von uns gefühlt halb auf dem Sprung ist – dann halten wir uns erstmal eine Weile nur in den Armen. Und es gibt keinen Ort, der in dem Moment stimmiger sein könnte. Und während wir sonst beim Telefonieren irgendwie Worte finden müssen, reicht es dann nur zu fühlen und endlich mal zu Schweigen. Dann ist da eine Verbindung ohne Worte. Die, die am Telefon fehlt.
Irgendwie komme ich langsam zu dem Punkt einsehen zu müssen: Bei Dir war das einfach nicht so. Ich habe Dich nie so sehr vermisst, ich habe Dich nie so sehr gefühlt. Das war alles um Längen weniger intensiv und gleichzeitig das Intensivste, das ich bis dahin kannte. Heute einsehen zu müssen, dass dieses Gefühl Liebe so viel mehr sein kann und da von Deiner Seite aus wahrscheinlich viel mehr war als von meiner Seite, tut seltsam weh.
Und gleichzeitig: Entweder dieses Gefühl ist da, oder es ist eben nicht da. Und wenn es von beiden Seiten aus da ist, dann ist das wohl ein Wunder. Dass zumindest ein tragender Grund, dass Du Dir das Leben genommen hast derjenige war, dass Du „nicht immer nur bester Freund sein wolltest und nicht wusstest, ob Du mehr warst als das“, wie Deine Mama es mal ausdrückte, bricht mir heute wirklich das Herz.
Du wirst das schon gespürt haben, dass es von meiner Seite aus nicht so lief wie von Deiner Seite. Wir hatten unsere Diskussionen darüber damals und ich habe das echt nicht so begriffen, weil ich nicht nachvollziehen konnte, wie Du fühlst. Das kann ich erst heute, wo ich bemerkt habe, dass wir beide nicht das Ende der Fahnenstange des Gefühls von Liebe waren.
Ich denke aktuell viel darüber nach, wie das für Dich gewesen sein muss, als ich Dir gesagt habe, dass ich jetzt mal für acht Monate weg gehe fürs das PJ und wir uns ja zwischendurch gelegentlich sehen und auf jeden Fall telefonieren. Für mich war das okay. Wenn der lebende Freund das jetzt mit mir machen würde – ich würde absolut verzweifeln und ich kann zum ersten Mal nachvollziehen und verstehen, wie sehr Dich das auch verletzt haben muss. Wie schlimm für Dich diese Sehnsucht gewesen sein muss, von der Du oft geschrieben hast und die ich zu Kenntnis genommen habe, aber sie immer mit meinem Erleben verglichen habe und das als „aushaltbar“ deklariert habe.

Wenn ich heute auf diese Zeit zurückschaue, dann frage ich mich, was ich – was wir – da gemacht haben. Ich glaube, wir haben nie ehrlich darüber geredet. Ich glaube vor einem ernsthaften Gespräch über das Thema Beziehung hatten wir beide irgendwie Angst. Du, weil Du befürchtet hast, dass rauskommt, dass das vielleicht zu wenig für eine Beziehung ist. Ich, weil ich irgendwie gar keinen Plan vom Thema Beziehung hatte, weil ich befürchtet habe, dass Du mich noch weiter einengst und weil ich nicht bereit war, diese „Ort – in – der – Ferne – Idee“ aufzugeben und weil ich ehrlich gesagt auch gar nicht so wusste, dass es da etwas zu bereden gibt.


 

Natürlich hätte ich Dich immer weiter in meinem Leben haben wollen. Niemals hätte ich Dich freiwillig hergegeben. Und wenn auch nur als „normaler“ Freund, wobei Du mehr, als ein normaler Freund geblieben wärst. Definitiv. Eine Art Seelenverwandter, und mit Sicherheit einer der wichtigsten, vertrauten Personen, die mich je begleiten durften. Nicht jede wichtige Beziehung im Leben muss eine partnerschaftliche Beziehung sein.
Und ich glaube, es wäre nicht grundsätzlich ein Problem für mich gewesen, hätte ich einsehen müssen, dass es für eine partnerschaftliche Beziehung eben einfach nicht reicht. Das Problem ist eben das, was passiert ist, bevor wir das geklärt hatten – wobei mir eben nie so aktiv bewusst war, dass wir das klären müssten. (Hast Du je versucht mir das deutlich zu machen?) Jetzt weiß ich, dass dieser ungeklärte Beziehungsstatus für Dich ein riesiges Desaster war und ich weiß auch, warum das so war. Genau deshalb haben der lebende Freund und ich vor etwa zwei Monaten schon recht früh aufgehört, herum zu eiern, was das mit uns darstellen soll – nur für den Fall der Fälle, falls irgendetwas passiert. Mir war das wichtig. Ich kann es heute nicht mehr ändern, dass Dich das mit mir so sehr hat verzweifeln lassen. Das Drama von heute ist wahrscheinlich nicht mal das Getrennt – sein, die Tatsache, dass Du nicht mehr lebst, nie wieder an meiner Seite sein wirst. Sondern die Schuld als die Hauptbelastung, die sich unmittelbar aus allem ergibt. Ich wusste es damals wirklich nicht besser. Aber heute weiß ich das und sehe es. Es fühlt sich fast an, als hätte ich dieses Drama irgendwie in Kauf genommen.
Und all das wird nie wieder von meinen Schultern weichen. Und mir auch immer Angst machen.
Man kann – ohne das aktiv zu merken – einen anderen Menschen wohl wirklich kaputt machen.

