Von einem Tag im Dienstfrei

Mittwochmittag.
Kurz nach halb 1 Uhr mittags.
Die Sonne scheint. Und ich bin auf dem Weg um die Burgmauer.
In der Hand einen Kaffee, den ich zu Hause noch schnell gekocht habe.
Ich spüre den Anflug von Frühling. Höre die Menschen, die auch den Morgen in der Stadt verbringen.
Und ich nehme ein bisschen Glück in mir wahr.
Dort in diesem Moment.
Und ich bemerke, dass es aktuell nur noch selten mal „Hallo“ sagt. Und, wie sehr ich es vermisse.
Ich setze mich auf eine Bank, nehme bewusst wahr, wie der Kaffee meine Hände wärmt und spüre bewusst die Sonne auf meinem Gesicht.
Ein kleiner, ganz großer Moment


 
***
Die Nacht war für einen Psychosomatik – Dienst gar nicht mal so ruhig. Eine Patientin hatte noch ein bisschen Herzklabaster, der noch abgeklärt werden musste. Da die Herzenzyme leider ewig gebraucht haben, konnte ich mich dann auch nicht hinlegen. Aber ein paar Stunden, drei oder vier, konnte ich dann doch noch zusammen kratzen. Und die reichen zumindest für den Morgen.
Zu Hause habe ich mich dann ganz kurz aufs Sofa gesetzt, ehe ich noch ein paar administrative Dinge erledigen musste und danach erstmal zum Kontrolltermin beim Zahnarzt musste. Der hat es heute ganz besonders wissenschaftlich gemacht, sogar mit Röntgenbildern, weil die Letzten schon so alt waren, wie er sagte, aber es war zum Glück alles okay. Was sind mir mal wieder für Steine vom Herzen gefallen; ich finde diese Termine so schlimm.
Und dann habe ich mich erstmal mit einem Frühstück zu Hause belohnt, auf das der Spaziergang folgte. Danach wollte ich noch die Küche putzen und weil ich neulich die Schränke verdächtigt habe, ständig Staub auf den Boden segeln zu lassen, habe ich mit Frühjahrs – Putz – vibes auch noch auf den Schränken geputzt. Danach hätte ich eigentlich noch die Fenster putzen können, aber ich habe mich erinnert, dass ich noch einiges zu tun habe und auch noch Neuro lernen wollte. Erstmal habe ich dann der Frau des Oberarztes nochmal eine Mail geschrieben. Das schiebe ich schon einige Tage vor mir her, aber ich brauche einfach mal wieder einen Termin zum Kopf sortieren. (Haha, als hätte ich schon am Nachmittag gewusst, was noch abgehen würde). Danach hat mich die Müdigkeit gepackt, ich war zwei Stunden schlafen, im Anschluss habe ich endlich auch mal – sogar mal mit halbwegs Konzentration – Neuro gemacht. Aber ich bin jetzt auch zu den Epilepsien übergegangen, das ist sogar gar nicht mal so uninteressant. Ab 19 Uhr habe ich mein Handy in Reichweite. Morgen hat der Kardiochirurg Dienst, am Montag war er auch schon nicht da – ich gehe mal davon aus, dass er sich heute mal darum bemüht, dass wir uns sehen können. Und bis dahin ist die Laune echt gut. Es war ein guter Tag.
 
