43 Monate

Mein lieber Freund,
schon wieder ist ein Monat vergangen.
Der Erste des Jahres 2024. Wird sicher nicht der Beste des Jahres. Aber 2024 – das bedeutet auch, dass es dieses Jahr vier Jahre werden. Vier Jahre ohne Dich. Manchmal habe ich ja das Gefühl, die Zeit vergeht gar nicht. Aber in solchen Momenten frage ich mich, wo sie hin ist. Ich kann mich doch noch so gut an jenen Sommertag erinnern. An dem ich morgens um kurz nach sechs Uhr mit einem Kaffee auf dem Sofa saß – einen Esstisch hatte ich damals noch nicht. Und dann der Anruf von Deiner Mum. Und dieses Gefühl, dass alles unterhalb meines Kopfes zu Staub zerfällt. Danach wurde ich letztens gefragt. Zu beschreiben, wie sich das angefühlt hat. Ich werde das nie vergessen.
 
Ich war im Januar bei einem Supervisor. Das war die Idee vom ehemaligen Psychosomatik – Oberarzt, weil ich mich mit dem Thema Suizidalität ja so schwer in der Klinik tue. Ich kann jetzt mal nicht behaupten, dass er der Sympathieträger vor dem Herrn gewesen sei… Kapazitäten mich weiter zu betreuen hat er aber ohnehin nicht, ich habe ihn die Woche nochmal gefragt.
Jedenfalls… - es fühlt sich langsam komisch an. Ich schreibe Dir immer noch jeden Monat einen Brief. Ich erzähle immer noch unsere Geschichte. Aber irgendwie wirkt es allmählich seltsam deplatziert. Nicht nur, weil ich befürchte, dass die Menschen zu der Idee kommen: Hey – bis jetzt ging es doch auch gut; was will sie denn jetzt hier im Rahmen von Therapie, Supervision, Selbsterfahrung oder sonstiges drüber reden?“. Naja, der ehemalige Freund meinte letztens dazu, dass Leute immerhin in Therapie kommen, weil denen in der Kindheit etwas passiert ist – da sind vier Jahre jetzt nicht so viel. Da hat er auch irgendwo Recht, das hat mich ein bisschen beruhigt.
Es fühlt sich jedenfalls auch komisch an, weil die Welt irgendwie mittlerweile eine ganz andere geworden ist. Ich spüre manchmal so eine hohe Diskrepanz zwischen dem Damals und dem Heute und dann kann und will ich irgendwie nicht glauben, dass das Damals immer noch so einen hohen Einfluss auf mein Leben jetzt hat. Und gleichzeitig ist es auch irgendwie… - auf eine andere Art okay. Ich will die Verbindung zwischen uns noch nicht hergeben. 

Sonnenuntergang von gestern über den Hausdächern


Ansonsten bin ich weiterhin fleißig in der Psychosomatik und bin immer noch sehr glücklich dort. Gerade darf ich mich mit einer Zwangspatientin im Einzel austoben. Die Oberärztin hat mir jetzt ein Set von Karten gegeben mit Impulsen für die Therapie und ich suche mir immer etwas aus und bearbeite das mit ihr. Meine 60 – jährige, uneinsichtige Anorexiepatientin habe ich soweit bekommen sich zumindest endlich auf die Anorexie – Behandlung einzulassen. Es läuft auch noch viel schief, aber das sind die kleinen Erfolge, die ich wirklich feiere. Und gerade erst am Donnerstag habe ich von einer erfahrenen Psychologin die Rückmeldung bekommen, dass ich meinen Job ganz gut mache dafür, dass ich erst ein paar Monate Erfahrung habe. Dass man meine Motivation spürt und ich gleich von Anfang an viel übernommen und mich rein gehangen habe. Das freut mich zu hören, dass das, was ich im Innen fühle es scheinbar auch bis ins Außen schafft.
Und letztens war bei uns körperbezogene Therapie – Supervision. Und das krasseste Gefühl dabei war einfach dieses Bewusstsein, endlich die Seiten gewechselt zu haben. Ich habe Dich in einem Punkt immer bewundert. Du hast dieses Ex – In gemacht und ich dachte immer: Ja, ich studiere schon irgendwie Medizin, aber er hat den cooleren Job. Ich weiß nicht, ob ich Dir das je gesagt habe, aber ich habe Dich beneidet, dass du das machen durftest. Und jetzt lag ich da in der Supervision. Alles ein bisschen wie immer. Mein Körper und ich sind nicht die besten Freunde, die Wortrückmeldungen an die Therapeutin waren unter Kollegen eher verhalten. Aber das Telefon am Hosenbund und der Schlüssel in der Tasche haben mir bewusst gemacht: Da hat sich gewaltig etwas verändert.

Haha, ich habe übrigens gerade gestern eine Mail bekommen, die nie für Assistenzärztinnen – Augen geplant war, vermute ich. Die wurde einfach fälschlicherweise an mich weiter geleitet. Jedenfalls geht es in dieser Mail darum, wer demnächst wo arbeiten soll und daraus geht hervor, dass ich die Gruppe demnächst alleine leiten soll. Das ist einerseits gut, weil die Kollegin ohnehin kein großer Hilfe war und auch Neurologin ist, andererseits denke ich mir aber: So einen Psychologen an der Seite zu haben, wäre ja auch mal eine Option. Da könnte man vielleicht mal fragen und lernen.
 
Ich bin gespannt auf die kommenden Monate. Da steht viel an. Ich muss jetzt irgendwie parallel Neuro und Psychosomatik lernen. Keine Ahnung, wie das gut funktionieren soll. Am Dienstagabend plane ich mal wieder in die AGUS – Gruppe zu gehen. Das ist der dritte Anlauf, mal schauen, ob das funktioniert. Und das mit dem Kardiochirurgen läuft auch nicht so rund. Erst gestern habe ich mich nach der Arbeit ultra beeilt, damit ich schnell Einkaufen, Wäsche und minimal Haushalt schaffe, damit wir wenigstens mal einen Abend länger als ein paar Minuten Zeit haben – denn heute habe ich ja Dienst. Aber das war eben mein Plan. Nicht so unbedingt seiner. Obwohl es abgesprochen war… Naja, zumindest Dich dürfte das ja einigermaßen beruhigen… - wenigstens Einer, der mit der Situation gut zurecht kommt.

Halt die Öhrchen steif, okay?
Ich düse erstmal in den Dienst jetzt und bleib da bis morgen.
Ganz viel Liebe
Mondkind


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