54 Monate
Mein lieber Freund,
es ist nachts um drei, in der Notaufnahme und auf den Stationen ist gerade mal ein wenig Ruhe eingekehrt (ich schwöre Dir, es ist mal wieder ein Dienst für sich…) ich sitze mit meiner Wärmflasche im Dienstzimmer (seine Tage im Dienst zu bekommen ist immer höhergradig ungünstig, aber ich habe es schon geahnt und mich mit Ibu und Wärmflasche ausgestattet) und habe nebenbei die Musik von Silvester am Brandenburger Tor auf den Ohren und höre das ein bisschen nach (Du weißt schon, alte Silverstertadition).
(Spoiler: Genau so weit kam ich im Dienst mit Schreiben, dann kam der nächste Notfall…)
Ich hoffe, Du hast auch einen guten Start in das neue Jahr gefunden. 2025 schon. Verrückt. Hoffentlich wird es das Jahr des Facharztes. 2019 Examen – das kommt mir doch vor wie gestern und sechs Jahre später dann Facharzt. Und es wird das fünfte Jahr ohne Dich. Verrückt, wie die Zeit rennt, oder?
Was kann ich sagen? Der Dezember war schwierig. Ich hatte zwei Wochen frei, aber so langsam sind meine Kapazitäten für den Facharzt wirklich etwas erschöpft. Dennoch bin ich fast fertig mit den Zusammenfassungen – der letzte Feinschliff fehlt noch. Ich muss mal schauen, was ich noch in den Mails finde und einfügen muss und muss auch noch mal durchschauen, was ich jetzt alles noch ausdrucken muss.
Der Jahreswechsel war… - schwierig, sagen wir das so.
Ich will nicht sagen, dass der Kardiochirurg sich im Dezember besonders glorreich verhalten hat, aber man soll ja auch immer eigene Anteile hinterfragen.
Und weißt Du, was ich mir manchmal denke? Diese Beziehung muss so viel tragen, das wahrscheinlich gar nicht dorthin gehört. Diese Beziehung soll so viel wieder gut machen, das sie nicht verbockt hat.
Der Kardiochirurg und ich haben am Silvesterabend mal ein wenig über unsere Traditionen geredet. Wie war es bei ihm früher an Silvester und Weihnachten und wie war das bei uns? Was haben wir gemacht an diesen Tagen? Was gab es an diesen Tagen zu essen? Und dabei ist mir aufgefallen, dass es all diese Festlichkeiten eigentlich nach der Trennung unserer Eltern nicht mehr richtig gab. Ich habe das sehr vermisst, ich war glaube ich schon sehr sauer auf unsere Mutter. Heute sehe ich schon wie schwer das für sie gewesen sein muss den Mann zu verlieren, den sie ja wirklich geliebt hat und so richtig verstehe ich die Dynamik auch nicht – aber das muss ich vielleicht auch nicht. Meine eigene Beziehungsdynamik verstehe ich ja auch nicht.
Jedenfalls hat es so viele Jahre kein Weihnachten, kein Silvester oder Ostern gegeben, auch keinen Geburtstag, das dem irgendwie gerecht geworden wäre. Ich habe das damals oft so hingenommen und habe mir gedacht, dass ich es eines Tages sicher wieder selbst gestalten kann.
Und jetzt sind wir alt genug, erwachsen und kriegen es immer noch nicht hin. Oder zumindest nur sehr reduziert. Und gleichzeitig wird mir selbst in diesen reduzierten Möglichkeiten so sehr klar, wie viel ich da eigentlich verpasst habe. Wie viele Jahre da emotional verloren gegangen ist. Und dann wird diese jetzige Beziehung eine unfassbar große Projektionsfläche für all die schwierigen Emotionen aus dem Gestern, für all die Traurigkeit, Enttäuschung und die Wut und der Kardiochirurg bekommt bestimmt ein bisschen mehr ab, als er sollte.
Und über diese Erkenntnis habe ich in den letzten Tagen sehr viel geweint.
So - jetzt reicht es wahrscheinlich bald mit Weihnachtsbildern ;) |
Die Oberärztin aus der Psychosomatik hat irgendwann im letzten Jahr schon mal etwas erzählt dazu, dass es sehr schwierig sein kann, wenn einem die Dinge bewusst werden. Und eben auch, dass man manches einfach akzeptieren muss.
Manchmal vermisse ich unsere Cafe – Dates immer noch sehr. Die Orte, an denen solche Themen uneingeschränkt Platz gehabt hätten.
Jetzt halt erstmal die Ohren steif. Ich hoffe ja noch auf ein bisschen Schnee im Januar.
Ganz viel Liebe in Richtung Universum
Mondkind
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