Von einer Minireise


 

Samstagmorgen.
Der Wecker reißt mich schon um sieben Uhr aus dem Schlaf.
Ich fluche erstmal innerlich. Nachdem ich das letzte Wochenende auch durchgehend früh aufstehen musste, ist das allmählich an Tag 13 schwer zu ertragen. Allerdings sind der Kardiochirurg und ich heute nach seinem Dienst zum Frühstück verabredet und ich vermute mal schwer, dass er danach erstmal schlafen möchte – daher lässt sich das schlecht aufschieben. Ich versuche mit ihm seit Donnerstag zu besprechen, wie wir es machen können an diesem Morgen. Leider war er so beschäftigt, dass er es nicht mal geschafft hat, eine kurze whatsApp zu schreiben. „Ich bin dann ab acht Uhr gestriegelt abflugsbereit“, habe ich Freitagabend geschrieben und gehofft, dass er zumindest protestieren möge, wenn das nicht klappt. Aber meines Wissens nach haben die Kardiochirurgen um acht Uhr frühs Dienstschluss. Um halb 3 war ich in der Nacht nochmal wach, da habe ich nochmal aufs Handy geschaut, aber auch nichts gesehen.

„Ich muss noch die Visite machen, acht Uhr wird leider nichts“, schreibt er irgendwann gegen viertel nach sieben. Na das fällt ihm aber reichlich früh ein. „Ich beeile mich“, schiebt er hinterher. Naja. Visite ist Visite. Das kann man selten schneller machen, wenn man es ordentlich machen muss. Ich mache mir einen Kaffee und versuche mich an die Neuro zu setzen, aber mein Kopf streikt an diesem Morgen. Ich bin so müde und erschlagen, dass ich kaum zwei Sätze am Stück lesen kann. Also räume ich die Wohnung zu Ende auf – damit war ich am Vorabend nicht ganz fertig geworden und dann setze ich mich aufs Sofa, lege das Handy neben mich und döse ein wenig vor mich hin.
„Wie soll ich ihm gleich begegnen, ohne wieder wütend zu sein?“, schießt es mir durch den Kopf. Das hier ist doch vermeidbare Fehlplanung. Und kommt eben dadurch zu Stande, dass er nicht mal über die Dinge spricht, die reine Absprache sind. Oder zu beschäftigt dafür ist, oder was weiß ich. Obwohl ich mir kaum vorstellen kann, dass man zu beschäftigt sein kann, um eine kurze whatsApp zu schreiben. Und gleichzeitig weiß ich, dass er gleich müde aus dem Dienst kommen wird und schlechte Laune damit nicht sonderlich verträglich ist.

Halb 12 ist er soweit. Ich hatte eigentlich gedacht, wir treffen uns am Frühstückslokal und danach geht wahrscheinlich erstmal wieder jeder seiner Wege, bis wir ein bisschen fitter sind, aber er möchte mich abholen. Ich bemühe mich, meinen Ärger bei mir zu halten, wobei ich doch nicht umhin komme zu sagen, dass ich es nicht so cool fand, den Samstagfrüh mit einer dreieinhalbstündigen Wartezeit zu verbringen.
Aber das Frühstück wird dann erstmal recht harmonisch und ich versuche, mich auf das Wochenende jetzt zu konzentrieren, weil es auch erstmal eines der Letzen sein wird, die wir haben werden. Der März ist bei mir super voll und ich gehe nicht davon aus, dass er es in irgendeiner Weise geschafft hat, unsere Dienste und / oder Fortbildungen zu synchronisieren. Wie sehr wünschte ich, wir würden unseren Dienstplan ein Mal nach den Kardiochirurgen machen.

Nach dem Frühstück fahren wir kurz zu ihm. Wir beschließen eine Runde spazieren zu gehen und zu überlegen, was wir machen können an diesem Wochenende. Ich wäre mit Spazieren gehen, entspannen und später etwas Kochen und einen Film schauen voll zufrieden für heute. Und morgen… ? Puh, ausschlafen in jedem Fall.
Er merkt an, dass er traurig ist, dass er in seinem Urlaub nicht weg war. Ich frag mich still, ob das eine Art Seitenhieb sein soll. Ich hatte irgendwann mal angemerkt, dass ich es nicht so cool finde, dass er mitten in der größten Beziehungskrise erstmal zwei Wochen nicht da ist. Geklärt hatten wir ja dann aber trotzdem nichts. Obwohl er da war. Haben wir bis jetzt eigentlich nicht richtig.
„Wir könnten doch morgen in die Therme gehen“, schlägt er vor. Ich bin nicht so die allerbegeistertste Schwimmbadgängerin, aber da er das schon mehrfach vorgeschlagen hatte und ich immer einen guten Grund gefunden hatte, dass es nicht geht, stimme ich zu. Zumal er da vor einiger Zeit schon mal war und es richtig gut fand. Vielleicht kann ich das ja nach Jahren der Schwimmbadabstinenz nochmal neu bewerten.
„Und was ist, wenn wir heute schon los fahren?“, fragt er. "Wir nehmen uns einfach ein Hotel heute Abend." „Wie lange fahren wir denn dahin?“, frage ich. „Ne Stunde“, entgegnet er.

