Jahresrückblick 2024
Wie immer schauen wir erstmal kurz zurück. Auf die letzten Worte des Jahres 2023. Mit welchen Visionen, Hoffnungen und Ideen sind wir denn gestartet in das Jahr 2024?
Für das nächste Jahr steht viel an.
Ich werde einige, große Schritte in Richtung Facharzt gehen müssen. Denn das ich den versuchen muss zu machen, das habe ich mittlerweile eingesehen, ob ich dazu zurück in die Neuro muss, ist mal eine andere Frage.
Irgendwie muss ich auch meine „berufliche Identitätskrise“ lösen. Ich bin recht gespannt, wo ich in einem Jahr arbeite und ob ich dann für mich sagen kann, dass ich dort glücklich bin. Ich möchte für mich auch nicht ausschließen, dass es mich vielleicht doch zurück in die Neuro ziehen könnte, aber wenn es so ist, dass ich dort arbeite, dann bitte aus Überzeugung und nicht aus irgendeinem Pflichtgefühl heraus.
Ich bin sehr gespannt, wie das mit dem Kardiochirurgen und mir weiter geht. Ob wir vielleicht in einem Jahr noch unsere Tage zusammen verbringen und wenn ja – ob sich Dinge bewegen? Ob wir mal unter der Woche beim anderen verweilen, ob wir gemeinsame Urlaubserfahrungen gesammelt haben, ob wir uns nicht nur im Urlaub so ganz haben können, sondern auch einen Alltag, der den jeweils anderen integriert.
Ich bin gespannt auf den Sommer. Ich wünsche mir, ans Meer zu fahren. Da hätte ich mal wieder richtig Lust drauf. Einfach am Stand zu chillen, mit Fischis um die Wette zu schwimmen.
Ich hoffe, dass ich das ein oder andere Mal in die Studienstadt komme. Meine Freunde sehe. Vielleicht auch diejenigen, mit denen das dieses Jahr nicht geklappt hat. Ich habe manchmal große Angst, die Menschen dort zu verlieren, die ich sehr schätze und noch ein bisschen behalten möchte.
Jahresrückblick.
Was ist geworden aus dem, was ich mir so ausgemalt habe?
Welche Momente sind geblieben?
Januar.
Nachdem der Dezember eigentlich der bisher beste Monat der noch recht jungen Beziehung gewesen war, bin ich erstmal unsanft auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Weder Weihnachten noch der Jahreswechsel sind so gelaufen, wie ich mir das gewünscht hätte. Die einzige Möglichkeit den Kardiochirurgen um den Jahreswechsel herum zu sehen war, den Dienst an diesem Tag zu übernehmen. Er hatte Nachtdienstwoche und das bedeutet im Allgemeinen, dass er sieben Tage von der Bildfläche verschwindet. Danach wollte er zwei Wochen auf die Kanaren fliegen und ich habe zum ersten Mal wirklich den Eindruck gehabt, dass ihm das alles gar nicht so unfassbar wichtig ist.
Das hat dann zur ersten großen Beziehungskrise geführt, von der in diesem Jahr noch viele weitere folgen sollten. Es war das erste Mal, dass wir ratlos auf dem Sofa saßen – ich, weil er in den Situationen fast nie spricht und er… - ja, das weiß ich bis heute nicht.
Irgendwann ist dann dieser Satz gefallen: „Vielleicht hat das mit uns ein Ablaufdatum.“ Und der hat dann alles geändert, war der späteste Zeitpunkt an dem die berühmt – berüchtigte rosarote Brille verschwunden ist. Zu sehr hat mich das an den Exfreund erinnert. Sinngemäß hieß das für mich: Wir werden nicht ewig zusammen bleiben, aber wann dieser Punkt kommt an dem ich gehe, entscheide ich. (Spoiler: Hat er dann ja auch beinahe). Es ist dieses in die Zange genommen werden, sobald man irgendetwas versucht zu bewegen, es hat diesen Anstrich von: „Wenn Du zu frech wirst, habe ich mehr Macht als umgekehrt.“ Es gibt natürlich auch immer jemanden – in dem Fall mich - der diese Macht zulässt, aber ich habe ihn damals eben sehr geliebt und wollte nicht prophylaktisch schon gehen, damit ich nicht darauf warten muss, dass er es tut.
Ansonsten habe ich irgendwie versucht meine Gruppe in der Psychosomatik in Schach zu halten, aber das ist im Zuge all der privaten Baustellen eher ins Nebengeschäft gerutscht. Die Kollegin mit der ich damals die Gruppe hatte war öfter krank als anwesend und ich habe mir sehr gewünscht, endlich meine eigene Gruppe zu bekommen, in der ich dann schalten und walten kann wie ich möchte und mich nicht mit jemandem absprechen muss, der ohnehin kaum da ist. Allerdings hatte ich im Januar auch meine erste Supervision in der Klinik und die lief ziemlich gut und hat mir gezeigt, dass ich beruflich wohl auf einem ganz guten Weg bin.
Februar
Der Kardiochirurg und ich haben sich in dem Monat kaum gesehen, ich war viel mit innerem Rückzug beschäftigt. Mit der Beziehung war ich recht ambivalent. Ich wusste, dass es wahrscheinlich sinnvoller wäre, diese Beziehung zu beenden, um mir all das zu ersparen, das da noch kommen würde, aber mein Herz hat da ordentlich rebelliert. Und ich wusste auch nicht, ob ich das schaffen würde. Den dritten Mann an meiner Seite verlieren innerhalb von weniger als vier Jahren. Und immerhin waren all diese Geschichten nicht nur Liebe, sondern immer auch mit Ideen und Hoffnungen hinsichtlich einer Zukunft verknüpft und vielleicht auch ganz egoistisch mit dem Gedanken alte Wunden durch die Erschaffung von etwas Eigenem, etwas Neuem heilen zu können. Durch die letzte Trennung hatte mich der Intensiv – Oberarzt sehr sensibel begleitet, aber ich glaube das hätte er nicht zum zweiten Mal innerhalb von etwas mehr als einem Jahr gemacht. Und irgendwie schien ich ja kein Händchen dafür zu haben und ich habe mir zunehmend die Frage gestellt, ob meine Ansprüche zu hoch sind, ob ich zu kompliziert bin oder was eigentlich immer wieder das Problem ist, da meine Vorstellungen von Beziehung ja nicht kompatibel zu sein scheinen, mit denen der meisten Männer.
Gegen Ende des Monats haben wir uns dann nochmal zusamen gerauft und sind zumindest mal einen Tag gemeinsam in die Therme gefahren. Das war ein Ereignis, an dem ich mich im Verlauf des Jahres noch einige Male würde festhalten werden. Ein paar Stunden nur für uns und tatsächlich ging das damals noch ganz gut, kurzfristig generierte Zeit einfach nur zu genießen.
März
„Und am Ende ist es alles gleichzeitig.
Beziehungsarbeit, Trauerarbeit, Biographiearbeit. Die Frage nach der beruflichen Zukunft.
