Future memories

 „I’ve lost all my future memories.“
Ich bin letztens nochmal über diesen Satz gestolpert, den ich mal in einem Vortrag gehört habe von einer Frau, deren Partner sich das Leben genommen hat.
Und darüber habe ich nochmal eine Weile nachgedacht.
 
Ich glaube, seit dem Sommer ändert sich das Bild ein bisschen.
Bringt eine neue Facette mit auf den Tisch.
So oft ging es nur um die Dinge, von denen ich gemeint habe, dass ich sie tun müsste und nicht getan habe, um ihn und uns irgendwie zu retten.
Jetzt geht es auch mehr um alles, was dadurch verloren gegangen ist. Um die Zukunft, um die wir und ich betrogen wurden. Manchmal fühlt es sich tatsächlich so an. Wie ein Betrug.
 
Und irgendwie hängt daran ja auch immer die Vorstellung, dass alles gut geworden wäre.
Ich versuche mich dann zu erinnern, dass wir das ja gar nicht wissen.
So einige Menschen, die den verstorbenen Freund aus meinen Erzählungen ein bisschen kennen gelernt haben sind der Meinung, dass wir massive Probleme bekommen hätten, die ich damals nicht mal absehen konnte. Ich habe die ganze Dynamik ja auch gar nicht so verstanden. Damals, als ich noch drin hing.
Vielleicht wäre nicht alles gut geworden.
Vielleicht würden wir heute unsere Tage auch nicht mehr teilen.
 
Vielleicht gäbe es keine Cafe – Dates mehr.
Kein Sitzen an der Heizung
Kein „Wie geht es meiner Lieblingsärztin?“
Und vielleicht hätte das andere Gründe als den Tod.
 
Aber vielleicht – vielleicht würden wir auch weiterhin unsere Morgen und Abende teilen.
Vielleicht hätten wir ein ganz normales, stinklangweiliges Leben.
Vielleicht wäre ich endlich angekommen.
Bereit, all die guten Momente im Herzen zu verankern.
 
Ich glaube, dass das Leben auch damals viel normaler war, als ich das gesehen habe. Ich begleite jetzt Kollegen durch ihre ersten „ersten Dienste“ in der ZNA. „Ich hab heute Nacht über etwas total Verrücktes nachgedacht und dann hatte ich eine Panikattacke: Was ist, wenn ich jemanden in der Nacht punktieren muss und es nicht schaffe?“, hat sie mich heute gefragt. „Wenn der Patient wirklich einen Meningismus hat und es wirklich keinen Aufschub duldet, rufst Du Deinen Oberarzt an“, habe ich entgegnet.
All diese Gedanken und Tausend andere hatte ich damals auch. Nur hatte ich damals das Gefühl, mit mir ist irgendetwas falsch, weil ich mich so verrückt mache. Das war auch das, was damals ständig bei mir ankam. „Du bist zu ängstlich, zu inkompetent, die anderen Kollegen reden schon über Dich.“
Wahrscheinlich war ich immer okay. Nur haben diese ersten Monate im Job damals so viel Kraft gekostet, zu so vielen Zweifeln geführt, so viel Sehnsucht nach dem „Danach“ ausgelöst, nach der Zeit, in der ich endlich eine Routine auf der Arbeit haben würde.
 
Routine im Job und ein funktionierende Privatleben gleichzeitig hatte ich dann aber nicht mehr.
 
„Ich würd für Dich kochen, egal was sein soll, wahrscheinlch Kartoffeln.
Ich würd Dich ganz fest umarmen, doch Du bist nicht da.“

Zeilen aus einem Song von Florian Künstler. Als ich das erste Mal die erste Zeile dieses Songs gehört habe, musste ich fast lachen. Über die Banalität. Kochen. Und dann auch noch Kartoffeln.
Aber genau darum geht es. Um diese kleinen Momente, um dieses Aufeinander zu gehen, sich nähre kommen, um gegenseitigen Respekt, darum etwas Gutes für den anderen zu tun.
„Future memories“ heißt nicht, dass ich mich an eine Weltreise oder so erinnern möchte. „Future memories“ kann manchmal der Alltag sein. 


Und manchmal stehe ich mittlerweile an einem Punkt, an dem ich nicht mehr weiß, wo ich hin soll mit all diesen Gefühlen. Mit der Traurigkeit, der Sehnsucht, der Wut und eben mit dem Gefühl betrogen worden zu sein.
Ich war nach diesem Vorfall über zwei Jahre alleine, habe gearbeitet wie eine Verrückte. Das hat sich ja auch irgendwie angeboten. Ich habe danach versucht mein Beziehungsleben wieder auf die Reihe zu bekommen, aber auch das war bisher nicht besonders erfolgreich.
 
Ich glaube, das mit dem Verlust der Erinnerungen in der Zukunft wäre einfacher zu akzeptieren, wenn die Dinge auch ohne ihn gut geworden wären.
Gerade die Zwischenmenschlichen. Wenn man nicht nur etwas verloren hätte, sondern auch etwas gewonnen hätte, das bleibt.
 
Der Kardiochirurg hat Nachtdienst diese Woche.
Was von den geplanten „future memories“ geblieben ist, ist eine Umarmung auf dem Flur.

Mondkind


Bildquelle: Pixabay

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