Nachwirkungen der Psychosomatik - Dienste

Es ist viel los.
So viel, dass ich gar nicht mehr hinterher komme mit Schreiben.
Ich habe auch nicht mehr viel Zeit.
Entweder ich bin auf der Arbeit. Oder ich mache Neuro. Oder ich setze mich mit der Beziehung auseinander. Und nichts davon fühlt sich gerade einigermaßen okay an.
 
Dienst.
Irgendwann letztes Wochenende.
Vor mir sitzt ein Patient, der schon als schwierig angekündigt war im Team.
Und das wird er dann auch.
Es geht um Suizidalität. Es ist genau dieses Spiel, das der verstorbene Freund und ich damals gespielt haben. Dieses „Es geht mir schlecht, aber in die Psychiatrie will ich nicht.“ In meinem Fall wollte der Patient nicht mal auf eine Station umziehen, die eben doch 24/7 mit Pflege besetzt ist, was hier nicht die Regel ist.
Erst Tage später werden wir in unserer Sektion nochmal über diesen Fall sprechen. Darüber reden, wie wichtig es ist solche Patienten, bei denen potentiell einfach etwas schief gehen kann, auf mehrere Schultern zu verteilen – selbst dann, wenn sie uns im Verlauf hoch und heilig versichern, sich nichts anzutun; wir können nicht in deren Köpfe schauen und manche Distanzierungsfähigkeit von akuter Suizidalität entpuppt sich eben doch anders. Ob es dann einen plötzlichen Sinneswandel, oder eine Angst vor Konsequenzen oder etwas ganz anderes ist, sei ja mal dahin gestellt. „Die Last eines Suizides möchte niemand alleine tragen. Und gleichzeitig werden wir nie alle Suizide verhindern“, sagt die Funktionsoberärztin dazu. Und ohne das auch nur zu ahnen, tritt die Kollegin damit eine Lawine in mir los. Im Rahmen derer mir brutal bewusst wird: Es will niemand, aber ich tue das schon längst. Bis ans Ende meines Lebens.  Und auch wenn man dazwischen vielleicht das Leben wieder gefunden hat oder das noch tun wird – es wird bleiben.
In meinem Fall auf der Arbeit habe ich den anderen beiden Kollegen davon berichtet, wir haben uns untereinander abgesprochen, mit der Pflege geredet, wie der Patient dort wirkt und dann beschlossen den Oberarzt anzurufen. Und von dem habe ich erstmal 20 Minuten eine strukturierte Ansage bekommen, wie ich den Patienten strukturieren soll und wie wir weiter vorgehen. „Frau Mondkind – es ist letzten Endes so: Eine Beziehung ist immer reziprok. Es geht nicht nur um die Frage, ob die Patienten in die therapeutische Beziehung vertrauen, sondern auch, ob Sie in die therapeutische Beziehung vertrauen. Und wenn Sie unsicher sind, ob der Patient ehrlich mit Ihnen ist, dann dürfen Sie das sagen und die entsprechenden Konsequenzen ziehen.“
 
Der Fall beschäftigt mich seit einer knappen Woche. Am Montag hatte ich noch eine ähnliche Situation, wo mir kurz vor Mitternacht im Dienst eine Patientin erzählt hat: „Eigentlich sind die Suizidgedanken noch da. Ich habe mich nur nicht mehr getraut, darüber zu reden.“
Natürlich ist am Ende auch die Frage, wie empfindlich man da sein muss. Ich bin da schon ziemlich empfindlich mittlerweile.
Ich denke über den verstorbenen Freund nach. Darüber, dass wir beide einfach mit der Situation überfordert und verloren waren. Bei uns stand das Thema nicht auf mehreren Schultern. Bei uns stand das Thema nur auf meinen Schultern. Und deshalb bin ich auch heute Diejenige, die die Dinge alleine trägt. Und auch die Worte von dem Oberarzt an diesem Abend, die hätte ich irgendwie in meinem Kopf gebraucht. Um so gut begründen zu können wie der Oberarzt, warum das alles keine Schikane ist, sondern warum es jetzt wirklich notwendig ist, das nicht durchgehen zu lassen. Denn natürlich hatte ich nicht nur Angst, dass er sich wirklich etwas antut, sondern auch, dass das unsere Beziehung für immer kaputt macht, wenn ich etwas tue, das er nicht will. Weil er das als Vertrauensbruch auffasst.
Den verstorbenen Freund habe ich nicht nur falsch eingeschätzt, ich habe auch nicht gut aufgepasst, nicht mit all dem alleine dazustehen, wenn am Ende etwas passiert.
Und es war und ist ja auch nicht nur das „alleine dastehen“. Es war ja noch mehr. Wir erinnern uns alle noch an Kommentare wie „Dann müssen Sie sich wohl einen neuen Freund suchen.“ Oder „Jetzt hör auf Theater zu spielen und komm wieder auf die Arbeit.“ Dieses Kommentar der Kollegin hat mir nochmal bewusst gemacht: Da ist etwas passiert. Das nicht trivial ist. Und es war nicht okay von den Leuten, so mit mir umzugehen. Und nur so ganz dosiert Support zu bekommen. Wenn überhaupt.
 