Nebeneinander. Übereinander. Untereinander.
Chaos im Kopf.“
Die Patienten haben mich bisweilen an meine Grenzen gebracht. Ich habe mir oft die Frage gestellt, ob ich besser für den verstorbenen Freund hätte da sein können, wenn ich all die Skills, die ich nun nach und nach gelernt habe und weiterhin lernen werde, schon gehabt hätte. Manche meiner Patienten haben mich als „gute Therapeutin“ bezeichnet (ob das objektiv stimmt sei mal dahin gestellt, aber ich war wohl in irgendeiner Weise subjektiv hilfreich) und das war nicht nur schön, weil ich ja diesen Job mal langfristig machen möchte, sondern hat streckenweise auch echt weh getan.
Die Uni hat mir eine Mail geschrieben, dass die Doktorarbeit abgebrochen ist, weil ich die Zeitgrenze überschritten habe und obwohl ich das natürlich wusste, hat es schon nochmal ordentlich weh getan, dieses Scheitern nochmal zu spüren. Es kann nicht immer alles gut gehen – das weiß ich auch, aber trotzdem hat es ordentlich am Selbstwertgefühl gekratzt.
Der Kardiochirurg und ich hatten wieder eine größere Auseinandersetzung und irgendwann eines abends saß er dann auf einem meiner Barhocker und ist beinahe eingeschlafen, während ich zwei Stunden unermüdlich für uns beide gearbeitet habe, von dem er wahrscheinlich nur die Hälfte mitbekommen hat. Ich habe mich in dem Rahmen wieder laut gefragt, was diese Beziehung eigentlich für ihn bedeutet und dass ich nicht den Eindruck habe, dass es ihm sonderlich wichtig ist und da kam wieder so ein Satz: „Vielleicht solltest Du Dich auf Deinen Eindruck verlassen und der ist realer, als Du denkst.“ Und der Satz würde mich wieder viele, viele Wochen beschäftigen. Jeder Versuch eine Basis für die Beziehung zu schaffen ist einfach dadurch torpediert worden, dass er so lange schweigend in der Ecke saß, bis es Zeit war schlafen zu gehen.
Ich war auch bei der Coaching – Tante, aber so richtig helfen konnte die mir auch nicht. All diese Baustellen begannen langsam zu groß und zu vielschichtig zu werden, um das in sporadischen Terminen zu erfassen und abzuarbeiten.
April
Und dann war die Slowenien – Reise für den April geplant. Ich habe mir da keine großen Hoffnungen gemacht – eher hatte ich eine Menge Angst davor. Würde das eine gute Idee sein zu Zweit Tausende Kilometer weit zu fahren, wenn es aktuell so schwer zwischen uns ist? Es würde bis dahin unser längster gemeinsamer Urlaub sein – aber was würde sein, wenn wir uns ganz doll streiten würden und ich das Gefühl hätte es nicht mehr neben ihm auszuhalten, weil da so viel Wut ist? Wie sollte ich denn zurückkommen alleine aus einem kleinen Kaff irgendwo in Slowenien, wenn wir mit seinem Auto dort runter gefahren sind? Ich habe mir schon überlegt, ob ich mitkommen will, aber ich habe einfach gehofft, dass es vielleicht auch eine Chance für uns sein könnte und sehr viel mehr kaputt machen konnte man zu dem Zeitpunkt ohnehin nicht mehr.
An dem Morgen an dem wir los wollten, habe ich wie auf Kohlen auf ihn gewartet und mich gefühlt wie irgendwann zuletzt als kleines Kind. Es würde der erste Urlaub im Ausland seit über 10 Jahren werden, ich würde den Kardiochirurgen mal eine Woche lang mehr haben als sonst – zumindest würden wir nebeneinander einschlafen – und allein die Reise würde ein Abenteuer werden.
Ich werde nie diese Momente vergessen. Der erste Stopp hinter München mit Blick auf die Berge. Wir waren zwar immer noch in Deutschland, aber ich war so lange nicht mehr herum gekommen, dass allein etwas Neues zu sehen, ein Kribbeln im Bauch ausgelöst hat. Vorbei ging es am Chiemsee und ich dachte, dass es so hübsch aussieht, dass wir hier auch mal her müssen, dann ging es durch Österreich und dann waren wir ein kurzes Stück in Italien und da kamen Kindheitsfeelings hoch, die auch ein bisschen Wehmut waren, aber den Körper auch mit einer Form von Nostalgie gepaart mit Glück geflutet haben und von denen ich auch nicht gedacht hätte, die irgendwann noch mal zu fühlen. Als Kinder und damals noch als Familie sind wir im Sommer immer mit dem Auto nach Italien gefahren und allein diese Reise war ein Highlight für sich (naja, bis zu unserem schweren Autounfall auf einer italienischen Autobahn zumindest, der diese Ära beendet hat, noch bevor die Eltern sich getrennt haben). Das jetzt wieder zu tun mit dem Freund an der Seite hat irgendwie mit einem Schlag so viel Hoffnung ausgelöst, die Dinge für mich doch noch heilen zu können. Es gab nie einen Abschied von dieser Familiensituation. Von einem auf den anderen Tag war nicht nur der Vater weg, sondern auch eine Idee von Einheit und Zusammenhalt, einer Unbeschwertheit, einem Stück zu Hause und in all diesen Scheidungsgeschichten zwischen den Eltern ist das nur immer weiter zerstört worden. Dort, auf diesem Pass in Italien, auf dem wir zum ersten Mal auf dieser Reise bei Sonne und Wärme ausgestiegen sind mit Blick auf die gigantischen, schneebedeckten Berge vor uns habe ich geglaubt der Herr Psychiater hatte Recht damals: Manche Dinge sind für immer verloren, manche Dinge bleiben auch für immer Wünsche, aber manche Dinge können wir auch doch überschreiben, etwas Neues begründen.
Unser Ziel war ein kleines Dorf, an dessen Rand wir ein kleines Zimmer
in einem Haus hatten, das zumeist an Gruppen von Paraglidern vermietet
wird. Vor unserem Zimmerfenster stand eine Palme, es waren weit über 20
Grad und es hat sich angefühlt, als würde der Sommer schon mal Hallo
sagen, was mehr als willkommen war.
Insgesamt war es wohl nicht die
beste Flugwoche – jedenfalls hat das mit dem Fliegen öfter nicht
geklappt, als denen lieb war, aber mir kam es eigentlich gelegen. So
waren wir im Umland in einem Freilichtmuseum, in einer Höhlenburg, in
der längsten touristisch begehbaren Tropfsteinhöhle Europas, die sogar
ein unterirdisches Post office hat. In einer der Mittagspausen habe ich
mir meinen erst dort entstandenen Traum erfüllt und bin bei mittlerweile
knappen 30 Grad draußen in der vier Grad kalten türkisfarbenen Soca
baden gewesen. Wenn die anderen fliegen waren, habe ich mich mit einem
Kaffee vor das Haus gechillt und habe geschrieben oder gelernt, oder ich
habe mich selbst auf den Weg zu fußläufig erreichbaren
Sehenswürdigkeiten gemacht. Einen Tag bin ich auch zum Flugplatz
gelaufen und durfte dann mal den Schirm halten. Das war eine Erfahrung –
wenn man Drachensteigen kennt, ist es ein bisschen als hätte man einen
Riesendrachen in der Hand. Wenn es mittags Pause im Dorf gab, waren wir
dort Kaffee trinken (kam maximal zwei Mal vor, war aber geil, ich könnte
so etwas ja den ganzen Tag machen), das Eis dort war ziemlich gut und
abends waren wir immer irgendwo essen. An der Qualität der Pizza merkt
man die Nähe zu Italien – danach waren alle Pizzen in Deutschland
erstmal sehr öde.
