Von der Intensiv, einem zu Hause und der Liebe
Ich spüre diese Schwere auf mir, wie sie lange nicht mehr da war.
(Und die Masse an Blogeinträgen macht das Feuerwerk in meinem Kopf wohl ein bisschen deutlich...)
Was die Intensivstation betrifft; da sind die Kapazitäten langsam
erschöpft. Seit bald sechs Monaten läuft jetzt über weite Teile ein
Versteckspiel auf der Arbeit. Ich habe mal so viel geleistet; ganze Stationen
fast alleine geschmissen, wenn es sein musste. Und irgendwie vermisse ich das
sehr, mich mal wieder als kompetente Ärztin zu fühlen, die zumindest auch ein
bisschen Spaß hat an dem, was sie tut. Bis Ende des Jahre wird sich das nicht
mehr ändern, obwohl ich keine Gelegenheit auslasse zu betonen, dass ich dort
weg möchte.
Es war damals, als mir die Kollegin in der Klinik gesagt hat was nach
der Entlassung auf mich wartet schon klar, dass dieses Jahr jobtechnisch voll
für den Eimer ist. Es ist ein langes, langes Durchhalten. Und ich hoffe, dass
ich das noch ein paar Monate schaffe.
Ich versuche mich nicht so darauf zu konzentrieren wie stark diese
Ängste sind und wie sehr ich mich da einfach ziemlich inkompetent und
deplatziert fühle, aber es bricht doch immer mehr durch. Morgen gibt es schon
wieder eine Tracheotomie und das treibt mich heute schon um, obwohl ich einfach
nur unendlich müde nach diesen beiden 24 – Stunden – Diensten hintereinander
bin. (Und Sonntag wartet der Nächste...)
Ich würde lieber heute als morgen gehen dürfen und ich würde auch auf
die chaotischste Station des ganzen Hauses wechseln, wenn ich nur endlich weg
dürfte.
Auch die Studienstadt hat Spuren hinterlassen.
Ich bin froh und dankbar, dass ich dort gewesen bin.
Und gleichzeitig holt das natürlich so viel hoch. Jedes Mal, wenn ich
zurück in meinem Elternhaus bin, mit dem Abstand den ich heute habe, beginne
ich vielleicht langsam zu verstehen, was da all die Jahre verkehrt lief. Das
ist alles noch sehr diffus, aber wenn ich heute von außen drauf schaue, dann
denke ich mir, dass es irgendwie nicht gut gehen konnte. In diesem engen
Korsett mit all den dysfunktional gelebten Überzeugungen und meiner permanenten
inneren Rebellion gegen das alles, die nie laut werden durfte, bis am Ende
alles explodiert ist, war es einfach nicht möglich.
Ich mache mir viele Gedanken über das Thema „zu Hause“. Zum ersten Mal
kann ich das Thema von einem Standpunkt aus reflektieren, der ein bisschen
sicher ist. Ich habe das Gefühl, dass ich eines der ersten Male in meinem Leben
die richtige Ausfahrt genommen habe und mir auch erlauben kann, mich auf das
damit verbundene Leben einzulassen, ohne es verstecken zu müssen. Ich glaube,
es ist so vorgesehen, dass man sich irgendwann von seiner Familie löst und
irgendwann in einer Partnerschaft eine neue zwischenmenschliche Mitte findet.
Aber als Kind und auch noch als junge Erwachsene war ich immer auf der
Suche nach dem, was mein ganzes Leben lang gefehlt hat. Ich habe immer ein „Alternativ
– zu – Hause“ gesucht, ich empfand die Situation in meinem Elternhaus immer als
schwierig und schlimm und war eigentlich mein komplettes Leben auf der Suche
und auf der Flucht. Und wenn ich mir heute diese Versuche anschaue ein zu Hause
zu finden das bleiben kann, dann tut das seltsam weh. Ganz früher war es die
Schule, dann der Sportverein, später das Labor, die potentielle Bezugsperson,
die Neuro, in der ich heute bin. Zwischenzeitlich, als nichts mehr ging, war
das sicher auch ein Stückweit die Psychiatrie. (Ich kann mich sehr gut an den
ersten Aufenthalt erinnern, als ich ein paar Wochen ein Einzelzimmer hatte und
zumindest mal dieses „Bahnhofsgefühl“ ein bisschen weg war). Überall habe ich
mal meine Fühlerchen ausgestreckt, versucht ein bisschen anzudocken und musste
immer irgendwann einsehen, dass ich dort eben einfach nicht hingehöre.
Zumindest nicht emotional verwurzelt. Und das hat jedes Mal die Seele ein
bisschen gebrochen – insbesondere mit der potentiellen Bezugsperson war es ja
Dauertheater. Mittlerweile ist unsere Beziehung viel distanzierter, ich war
ewig nicht mehr dort, wir sprechen uns selten und auch wenn ich es manchmal ein
bisschen schade finde, ist es okay.
(Und warum der verstorbene Freund nicht so richtig als emotionales zu Hause gezählt hat, weiß ich nicht. Ich weiß es einfach nicht. Wir hatten unsere Diskussionen darüber. Er wäre es gern gewesen. Aber irgendwie... - puh. Ich verstehe Vieles nicht und das am allerwenigsten. Vielleicht habe ich noch zu sehr in der Kind - Rolle gesucht und nicht als Erwachsene; das wäre die einzige Erklärung, die mit einfällt).
Ich glaube im Moment ist es richtig so, wie es ist.
Ich stehe nicht auf verlorenem Posten. Ich stehe genau da, wo ich
hingehöre.
Und dennoch sehen wir uns viel zu selten. Es gibt Mädels, die sieht er
öfter als mich, da ist ne spontane Übernachtung drin oder gemeinsame
Unternehmungen nach der Arbeit, weil die einfach in derselben Stadt wohnen und
auch noch zusammen arbeiten.
Ich bin glücklich und dankbar, dass es ist, wie es ist. Das wäre vor einem
halben Jahr noch undenkbar gewesen. Und dennoch träume ich davon, irgendwann
jeden Abend nach Hause zu kommen und zu wissen, dass er da ist. Ich meine – ich
kann alleine sein. Aber ich war so viel alleine in den letzten Jahren. Und dennoch
vermisse ich ihn in jeder Minute, in der er nicht da ist.
„Ich liebe Dich… - das weißt Du“, begrüßt mich der lebende Freund nach
dem Dienst heute morgen.
Das berührt seltsam das Herz. Als sei das die absolute
Selbstverständlichkeit.
Was sie nicht ist. Und was ich manchmal auch irgendwie nicht glauben
kann.
Ich erinnere mich immer wieder an unser erstes Zusammentreffen. Als er
in der Tür stand, mich angeschaut hat und ich sofort ein Ziehen im Herz hatte.
Da war sofort ein Gefühl, dass sich ab jetzt die Dinge ändern. Wie so oft,
mitten im allergrößten Chaos. In der schlimmsten Zeit, die ich seit dem Tod des
Freundes erlebt hatte. Und der Morgen hatte absolut nicht cool gestartet.
Er hat dann beim ersten Treffen erstmal nicht so ganz die
geschicktesten Äußerungen an den Tag gelegt und ich war ein bisschen verwirrt
von dem, was von ihm bei mir ankam und was mein Herz für ihn empfunden hat.
Und dennoch - wir haben von Anfang an zu viel Zeit miteinander
verbracht.
Es war ein langer Weg von vielen Wochen und Monaten, in denen wir wohl
beide dasselbe gefühlt haben, aber um die Hürden wussten und es dem anderen nie
offenbart haben.
Ich weiß noch, wie ich eines abends mit meinem Telefon und
Magenschmerzen auf dem Boden meiner Küche saß. Und nach einem stundenlangen Telefonat (in dem er schwer von
Begriff war und jedes Wort meinerseits mit Bedacht gewählt war) klar war, was Sache ist. Wie ein endloses „wir müssen nachdenken“
folgte. Jede Woche. Immer wieder. Und immer wieder dachte ich, wir hören
vielleicht mal auf mit Denken. Und es war nicht das Denken, es war der Mut, der
noch ein bisschen Anlauf brauchte.
Und dann war das die ersten Wochen so eine komplette Katastrophe, die
bis heute ein bisschen nachhängt. Ich würde ihm gern hundert prozentig
vertrauen, aber ich kann es noch nicht.
Das Glück kommt scheinbar nicht vom Himmel gefallen. Es ist nicht so
einfach. Erfordert viel Arbeit, viel Mut, viel Aushalten. Und dennoch würde ich
behaupten, dass ich in meinen 29 Lebensjahren noch nie so viel Liebe für einen
Menschen in meinem Herz hatte. (Was natürlich dem verstorbenen Freund gegenüber
eine Katastrophe ist). Das mit ihm ist ein völlig neues Erleben, eine
völlig neue Lebensqualität.
Ich will mich absolut nicht über die Situation hier beschweren. Ich bin so privilegiert mit dem, was passiert ist. Das erlebt nicht jeder, glaube ich. Aber die Liebe erfordert scheinbar ihre emotionalen Opfer. Und nicht zuletzt Angst. Ich kann nicht glauben, dass ich das verdient habe. Es hat noch nie ein einzelner Mensch so viel für mich gegeben. So viel auf seine Schultern gestellt.
Und manchmal spüre ich die Tränen in den Augenwinkeln und dann ist es glaube ich, weil ich diese Ambivalenzen so schwer nur aushalten kann. So viel Wärme, Zuneigung, emotionale Verbundenheit und so viel Sehnsucht, Schuldgefühle und Angst auf der anderen Seite.
Irgendwann als es so schwer zwischen uns war, meinte mein Freund mal: „Ich
glaube, das ist es wert.“
Und das glaube ich schon auch. Nach allem was war, werde ich dennoch noch ewig
brauchen, um eine Balance mit der Situation zu finden. Dieses tiefe Misstrauen
zu verlieren, dass das hier alles in einem Mondkind – Leben absolut nichts zu
suchen hat. Aber es braucht Zeit. Und Geduld.
Mondkind
Bildquelle: Pixabay
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