Irgendwann ist es kurz vor neun. Das Telefon klingelt. Der Kardiochirurg. Natürlich war wieder irgendetwas los, dass er haarscharf so spät kommt, dass man sich das überlegen muss, zu kommen. Er hat eigentlich keine Lust, abends ständig noch zu fahren, eröffnet er mir. Hey, das sind fünf Minuten… und es schneit nicht mehr, sodass man erst Auto kratzen oder von Schnee befreien muss. Plus – seine Wohnung ist natürlich nicht aufgeräumt, das müsste er noch tun. Merkst du was – ist ne gute Möglichkeit, niemanden mehr sehen zu müssen. Weil zu mir kann er nicht kommen und bei sich niemanden rein lassen.
Und nachdem wir uns über unseren Tag ausgetauscht haben, muss ich doch nochmal ausholen. Es ist einfach schwer. Das Letzte, das ich von ihm zu unserer Situation gehört habe war „ich bin unsicher“. Daraus schließe ich: Es gibt erstmal kein Commitment. Er weiß es nicht. Und damit wird natürlich auch vieles Auslegungssache. Und da können kleine Dinge mich komplett auf die Palme bringen. Der Dienstplan für März zum Beispiel, erkläre ich ihm. Ich bitte ihn fast täglich, mir seinen Dienstplan für März zu schicken. Ist das bisher passiert? Nein. Und jetzt ist die Frage – warum nicht? Bei Jemandem der zwei Mal hintereinander seinen Friseurtermin verbaselt ist vielleicht ein gewisser Grad von Verpeiltheit anzunehmen – man könnte ja aber auch darauf kommen, dass er mir den Dienstplan vielleicht einfach nicht schicken will. Vielleicht auch, weil er gar nicht möchte, dass ich weiß, wann er Dienst hat, damit er sich immer irgendwelche Freiräume zugestehen kann von denen ich nicht weiß, dass er sie hat. Dann geht es natürlich weiter mit den Arbeitszeiten. Früher war er wenigstens mal gegen acht Uhr zu Hause, wo ich dann schon noch oft los gefahren bin. Mittlerweile ist es regelhaft eigentlich erst 20:30 Uhr. Soll mir das etwas sagen? Ist das Absicht so? Möchte er vielleicht gar nicht, dass ich abends noch auf die Idee komme, ihn sehen zu wollen? Und so ganz generell ist das natürlich auch eine Frage von Prioritätensetzung. Wenn man so gar keine Zeit für eine Beziehung hat, weil es auf der Arbeit immer irgendwen zu retten gibt – trotz Dienstärzten – und alle anderen Dinge immer wichtiger sind: Ist es dann sinnvoll eine Beziehung zu führen? Oder soll man dann ehrlich zu sich selbst sein, dass es eben keinen Platz im Leben hat und es lassen. Und dann schlage ich ja auch immer etwas vor – wie zum Beispiel, dass mal einer von uns ein paar Tage beim anderen bleibt. Damit wir uns wenigstens kurz haben am Tag. Oder, dass er mir Bescheid sagen soll, wenn er abschätzen kann, wie lange es noch dauert – ich koche ja auch für uns. All diese Vorschläge werden geflissentlich komplett ignoriert. Das spricht auch eher für: Er will das alles gar nicht.
Es herrscht – wie immer – Stille in der Leistung, nachdem ich das alles ausgesprochen habe.
Die Basis von allem ist halt erstmal: Will er eine Beziehung oder nicht? Und wenn ja, muss er sich halt mal langsam Mühe geben. Am Ende kam dann auch: „Übrigens, morgen habe ich Dienst, Freitag bin ich schon verabredet und Samstag hast Du Dienst, wir sehen uns also Sonntag.“ Ja Danke, echt. Als wäre das nicht gerade ein guter Grund gewesen, sich an diesem Abend etwas zu beeilen, dass wir uns wenigstens ein Mal in der Woche sehen. Und Sonntag hat er im Übrigen Rufdienst, also ist das auch mit einem großen Fragezeichen versehen, ob wir uns sehen. So wie ich uns kenne, eher nicht. Und dann hat er ja wieder fünf Tage Zeit, um zu spät von der Arbeit zu kommen.
 
Und trotzdem – vermute ich – bin ich halt Diejenige, die die schlaflosen Nächte hat. Die heute Morgen wie eine Rolle Falschgeld auf die Arbeit kam. Die heute sicher nicht viel Neuro schaffen wird, weil sie einfach hundemüde ist.
 
Was für ein merkwürdiger Zufall, dass meine Schwester mir heute Morgen ihr Leid geklagt hat, dass ihr Freund sich beschwert hätte, dass sie erst 22:30 Uhr nach Hause gekommen ist. Wenn man Schluss um 16 Uhr hat. Komisch, oder? Dass sich da jemand beschwert… Und offensichtlich kann man es immer noch ein bisschen weiter übertreiben.
Ihr habe ich dann auch erstmal die Leviten gelesen. Wenn es Deine Passion ist, täglich sechs Überstunden zu machen, dann mach das. Aber ohne Partner. Und wir wissen alle, wie kacke das Medizinsystem ist. Ich habe auch viele Überstunden in der Neuro gemacht. Aber es muss Grenzen haben. Man kann Briefe schreiben und solche Sachen auch auf Tage schieben, an denen das Gegenüber Dienst hat oder anderweitig beschäftigt ist. Aber es wäre ein Anfang nicht die Arbeit vor das Loch zu schieben und dann auch noch Mitleid für den Workload bekommen zu wollen, obwohl man täglich den Partner sitzen lässt.

Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen