Ideen und Reaktionen... - und ein bisschen Hoffnung


Die letzte Arbeitswoche war so voll, dass ich kaum Zeit zum Nachdenken, zum Reflektieren hatte. Ich dachte immer, dass ich komplett zusammen brechen werde, wenn dieser Rotationsplan raus ist und quasi schwarz auf weiß deutlich wird, wie viel Zeit ich noch habe, in der ich irgendeine Art von Lösung finden muss. Ich habe aber erstmal ganz normal weiter gearbeitet.
Das kam dann erst ab Freitagabend. Viele Tränen, viele Fragen. Viel Reflektion. Viel „wie geht es weiter?“

Mondkind wäre vermutlich nicht Mondkind, wenn sie nicht in all dem Chaos schon wieder einen Plan hätte.
Ich bekomme Montagabend noch Besuch – von der potentiellen Bezugsperson. Eigentlich möchte er nur kurz etwas bei mir abholen, aber ich habe ihm gesagt, dass er – wenn er sie hat – bitte ein bisschen Zeit mitbringen soll. Kommunikationsweg wechseln war der Tipp von Herrn Kliniktherapeuten – das werden wir dann am Montag mal versuchen. Ohne Diensthandy, das plötzlich klingeln und dafür sorgen kann, dass man sämtliche Fragen erstmal beiseite schieben muss. Ohne Stroke Alarm, der plötzlich los gehen kann. Ohne Kollegen, die unvermittelt in der Tür stehen können. Sehr praktisch ist auf jeden Fall, dass am Montag vorher auch noch Herr Therapeut anrufen möchte – da können wir gleich noch besprechen, wie man dieses Gespräch am Besten aufzieht.
Das wird alles eine sehr knappe Kiste – mir wäre es lieber gewesen, hätten wir Montag erst das Gespräch planen können und er wäre Dienstag gekommen.
Ich müsste das schaffen, einigermaßen pünktlich mit der Arbeit fertig zu werden, um 18 Uhr mit dem Therapeuten zu telefonieren und danach noch das Gespräch zu führen. Und das, wo am Dienstag Chefarztvisite ist und ich bis dahin alle meine Patienten auswendig kennen muss.

Und dann muss ich mir – abhängig von dem Gespräch – überlegen, wie es hier weiter gehen soll. Vermutlich kann ich nicht formulieren, wie wichtig das jetzt eigentlich ist, ohne einem Menschen eine Verantwortung zu übergeben, die er vielleicht nicht tragen will und tragen kann. Aber eigentlich ist das, was dabei heraus kommen wird, absolut essentiell für alles, was danach kommt.
In Ruhe ankommen. Nicht mehr ständig hin und her geschoben werden. Ein stabiles Umfeld generieren – das war das, was gesagt worden war, was passieren wird. „Mondkind, die Neuen bleiben erstmal in einer Abteilung“, habe ich noch vor wenigen Tagen von einem Kollegen gehört, als ich mich laut gesorgt habe, bald von der Abteilung zu müssen.
Jetzt stehe ich hier aktuell ohne stabile Bezugsperson, verliere vielleicht – je nachdem was Montag passiert – die Person, die es werden sollte und rotiere innerhalb von sieben Monaten über drei Abteilungen. Bevor ich mich richtig an etwas gewöhnt habe, bin ich auch schon wieder weg. Das lässt die Angst nicht weniger werden. Und die Stabilität nicht mehr.

Instabilität in allen Bereichen des Lebens, wenn man zudem die meiste Zeit allein auf seinem Weg ist, kann man sicher eine Weile aushalten. Ich habe mir oft vorgeworfen, das nicht ausreichend gut zu können. Aber nachdem ich letztens nochmal nachgelesen habe, wie lange das schon so geht und wie sehr Stabilität, Ankommen, ein zu Hause und eine Bezugsperson das Einzige war, das ich mir gewünscht habe, hat sich meine Sichtweise da ein wenig geändert. Ich habe alles so oft auf den Kopf gestellt, um da irgendwann mal anzukommen. 



