Reflexion beim Intensiv - Oberarzt
Der Kardiochirurg hat sich bei mir aufs Sofa gelegt, die Decke bis zur Nasenspitze gezogen und schläft.
Tatsächlich war er am Morgen nach seinem Nachtdienst mit Brötchen im Gepäck bei mir aufgetaucht, war sogar sehr guter Stimmung als er ankam und wir hatten ein entspanntes Frühstück. Ich mag das, wenn er so ist, mich ständig versucht aufzuziehen oder auszukitzeln, wenn er irgendwie ein bisschen „drüber“ ist. Dann denke ich doch oft noch, dass das der Mann ist, in den ich mich verliebt habe.
Aber nach dem Frühstück ist die Müdigkeit über ihn hergefallen, er hat sich auf mein Sofa gelegt, während ich mich fertig mache und ist dort eingeschlafen. Ich wecke ihn nochmal kurz und sage ihm, dass er später, wenn er geht, die Tür hinter sich zu ziehen soll. Er nickt und grummelt kurz vor sich hin – keine Ahnung, ob er mich überhaupt richtig wahrnimmt.
Ich düse los in Richtung der Arbeit und gehe vor dem Spätdienst noch bei meinem Intensiv – Oberarzt vorbei. Endlich haben wir es mal geschafft, Zeit zu finden. Ich bin so dankbar dafür – langsam stapelt sich alles in meinem Kopf.
Zuerst reden wir über den Facharzt. Ich berichte, dass ich alle Zusammenfassungen fertig habe, jetzt sechs Ordner voll mit Papier habe und eigentlich keine Ahnung habe, wo genau ich anfangen soll. Allerdings fehlt mir ja auch weiterhin das Zeugnis. Er runzelt die Stirn und berichtet, dass das doch eigentlich fertig sein müsste. Auf seinem Schreibtisch sei es wohl schon gelandet… (Tja, das weiß ich auch schon von einem Kollegen, der es dort hat liegen sehen…).
Im Anschluss sprechen wir ein bisschen über das, was sonst so los ist – gerade in Bezug auf die Beziehung.
„Ich hinterfrage mich da ja schon auch selbst“, sage ich. „Im Kern ist es schon so, dass mir von ihm einfach die Initiative und die Flexibilität fehlt. Heute hat er mir zum Beispiel gesagt, dass er am Wochenende gern mit seinen Freunden zum Trainieren fürs Fallschirmspringen fahren möchte. Das macht er ab und an am Wochenende – aber er könnte ja auch mal sagen: „Du Mondkind, ich würde am Wochenende gern trainieren und ich weiß auch, dass wir beide frei hätten. Deshalb habe ich mir überlegt, dass Du mitkommen könntest und wir dann ja auch noch etwas zusammen machen können, wenn ich fertig bin.“ Ich muss ja ohnehin lernen, ich kann sowieso nicht das gesamte Wochenende irgendwo herum springen. Aber so etwas kommt ja nicht. Das ist dann immer diese knallharte Abgrenzung. Dieses „ich hab was vor und sieh Du zu, wie Du damit klarkommst und wenn es jetzt hier wieder eskaliert, dann machst Du uns beiden das Leben schwer.“ Das ist schon ein Punkt, der nervt mich, weil ich mich dann auch nicht gesehen und nicht ernst genommen fühle. Und gleichzeitig bin ich natürlich an den ständigen Eskapaden auch nicht ganz unschuldig.“
Ich gönne mir eine Pause, die er sofort nutzt, um dazwischen zu springen. „Frau Mondkind – wir hatten das doch schon so oft: Sie haben nicht zu hohe Ansprüche an diese Beziehung. Das muss man als Partner leisten können.“
„Naja das ist halt das Problem – das weiß ich nicht. Meine Idee ist schon, dass wir die Zeit, die wir haben doch zusammen verbringen sollen – aber ich sehe schon auch, dass er ja noch ein Leben neben mir hat. Freunde, Familie. Und dann muss ich eben auch etwas von unserer wenigen freien Zeit abgeben können, weil er die ja auch für andere braucht. Aber das fällt mir schwer.“
„Er könnte Sie ja auch mal mitnehmen zu seiner Familie oder seinen Freunden. Das verstehe ich sowieso nicht, wieso er Sie da nicht integriert.“
„Das habe ich mich auch schon oft gefragt, allerdings bin ich da in einer schlechten Position, um das einzufordern. Ich habe meine Eltern seit über einem Jahr nicht mehr gesehen – ich nehme ihn ja auch nicht mit zu meiner Familie.“
„Aber das macht einen Unterschied, ob Sie gar keinen Kontakt zur Familie haben, oder ob er bei seiner Familie ist und Sie da aber systematisch ausklammert.“
„Naja, er argumentiert immer, dass es schwierig ist mit seiner Familie und ich kann schon irgendwo nachvollziehen, dass er mich da nicht mit drin haben möchte.“
„Aber zurück zum Thema…“, beginne ich nochmal und versuche das Gespräch wieder auf das zu lenken, das ich eigentlich sagen wollte.
