Worte aus der Vergangenheit
Sonntagmorgen.
Ich sitze bis zur Nasenspitze eingepackt mit zwei Wolldecken auf
meinem Sofa. (Naja, okay, die Hände schauen raus, zum Schreiben und Kaffee
trinken…). In den Knochen hängt mir schon wieder die Angst vor dem morgigen
Tag. Wie viele neue Patienten werde ich haben, über die ich bis zur Visite
alles wissen muss? Gibt es wieder eine unangekündigte Ansprache, wie unfähig
wir alle sind? Gibt es den Rotationplan?
Gestern war ein anstrengender Tag. Neben Haushalt und Einkaufen musste
ich mich ja noch um das Geschenkkörbchen kümmern. Ich befürchte mal, derjenige,
der mir aufgetragen hat was dort hinein soll, hat das hier im Kaff selbst noch
nie besorgt. Ich war in nahezu sämtlichen Läden und habe den geforderten Inhalt
nicht bekommen. Ein Laden telefoniert jetzt noch für mich herum und die
schauen, ob sie das bestellen können. Wenn nicht, fange ich Montag wieder bei
Null an. Und das alles habe ich im komplett überreizten Zustand getan. Wenn
Jedes Geräusch zu laut ist, Jeder Mensch hinter mir an der Kasse zu nah, Jedes
Ansprechen von Fremden eine Überwindung ist. (Meinen Geschirrspüler habe ich
gestern mit einem Geschirrtuch ganz vorsichtig ausgeräumt, damit es nicht so
klappert. Es ist alles zu laut gerade…).
Abends waren noch zwei Telefonate zu führen – eines mit einer
Freundin, die gerade von einer Beerdigung kam und eines mit meiner Schwester. Sie
fragt nicht einfach so, ob wir mal telefonieren können – irgendetwas ist da im
Busch; das war mir klar. Im Endeffekt ist sie sehr unzufrieden mit der Job- und
Wohnsituation, die tägliche Pendelei
gibt ihr den Rest und im Moment stehen nur zwei Wahlmöglichkeiten an: Die eine
wäre in den Ort zu ziehen, in dem sie arbeitet. Aber jetzt hat sie auch mal
erkannt: Dann hängen wir beide an komplett unterschiedlichen Ecken des Landes,
ohne Familie (zumindest in meinem Fall, aber klar – selbst gewählt) und ohne
Freunde und werden die nächsten 40 Jahre unseres Lebens nur arbeiten und
vereinsamen. (Okay, ist vielleicht etwas überspitzt, aber so ungefähr…). Die
zweite Möglichkeit wäre, dass sie das Krankenhaus wechselt und zu mir in den
Ort zieht – dann haben wir zumindest uns gegenseitig – auch wenn ich ihr
ausreden muss, dass die Arbeitsbedingungen hier in irgendeiner Form besser
sind, als bei ihr.
Aber natürlich hadert sie da auch mit sich. Obwohl es so gesehen noch
relativ „einfach“ wäre. Natürlich hat sie sich an ihre Kollegen gewöhnt und sie
sicher zu schätzen gelernt – dennoch klebt sie meines Wissens nach an Keinem im
Sinn einer Bezugsperson so sehr, wie ich. Mit dem Umzug wäre es auch recht
einfach. Sie könnte ja erstmal von dem einen Unterschlupf bei dem Freund von
meiner Mutter in den Nächsten – in meine Wohnung – ziehen.
Ich will die Dimension der Entscheidung an der Stelle gar nicht
relativieren oder sagen, dass das ja wohl eine klare Sache ist. Vielleicht muss ich
mir nur keine Vorwürfe machen, dass ich auch nicht so recht weiß, wohin mit
mir. Und ich würde ja nicht nur den Job und meinen „kleinen sicheren Ort“ in
Form meiner Wohnung verlieren, sondern auch eine Bezugsperson, die Idee von
einem „zu Hause“ und einer Zukunft – also eigentlich alles, was ich habe.
Und dennoch frage ich mich in solchen Momenten immer: Wie konnte es
alles soweit kommen? Wo doch mein Bauchgefühl – wenn ich mich richtig erinnere –
schon seit Jahren sagt, dass der Weg der Falsche ist. Und dass es umso mehr
eine Einbahnstraße wird, je weiter ich gehe. Dass Umkehren immer schwieriger
wird. Weil nicht nur die Optionen weniger werden, sondern es auch immer
schwieriger wird, von den eingetretenen Pfaden abzuweichen. Und weil man sich
immer mehr selbst verliert. Weil man irgendwann nicht mehr weiß wer man ist und
wohin man wollte und das nur noch rekapitulieren kann, wenn man alte
Schriftstücke liest. Und in so mancher Nacht begebe ich mich dann auf die
Suche.
Frage mich irgendwann nach vielen Stunden Lesen still, ob ich es war,
die diese Worte geschrieben hat. Wie ich das so lange überleben konnte. Woher
ich immer wieder die Hoffnung geholt habe. Und vielleicht kann man auch
manchmal ganz still werden vor Ehrfurcht, wie ich das alles gemacht habe. So
vieles wird nachvollziehbar – wenn auch nicht für andere, die nie aufhören
werden, mir Vorwürfe zu machen, dann zumindest für mich.
Eine kleine Reise.
Tagebucheinträge, die nach Jahren viel bewegen. Viel erklären.
Und niemals so viel Schmerz in sich hätten tragen sollen.
Sonntag, 30. Januar 2011
Sag mir, wo mein zu Hause ist? Wo ich hin gehöre? Wo ich
ich sein darf? Wo man etwas beginnen, oder etwas ausprobieren darf, ohne dafür
kritisiert zu werden, ohne sich ständig anhören zu müssen, dass man denn ganzen
Tag alles falsch macht… immer.
Sag mir einen Ort, wo ich mich fallen lassen darf, ohne
nachzudenken, an dem ich reden darf, ohne zu denken, an dem ich Fehler machen
darf und trotzdem noch gut bin?
Sag mir einen Ort, an dem ich willkommen bin, an dem ich
das Gefühl habe vermisst worden zu sein und mich nicht wie ein Tier fühle, dass
man zähmen muss?
Sag mir einen Ort, an dem ich eigene Entscheidungen
treffen darf, ganz eigen, ohne beeinflusst worden zu sein? Und wenn sie falsch
war? Okay, dann habe ich einen Fehler gemacht, aber ich will nicht immer mit
den Entscheidungen leben müssen, die andere für mich treffen, einfach aus der
Angst heraus, dass mir eine Fehlentscheidung Jahre hinterhergetragen wird.
Reicht es nicht, wenn ich damit leben kann?
Ist die Welt nicht groß und kompliziert genug, um sich in sich selbst darin zurecht zu finden? Warum muss ich es so gestalten, dass alle anderen sich in meiner kleinen Welt auch noch wohl fühlen? Es geht doch dabei um mich, um meine Welt, sie haben doch ihre Welt.
Ist die Welt nicht groß und kompliziert genug, um sich in sich selbst darin zurecht zu finden? Warum muss ich es so gestalten, dass alle anderen sich in meiner kleinen Welt auch noch wohl fühlen? Es geht doch dabei um mich, um meine Welt, sie haben doch ihre Welt.
Warum brauchen sie auch noch meine?
Dienstag, den 11. Oktober 2011
Turbulente Tage liegen hinter mir. Viele Klausuren. Ob sie
gut sind? Keine Ahnung. Das Gefühl dafür habe ich verloren. Wann ist eine
Klausur gut? Eigentlich nur, wenn es eine 1 ist. Aber kann ich eine 1 fühlen?
Geschichte ist ziemlich gut geworden, Deutsch eher nicht so, Pädagogik… keine
Ahnung, da hatte ich noch nie eine Ahnung, da kann genauso gut eine 1 wie eine
4 drunter stehen und Englisch, da habe ich Aufgabe 3 ziemlich versiebt…
Seit heute ist das Thema Reiten dann auch mal Geschichte.
Wer weiß für wie lang. Ich habe mir erst mal gesagt bis Januar, aber ob das
nicht lediglich eine Ausrede ist, um alles erst mal etwas leichter zu machen?
Keine Ahnung.
In den letzten Monaten war es mir sehr schwer gefallen,
weil ich immer so das Gefühl hatte, dass ich doch eigentlich woanders sein
sollte. Nicht auf dem Pferd, sondern am Schreibtisch, um zu lernen.
Aber als ich heute wieder die Pferde in der Halle gesehen
habe… da hat es mir doch beinahe das Herz gebrochen. Wie viel hätte ich in dem
Moment darum gegeben, noch einmal auf Finn zu sitzen…
Ist es vernünftig? Keine Ahnung, aber vielleicht muss ich
mich selbst erst mal wieder sortieren, um es wieder genießen zu können. Ich
weiß es nicht.