(Abgesehen davon, dass es nicht die beste Flugwoche war, war es für meinen Geschmack die beste Woche, die wir haben konnten. In der Woche danach hat es dort wieder geschneit - das wäre bestimmt weitaus weniger lustig geworden).
Der letzte Abend war dann schon etwas sehr Besonderes – er hat fast meine Idealvorstellung eines gemeinsamen Sommerabends erfüllt. Wir sind bei Sonnenuntergang durch ein nahe gelegenes Dorf spaziert, hatten uns an der Hand oder im Arm und haben dann auf einem belebten Marktplatz sehr gut und sehr qualitativ hochwertig zu Abend gegessen.
Am 22. April ist der Geburtstag des verstorbenen Freundes und es gibt immer noch Tage, die nicht leichter werden. Manchmal denke ich, vielleicht ist es gut so, weil es wirklich zeigt, wie sehr er Teil meines Lebens war. Manchmal wünschte ich, man könnte solche Tage im Jetzt noch teilen, aber meistens verbringe ich sie sehr still, bin viel in Gedanken, bete, dass die Arbeit an diesen Tagen etwas gnädig sein möge.
Ende des Monats hat man mir dann auch eröffnet, dass ich in der Psychosomatik den Chefarztbereich wechseln werde. Das ging im Prinzip von heute auf morgen. Und die Strukturen, in die ich kommen würde, würden sehr chaotisch sein, weil die Oberärztin der Abteilung gerade gegangen war und die Abteilung ohnehin „notbetreut“ wurde. Meine Patienten waren mit der Plötzlichkeit der Dinge (gerade in solchen Settings braucht man Kontinuität und Verlässlichkeit) auch recht überfordert, es brauchte viele Kriseninterventionen und so waren die letzten Tage des Aprils ziemlich anstrengend für uns alle.
Mai
Danach habe ich meine Oma besucht und war etwas erschrocken über ihren Gesundheitszustand. Ja, ich war lange nicht mehr da, aber meine Oma ist eigentlich noch die „Vernünftigste“ aus dieser Familie, auch wenn sie sich natürlich auch ein paar Dinge geleistet hat, die so nicht okay waren. Dennoch liebe ich sie sehr, sie ist untrennbar mit meiner Kindheit verbunden und nachdem ich nur eine Stunde Zeit hatte und wir wirklich beide weinen mussten, als ich gegangen bin, habe ich ihr und uns beiden versprochen, dass ich dieses Jahr nochmal kommen werde. (Vielleicht bin ich darauf ein bisschen stolz, dass ich wenigstens das einhalten konnte).
Beruflich habe ich die Abteilung gewechselt und war dann in einem anderen Chefarztbereich. Die Position dort war etwas schwierig. Zum Einen wurden meine Gruppe und ich der ohnehin etwas überforderten Oberärztin noch zusätzlich aufgebrummt, weshalb ich dort mit meinen Anliegen etwas stiefmütterlich behandelt wurde. Zum Anderen musste ich mich eben an eine neue Oberärztin und ihre Arbeitsweise anpassen, was man meist erst in der Rückschau als Bereicherung wertet, weil es erstmal Stress war. Und neue Patienten musste ich auch kennen lernen. Dann gab es da noch die Tagesklinik von der ich überhaupt keine Ahnung hatte und im ganzen organisatorischen Chaos dieser Abteilung stand ich mehr als ein Mal zur falschen Zeit am falschen Ort.
Mit der Beziehung war es – oh Wunder – auch schwierig in diesem Monat. Der Kardiochirurg hatte lange Zeit einen Dienst auf meinem Geburtstag geplant und hat ihn dort auch erstmal nicht wegtauschen können oder wollen – das ist ja immer so die Frage, was man bereit ist, dafür in Kauf zu nehmen. Am Ende ist es dann ein Rufdienst vor meinem Geburtstag geworden und es kam natürlich, wie ich kommen musste – es gab viel zu tun in diesem Dienst und es war nach zwei Uhr in der Nacht, als er fertig war. Natürlich war am nächsten Tag deshalb nur bis Mittag da, ehe er sich erstmal hinlegen musste und dann auch für den weiteren Tag verschwunden war.
Und dann sind gegen Ende des Monats natürlich auch die Tage schwer geworden, je näher es auf den Todestag des verstorbenen Freundes zuging. Da sind so viele „letzte Male“, von denen wir nicht wussten, dass sie das sein würden.
Juni
Anfang Juni habe ich zum ersten Mal in diesem Jahr gespürt, wie viel Kraft die Situation mir eigentlich weg nimmt. Ich war kaum noch in der Lage mich mit meinen Freunden vor Ort zu treffen, mit den Freunden in der Studienstadt in Kontakt zu bleiben oder den Blog zu schreiben. Auch auf der Arbeit hat man mir die zunehmende Müdigkeit angemerkt und hat es darauf geschoben, dass ich zu der Zeit viele Dienste gemacht habe.
Daneben habe ich irgendwie versucht die Facharztvorbereitung aufrecht zu erhalten, aber das lief auch alles wesentlich langsamer, als ich mir das vorgestellt hatte.
Der Lichtblick war ein geplanter gemeinsamer Urlaub. Ich weiß nicht, ob ein Urlaub schon jemals irgendetwas gerettet hat, wenn gerade alles in Schieflage ist, aber in solchen Situationen will man wahrscheinlich alles glauben. Der Kardiochirurg war dann aber der Meinung, dass wir in der letzten Zeit zu viel beruflichen und privaten Stress gehabt haben und hat den Urlaub während seiner Nachtdienstwoche einfach mal ohne zu fragen, storniert.
Und aus der latenten Vorfreude auf diese Woche, wurde ein Alptraum. „Wir müssen uns trennen“, kam von seiner Seite aus während eines Spaziergangs um die Stadtmauer, nachdem ich seit Wochen auf ihn eingeredet hatte, dass wir über uns und unsere Beziehungsgestaltung, über unsere Wünsche und Bedürfnisse reden müssen. Er sei auch schon mehrere Wochen und Monate unzufrieden und habe den Entschluss langsam für sich getroffen. Es war wie beim Exfreund. Ohne die Möglichkeit für mich in irgendeiner Form dazwischen zu kommen, nachdem doch schon monatelang klar war, dass irgendetwas zwischen uns schief ist.