Und dann berichte ich nochmal von dieser Idee, dass diese Beziehung Projektionsfläche ist für viele Gefühle, die nicht unbedingt aus der jetzigen Zeit kommen.
„Ich glaube es ist nicht nur, dass ich den Anspruch habe, dass Dinge wie Weihnachten oder Silvester einfach mal gemeinsam verbracht werden und ich diesen Wunsch schon sehr lange – seit vielen Jahren habe – und diese Wut und Enttäuschung, dass das nie möglich war jetzt geballt in dieser Beziehung landet, obwohl wir auch jetzt in einer Situation sind, in der das mit unseren Jobs eben nicht gut geht. Es ist auch so, dass mich glaube ich dieses ganze Beziehungskonstrukt sehr an mein Elternhaus erinnert. Diese ständige Nichtverfügbarkeit. Diese ständigen Begründung von „ich will ja eigentlich, aber ich kann nicht und das musst Du doch sehen.“ Dieses ständige Zurück stecken müssen, weil das so schlüssig in sich argumentiert ist, dass man da nicht gegen ankommt, obwohl das doch nicht möglich sein kann, dass es immer ausgerechnet nicht geht.“
„Es gibt ja kaum einen „positiven“ Zufall“, bestätigt mich der Oberarzt und ich bin froh, dass er realisiert auf was ich hinaus möchte.
„Und ich glaube – um zum Punkt zu kommen – dass auch diese Beziehung an sich etwas sehr Altes ist und auch ein Punkt ist, warum ich davon nicht los komme. Warum ich es nicht schaffe, ihm zu erklären, dass er sich verdammt nochmal endlich bemühen muss, oder es eben nicht geht. Ich glaube, ich renne da etwas hinterher, das schon lange verloren war. Ich habe immer versucht gerade meinen Papa wieder irgendwie in mein Leben zu integrieren, nachdem meine Eltern sich getrennt haben und er hat sich da immer wieder raus gewunden. Der Kardiochirurg erinnert mich manchmal so sehr an ihn und diese Situation und manchmal denke ich, irgendetwas in mir versucht jetzt das zu schaffen, was ich damals nicht geschafft habe. Um da irgendwie eine Ordnung rein zu kriegen, um alte Wunden zu heilen, um den Krieg von Damals in den Frieden von Heute zu verwandeln. Aber diese Verbindung existiert in der Realität nicht – das ist nur eine emotionale Verbindung und ein Konstrukt in meinem Kopf. Aber deshalb arbeite ich mich so an ihm ab.“
„Sie haben da also so einen Ambivalenzkonflikt“, sagt er. „Jedes Mal, wenn Sie an dem Punkt sind zu sagen, dass es Ihnen reicht, zieht sie doch etwas zurück und sagt: „naja, versuchen wir es nochmal.““
„So ungefähr.“
„Naja, insofern kommt Ihnen das Jahr in der Psychosomatik ja zu Gute. Sie wissen ja genau, was bei Ihnen los ist.“
„Naja, ob das immer so gut ist, weiß ich nicht.“
„Jetzt müssen Sie halt ins Handeln kommen. Die Schwierigkeit ist, dass Sie das Problem und die Lösung gleichzeitig sind. Sie sind der Anfang und das Ende. Sie müssen handeln.“
„Ja, Danke, das weiß ich auch – aber wie?“
„Vielleicht lassen Sie das bis zum Facharzt erstmal laufen und setzen das dann nochmal neu auf?“
„Naja, aber auch das ist ja eine emotionale Belastung, Ich kann ja nicht die Schwierigkeiten dieser Beziehung einfach ausklammern. Das geht ja nicht. Dass das höchst ambivalent und unsicher ist, ist eigentlich bei jeder Begegnung klar.“
Letzten Endes läuft es ja doch immer auf dasselbe Hinaus.
„Machen Sie das nicht so, dass Sie an einer Weggabelung stehen und verhungern, bevor Sie sich entscheiden, nach links oder rechts zu gehen. Keine Entscheidung ist manchmal das Schlimmste. Sie müssen eine Entscheidung treffen und dann damit arbeiten.“
Und dann sagt er etwas sehr Interessantes.
