Zwischen blinden Fühlen und Verstand
Du sprichst mit mir, doch sagst mir nichts
Doch ich seh' in Deinen Augen, dass da noch was andres ist
Du weißt, dass Du mir wichtig bist
Erzähl mir was, das tiefer liegt
Sag, wie geht's Dir eigentlich?
Du hast so lange nichts gesagt
Und sag jetzt nicht, „Ist alles gut“, denn ich kenn' Dich gut genug
Ich wär so gerne für Dich da
Wie geht's Dir eigentlich?
Florian Künstler – Wie geht’s Dir eigentlich
Atmen.
Einfach weiter atmen.
Einen Fuß vor den anderen.
Irgendwo zwischen blindem Fühlen und Verstand.
Zwischen der roten Farbe in meinem Kopf und dem Gefühl, das nicht los lassen will.
Irgendwo gefangen zwischen ganz viel Liebe und ganz viel Angst.
Wo soll das enden? Wo sollen wir enden?
Es ist ein ganz kurzer Moment in der Früh.
„Frau Mondkind, Sie wirken ziemlich geknickt heute. Vor zwei Wochen
habe ich Sie mal richtig euphorisch erlebt, das ist ja fast noch nie passiert.
Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber da wollte ich Sie schon fragen, ob
Sie frisch verliebt sind.“
„Naja…“, entgegne ich.
„Ich glaube das würde Ihnen hier jeder wünschen. Wir wissen alle, was
passiert ist.“
„Es ist kompliziert mit ihm, hat sich letzte Woche heraus gestellt.“
„Frau Mondkind, nur eine Sache: Ich will mich nicht einmischen, aber
machen Sie nicht den Fehler und werfen das in die Waagschale. So nach dem
Motto: Lieber diese Beziehung, als gar keine. Wenn es nicht wirklich passt,
dann lassen Sie das. Sie sind so eine attraktive junge Frau und Sie haben keine
halben Sachen verdient.“
Und das ist dann endgültig der Tränenmoment. Ich weiß nicht, was
richtig ist.
Sonntag.
Dienst.
Ich rocke die Notaufnahme, mein Freund ist zu Hause. Sein Plan ist,
Tiramisu zu machen während ich weg bin und ich freue mich sehr darauf, dass ich
nach einem anstrengenden Dienst keine leere Wohnung vorfinden werde.
Es ist viel los. Ein Schockraum nach dem anderen; teilweise Zwei
parallel; so etwas habe ich selten erlebt. Schwer kranke Patienten, die schon
intubiert zu uns kommen und ich bin sehr froh, dass die Oberärztin der
Notaufnahme mittlerweile auch da ist.
Es ist schon später Nachmittag, als es mal kurzzeitig ruhiger wird und
ich zum Dokumentieren komme. Bisher ist im Dienst mit der potentiellen
Bezugsperson alles halbwegs gut gegangen. Bevor er nach Hause geht, kommt er
nochmal bei mir vorbei. „Mondkind, ich habe Deine Mail gelesen. Was läuft da
eigentlich bei Euch?“ „Wir haben grundsätzlich andere Vorstellungen von
Beziehung. Das habe ich so am Rande letzte Woche heraus gefunden. Es gibt
Dinge, die hinterfragt man nicht am Anfang einer Beziehung. Ich kann ja nicht
mit einer Checkliste zu Jedem laufen, den ich kennen lerne. Und wenn man das
anders sieht, als 95 % der Bevölkerung muss man das doch am Anfang sagen.“ Ich
schweige eine Weile. Und setze nochmal an. „Ich habe einfach das Gefühl – das war
ja schon von Anfang an in den ersten Wochen so – dass ich hunderttausend
Schritte auf ihn zugehen muss, damit er in dieser Beziehung bleiben kann. Und
dabei verbiege ich mich glaube ich selbst total. Und irgendwie denke ich mir,
dass das vielleicht so sein muss, weil man ja irgendwelche Kompromisse finden
muss und wir schließlich beide keine 16 mehr sind, die in die erste Beziehung
rein stolpern, sondern beide konkrete Vorstellungen haben. Und wie sollen die
perfekt übereinander passen? Allerdings ist das jetzt halt echt eine Grenze für
mich.“ „Mondkind…“, er seufzt. „Ich mache mir Sorgen“, sagt er. „Wieso?“, frage
ich. „Weil ich nicht glaube, dass Du das alleine hinbekommst. Wir wissen alle,
was bei Dir passieren kann – gerade wenn es zwischenmenschlich knallt. Und Du
hast auch einfach Null Erfahrungen und hunderttausend Ängste nach allem was
war. Du brauchst Jemanden, mit dem Du das alles besprechen kannst. Du machst
das jetzt alles mit Dir selbst und verzweifelst daran. Nur ich kann es eben
auch nicht halten.“
Das Telefon klingelt. Auf der Station ist eine Patientin mit
Sättigungsabfällen. „Ich muss los“, sage ich. „Und ich fahre nach Hause
Mondkind.“ Auf dem Weg zur Station überlege ich
mir, dass die potentielle Bezugsperson und ich auch seit Monaten nur zwischen
Tür und Angeln mal schnell ein paar Worte gewechselt haben. Eine ruhige Minute
ohne klingelnde Telefone dazwischen gab es ewig nicht mehr.