Die Woche danach kam ich mir eher vor, wie seine persönliche Therapeutin. Am Anfang wollte er nicht mal mehr in meine Wohnung kommen, weshalb wir sechs Stunden durch das Dorf schlappen mussten, um im Kontakt zu bleiben. Aber mit tagelanger Schwerstarbeit, nach der ich völlig erschöpft war, habe ich es irgendwie geschafft einen Zugang zu ihm zu bekommen und am letzten Abend des Urlaubs haben wir uns geeinigt, dass wir uns zumindest auf einen neuen Versuch einlassen können.
Eigentlich sollten danach noch Gespräche folgen – das ist dann natürlich wieder nicht mehr passiert, weil der Herr auch keine Notwendigkeit mehr gesehen hat. Es lief dann erstmal weiter wie zuvor – außer, dass wir natürlich einen riesigen Bruch zwischen uns hatten, der schon genaues Hinschauen und sorgsame Pflege erfordert hätte, um diesen Krater zwischen uns zu einer Narbe werden zu lassen. Danach war es nicht mehr, wie es vorher war. Das Vertrauen in ein Wir war weg.
Und die Urlaubswoche war natürlich verloren. Im Gegenteil – ich bin noch kaputter wieder auf die Arbeit gegangen.
Juli
Der Juli begann mit dem Todestag des Freundes. Mittlerweile bin ich sehr alleine damit und manchmal würde ich mir doch sehr wünschen, dass sich irgendwer mit mir gemeinsam dran erinnert. Nicht förderlich war definitiv, dass ich von Knall auf Fall wieder in eine neue Sektion zu einer neuen Oberärztin gesteckt wurde und meine Gruppe an dem Tag auch keine Gnade kannte und erstmal einen riesigen Gruppenkonflikt losgetreten hat.
Wenn ich das so reflektiere, muss ich schon sehr angeknackst gewesen sein zwei Wochen später, als mir einer meiner Patienten eine Geschichte erzählt hat, die mich sehr an den verstorbenen Freund erinnert hat. Es gibt Situationen, die brennen sich ein, weil sie in dem Moment überfordert haben und nicht gewollt waren – oder jedenfalls nicht so. Ich werde nicht vergessen, wie ich meiner neuen Oberärztin gegenüber saß – ich auf einem Hocker, sie auf einem Stuhl an ihren Schreibtisch – und sie dann gefragt hat: „Und wie geht es Ihnen damit?“ Ich wollte ihr von dem Patienten eigentlich nur erzählen, damit sie es für den nächsten Tag weiß, da würde ich nämlich dienstfrei haben und ich wollte unbedingt vermeiden, dass der Patient den Eindruck bekommt, wir reden nicht miteinander oder wir würden ihn nicht ernst nehmen, weil ich das so wichtig für ihn fand, dass er uns mit dieser Geschichte nahbar bleibt.
Ich habe gespürt, wie mein Körper augenblicklich heiß wurde, mein Rücken mit einem Schlag klatschnass war und mir die Tränen in die Augen geschossen sind. Vielleicht war das die Frage, die so lange überfällig war – aber eben nicht in diesem Setting.
Ich habe mich sehr geschämt an diesem Nachmittag. Es ist eine Weile her gewesen, dass ich das letzte Mal so emotional auseinander gebrochen bin mit diesem Thema. Im Nachhinein – aus heutiger Sicht – bin ich sehr dankbar dafür, an dieser Stelle nochmal einen Raum bekommen zu haben. Ich hatte Dienst an diesem Tag und es war einer der schwersten Dienste in der Psychosomatik. Ich musste mich nochmal mit dem Patienten beschäftigen, der auch noch ziemlich aufgelöst war und mein eigener Kopf war auch ein reinstes Chaos. Ich habe das schon gelernt über die Jahre, auch dann noch den Patienten gegenüber professionell zu bleiben, wenn eigentlich nichts mehr geht, aber es ist ein riesiger Kraftakt – gerade in der Psychosomatik. Man ist gezwungen, Situationen zu halten, Verantwortung zu übernehmen, wenn gerade selbst alles in einem bricht.
Die Tage danach war so viel Wirbel in mir, dass wir uns öfter im Büro der Oberärztin getroffen haben. Ich habe mich selten wohl gefühlt in diesen Situationen. Ich habe gemerkt, es ist Vieles anders als früher. Während ich kurz nach dem Ereignis dankbar war Verantwortung abzugeben, wo ich das nur konnte, einen Raum zu bekommen in dem ich gehört wurde – was alles leider nur sehr begrenzt der Fall war – habe ich mich jetzt sehr geschämt und gleichzeitig so einen immensen Druck in mir gespürt, dass ich das Angebot doch dankbar angenommen habe. Trotz der Ambivalenz. Natürlich hat es das Setting auch nicht einfacher gemacht. Wo verschwimmen die Grenzen? Was trennt mich eigentlich von den Patienten, wenn ich mich gerade so wenig regulieren kann, dass ich Hilfe von außen brauche? Und was ist das für ein seltsames Doppelleben, sich in der Situation trotzdem um die Patienten zu kümmern. Klar – man kann immer mehrere Rollen gleichzeitig einnehmen, aber da ist schon viel kollidiert in mir.
Und gleichzeitig habe ich gemerkt, dass ich die Geschichte mittlerweile auch etwas anders erzähle. Zumindest etwas reflektierter. Etwas ehrlicher. Und auch mit dem Verständnis, dass ich da nur selbst raus komme. Weil das so individuell ist, weil mir niemand diesen Weg durch die Trauer abnehmen kann, weil andere Menschen nur punktuell unterstützen können, einen objektiven Blick bewahren können, wenn ich den gerade nicht mehr habe, eine Stütze sein können, wenn ich gerade eine brauche.
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Sitzen und auf Gespräche warten, im Rahmen derer es etwas leichter werden soll. Das kennen wir doch so gut. |
Auf dem Konzert war ich dann alleine an dem Abend. Es war in einem Park, open – air, die Zuschauerzahl war überschaubar und ich stand recht weit vorne. Es war bewegend. Ein lauer Sommerabend, viele Emotionen zwischen den Zeilen, viel Liebe, viel Ehrfurcht für dieses und vor diesem Leben, Geschichten aus der Vergangenheit und auch Traurigkeit. Zumindest niemand meiner Menschen hat die Tränen in meinen Augen bei „Tausend Rakten“ gesehen, aber viele Menschen um mich herum hatten auch Tränen in den Augen als sie an die Menschen gedacht haben, die sie gehen lassen mussten. „Auch so etwas muss Platz haben dürfen“, sagte Florian Künstler hinterher und das finde ich auch.
Da ich ja alleine dort war und somit niemand mit mir oder auf mich warten musste, habe ich mich im Anschluss gleich für die Autogramm – Stunde angestellt. Jeder durfte kurz drei Sätze mit Florian Künstler quatschen und ein Foto machen. Wir haben darüber sinniert, dass ich seine Lieder für meine Therapie in der Psychosomatik verwenden möchte. „Nächstes Jahr sagst du mir, wie das geklappt hat“, hat er mich ermuntert. Und wie sich das für ein richtiges Fangirl gehört, habe ich auch noch einen Stoffbeutel und ein T – shirt gekauft.
