Von Beziehungen und Verboten
Immer wenn wir uns seh'n
Fängt mein Kopf an zu dreh'n
Es gibt viele, doch ich spür' du bist anders
Immer wenn wir uns seh'n
Bleibt mein Herz wieder steh'n
Und mein Kopf leer, wo soll ich anfang'n?
(Immer wenn wir uns sehen – LEA)
Beziehungen und ich – das ist keine besonders gute Kombination.
Scheint es.
Die erste Beziehung hätte laut den meisten Menschen in meinem Umfeld
nie existieren dürfen. Lief irgendwo im Untergrund. Nicht gemeinsam gesehen
werden, war die Prämisse dieser Zeit.
Und als wäre von Anfang an klar gewesen, dass dieses Geheimnis
zwischen uns hoch gehen muss, endete diese Beziehung mit dem schlimmsten Knall,
den man sich hätte vorstellen können. Wird solange wie ich lebe viele Fragen,
viel Schmerz, viel Trauer zurück lassen. Dieses Gefühl der Schuld wird
wahrscheinlich nie verschwinden. Dazu lief da zu viel schief, als dass ich den
Kopf so einfach aus der Schlinge ziehen könnte. Das ist der Preis für das, was
wir hatten.
Gestern Abend.
Ich habe meinen Freund in der Leitung. Es ist spät und ich wollte
eigentlich längst im Bett sein, aber das was da läuft, ist ernst. Er muss viel
Gegenwind bezüglich der Beziehung zwischen uns beiden aushalten und was ihn
betrifft, betrifft natürlich auch mich und unsere Beziehung sowieso.
Jetzt stellen sich zwischen 15 und 20 neugierige Nasen zwischen ihn
und mich, hinterfragen viel.
Und obwohl er das alles relativ gefasst aufnimmt – obwohl ich ihn
natürlich mittlerweile ein bisschen kenne und spüre, wie belastet er dadurch
ist – laufen mir kontinuierlich die Tränen und ich hoffe er merkt nicht, dass
mich das emotional völlig durcheinander wirft.
Beziehungen liefen bei mir nie so, wie sie es hätten tun sollen.
Es ging nie um zwei Menschen, die sich einfach irgendwo begegnet sind
und ihr Leben miteinander verbringen wollen. Die Art von Verbot war beide Male
anders. Das erste Mal war ich noch zu nah am Elternhaus und man sollte sich
doch bitte um seine Karriere kümmern, statt seine Zeit mit Menschen die man
liebt, zu verbringen. Wenn das aufgeflogen wäre, hätte es Konsequenzen gegeben,
die ich mir mit meiner Abhängigkeit vom Elternhaus einfach nicht hätte leisten
können. In der zweiten Beziehung ist das Problem, dass wir uns halt nicht im
Park, an der Bushaltestelle, im Club oder sonst wo kennen gelernt haben. Sondern
in einem Setting, in dem sich zwei Menschen eigentlich auch nicht verlieben
sollen. Aber manchmal passiert das einfach so. Da fragt das Herz nicht nach, ob
es darf.
Und wenn es meinem Freund hilft dann mache ich das, aber ich bin
selbst so unsicher mit dieser Beziehung, den ganzen Schuldgefühlen die das mit
sich bringt, dass mir bei dem Gedanken über uns beide bei sehr hohen Leuten
reden zu müssen, nicht besonders wohl ist. Kann ich überhaupt sinnvolle Dinge
in Bezug auf eine Beziehung sagen, wenn die Erste so vor den Baum gefahren ist…?
Und das wissen die auch. Nimmt man mich da überhaupt ernst, wenn ich offensichtlich
nicht in der Lage bin, Menschen im Leben zu halten. Interessanterweise stellen
sie nur nicht die Fragen, die ich nach einer solchen Geschichte erwarten würde.
Da geht es darum, ob ich denn Grenzen ziehen kann, wenn ich befürchten muss,
dass eine Grenze vielleicht einen Suizid nach sich zieht. Das ist nicht völlig
von der Hand zu weisen, aber ich würde mir wünschen, dass die Menschen
verstehen, dass es da mit einer neuen Beziehung so unglaublich viel um Scham
und Schuld geht. Für mein Gewissen hätte diese neue Beziehung nie existieren
dürfen.
Ich weiß, dass diese Assoziation nicht so richtig stimmt, aber es ist schon schwer zu glauben, dass es nicht an mir hängt, dass überall wo ich mein Herz spüre, zwischenmenschliches Chaos auftritt. Aber ich bin auch nicht mehr bereit auf der Welt zu sein, nur um den Ansprüchen derer zu genügen, die meinen, dass ich nur zähle, wenn ich etwas leiste. Darum geht es nur bedingt.
Der Freund und ich haben die letzten Tage nochmal viel geredet.
Und aus gegebenem Anlass denke ich viel darüber nach, wie wir uns
kennen gelernt haben.
Ich werde nie vergessen, wie er mir zum ersten Mal gegenüber stand.
Ich saß mit Tränen in den Augen auf meinem Bett, habe mich komplett verloren
und alleine gefühlt. Und ich weiß noch, dass ich mir dachte: „Oh shit, bitte
nicht.“ Er hat innerhalb von einer Sekunde mein Weltbild von damals auf den
Kopf gestellt. Für mich war klar, dass ich den verstorbenen Freund vielleicht
ein bisschen bei mir halten kann, in dem ich mich nie wieder verlieben werde,
nie wieder einen Freund haben werde. Dadurch, dass ich bis ans Ende meines
Lebens immer von ihm reden werde, wenn es um Beziehungen geht. Und dann – habe ich
innerhalb einer Sekunde ein Ziehen in meinem Herz gespürt.