Auf der Station erwartet mich eine schon etwas bläuliche Patientin,
die nach Luft schnappt. Ich hasse solche respiratorischen Notfälle. Die Pflege
hat der Patientin schon eine Maske aufgesetzt und den Sauerstoff auf das
Maximum gedreht, aber viel bringt das auch nicht. Ich schütte in Windeseile
alles in die Patientin rein, was ich aus meiner internistischen Hirnrinde
grabe. Inhalation, Bricanyl, Furosemid, falls sie ein Lungenödem haben sollte
und ein bisschen Cortison. Und irgendetwas davon oder die Kombination aus allem
hilft ihr, sodass sie sich im Lauf der Zeit wieder stabilisiert.
Kaum geht es ihr besser, schmiert der Patient im Nachbarzimmer ab.
Blutdruckabfall, Tachykardie und die Sättigung rutscht ebenfalls runter. „Massive
Exsikkose“, steht in der Kurve. Schocklagerung, ein Liter Jono und ein bisschen
Beta – Blocker lösen das Problem dann zum Glück.
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Lieblingspark |
Es ist kurz vor Mitternacht, als ich nach Hause komme.
Mein Freund liegt auf dem Sofa. Die Kerze auf dem Tisch vor ihm ist
das einzige Licht das brennt.
Ich kuschele mich neben ihm und muss mich erstmal kurz ausruhen. Es
ist so schön, dass er hier ist. Es ist so schön nach dem Dienst heim zu kommen
und ihn neben mir atmen zu spüren.
Das sind die Momente, in denen die Zeit stehen bleiben könnte. Nur
atmen und fühlen. Und mal kurz verdrängen, dass das so kompliziert geworden ist
mit uns.
Montagabend.
Wir liegen uns in der Küche in den Armen nach einem ziemlich
intensiven Tag.
„Ich sehe mit uns gar kein Problem. Ich bin halt nur ein sehr
freiheitsliebender Mensch.“
Und irgendwie komme ich mir gerade wie der eogistischste Vollpfosten
auf diesem Planeten vor, dass manche Dinge für mich einfach ein Problem sind.
Irgendwo an diesem Wochenende dazwischen schreibt auch noch die
Mutter des verstorbenen Freundes. „Ich hoffe Du hast ein schönes Wochenende und
dieses Jahr noch ein paar Tage Zeit und Lust auf einen Besuch bei mir? Fühl
Dich herzlich umärmelt.“
Manchmal glaube ich einfach, meine Seele wird irgendwann vor Trauer,
Scham und Schuldgefühlen doch noch ersticken. Seine Mutter weiß von nichts was
den lebenden Freund und mich betrifft. Aber ich weiß, dass ich dieses Mal mit
dem Auto zu ihr fahren kann und egal wie anstrengend es auch wird und wie sehr
mein Kopf und Magen auch wieder schmerzen werden: Diesmal schaffe ich es auf dem
Friedhof vorbei zu fahren und ihm ein paar Blümchen mitzubringen.
Und manchmal vermisse ich es so sehr. Dieses alte Leben in der
Studienstadt. Den Freund. Dieses grenzenlose Vertrauen zwischen uns. Ich hatte
eigentlich nur sehr selten, sehr punktuell Angst um diese Beziehung. Und bereut
habe ich da eigentlich nie etwas.
Und so oft wünsche ich mir immer noch, er wäre einfach noch hier.
Dienstagabend.
Telefon. „Wenn es da eine Schwierigkeit zwischen uns gibt, sollten wir uns vielleicht nicht mehr sehen, bis wir das gelöst haben." Puh, nach allem was am Wochenende zwischen uns gelaufen ist. Schwer. Ich sollte langsam einfach mal mein Gehirn wieder einschalten. Das ist alles so dumm; das kann ich nicht mal der potentiellen Bezugsperson erzählen, was hier die letzten Tage los war und wie das jetzt endet - selbst wenn er Zeit für mich hätte. Ich dachte nicht, dass mir so etwas mal passiert. Aber irgendwie habe ich gedacht, das wird schon gut gehen mit uns beiden, auch wenn es gerade ein bisschen schwer ist. Und nicht, dass die Beziehung 24 Stunden danach schon wieder so sehr am seidenen Faden hängt.
Vielleicht gehört das einfach alles dazu. Ich hätte es mir nur anders
gewünscht.
Wie habe ich mal irgendwann gehört: „Verlieben ist ein
fürchterliches Chaos zwischen Angst und Hochgefühl; das sagt nur nie jemand….
In den Songs wird immer nur der Himmel voller Geigen beschrieben; selten jedoch
die Abgründe des Verliebtseins.“
Und vielleicht ist es am Ende doch so, wie der Spruch an meinem Kühlschrank besagt: „Maybe it’s not about the ending. Maybe it’s about the story.“
Und abseits von den ganzen Schuldgefühlen gegenüber dem verstorbenen
Freund war die echt gut. Als ich irgendwann mal gesagt habe, dass ich mir
wünsche nochmal das Licht zu sehen, bevor ich dann endgültig falle, hatte ich
einen solchen Sommer im Leben nicht auf dem Schirm. Das lag jenseits meiner
Vorstellungskraft, dass das nochmal passieren könnte.
Mondkind
Worin besteht denn diese Schwierigkeit zwischen euch?
AntwortenLöschenHey,
Löschennaja, auf einen Blog gehört diese Thematik jetzt nicht so ganz. Wie gesagt, wir haben halt einfach unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich gewisser Werte in einer Beziehung, die allerdings essentiell wichtig sind. Und da muss man jetzt einfach schauen...