Ich kann sagen, das war einer der schönsten Abende des Jahres.
Der Rest des Urlaubs war dann auch recht schön. Wir waren auf Langeoog und ich habe mir den Traum vom Baden im Meer erfüllt und wir haben die Meyer – Wert angeschaut. Imposant ist das ja schon irgendwo – allein dass es möglich ist, solche Riesen von Schiffen auch nur zu bauen. Und sehr lustig war auch, dass unsere Ferienwohnung genau gegenüber der Wohnung meiner Schwester war. Ein bisschen hat es sich angefühlt, wie in Kindertagen, als man sich im Zimmer des jeweils anderen besucht hat – nur, dass es wenn man groß wird, dann eben eine Wohnung ist.
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Langeoog |
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Bremen |
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Meyer - Werft |
August
Ich war immer noch regelmäßig bei meiner Oberärztin.
Langsam hat sich aber auch die Frage dazwischen gedrängt, wo ich ab Oktober bleiben würde. Meine Motivation zurück in die Neuro zu gehen ging gegen Null und ich habe mich in der Psychosomatik und in meiner neuen Sektion pudelwohl gefühlt.
Wir haben viel darüber geredet, ob dieser Facharzt sein muss und woher die Motivation kommt. Ist es eher der Leistungsgedanke? Möchte ich mir etwas beweisen? Oder meinem Umfeld? Oder ist es für mich ein guter Abschluss in der Neuro, den ich auch wirklich persönlich anstrebe. Es gab ein ewiges Hin und Her in mir, weil ich am liebsten geblieben wäre in einer Abteilung, in der ich mich wirklich zum ersten Mal richtig gut aufgehoben und fachlich auch sehr gut unterstützt gefühlt habe. Das wieder aufzugeben, schien irgendwie fast wahnwitzig zu sein.
Und dann gab es Ende August noch das Ronan Keating Konzert. Dafür hatten wir eine kleine „Gang“ gebildet. Ein Kumpel ist extra aus der Studienstadt gekommen, meine Schwester war da und so ungefähr eine Stunde vor dem Konzert hat sich auch der Kardiochirurg entschieden, doch mitkommen zu wollen. Zwar habe ich mich riesig darüber gefreut, aber immerhin war ich auch die Drahtzieherin des Projektes gewesen und hatte etwas Sorge, dass die anderen das blöder finden würden, als sie das in dem Moment zugegeben haben, denn natürlich habe ich alle Beteiligten gefragt, ob das für die okay ist.
Am Ende war es glaube ich wirklich für alle gut – jedenfalls habe ich mit allen kürzlich nochmal über den Abend geredet und die haben mir auch gesagt, dass es einer der schönsten Abende des Jahres war.
September
Dann gab es ja noch zwei Wochen Urlaub in diesem Monat. Wenige Tage vor dem Urlaub hat mir der Kardiochirurg eröffnet, dass er in der ersten Woche erstmal noch auf Fortbildung geht. Naja – Danke für nichts. Ich habe dann schnell meine Oma gefragt, ob sie in dem Zeitraum da ist, was zum Glück der Fall war. Damit konnte ich mein Versprechen einlösen und zwei Tage zu ihr fahren. Das Wochenende davor war ich noch hier in der Hoffnung, den Urlaub mit dem Kardiochirurgen zu starten, aber da hatte ich meine Rechnung natürlich auch ohne ihn gemacht. Er war nur auf dem Flugplatz und wir haben uns quasi gar nicht gesehen, bevor ich aufgebrochen bin. Die beiden Tage bei meiner Oma waren sehr schön. Wir haben beinahe durchgängig gequatscht und es ging ihr zum Glück auch wieder etwas besser. Und ich war so froh, dass ich zumindest dieses Versprechen halten konnte und dass ich meine Geburtsstadt dieses Jahr wenigstens gesehen habe, die ich auch sehr liebe.
Als ich zurück kam, war der Kardiochirurg von der Belastung der letzten Tage erstmal völlig ausgeknockt und wir sind erst am Ende der ersten Urlaubswoche dazu gekommen uns mal länger als fünf Minuten zu sehen und zu überlegen, was wir aus der restlichen Zeit eigentlich machen wollen.
Am Ende haben wir uns entschieden auf die Kanaren zu fliegen.
Das mag wahrscheinlich sehr komisch klingen, aber ich habe an die Zeit nur sehr wenige Erinnerungen. Zum Einen war ich schon völlig fertig, bevor wir überhaupt los geflogen sind, weil das eigentlich unser Jahresurlaub werden sollte und der letzte Große vor dem Facharzt und das halt so überhaupt nicht geklappt hat. Ich war so wütend , traurig und enttäuscht, dass sich das sicherlich nur schwer in etwas Gutes umwandeln lassen würde.
Zum Anderen lief auch der Urlaub an sich eher etwas schwierig. Drei von unseren sechs Tagen war der Kardiochirurg auf Tauchkurs und auch das letzte Wochenende von unserem Urlaub würde er dann schon wieder arbeiten müssen - das ließ sich zwar am Ende noch ändern, aber auch nur um das Wochenende dann wieder auf dem Flugplatz zu verbringen. Wir hatten sehr, sehr viel weniger Zeit als erwartet und es war dann eher ein nebeneinander her existieren, ein Emotionen und Griff halten, weil es doch gerade schön sein sollte und mich aber so viel gestört hat. Ich habe mir schon die Zeit vertrieben mit Strandspaziergängen, am Pool oder im Spa liegen und tatsächlich mal dem Lesen eines Buches, aber Urlaubsstimmung wollte nicht so recht aufkommen. Und irgendwie hat mich das sehr traurig gemacht. Man fliegt immerhin nicht jeden Tag auf die Kanaren. Mit dem Kardiochirurgen habe ich dieses Jahr Dinge erlebt, die ich so lange nicht mehr gemacht habe und dennoch hat es mich so immens gestört, dass wir so wenig Verbindung hatten, dass das wie ein Schatten über dem ganzen Urlaub lag.
Am Imposantesten war aber sicher unsere Walbeobachtungstour – ich hätte nicht damit gerechnet, dass wir wirklich welche sehen, aber wir haben sie gesehen.
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Klippen von Los Gigantes |
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Nationalpark |
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Drago Milenario |
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Eines der natürlichen Pools |
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Uh, der Kaffee da war schon echt gut... - aber leider mit so viel Zucker und Sahne, dass es nichts für den Alltag ist |
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Blick vom Hotel auf die Strandmeile |
Am Ende des Monats war ich noch einen Tag in der Nähe der alten Heimat und war auf der ersten Hochzeit meines Lebens. Wollte mir ja keiner glauben, dass das wirklich die erste Hochzeit war, auch der ich eingeladen war. Insgesamt lief das alles besser, als ich das erwartet hatte. Soziale riesige Events, auf denen ich Niemanden kenne sind ja nicht so richtig etwas für mich, aber ich habe schnell Anschluss gefunden dort. Auch hier musste ich natürlich alleine hin fahren, obwohl ich mich gefreut hätte, wenn der Kardiochirurg mitgekommen wäre.