Silvester. Ich kann mich erinnern. Er stand wenige Zentimeter hinter mir. Wir standen ein bisschen oberhalb auf einem Berg, haben ein paar wenigen Raketen auf dem Weg in den Himmel zugeschaut. Und ich dachte mir damals: „Wenn ich mir wirklich jetzt, hier und heute etwas wünschen dürfte, dann dass dieser Mensch Teil meines Leben wird.“
Und manchmal glaube ich, ein wesentlicher Bestandteil dieser Krise, die ich Anfang des Jahres hatte, war genau das. Dass ich gemerkt habe, dass meine Idee mich nie wieder verlieben zu können überhaupt nicht funktioniert und dass ich so auch eigentlich nicht möchte. Da hat mein Weltbild ein bisschen gewankt. Ein bisschen sehr. Und ich konnte das damals nicht mal laut sagen. Mein Kopf hat sich gedreht und ich konnte das nicht mal aussprechen.
Ich kann mich erinnern, als sich Mitte Januar die Lage geändert hat und es nicht mehr vorgesehen war, dass wir uns sehen. Und ich dachte, dass es vielleicht besser wird. Dass ich das vielleicht alles ein bisschen zur Seite schieben könnte.
Aber leider… - ich konnte mein eigenes Herz nicht hintergehen. Ich
habe ihn danach seltener gesehen, aber versucht die Chancen zu erhöhen, indem
ich häufig durch den Hintereingang geschlüpft bin – da wo er auch häufig lang
gegangen ist. Irgendwann habe ich mal im Treppenhaus einen Blick auf ihn
erhascht und sofort habe ich ein Stechen in meinem Herz gespürt. Die Idee
diesen Menschen aus meinem Herz zu streichen, hat einfach nicht funktioniert.
Mein Herz hatte sich entschieden, bevor mein Kopf bereit dafür war.
Ich konnte es nicht ändern, dass es meinen Tag in entscheidenen Ausmaß
besser gemacht hat, wenn wir uns gesehen und auch noch begrüßt hatten. Oder
auch dann ein bisschen, wenn ich ihn von der Ferne irgendwo habe entlang
schleichen sehen. Ich konnte es nicht ändern, dass ich ihn ständig im Kopf
hatte und damit natürlich auch unglaubliche Schuldgefühle. Ich habe nach so
langer Zeit mein Herz gespürt, dieses alte, sehr lange nicht mehr da gewesene
Flattern. Manchmal habe ich mich ein bisschen wie ein durchgeknallter Teenie
gefühlt.
Und trotzdem war der Weg, bis ich mir das eines Tages eingestehen und
ihm dann auch noch sagen konnte, weit. „Mir hat das erstmal ein bisschen Angst
gemacht“, hat mein Freund dazu kürzlich gesagt.
Denn es war sofort klar – dieser Weg den wir da gehen wollen, wird
nicht einfach. Und von vielen Widerständen gesäumt sein.
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Noch ein Konzert - Bild... |
Und ich glaube der Anfang von diesem emotionalen Chaos hier, war schon
am Wochenende. Nachdem die letzte Woche so schwer war, nachdem nicht klar war
und ist, ob wir unsere unterschiedlichen Vorstellungen von Beziehungen
übereinander legen können. Nachdem wir uns eigentlich nicht sehen wollten am
Wochenende. Uns dann doch umentschieden haben. Und dann kam ich emotional sehr
aufgewühlt von diesem Konzert – wie das bei Konzerten immer so ist, wenn der
Schutzpanzer ein bisschen fällt. Und dann habe ich ihn gesehen, bin ihm in die
Arme gehüpft und es hat sich ein bisschen angefühlt wie das erste
Aufeinandertreffen. Das Herz hat sich entschieden – da kann der Kopf sagen, was
er will.
Und obwohl es manchmal so schwer ist - mit ihm, mit meinen
Schuldgefühlen, mit den gesellschaftlichen Schwierigkeiten – das sind die
Momente die zählen und die ich nicht missen möchte. Dieser tiefe Frieden in mir
und meinem Herz, wenn ich seine Arme auf meinem Rücken spüre, wenn ich den
Geruch seines Shirts in meiner Nase habe, wenn sich ein ganz tiefer Frieden
über mich legt und ich mit allen Sinnen in dem Moment fest hänge, in dem ich
gerade bin.
Und als wäre das private Chaos nicht schon genug, ist auch die
Intensivstation ein Fall für sich. Und in den Zeiten, in denen das Mäntelchen,
das mich vor dem Alltag schützt gefallen ist, ist das gar nicht gut. Gefühlt
ist jeder Schritt vor die Tür eine Bedrohung, weil ich es nicht gut aushalten
kann den ganzen Tag an einem Ort zu sein, an dem ich nicht sein will und der
mir Angst macht. Ich habe schon viel geweint auf der Arbeit die letzten Tage.
Viele komplizierte Patienten, heute ist schon die zweite Tracheotomie, bei vier
Patienten warten wir darauf, dass sie sterben und das kann ich auch nicht gut
aushalten.
Und von Donnerstag auf Freitag noch Dienst in dem Zustand... – das kann
etwas werden. Wenn ich meinen Freund
Freitagabend vom Bahnhof abhole, war es zumindest für mich eine der härteren
Wochen der jüngeren Vergangenheit. Für ihn sicherlich auch. Und ich hoffe, dass
das zwischen und beiden nicht so viel ändert, dass wir unfreiwillig unsere
Emotionen in Bezug auf uns, unsere Beziehung und wie wir zueinander stehen, mit
so vielen Menschen teilen müssen.
Mondkind
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