Das Thema hat mich viele Tränen gekostet die letzten Tage und die Erschöpfung noch weiter ansteigen lassen. Es gibt dafür aktuell keine offenen Ohren mehr. Keinen Ort mehr, an dem solche Überlegungen geteilt werden können. Und im Moment fehlt mir das sehr.
Das Thema ist im realen Alltag eben schnell in ungesehenen Schubladen verschwunden. Und da hätte es nicht hingehört.

Im Moment dreht das Gehirn nochmal richtig auf. Ich bin heute Nacht aufgewacht und war felsenfest davon überzeugt, dass Sommer 2020 ist. Irgendwann in den Wochen danach. Ich konnte diese harte Matratze von dem Bett in der Psychiatrie unter mir fühlen und es hat sich wirklich exakt angefühlt wie damals. ich hätte genau sagen können, wie ich in dieem Zimmer liege, in dem ich damals untergebracht war. Mir war nicht mal kalt, als ich die Decke von mir herunter genommen habe, sodass ich irgendwann barfuß auf den Wintergarten gegangen bin und die Fenster geöffnet habe, um meinem Gehirn zu erklären, dass wir nicht in der Studienstadt sind. Dass gerade der Bach vor meiner Haustür fast überläuft, dass Winter ist. Und irgendwann ging es dann ein kleines bisschen besser. 

***

Mit dem Kardiochirurgen… - naja, ich habe mich da emotional ein bisschen beruhigt. Akzeptiert, dass es eben einfach ist, wie es ist. Ich habe ihm jetzt fast zwei Monate am Stück immer wieder versucht zu einer Aussage bezüglich uns beiden zu bewegen. Es war nicht möglich. Im Grunde weiß ich es jetzt immer noch nicht. Das ist jetzt langsam ähnlich, wie mit dem ehemaligen Freund. Eine Beziehung ohne Bindung. Wir führen schon irgendeine Art von Beziehung. Aber es gibt kein Commitment, keine Bindung, keine Verbindlichkeiten.
Tatsächlich glaube ich, dass ich meiner Seele manchmal lernen muss, etwas besser zu vertrauen. Beim ehemaligen Freund war das ja irgendwann auch so, dass das Fass einfach voll war. Dass es kein großes Problem mehr war, ihn gehen zu lassen, obwohl das vorher unvorstellbar war. Beim Kardiochirurgen ist es jetzt ähnlich. Ich lasse ihn einfach ein bisschen los. Ich freue mich, wenn wir Zeit miteinander verbringen können, aber es ist auch okay, wenn das nicht so ist. Ich kann mich gut selbst beschäftigen, ich freue mich über meine Morgen in denen ich nicht schon früh morgens gestriegelt in den Startlöchern stehen muss, weil gar nichts abgesprochen ist und wir ja vielleicht etwas machen wollen könnten. Ich bin okay, wenn ich die Nächte nicht mehr bei ihm bin – es waren eh nie Viele gewesen. Und auch die körperliche Nähe hat massiv abgenommen und ich versuche, das nicht zu schwer zu nehmen, wobei mir das wirklich fehlt.

Ich weiß nicht, wohin das gehen wird mit uns. Ich weiß aber, dass die „Loslassarbeit“ in den letzten Wochen schon gelaufen ist und dass es sicher nochmal gut weh tun würde, aber dass es okay wäre. Ich glaube, das Schlimmste ist durch.

Mondkind

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