Und danach stand auch schon der Abschied aus der Psychosomatik an. Am Ende war der relativ unspektakulär, da wir in diesen Tagen massiv unterbesetzt waren – auch die Oberärztin war im Urlaub und ich konnte mich leider nicht persönlich von ihr verabschieden.
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Ich habe mein Büro schon sehr geliebt... |
Oktober
Zurück in alten Gefilden.
Die Landung war tatsächlich sanfter als erwartet. Es war ja vom Prinzip her nichts Fremdes, kein neues Umfeld in das ich hinein kam sondern eines, an das ich mich schon vier Jahre anpassen konnte, in dem ich meine Schlupflöcher gefunden hatte, die ein Jahr später immer noch da waren. Außerdem war eine meiner Lieblingskolleginnen aus Tschechien in dieser Woche da und war auch auf meiner Station eingeteilt. Also konnte ich sie für alles fragen, in dem ich vielleicht doch unsicher war und dann war das an sich eine schöne erste Woche.
Auch in die Dienste bin ich recht schnell wieder rein gekommen. Schon wenige Tage nach meiner Ankunft dort gab es einen Dienst zu übernehmen und ich habe den dann genommen – auch aus dem Grund, dass ich gar nicht erst großartig Angst aufbauen, sondern mir selbst beweisen kann, dass ich es noch kann.
Irgendwie bin ich auch auf einer anderen Ebene sicherer geworden, habe ich bemerkt. Zwischenmenschlich sicherer. Das hat mir auch die Pflege so gespiegelt und das macht manche Dinge im Klinikalltag doch irgendwie einfacher, generiert vielleicht auch ein bisschen mehr Selbstsicherheit. Ich habe gemerkt, dass ich anders zurück gekommen bin, als ich damals gegangen bin und vielleicht liegt es zumindest in Teilen daran.
Vielleicht aber auch daran, dass die ZNA natürlich auch ihren Reiz hat. Man sieht schneller, dass man etwas tut, man sieht schneller Erfolge – für sich selbst und für die Patienten. Und ich habe auch gemerkt, dass ich mich wieder etwas leichter in mein Umfeld integrieren konnte. Es gab schon so einige Menschen, die entweder offen zugegeben haben, oder bei denen man zwischen den Zeilen gemerkt hat, dass die eigentlich keine Ahnung hatten, was ich da das Jahr über getrieben habe.
Auch zwischen dem Kardiochirurgen und mir ist wieder etwas mehr Bindung entstanden. Zum Einen, weil er mit meinem Tun wieder mehr anfangen konnte, zum Anderen aber auch, weil wir uns zumindest im Krankenhaus mal wieder zwischen Tür und Angeln gesehen haben, weil ich auch wieder so schwer beschäftigt war, dass ich gar nicht mehr so viele Gelegenheiten und Kapazitäten hatte, mich aufzuregen.
Die Neuro hat mich auf eine gewisse Art aber auch wieder ein bisschen von der Bildfläche versschwinden lassen. Manche Freunde haben das dann im Verlauf angemerkt. „Seitdem Du wieder auf der Neuro bist, hört man nicht mehr viel von Dir.“
November
Der November war tatsächlich ziemlich grau.
Ich habe ziemlich viel gearbeitet, der Kardiochirurg auch, wir hatten wenig Zeit uns zu sehen, zwischendurch hat es sicher wieder irgendwo geknallt. Wenn ich Zeit hatte habe ich mich – wie das ganze Jahr über schon – um meine Neurozusammenfassungen gekümmert und ich habe bemerkt, dass ich mich beeilen muss, um das Jahresziel noch zu erreichen und wirklich fertig zu werden mit den Zusammenfassungen, damit ich danach mal irgendwie mit Lernen anfangen kann. Außerdem wurde mir langsam klar, dass die Idee mich bis Ende des Jahres anzumelden für den Facharzt aufgrund von diversen Verzögerungen, sicher auch nicht so richtig etwas wird. Zumindest habe ich ab Mitte des Monats mal angefangen, das Logbuch bei der Oberärzten herum zu reichen, damit die das alles mal unterschreiben.
Dezember
Der Dezember startete mit einer Woche Urlaub. In der Zeit habe ich zumindest mal alles Lernmaterial geordnet und gesichtet, das ich bis jetzt habe und es angefangen, strukturiert in Ordnern abzuheften. Außerdem habe ich in der Woche ziemlich viel zusammen gefasst. Während der Woche kam dann auch raus, dass der Kardiochirurg es irgendwie vergessen hat, die dritte Dezemberwoche als Urlaubswoche einzutragen und die Idee in der Zeit in die Berge zu fahren deshalb nicht funktionieren wird. Als ich seinen Dienstplan gesehen habe, bin ich stattdessen fast hinten über gekippt. Er würde quasi bis Ende des Jahres durcharbeiten. Es war dann eigentlich schon relativ früh klar, dass der Dezember nicht das Finale des Jahres werden würde, das ich mir erhofft hatte.
Wir sind dann am Ende der Woche – um wenigstens überhaupt irgendetwas zu machen – in die Therme gefahren. Das war im Gesamten schon schön – allerdings auch nicht mehr wie beim ersten Mal. Ich glaube auch, es geht da gar nicht um die Unternehmungen oder dass das an sich nicht schön wäre. Sondern vielleicht auch daran, dass ich das mittlerweile gar nicht mehr so sehr an mich ran lassen kann, um nicht zu viel zu verlieren, wenn das alles schief geht. Oder vielleicht liegt es auch ein bisschen daran, dass das Fass von Nähe zwischen uns beiden so leer ist, dass auch eine gemeinsame Unternehmung nach Monaten da maximal den Boden bedecken kann und immer noch unendlich viel fehlt, selbst wenn wir dann gerade mal Zeit miteinander verbringen.
Die Woche danach war ziemlich krass – ich hatte drei Dienste, davon aber zwei am Wochenende, dazwischen noch Regeldienst und Spätdienst – die Woche war einfach nur wild, ich war froh, als sie vorbei war, aber immerhin mündete sie ja auch schon wieder in eine Urlaubswoche, von daher war das schon okay. Was weniger okay war, war die Urlaubswoche an sich. Der Kardiochirurg war ziemlich beschäftigt, wir haben uns kaum gesehen – es war genau das Gegenteil von dem, was ich mir vorgestellt hatte. Ich habe versucht den Rest meiner Zusammenfassungen zu schaffen, bin am Ende knapp daran gescheitert, weil langsam auch die Motivation flöten ging und habe immer mal wieder mit dem Gedanken gespielt, zumindest mal noch irgendetwas zu unternehmen, aber auf einen grünen Zweig gekommen bin ich damit nicht.
