Von einem Jahresstart

Der Start in das neue Jahr war wild.
Nicht nur, dass im privaten Sektor wieder wenig geklappt hat, wie ich mir das gewünscht hätte, auch auf der Arbeit war einiges an Krisenmanagement gefordert.
In meinem ersten Dienst in diesem Jahr hatte ich ein dreijähriges Kind mit Krampfanfällen – und wir behandeln eigentlich keine Kinder. Aber der Rettungsdienst war so unsicher und hat es nicht bis zur weiter entfernten Kinderklinik geschafft, dass sie mit dem Kind erstmal zu uns kamen, um es zu stabilisieren. Da waren alle nervös. Die Anästhesie, die noch mit her gebeten wurde, der Rettungsdienst, der Chefarzt, der später dazu kam und ich. Wir haben es aber gut geschafft und das Kind konnte weiter verlegt werden. Dann hatte ich eine Patientin auf Station, die nach einem großen Infarkt noch einen Herzinfarkt hinterher geschoben hat mit einem Anstieg von Herzenzymen, den ich so noch nicht gesehen habe.
In meinem zweiten Dienst habe ich mal wieder eine astreine Lyse hingelegt – zumindest dachte ich das, bis mich die Radiologie nochmal angerufen hat und vermeldet hat, dass man nebenbefundlich in der Angiographie sieht, dass der Patient einen gar nicht mal so kleinen Pneumothorax hat. Auch hier stand wenig später wieder der Oberarzt der Notaufnahme auf der Matte und wir mussten interdisziplinär abwägen, ob wir ihn zu Ende lysieren mit konsekutiven Schwierigkeiten ihm danach eine Drainage zu legen, wenn es nötig wird, oder ob wir die Lyse abbrechen.
 
Manchmal denke ich, nach fünf Jahren in diesem Job und vier Jahren Neuro habe ich doch sicher schon viele Dinge gesehen und kann auf mein Repertoire zurück greifen. Aber dann gibt es doch immer wieder neue Dinge im Dienst. Allerdings kann man vielleicht mittlerweile auf Fälle zurück greifen, die mal „so ähnlich“ waren.
 
In jedem Fall merke ich schon, dass ich irgendwie etwas sicherer geworden bin und bekomme nicht mehr sofort Herzrasen, wenn irgendetwas passiert, für das ich nicht sofort einen Plan habe. Irgendwie haben wir das Puzzle immer zusammen gepuzzelt.
 
***
Hinsichtlich des Facharztes bin ich jetzt endlich mal durch mit Zusammenfassungen schreiben. Es muss noch eine ganze Menge gedruckt werden, aber mit dem Schreiben bin ich fertig. Allein das ist irgendwie sehr erleichternd – allerdings habe ich mittlerweile schon fünf Ordner voller Papier und es wird wohl mindestens ein sechster werden.
Wann zur Hölle soll ich das lernen?
 
Mir fehlen aber auch immer noch Zeugnis und Unterschriften. Ich habe mich jetzt schon mal mit den Anträgen beschäftigt und es gibt die Möglichkeit einen Vorabantrag zu stellen – allerdings ist diese Lösung nicht dafür gedacht, wenn einem die Unterschriften generell fehlen denke ich. Aber ich kann nochmal ein paar Kollegen in der Psychosomatik fragen, die mir angeboten hatten, mich bei Fragen zu melden. Da gab es Leute mit ähnlichen Problematiken.


***

Ich habe letztens mit meiner Schwester telefoniert.
„Ich habe ja nie gedacht, dass ich mal in so einer Beziehung lande“, habe ich ihr irgendwann referiert. „In etwas, das so unsicher ist. Von dem Du heute wieder nicht weißt, was morgen passiert. Und dann weiß man auch nie, ob nicht die nächste Auseinandersetzung die Letzte gewesen ist. Wenn mir jemand sagen würde, dass sein Beziehungsleben so aussieht, würde ich die Rückmeldung geben, dass das doch zu anstrengend ist. Irgendwie frage ich mich manchmal, wie ich da rein gerutscht bin, wieso ich nie die Reißleine ziehen konnte und wie ich jetzt da raus komme.“
Sie schweigt eine Weile am Telefon.
Wahrscheinlich ist es einfach die Hoffnung. Die Hoffnung, dass es – entgegen aller rational sichtbaren Gegebenheiten – gut wird.
 
Es gibt einen Song von Revelle, in dem es heißt „ich wünschte Du wärst meine erste Liebe“. Ich dachte lange, dass das die Dinge vielleicht einfacher machen würde. Aber in der letzten Zeit denke ich oft, dass ich dankbar bin, dass das nicht meine erste Liebe ist.
Dass ich schon erlebt habe, dass Liebe und Beziehung nicht heißt, dass es keine Konflikte gibt, aber dass Dinge sehr viel harmonischer laufen können. Dass es eine viel tiefere Beziehungsebene geben kann, viel mehr Bindung, viel mehr gegenseitiges Verstehen und Annehmen. Und dass der Mensch, der am nächsten dran ist, mit dem man sein Leben am intensivsten teilt auch der Mensch ist, der irgendwie alles über einen weiß.
 
Ich frage mich manchmal, ob das jetzt immer dieses Doppelleben sein wird.
Ob die Frage „wie geht es Dir eigentlich wirklich?“ immer außerhalb der Beziehung bleiben wird. Während der verstorbene Freund und ich früher über jede Therapiesitzung gesprochen haben, weiß der aktuelle Freund irgendwie gar nicht, was ich hier überhaupt so alles treibe. Er weiß so wenig von diesem immer wieder aufkommenden Gefühl des auseinander fallens, von diesem Bedürfnis mal irgendwo kurz gesehen und gehalten zu werden in diesem Schmerz, der es auch nach all den Jahren noch ist.
Im Moment bin ich seit einigen Tagen auf der Suche nach einem Ohr. Der Intensiv – Oberarzt und ich haben unser Treffen schon drei Mal verschoben und diese Woche wird es auch sicher nichts mehr, weil meine Arbeitszeiten mit einem hohen Krankenstand zum Jahresstart ziemlich abstrus sind und diese Idee von „ich gehe vor dem Spätdienst vorbei“ nicht funktioniert. Mit der Psychosomatik – Oberärztin rede ich eigentlich nur über den verstorbenen Freund. Und schon das ist eigentlich zu viel. Wenn ich ihr jetzt noch mit diffusen Anspannungszuständen ums Eck komme, sprengt das den Rahmen.
 
Und was so richtig los ist, weiß ich ja auch noch nicht.
Ich glaube, es war ein bisschen der Jahresrückblick. Dieses Jahr war irgendwie Beides. Stillstand und Vorankommen in einem. Von außen betrachtet war es nicht schlecht. Ich habe viele Erfahrungen in der Psychosomatik gesammelt, ich habe irre viel für den Facharzt gemacht, ich bin mit dem Freund verreist, habe neue Länder gesehen, habe tolle Menschen kennen gelernt.
Und das stimmt auch alles. Aber der Kern meiner kleinen Welt ist nicht mehr so, wie er mal war und ich vermisse das unglaublich. Und obwohl ich immer sage, dass das Leben auch jetzt noch schön werden kann, nach so schwierigen Jahren, habe ich manchmal Angst, dass das doch nicht geht. Dass ich mir ja zu viel vormache. Dass ich es schon probiere und jede Gelegenheit die sich bietet beim Schopf greife, aber dass es nie mehr so richtig okay wird.

Mondkind


Bildquelle: Pixabay

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