Und Herr [Deutschlehrer]? Sorry, ein Thema, das wir hier
noch nie hatten, aber er wird doch immer mehr zum Ersatzpapi. Ich weiß nicht
einmal so ganz, warum gerade er… Aber es ist einfach so. Ich vermisse Dad fast
jeden Tag und zwischen Herbstferien und Weihnachten werden wir ihn gar nicht
sehen… Also schon wieder eine verkorkste Weihnachtszeit…
Samstag, den 22. Oktober 2011
[Tagebucheintrag nach unserer Abschlussfahrt nach Prag…]
Tage, die fliegen. Tage, die vorbeirauschen, obwohl man
sie für immer festhalten will. Tage, in denen man will, dass die Zeit endlich
einmal stehen bleibt. Aber das wird sie nicht. Nie. Das Einzige, was sie einem
immer zeigen wird ist, dass es das wert ist, zu leben.
Mit den Lehrern hatte ich mehr Spaß, als ich mit allen
hier zu Hause je haben könnte. Sie akzeptieren einen als Person – zeigen einem,
dass man etwas wert ist und Dinge auch mal richtig macht. Von ihnen kommen
Sätze wie „Auf die Zwillinge ist immer Verlass“, sie hören einem zu und sagen
ihre Meinung so neutral wie möglich – ohne absichtliche Beeinflussung. Man
macht dort nicht immer alles falsch.
Heute heißt es sofort wieder „Was du machst ist sinnlos“
oder „Was du machst ist Scheiße“. Da klingt so, als bräuchte ich ein Lob für
alles was ich tue, aber so ist es gar nicht gemeint. Ich möchte nur, dass man
mich akzeptiert. Das ist alles. So einfach, aber scheinbar doch so schwer.
Sonntag, den 23. Oktober 2011
[Nochmal über die Klassenfahrt…]
Es ist vorbei. Zeit, das zu lernen.
Ich soll daran denken und davon leben. Davon, dass es auch
andere Dinge und Menschen geben kann – jenseits dieser Grenzen.
Ich gebe zu, es ist merkwürdig, dass die Zeit zusammen mit
den Lehrern interessanter und abenteuerlicher ist, man sich geborgener und
verstandener fühlt, als ich mich hier je fühlen könnte.
Es war eine Zeit jenseits des Krieges, der hier herrscht
und in fremden Gefilden vergisst man, dass es je anders war.
Dann kommt man zurück – mit Hoffnung und guter Laune und
kaum ist man 24 Stunden hier, bricht alles zusammen und es fühlt sich an, als wäre
die Zeit in Prag fernab jeglicher Realität gewesen – fast wie im Traum.
5 Tage lang war es nie der Gedanke, warum man das hier
alles noch durchzieht, was es für einen Sinn hat. Es gab auch nicht die Frage,
wo mein zu Hause ist – vielleicht, weil ich mich so geborgen und sicher fühlte,
dass die Frage überflüssig war. Es war auch nicht die Frage, ob ich die Zukunft
schaffen werde, es war mal etwas Optimismus. Irgendetwas würde aus mir schon
werden.
Aber nun bin ich zurück. Was bleibt, ist die Erinnerung,
das Wissen, dass es anders geht und die Hoffnung, dass es anders wird, wenn ich
irgendwann mein eigenes Leben habe, für das es sich lohnt, das hier alles
durchzustehen.
Das ist alles, was ich zum frühen morgen nur kurz sagen
wollte.
Mittwoch, 21. Dezember 2011
Vorgestern hat es geschneit… zum ersten Mal dieses Jahr.
Seit dem 19. Sind die Klausuren durch. Erleichterung. Ein
Stück weit. Es scheint wieder okay gewesen zu sein. Geschichte 2+, Deutsch 1 und
mündlich auch, Mathe 1 – und mündlich 1, Pädagogik 1, Philo mündlich 1.
Es sieht aus, als würde sich ein erfolgreiches Jahr
langsam dem Ende neigen.
Langsam scheinen alle einen Gang runter zu schalten.
Freitag, den 13. Januar 2012
Es ist zwar Freitag der 13. , aber trotzdem mal wieder
einen Zeugnisrekord aufgestellt.
Ja, Herr [Oberstufenkoordinator] hat uns heute in der Aula
in der 1. Großen Pause die Zeugnisse in die Hand gedrückt. Dazu hat er nur
kommentiert: „Die Zwillinge liefern sich einen erbitterten Punktekampf“… Naja,
das er das nicht unkommentiert lässt, war ja wohl klar.
Heute war mal wieder ein Plausch mit unserem Ersatzpapi
dran. Das tut soooo gut, wenn man dann geht, fühlt man sich quasi wie neu
geboren.