Das Helfersystem reagiert da mittlerweile ein bisschen… - kratzbürstig. Die Meisten verstehen das nicht. Wie essentiell wichtig diese Stabilität ist. Menschen, die erstmal bleiben. Und vielleicht ist das für alle die, die das als „nicht so schlimm“ betrachten, auch irgendwie gut.
Ich höre, dass man Bezugspersonen ja einfach mal wechseln könne. Dann tauscht man da eben ein paar Menschen aus. Schafft Möglichkeiten, die einfacher zu realisieren sind. Aber so läuft das nicht. Das ist irgendetwas ganz tief Emotionales. Ich hätte mir – mit ein bisschen Verstand – nie einen Menschen im Arbeitsumfeld ausgesucht, weil es klar ist, dass es die Situation um das zehnfache verkompliziert. Aber es ist nun mal passiert.
Ich höre, dass ich es dann doch einfach nochmal mit der Klinik versuchen soll. Was kurzfristig gedacht sicher eine schöne Idee ist. Es würde Tage ohne Angst generieren, mir für ein paar Wochen ein stabiles Umfeld ermöglichen, viel Raum für Reflektion, nachdenken, wie es weiter gehen kann, ohne nebenbei noch gut genug im Job sein zu müssen, der mit seinen 12 bis 14 – Stunden – Tagen wirklich fast alles an Energie auffrisst. An manche Momente und Situationen in der Klinik denke ich auch wirklich gern zurück und müsste ich nicht nachdenken, würde ich die Chance sofort nochmal nutzen. Jobtechnisch gesehen wäre es eigentlich in meiner Lage auch kein großes Problem. Selbst wenn der Chef mich danach raus schmeißt, gibt es genug Kliniken, die händeringend Ärzte suchen. Aber das würde in meinem Fall auch bedeuten, die Idee eines potentiellen „zu Hause“ zu verlieren und irgendwann endet jede Klinikzeit. Und was nützt die Klinik, wenn ein Ende der Klinik, ein Ende des Weges bedeutetet?
Ich höre, dass ich dann eben noch ein bisschen aushalten muss, bis die Konstellationen sich so verändern, dass es neue Möglichkeiten und Wege gibt. Und dann denke ich mir, dass ich doch schon lange genug ausgehalten habe.   Dass es so oft hieß: „Ja, die Situation ist beschissen. Aber noch ein Stück weiter Mondkind. Ein kleines bisschen noch. Noch ein Mal alle Kräfte mobilisieren.“ Und am Ende hat das auch zu nichts geführt.

Ich glaube, man unterstellt mir mittlerweile, dass ich mir nicht so richtig Mühe gegeben habe.  Dabei bin ich der Meinung, dass ich alles getan habe, das ich tun konnte. Und manche Dinge waren Risiken. Und das hier… - das war das Größte. Und obwohl ich unfassbare Angst davor hatte, dass es nicht funktioniert, habe ich es gemacht. Weil ich eigentlich leben wollte. Weil ich irgendwann mal sagen können wollte, dass die vielen Jahre nicht für umsonst waren. Und dass sich jetzt – sehr viel schneller als gedacht – entscheiden wird, ob das hier alles bald ein Ende findet oder nicht, hat mich unfassbar viele Tränen gekostet.
Es ist nicht einfach. Für jeden, der da jetzt direkt oder indirekt mit drin hängt.

Viele Fragen – die schnelle Antworten brauchen.
Wie gehe ich mit dem Helfersystem um? Ich kann keinem antun, mir zuzuschauen, wie ich es am Ende nicht geschafft habe. Ich kann aber auch gerade bei diesen Menschen nicht erzählen, dass alles gut ist und ich schon irgendwie einen Weg finden werde, wenn mir klar ist, dass das nicht mehr der Fall sein wird. Wenn ich jahrelang erzählt habe, dass das Ende der Fahnenstange irgendwann mal erreicht sein wird, die Kraft am Ende ist, wenn ich nicht irgendwann mal ankomme und das genau jetzt so ist. Rückzug wäre vermutlich das Gebot der Stunde. Es hat mir nie Jemand hinterher telefoniert – was auch nicht deren Job war. Ich wollte ja etwas denen und musste immer wieder aktiv auf die Leute zugehen.
Es ist auch die Frage, wie es mit dem Blog weiter geht. Auch meinen Lesern gegenüber habe ich eine gewisse Verantwortung. Eine Vorbildfunktion hatte der Blog vermutlich ohnehin nie so richtig (das war auch ehrlich gesagt nicht unbedingt das Ziel), aber quasi am Ende zu zeigen, wie man es tunlichst nicht machen sollte, erscheint mir jetzt wirklich falsch.

Man wird sehen, wie es weiter geht. Ich wäre nicht ich, wenn da nicht noch ein bisschen Hoffnung wäre. Auf den Montag. Und erst wenn das nicht klappt… - darf ich mir bewusst machen, wie eng das hier wird.

Mondkind

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