Weihnachten wurde dann – nachdem ich am 24. Morgens totmüde aus dem Dienst gekommen bin, wieder eine Veranstaltung von knapp 24 Stunden. Aber immerhin haben der Kardiochirurg und ich es dieses Jahr gemeinsam zu meiner Schwester und ihrem Freund geschafft und das war ein sehr schönes Ereignis und etwas, das uns minimal in die richtige Richtung bewegt hat. Die kleinste Einheit, die diese Familie gerade noch sein kann, hat es an einen Tisch geschafft und dafür habe ich sehr, sehr viel Dankbarkeit empfunden. Irgendwann an diesem Abend hat der Kardiochirurg fallen lassen, dass er am 30.12 mal noch einen Rufdienst übernommen hat. Ich habe mir vorgenommen, das nicht so ernst zu nehmen – es kann ja auch mal gut gehen, dass wir zumindest eines dieser Events, die es im Jahr so gibt, von vorne bis hinten gemeinsam verbringen.
Natürlich ging das nicht gut. Dass er wirklich die ganze Nacht im Rufdienst im OP stand kam so eigentlich noch nie vor – ich habe dann ja schon irgendwann damit gerechnet, dass unser Silvestertag erst mittags los geht.
Am Ende ging er um 22 uhr abends los und wir haben es gerade so geschafft Pizza zu machen und nebenbei die Silvestershow zu schauen. Das war zwar an sich sehr schön, aber eben zu kurz. Der Neujahrstag war dann sehr ruhig, aber ziemlich nach meinem Geschmack. Wir waren beide glaube ich auch echt fertig.
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Ich glaube, es muss irgendwann Ende des Frühlings gewesen sein, als ich gesagt habe, dass ich müde bin von all den Baustellen, wohin man auch schaut. Daran hat sich leider das ganze Jahr über nichts geändert. Daran hat sich genau genommen bis jetzt nichts geändert und langsam merke ich, wie erschöpft ich davon bin. Gefühlt könnte ich eigentlich nur noch schlafen.
Ich habe keine Ahnung, wann ich mich das letzte Mal entspannt gefühlt habe. Irgendetwas ist immer. In den allermeisten Fällen muss ich entweder lernen oder streite mich mit dem Kardiochirurgen oder bin auf der Arbeit. Das ist eigentlich so das Leben seit Monaten. Ich bräuchte sehr, sehr dringend Urlaub.
Was die Zielsetzung anbelangt sind wir eigentlich genau dort, wo wir letztes Jahr waren. Ich hoffe, dass 2025 das Jahr des Facharztes wird. Nicht, dass mir persönlich das jetzt irgendwie wichtig wäre, aber ich habe Angst darin zu versagen und ich hätte das einfach gern von den Hacken.
Über das „Wie“ muss ich allerdings nochmal nachdenken. Ich habe das ganze letzte Jahr schon auf so viel verzichten müssen. Wir waren 2,5 Wochen im Urlaub und den Rest der Zeit habe ich eigentlich in jeder freien Minute nur gelernt. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt entspannt mit einem Buch in der Ecke saß. Ich habe viele meiner Freunde das ganze Jahr nicht gesehen und ich möchte nicht, dass es endet wie nach dem Examen, im Rahmen dessen der Freundeskreis sich doch dezimiert hatte. Und ich bin einfach unendlich müde von der permanenten Lernerei. Es fühlt sich langsam an, als würde auch das Gehirn mal langsam dicht machen, streiken, nicht noch mehr hören wollen.
Nach dem Facharzt brauche ich auch ziemlich dringend mal ein neues Hobby. Paragliding, Reiten oder Keyboard stehen so zur Auswahl. Paragliden würde vielleicht der Beziehung gut tun und meinem alten Traum vom Fliegen auch, aber ich muss mal für mich klären, ob das auch aus mir heraus gekommen wäre zum jetzigen Zeitpunkt.
Und dann – für die Beziehung dieselben Wünsche wie letztes Jahr. Ich würde mir wünschen, dass wir mal irgendwann einen Alltag zwischen uns etablieren, dass der Eine mal eine zeitlang beim Anderen bleibt und umgekehrt. Dass wir uns nicht immer nur sporadisch sehen, sondern dass wir gegenseitig Teil unseres Lebens werden. Dass es Alltag wird, dass der Andere irgendwann abends nach Hause kommt, dass wir abends aneinander gekuschelt einschlafen (okay, das ist nicht so sein Ding, weder beim Einschlafen noch beim Aufwachen), dass er morgens das Erste ist das ich sehe, wenn ich die Augen aufmache.
Was wir dazu als allererstes aber brauchen, ist überhaupt irgendeine Form von Bindung. Und ehrlich gesagt weiß ich noch nicht, wie wir da dran kommen. Dazu müsste diese endlose Schleife von Enttäuschungen mal aufhören, er müsste mal anfangen für uns zu denken (bisher habe ich auch nur gehört, wann er mal in den Urlaub fahren könnte dieses Jahr und noch keinen Versuch gehört, wo WIR mal etwas tun könnten). Ich glaube wir müssten als allererstes mal versuchen, diesen gefühlten Kampf zwischen uns zu beenden. In meiner Wahrnehmung suche ich permanent Zeitlücken, die er permanent versucht zu verschließen und damit permanent vermittelt: „Geh mir nicht auf den Zeiger“
Ich hoffe, dass es trotz aller Belastungen noch ein bisschen Zeit für Urlaub gibt. Ich würde ja sagen, ich möchte ans Meer, aber ich glaube das lassen wir jetzt erstmal mit dem Meer. Aber in die Berge würde ich gern. Im nächsten Dezember. In den Schnee.
Auch wie letztes Jahr stellt sich die Frage, was arbeitstechnisch so werden wird. Was mache ich eigentlich nach dem Facharzt? Wird es nicht mal cool sein endlich mal grob zu wissen, was man da eigentlich tut auf der Arbeit? Eine gewisse Selbstsicherheit zu haben? Will ich die wirklich zu Gunsten eines Anfängerstatus wieder aufgeben?
Andererseits: In der Psychosomatik werde ich das ja hoffentlich auch mal irgendwann wissen. Also - was ich da so tue. Und ganz schlecht scheine ich mich ja nicht angestellt zu haben. Und während ich für mich in der Neuro eigentlich keine großen Karrierechancen mehr sehe, könnte ich mich irgendwann mit einem Psychosomatik – Facharzt ja schon niederlassen und nach vielen – unendlich vielen – Jahren Umweg doch noch zu dem Traumberuf gelangen, den ich als Jugendliche mal hatte und nie vergessen habe.
Und dann muss ich mir auch mal Gedanken um das Helfersystem machen. Dieses „wir ignorieren alles mal“ hat schließlich nicht so toll geklappt. Der Intensivoberarzt hat eine Weile recht gut unterstützt – in letzter Zeit war es aber immer schwieriger Zeitlücken zu finden und das war selbst wenn es akuten Redebedarf gab, bisweilen nicht möglich. Jetzt ist das natürlich auch nicht sein Job, ich verstehe das schon. Er ist ab und an als Ohr für mich gern da, aber auch nur, wenn es zeitlich rein passt.
