Gruppendynamik

Man soll nicht vergessen, Glücksmomente zu teilen.
Heute ist so einer.
 
Früh morgens ruft mich der Psychologe aus unserer Sektion an.
Derjenige, der jetzt zum Springer auserkoren wurde, nachdem meine Kollegin in eine andere Gruppe gewechselt ist. Und nachdem ich die Gruppe jetzt alleine habe. Heute sagt er, hat er noch viel mit der ehemaligen Gruppe zu tun, aus der er kam. Nächste Woche hat er Urlaub. Und übernächste Woche ist der andere Psychologe aus unserer Sektion im Urlaub, da wird er sich um die Gruppe kümmern müssen. Zumindest an den Tagen, an denen er da ist…
Und in der Woche danach… - wird unsere Zusammenarbeit starten. Wir müssen uns noch überlegen, wie wir das machen. Ob er sich mit bei mir in die Gruppen setzt, einzelne Gruppen leitet, um mich zu entlasten. „Ich finde Arbeit im Tandem ist sehr anstrengend. Meistens laufen die Gruppen besser, wenn Einer alleine die Gruppe macht.“ Ob man das so pauschal sagen kann weiß ich nicht – ich denke, es wäre viel Kommunikation über die Gruppe nötig. Das ist aber oft schwierig, insbesondere, wenn sich Teilzeitkräfte abwechseln und sich fast nie sehen – wie das im alten Tandem des Psychologen war. „Naja, ich bemerke auch, dass sie Gruppe sich sehr geändert hat im Lauf der Woche, die mich viel besser akzeptieren und ich auch mehr den Überblick habe, was da los ist in der Gruppe. Ich spüre da einfach irgendwie mehr. Kann auch daran liegen, dass ich mich mehr verantwortlich fühle.“ „Genau das meine ich“, erwidert der Psychologe. „Trotzdem ist es ja so, dass ich da jetzt mehr oder weniger mein eigenes Süppchen koche in der Gruppe und ob das fachlich alles immer stimmig ist, weiß ich ja nicht.“ „Deshalb wäre es auch eine Überlegung, dass ich einfach im Hintergrund aktiv bin und wir die Patienten und was in der Gruppe los ist immer besprechen, aber dass ich da gar nicht so aktiv in den Gruppen bin oder vielleicht sonst als Beobachter. So als interne Supervision; das müssen wir dann den Patienten erklären.“
Wir haben abgemacht – da es ja sowieso noch zwei Wochen sind, bis dieses Konzept starten kann und das auch sicher immer wieder unterbrochen werden wird durch Urlaubsvertretung – denken wir mal noch in Ruhe darüber nach, wie wir das machen wollen.
Aber ich habe mich heute so gefreut, dass ich mal nicht Ziehen musste, sondern der Psychologe von alleine auf mich zugekommen ist und wir gemeinsam versuchen, eine gute Lösung zu finden.