Und noch etwas: Weißt Du, mir war ja schon irgendwie bewusst, dass eine Beziehung auch ein Stückweit verpflichtet, solange man sie nicht auflöst. Jetzt hatten wir das nicht genau definiert, aber wir waren eben mehr als Nichts, das war schon klar. Ich habe in der Zeit in der wir uns kannten nie die Fühlerchen nach einem anderen männlichen Wesen ausgestreckt. Auch, wenn Du mir da nie vertraut hast, aber ich war das loyalste Wesen, das Du Dir nur vorstellen kannst. Und wie gesagt – ich dachte, das ist es jetzt halt mit einer Beziehung, so fühlt sich das einfach für jeden Menschen auf diesem Planeten an. Und klar habe ich mich manchmal gefragt, ob das jetzt wirklich alles ist.
Die Beziehung mit dem lebenden Freund steht somit natürlich ziemlich auf Deinen Schultern, denn wärst Du nicht gestorben, wäre das nie passiert. Und somit ist das auch noch ein bisschen mehr Schuld. Und ich frage mich, ob ich das jemals schaffen werde, morgens in den Armen des lebenden Freundes ohne Schuldgefühle wach zu werden. Es ist eine unglaubliche Ambivalenz zwischen dem Schmerz und dem Genießen dieser Momente. Ich liebe diesen Menschen mehr als mein eigenes Leben, es gibt keinen Ort der besser ist, als in seinen Armen zu liegen. Und dennoch könnte ich manchmal weinen, weil ich gleichzeitig so verdammt weh tut und sich wie der größte Verrat anfühlt. 
Und dennoch - es gibt Zukunftspläne, wir wollen uns besser kennen lernen, zusammen verreisen, ich freue mich das erste Mal seit sehr, sehr langer Zeit auf Urlaub. Ich brauche die Arbeit nicht mehr als „zu – Hause – Ersatz“ (und seitdem hege ich einen ganz schönen Groll auf diesen Schuppen von Neuro und kann erstmals all die Menschen um mich herum verstehen, die das schon länger tun). Den lebenden Freund kennen zu lernen, war der Beginn von einem ganz neuen Leben und irgendwie habe ich das Gefühl, fängt hier etwas Großes an und manchmal glaube ich, dass dieser erste Blick den wir aufeinander geworfen haben – er mit seiner hoch gezogenen Augenbraue, wie er damals in meinem Zimmer stand – ein Versprechen war, für alles was kommt.
Ich hätte viel verpasst, wenn der lebende Freund und ich sich nicht kennen gelernt hätten und trotzdem hätte das eigentlich nie passieren dürfen. Und das ist wie ein unsichtbarer Schatten, der auch über jedem Moment zwischen uns Beiden hängt. Als müsste das Schicksal ein moralisches Auge auf uns werfen und jeden Tag kritisch hinterfragen, ob es okay ist.

Ich weiß noch, als der lebende Freund und ich sich noch ganz förmlich gegenübersaßen und darüber geredet haben, ob wir es versuchen wollen mit einer Beziehung oder nicht. Ich hatte Angst. Vor diesen Schuldgefühlen Dir gegenüber. Davor, diese Beziehung mit Dir neu bewerten zu müssen. Aber ich hatte keine Ahnung, auf was ich mich da einlasse; ich konnte es nur ganz schemenhaft erahnen. Und das war vielleicht auch gut so. Sonst wäre die Angst womöglich zu groß gewesen.

Es ist schwer aktuell. Sehr schwer.
Ich glaube, wäre ich damals so reflektiert gewesen, wie ich es heute bin, hätte es uns vielleicht retten können. Aber das war ich nicht. Und dennoch schützt auch Unwissenheit nicht – das lernt man schon als Kind.
Gleichzeitig habe ich nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich komme zu dem Schluss, dass es einfach nicht geht mit dieser neuen Beziehung, weil mich das einfach zu sehr kaputt macht oder ich sage: Es ist schwer und das ist okay und ich vertraue, dass die Zeit und die Verarbeitung der Geschehnisse die Dinge vielleicht leichter macht. Ich suche mir Hilfe wenn ich sie brauche und vielleicht darf ich auch den lebenden Freund als Reflexions – Hilfe miteinbeziehen, wenn ich es brauche; immerhin bietet er es auch oft genug an und er wusste, auf welche Vorgeschichte er sich hier einlässt. Und darüber hinaus – wir haben nur dieses eine Leben. Und die Liebe lohnt sich. Am Ende immer. Ich will doch nicht alleine alt und einsam werden, nur weil mir das passiert ist im Leben. Und dann muss ich sehen, wie ich damit zurechtkomme.

So… - ich glaube, das war einer der ehrlichsten Briefe meines Lebens.
Hat mich viel Zeit und viele Tränen die letzten beiden Tage gekostet.
Aber das ist okay. Manche Dinge sind hart.

Ganz viel Liebe in Richtung Universum
Mondkind

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