Die Psychosomatik – Oberärztin war in der zweiten Jahreshälfte wirklich gold wert – auch wenn das natürlich ebenso nicht ihr Job war. Dennoch – was sie fachlich kompetent (naja ist halt so, in diesem Job, wenn man Glück hat) aufgefangen hat, hat so manche Krisen abgekürzt und irgendwie in ein tragendes Erleben umgewandelt. Sie hat es mir auch ermöglicht, wieder ein bisschen anders auf den verstorbenen Freund zu schauen, begleitet, dass sich manche Sichtweisen noch ändern können und dürfen. Bei ihr durfte ich es dieses Jahr auch erleben wirklich mal verletzlich zu sein. Zu sagen „ich kann nicht mehr, ich brauche jetzt etwas“ und 20 Minuten später saß ich in ihrem Büro.
Bei der Coaching – Frau war ich irgendwann nicht mehr, weil das auch einfach keinen Sinn hatte (und weil ich keine Zeit mehr hatte – Facharzt und so). Mir ihr habe ich hauptsächlich über die Beziehung geredet und sie hat mir hauptsächlich mehr oder weniger direkt gesagt, dass ich mich trennen soll. „Ihre biologische Uhr tickt schließlich auch – langsam brauchen Sie jemanden, mit dem Sie sich eine Familie vorstellen können, wenn Sie das wollen.“ Ja, Dankeschön. Darüber habe ich schließlich auch noch nie nachgedacht. Ich hatte tatsächlich mal irgendwann die Idee den Kardiochirurgen mal mitzunehmen – natürlich vorher mit allen abgesprochen – und sie dann als neutrale Vermittlerin zu verwenden. Wenn wir alleine nicht miteinander reden können – vielleicht klappt es dann, wenn das jemand moderiert. (Bisschen dilettantische Paartherapie dann). Allerdings hatte ich zu viel Sorge, dass das alle Beteiligten überfordern könnte und habe den Vorschlag dann doch sein lassen.
Ich habe aber im Moment schon das Gefühl, dass ich mit meinem Innen sehr überfordert bin. Ich hatte auch nicht mehr viel Zeit um den Blog zu schreiben, was mir normalerweise sehr geholfen hat, mich zu sortieren. Manchmal habe ich aber auch den Verdacht, dass eine Rückkehr des Lebens in geordnete Bahnen viel auslöst. Vielleicht oft zu viel und dann muss ich erstmal alles von mir weg stoßen um alleine zu sein – was auch jedes Mal schlimm ist, weil ich nicht gern allein bin – aber weniger überfordernd. Ich habe letztens einen Satz gelesen: „I still remember the days that I prayed for the things I now have.“ Und manchmal denke ich die Ansprüche an mein Umfeld und mich sind viel zu hoch.
Ich glaube das Jahr in der Psychosomatik hat mir auch bewusst gemacht, dass keine Therapie je die Dinge in der Vergangenheit heilen wird. Es gibt so viel Zeit, die ist unwiederbringlich verloren – gerade auf einer emotionalen Ebene. Ich hatte keine Jugend, wie man sie haben sollte, meine Zwanziger habe ich hauptsächlich mit Trauerarbeit verbracht und in dem Rahmen mit Überleben (im wahrsten Sinn des Wortes) und Symptome klar kriegen, mit 30 wollte ich längst verheiratet sein und Kinder bekommen. Ich kann hoffentlich irgendwann lernen damit umzugehen, akzeptieren, dass es war, wie es eben war und manche Dinge sind auch sicher in einem gewissen Rahmen nachholbar.
Das Ding ist, dass ich jetzt glaube ich viel zu ungeduldig bin, dass ich alles bitte jetzt und sofort haben möchte, am liebsten würde ich die Zeit ein paar Jahre zurückdrehen und all die Dinge tun, die ich einfach nicht tun konnte. Und dennoch hat vor ein paar Jahren niemand geglaubt, dass ich es überhaupt so weit schaffen könnte und das darf ich manchmal auch nicht vergessen, denke ich.
Aber es führt zu viel Gefühlschaos, zu sehr viel Projektion und ich glaube, ich könnte viel dankbarer für das Jetzt sein, wenn ich damit besser umgehen könnte. Aber leider landet gerade eben sehr viel von der Wut und der Enttäuschung im Jetzt, als sei das sämtliche Projektionsfläche für alles, das ich immer einfach so hingenommen habe. Ich war nie so oft und so viel wütend wie in diesem Jahr und ich hasse mich ziemlich, wenn ich wütend bin, weil ich genau weiß wie unfair das dann ist und ich es trotzdem in dem Moment nicht anders machen kann. Der Kardiochirurg und ich hatten kein einfaches Jahr und er war daran sicher auch nicht ganz unbeteiligt und hat dennoch an vielen Ecken zu viel abbekommen. Die Kritik war sicher schon oft im Kern richtig – hauptsächlich stört mich eben einfach, dass er nichts abspricht, nichts plant, selten für uns denkt – aber das Ausmaß der Kritik war eben oft nicht angebracht.
Ich weiß nicht, ob ich werde damit gut zurecht kommen können, oder ob ich dafür nochmal Unterstützung brauche. Und dann ist auch die Frage, woher? Gehe ich nochmal zu der Coaching – Frau? Das Problem ist, wenn man selbst in der Psychosomatik gearbeitet hat, dann – es soll nicht angeberisch klingen – aber man braucht ein Gegenüber, das nicht nur einfühlsam ist, sondern auch ein bisschen kompetent, weil man das zu schnell merkt, wenn man das Gegenüber mit der eigenen Gehirnakrobatik überfordert. Kollegen aus der Psychosomatik hatten vorgeschlagen, schon mal mit der Selbsterfahrung anzufangen, aber das neben der Facharztvorbereitung?! Andererseits beschäftigt es mich ja ohnehin und macht mir das Leben schwer, sagte meine Oberärztin. Neben einem: „Manchmal kann es sehr, sehr schmerzhaft sein, wenn einem Dinge bewusst werden.“ Ja, ich glaube das merke ich gerade und ich merke aber auch, dass ich absolut keinen Bock mehr auf dieses ständige "ich komme mit mir und meinem Leben nicht klar", habe.
Und dann ist auch die Frage, wie eine gute Therapie aussieht. Nach meinem Jahr in der Psychosomatik glaube ich auch, dass ich das für mich nicht immer gut genutzt habe.
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Das war so unendlich schön, dass Bilder das gar nicht einfangen können. Ich hoffe noch auf einiges an Schnee und Winterausflügen diesen Januar |
So – future me wird nicht begeistert sein, wenn es in einem Jahr so viel Text an den Beginn des Jahresrückblicks kopieren muss. Deshalb mache ich jetzt mal einen Punkt. Ich hoffe man kann die Ambitionen für 2025 trotzdem nachvollziehen.
Allen Lesern wünsche ich etwas verspätet einen guten Start ins neue Jahr mit vielen Glücksmomenten und tollen Erlebnissen.
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