„Ich habe manchmal ein bisschen die Sorge, dass Sie im Sommer Ihren Facharzt machen werden und Ihnen dann alles wegbricht. Dann haben Sie ein großes Ziel erreicht, das Sie jetzt unter Stress setzt, aufgrund dessen Sie jetzt vorangehen müssen und dann stehen Sie da und denken sich, dass Sie alles erreicht haben, was jetzt karrieretechnisch erstmal wichtig war, aber dann realisieren, dass Sie niemanden haben, der Sie emotional erfüllt.“
„Das könnte tatsächlich passieren. Das wäre nicht so ungewöhnlich für mich.“
„Deswegen sage ich das. Und dann kann das ganz schnell in die Suizidalität abrutschen.“
„Das wäre… - auch nicht das erste Mal denke ich, dass Situationen so, oder so ähnlich passieren.“ Ich schweige kurz. „Und das heißt nicht, dass ich das will oder provoziere, aber diese krasse emotionale Leere und Einsamkeit und dieses Realisieren, dass ich mit meinen zwischenmenschlichen Zielen seit so vielen Jahren eigentlich nicht weiter gekommen bin und alles, was mal gut aussah, immer wieder in einer Katastrophe geendet hat, das ist wirklich manchmal kaum noch auszuhalten.“
„Ich weiß, dass Sie das nicht wollen. Aber wenn wir vorbereitet sind auf das was passieren könnte, dann können wir auch handeln und uns etwas überlegen.“
Ich kann nicht sagen, wie dankbar ich für dieses Ende des Gesprächs bin. Ich mag das, wenn Menschen mich so sehen. Und ich habe auch viel gelernt in der Psychosomatik. Ich weiß, dass ich für mich selbst verantwortlich bin, dass es nie einen guten Grund zum Sterben gibt, so schlimm wie sich manchmal alles auch anfühlen mag. Aber es ist auch schön zu wissen: Ich bin nicht allein. Und wenn die Welten wieder fallen sollten, dann kann ich immer noch kurz die Hand heben und sagen: „Hey, wir haben mal drüber gesprochen und leider ist es jetzt doch so. Ich brauche Hilfe und jemanden, der ein kleines Stückchen mit mir geht und stützt.“
Wir sind auf dem Weg zurück zur Station.
„Melden Sie sich, wenn etwas ist. Sie können auch ein whatsApp schreiben, dann kann man das schneller koordinieren.“
„Naja ich will keine Grenzen überschreiten.“
„Nein, Sie überschreiten keine Grenzen. Machen Sie das ruhig, dann kann ich auch schneller reagieren.“
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Das ist noch ein Bild vom Weihnachtsspaziergang. Ich muss mal irgendwo Fotos machen... ich komme ja einfach gar nicht mehr herum... |
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Und nach diesem Gespräch geht es dann erstmal 12 Stunden in den Spätdienst…
Am Abend sehen die Planungen indes schon wieder ganz anders aus.
Der Kardiochirurg und ich telefonieren noch, nachdem ich am Mittag geschrieben hatte, dass ich doch mitkommen könnte und wir dann am Abend die Stadt unsicher machen könnten.
Das steht jetzt nicht mehr zur Debatte. Stattdessen möchte er jetzt morgen seine Brillengläser tauschen lassen und am Sonntag wegen eines Geburtstages zur Familie. Und was soll ich sagen – Geburtstag ist Geburtstag. Der kommt aber normalerweise nicht einfach so aus dem Off. Das weiß man vorher. Warum kann er nicht vorher mit mir reden und transparent sagen, dass das mit einem gemeinsamen Wochenende mal wieder nichts wird? Das sind genau die gemeinten Situationen. Ich postuliere, dass wir ein gemeinsames Wochenende haben – Protest gibt es da erstmal nicht – und dann kommt kurz vorher raus: Ich hab irre viel zu tun und kann es nicht verschieben.
Und beim Schreiben wird mir auch wieder die Ambivalenz klar, die auch nach all den Jahren noch da ist.
Ich bin so unendlich dankbar für Menschen wie den Intensiv – Oberarzt in meinem Leben. Ich bin so dankbar dafür von Zeit gesehen zu werden, meine Gedanken aussprechen und meine Gefühle teilen zu dürfen, zu spüren, dass da Jemand auf mich eingehen möchte, dass mich jemand sieht, dass mir jemand zugesteht, dass diese emotionalen Abgründe noch da sein können und dürfen.
Und gleichzeitig tut es immer weh, dass das eben nie Beziehungen sind, die Familie sind oder eben die engsten Vertrauten. Sondern immer externe Beziehungen, die immer ein Stück weit vertikal sind. Gerade diese Beziehungen haben in den letzten Jahren am meisten getragen und ich bin unendlich dankbar für Jeden, der ein Stück dieses Weges mit mir gegangen ist.
Und p.s.: Ich war heute schon ein bisschen stolz auf mich. Ich habe in der ZNA einen Patienten heraus gefischt, der mit wiederholten Kribbeln im Arm kam, aber sonst eigentlich gesund und fit war. Ich habe ihn dann mit in den Ultraschall genommen und dachte, das wird eine flotte Nummer. Tja – Pustekuchen. Er ist nicht der typische Gefäßpatient gewesen, hatte auch keine Geröllhaufen im ACI – Abgang, aber irgendwie sahen die Flussprofile alle nicht normal aus und ich hatte den Verdacht auf eine distale ACI – Stenose. Ich habe dann die Befunde dem Oberarzt präsentiert, der sich da auch nicht so sicher war. Wir haben dann eine CT – Darstellung der Gefäße hinterher geschoben und: Volltreffer. Ich habe immer noch Angst im Ultraschall, dass ich Dinge übersehe, aber manchmal merke ich schon, dass ich da eine Entwicklungskurve durchgemacht habe.
Mondkind
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