Die Gruppe und ich haben unterdessen tatsächlich eine Dynamik durchlaufen.
Ich weiß nur noch nicht, woran das genau liegt.
Ich habe diese Woche ziemlich wenig Neuro gemacht. Ich hatte einfach wenig Zeit auf der Arbeit. Zu Hause habe ich dann mal noch eine Stunde in die Bücher geschaut, die Ataxien zusammen gefasst, neurologische Syndrome in meinem Fallbuch bearbeitet und ein bisschen was wiederholt. Und dann war ich auch einfach irgendwann mal müde abends. „Es ist ein Marathon, kein Sprint“, sagte der Kardiochirurg letztens und irgendwie war das ein sehr hilfreiches Kommentar. So etwas wie „Steter Tropfen höhlt den Stein“. Nicht vergessen, dass man ein Projekt hat, kontinuierlich dran bleiben, lesen, zusammen fassen und ob jetzt auswendig lernen schon Sinn hat, weiß ich nicht. Notieren, was man für Quellen nutzt, damit man alles schnell wieder findet in der heißen Phase.
Und am Wochenende habe ich mich auch endlich mal wieder verabredet. (Bevor ich wusste, dass ich einen Dienst übernehmen werde).
Vielleicht liegt es aber eben auch mit daran, dass ich die Gruppe jetzt wirklich alleine habe. Ich kann, darf und muss mir Gedanken machen, wie ich meine Patienten vorwärts bringe, wie ich denen helfen kann, zu Erkenntnissen zu gelangen. Wie ich die Woche über die Termine organisiere, wen ich wann sehe, mit wem ich was besprechen muss. Wenn Du selbst die Gruppe leitest, dann möchtest Du, dass die arbeitet. Ich möchte für meine Patienten mehr, als "die sollen eben einfach nicht dekompensieren während des Aufenthaltes." Und dann hole ich Diejenigen, die tagsüber dekompensieren, Diejenigen, die in der Gruppe auffallend zu still sind und hinterfrage was da los ist. Ich überlege mit denen gemeinsam welche Themen sie in die Gruppe bringen können und wie sie das machen können. Ein Patient hat diese Woche auch endlich mal ein Thema bei mir geöffnet, über das er bislang geschwiegen hat und ich habe schon befürchtet, er nimmt das wieder mit nach Hause. Denn ich biete es zwar an, aber zwingen zum Reden kann und werde ich Niemanden.
Und dann saß ich heute Morgen in der Wochenabschlussgruppe und habe viele positive Rückmeldungen gehört. Von einer Patientin, die mit knapp 60 Jahren zum ersten Mal wirklich probiert die Essstörung zu bekämpfen und heute Morgen stolz erzählt hat, dass sie zum ersten Mal dem Bewegungsdrang widerstehen konnte und nach und nach Spaß an der Lehrküche findet. Ich höre ein Dank von dem Patienten, der bei mir im Einzel endlich etwas ansprechen konnte, das so viele Jahre zurück liegt und ihm immer noch den Schlaf raubt. Ich höre, dass die Zwänge einer meiner Patientinnen schon etwas weniger über die Wochen geworden sind.
 
Und ich weiß, dass das nicht immer so ist. Dass ich nicht immer nur die „gute Therapeutin“ sein kann. Aber heute Morgen war ich wirklich sehr glücklich und sehr berührt von meiner Gruppe.
Irgendwie hat es die auch dazu motiviert zu erklären, dass Viele von denen noch ein Einzel wollen, deshalb habe ich heute am Nachmittag noch die halbe Gruppe gesehen. Ich habe das mal verstanden als ein „wir wollen Beziehung und wir akzeptieren Sie als Therapeutin.“
 
Ich denk ein bisschen nach. Letztens hatte ich ein Gespräch mit meiner Schwester. Sie hatte Intensiv – Dienst und hat mir erzählt, was sie alles gemacht hat. Bülau – Drainagen gelegt, einen reanimierten Patienten übernommen und alles an Kathetern versenkt, was man nur machen kann. „Das war mal richtig Action, das hat richtig Spaß gemacht, da lohnt sich ein Dienst mal“, sagte sie.
Mich hat das im Nachhinein sehr nachdenklich gemacht. Ich kann mich für so etwas einfach nicht begeistern. Klar, ich war schon auch stolz, wenn meine Katheter lagen, aber ich war immer froh, wenn Niemand von mir wollte, dass ich einen lege. Manchmal ist daraus eine richtige Passivität entstanden.
Aber so etwas wie meine Therapiegruppe – das macht mich richtig glücklich. Wenn die mal ins Arbeiten kommen, wenn die mit Anleitung zu Erkenntnissen gelangen, wenn ich freitags in der Wochenabschlussgruppe höre: „Da ist ein Knoten geplatzt.“ Wenn die Verknüpfungen zwischen ihrem heutigen Erleben und ihrer Biographie schaffen können, wenn sie sich selbst ein Stück weit verstehen lernen können und wir in dieser Gruppe alle Teil von diesem Prozess sein dürfen.
Ich weiß nicht, ob das irgendwie komisch ist, weil es vielleicht nicht das ist, was ein Mediziner sagen sollte, aber solche Tage, die machen mir Spaß.

Mondkind

Bildquelle: Pixabay

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