Wir laufen zurück zu ihm, buchen das Hotel. Er schmeißt ein paar Sachen zusammen, dann fahren wir zu mir und ich schmeiße ein paar Sachen zusammen. Auf dem Weg zum Auto drückt er mir den Autoschlüssel in die Hand. „Ich kann nicht damit leben, dass Du vor etwas Angst hast, das so banal ist“, kommentiert er. Nachdem wir am Morgen schon eine kleine Auseinandersetzung hatte und er richtig ärgerlich war, dass ich sein Auto nicht vom Frühstückslokal zu ihm nach Hause fahren wollte wusste ich, aus der Nummer komme ich nicht mehr raus ohne Eskalation. Und das brauchen wir jetzt wirklich nicht. Das mit der Abgrenzung und dem „Nein“ sagen muss ich auch noch lernen. 


Tatsächlich geht es dann aber ganz gut mit der Fahrerei und als es dann gerade so ganz dunkel ist und ich auf den letzten paar Metern einfach nur noch ankommen wollte, weil ich es noch weniger mag, im Dunklen unbekannte Strecken zu fahren, erreichen wir unseren Zielort.
Es hat irgendwie etwas von diesem Feeling vom Dezember in diesem Hotelzimmer zu stehen, das auf jeden Fall ziemlich luxuriös für eine Nacht ist. Und das sind dann auch mal die Momente, in denen die Zeit steht und zwischen uns beiden alles okay ist. Keiner muss gerade irgendwo hin oder kann großartig weg. Wir ziehen unsere Badeklamotten an und schlappen im Bademantel rüber zur Therme – netterweise hat man extra einen Gang dafür gebaut, damit wir nicht mal raus müssen.

Vier Stunden haben wir an diesem Abend Zeit, um die Thermenlandschaft zu erkunden. Und als wir da so in den Außenbecken unterwegs sind, hat das irgendwie ein Gefühl von längst vergangenen Zeiten, als wir noch als Familie in jedem Frühling in einem Freizeitpark waren, in dessen Zentrum es immer ein Schwimmbad gab und das immer auch Außenbecken hatte. Es ist ein wunderschöner Abend, die Erschöpfung liegt etwas auf Seite und viel gibt es ja auch nicht zu tun, das anstrengend wäre. Zwischendurch essen wir  kurz eine Kleinigkeit, irgendwann nach dem Essen liegen wir mal in – wie soll man es nennen – so einem Korb und warten kurz, bis uns danach ist, wieder ins Wasser zu gehen. Ein bisschen skurril ist,  dass einige am Abend entspannt ihre Cocktails im Wasser trinken, die sie entweder mit durchs Wasser schleppen, oder auf den Beckenrand gestellt haben.
Das sind mal die Momente, in denen ich nicht permanent an dieser Beziehung zweifle. Und obwohl das hier gerade alles ein recht teures Vergnügen ist, hatten wir es beide glaube ich echt nötig. Nicht nur für die Erholung – die nächsten Wochenenden sind jobtechnisch wieder voll – sondern auch als Paar. Momente sammeln. Gegengewicht zum Ärger.

Um 23 Uhr schließt das Bad und wir schlappen im Bademantel zurück. Kuscheln uns im Bett aneinander. Und ich mag`s wie wir da liegen, uns spüren und darauf warten, dass uns die Schwere der Müdigkeit in den Schlaf gleiten lässt. Eine der zwei Nächte diesen Monat, die wir zusammen verbringen. Und ich weiß wieder, warum ich mir das öfter wünsche, wenn er es zulassen könnte.  Natürlich klingelt irgendwann halb sechs irgendein Wecker von ihm – sind wir ja gewohnt. Einen Wecker zu einer vernünftigen Zeit wollte er aber nicht stellen und so geraten wir am Morgen doch etwas in Stress. Wir duschen schnell, gehen zum Frühstück und verlassen das Zimmer dann etwas zu spät. Aber das Personal ist zum Glück gnädig mit uns.
Irgendwie sind das so die Momente, in denen ich mich frage, ob er eben einfach so ist. Ob er vielleicht gar nicht verstehen kann, wieso ich mich manchmal so aufrege. Bei ihm ist einfach alles auf Kante genäht. Immer. Und oft geht es sich am Ende eben nicht ganz aus. 


Im Auto fragt er mich, ob wir nach Hause fahren sollen. Es ist doch erst halb 12? Was wollen wir denn zu Hause? Ich schlage vor, dass wir doch noch in die Stadt fahren können. Er fragt zwei Mal nach, ob wir das tun sollen und dann fahren wir nochmal rein in die Stadt und schlendern hindurch.
Eigentlich gibt es in der Gegend noch eine Menge zu sehen. Es gibt noch einen Berg, ein Schloss, mindestens ein Kloster, ein paar Seen – man könnte sich beschäftigen. „Fahren wir nach Hause?“, fragt er, als wir wieder am Auto sind. Ich überlege, ob ich jetzt noch einen neuen Vorschlag einbringen soll, aber ich spüre eine Unruhe in ihm. Was auch immer er zu Hause machen muss… - da ahne ich schon, dass unser Sonntag viel schneller vorbei sein wird, als ich das gehofft hatte. „Ja, fahren wir nach Hause“, stimme ich zu.

Auf dem Rückweg merke ich an, dass wir uns noch über den April Gedanken machen müssen, weil wir nächste Woche schon den Dienstplan machen. Da gibt es einiges zu überlegen. Ich muss ein paar Termine planen – da wäre die Frage, ob wir in unserer Urlaubswoche weg sind und wenn ja – wie lange. Denn es ist die Frage: Brauche ich dafür Dienstfrei – Tage und muss die Termine dementsprechend auch schon nächste Woche vorplanen oder kann ich das alles entspannt im Urlaub machen? Dann hat er noch Geburtstag im April. Was hat er da vor? Möchte er frei haben? Oder nicht.
Er möchte auf jeden Fall nicht noch mit hoch kommen und das nicht noch planen. Er parkt nicht mal vernünftig, sondern hält einfach nur kurz vor dem Haus. Das sind immer so die Dinge, die ich dann nicht ganz verstehe. Der Sonntag ist doch noch lang. Wir könnten doch noch einen Kaffee trinken (oder er einen Kakao, Kaffee trinkt er super selten) und die Dinge besprechen. Aber vielleicht braucht er auch Zeit für sich? Aber dann könnten wir uns vielleicht zum Abendessen sehen und bis dahin erledigt jeder seine To Do`s des Wochenendes?
Irgendetwas sagt mir dann aber immer, dass er jetzt nicht mehr viel diskutieren möchte. Immerhin hat er mich ja auch völlig selbstverständlich nach Hause gefahren ohne überhaupt zu hinterfragen, ob wir den Tag noch zusammen verbringen möchten.

Ich überlege, dass ich den restlichen Tag wahrscheinlich zum Blog schreiben nutze. Und Neuro lernen. Und für die Arbeit morgen muss ich auch noch eins, zwei Dinge vorbereiten. Und mich nochmal über Borderline bilden. Es ist schon genug zu tun. Aber es ist immer genug zu tun.

Ich denk ein bisschen nach an diesem Nachmittag.
Solche Momente, in denen wir einfach mal nur uns beide haben, sind so wertvoll. Aber so kurz. Wir waren nicht mal 24 h unterwegs. Und auch das täuscht nur so schwer darüber hinweg, dass wir so viel miteinander klären müssen und das einfach nicht möglich ist. Ich liebe diesen Mann und doch ist ein „wir“ eine Seltenheit. Und ein Gefühl der Verbundenheit, das auch. Ich hab oft das Gefühl, er hält mich immer eine Armlänge auf Abstand und wenn wir dann mal nah dran waren aneinander, dann kann er das auch nie lange aushalten.

Ich frage mich immer noch wohin es geht mit uns und es ist hart zu sehen, dass ich es nicht weiß.

Morgen wird es auf jeden Fall wieder stressig. Die Gruppe ist kurz vor dem Explodieren, ich brauche noch eine Idee für meine Therapie von morgen und dann kommt abends noch der Hausmeister und möchte etwas. Der sollte letzte Woche schon kommen und kam einfach nicht. Und das ist auch ätzend, weil man ja nicht mal in den Keller oder Duschen kann. Dienstag habe ich dann schon wieder Dienst, Mittwoch muss ich zum Zahnarzt (mein absoluter Hasstermin…) und am Wochenende habe ich schon wieder am Samstag Dienst und gleichzeitig ist Fortbildung, von der ich zumindest hoffe, sie fragmentiert besuchen zu können.
Es ist also weiterhin viel los, ich spüre die Erschöpfung doch noch und obwohl es ja streng genommen eigentlich nur ein Abend war, war es so bitter nötig zumindest mal ein paar Stunden raus zu kommen. Mal nicht daran zu denken, wie viele Baustellen es hier eigentlich immer noch gibt. Egal wo man hinschaut. Und die zermürben mich langsam. Allmählich frage ich mich schon, ob ich nicht mal wieder bei der Frau des Oberarztes vorbei schauen sollte. Einfach, um mal einen Ort zu haben, an dem das alles sein kann. Denn ich merke – es wird mir zu viel.

Mondkind


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