Mittwoch, 8. Februar 2012
Es geht irgendwas kaputt im Moment und… das macht mich
unendlich traurig. Ich merke, wie er verloren geht – Dad. Die Wochenenden waren
schon lange nicht mehr, was sie mal gewesen sind und so langsam machen sie mich
fertig.
Vielleicht ist die Zeit gekommen los zu lassen. Einfach zu
akzeptieren, dass er ein anderes Leben hat und wir dort keinen Platz haben – um
nicht zu sagen überhaupt gar nicht dort hinein passen.
Vielleicht.
Es ist eine Traumwelt, in der man sich manchmal wieder
findet. Mein PC – Hintergrundbild ist mittlerweile geändert. Mark Harmon alias
Gibbs ist darauf zu sehen und nachts ist er manchmal ein echter Dad, mit dem
man rumblödeln kann, der da ist, wenn man ihn braucht – nicht manchmal, sondern
immer und bei dem man immer vorurteilslos willkommen ist.
In letzter Zeit flüchte ich mich oft dort hin, auch wenn
ich weiß, dass es so einen Dad für mich nie geben wird.
Montag, 4. März 2012
Es sind nur noch wenige Tage Schule und letzte Woche habe
ich begonnen das zum ersten Mal zu begreifen. Schule ist für mich nicht einfach
Schule, Schule ist für mich wie ein zu Hause. Es ist etwas, was konstant in
meinem Leben geblieben ist und auch wenn wir in der Unterstufe mit nahezu jedem
Lehrer Stress hatten, so hat sich das doch in den letzten 3 Jahren geändert, wo
zu Hause der Teufel los war und ein Ende gar nicht absehbar ist. Es bricht im
Moment so viel um, es sind so viele Entwicklungen in den letzten Monaten
passiert, die ich niemals für möglich gehalten hätte und doch sind sie da und
das macht mir Angst.
Aber Schule war ein Halt. Und jetzt ist der auch bald weg.
Auch wenn es Stress war, oftmals viel Stress, weil ich mir
selbst und meinen Eltern eigentlich nie gut genug war, so war es doch auch
immer ein Stück Heimat.
Donnerstag, 15. März 2012
In Mathe haben wir heute unsere Noten fürs Zeugnis
bekommen. Ich bekomme 15 Punkte. Man, wer hätte das in der 8. Klasse mal
gedacht, dass das meine letzte Mathenote sein wird? Frau [Mathelehrerin] lobte
mich und sagte es wäre ihr noch nie passiert, dass jemand, der das Fach nicht
mal im Abi hat bis zum Ende so dran bleibt.
(Die Story dahinter ist, dass ich in der 8. Klasse in jeder
Mathearbeit grundsätzlich eine 5 geschrieben habe und in unangekündigten
Mathetests meistens eine 6. Obwohl Mathe nie mein Lieblingsfach war, lag das
aber nicht daran, dass ich zu dumm war. Das war einfach zu viel Druck von zu
Hause. Ich entsprach nicht mehr dem Vorzeigeobjekt, von dem man in der
Nachbarschaft über gute Schulnoten berichten konnte. Nach jeder Mathearbeit
hieß es, dass ich wohl vom Gymnasium fliegen werde, weil ich wohl einfach zu
dumm sei und dann auf der Hauptschule landen, natürlich im Anschluss keine
Berufsausbildung finden und konsekutiv unter der Brücke landen werde. Es war
eine harte Zeit, weil es Anerkennung in diesem Haus nun mal ausnahmslos über
Schulnoten gab und wenn man nicht entsprechend Gute nach Hause brachte (wobei
gut nur eine 1 oder 2 war), war man ein unsichtbarer Hausgeist.
Was macht das wohl mit einem 14 – jährigem Kind? Ich hatte
eine zeitlang so viel Angst, überhaupt in die Schule zu gehen, dass ich
befürchtet habe, irgendwann gar nicht mehr zu gehen. (Obwohl ich nicht weiß,
was meine Eltern dann mit mir gemacht hätten).
Umso stolzer war ich damals, dass ich mich wieder da raus
gekämpft hatte, wobei mich die Mathelehrerin in der Oberstufe auch sehr
unterstützt hatte. Und dann waren wir beide mehr als glücklich, die
Mathekarriere mit einer Bestnote abzuschließen. Angst besiegt. Zumindest diese
Angst).
Mittwoch, 21. März 2012
[…]
Natürlich brauchte ich mein tägliches Pensum an
Schulaufgaben, natürlich wusste ich, dass ich von früh bis spät lernen würde,
das jeder Tag gleich aussehen würde – unabhängig davon ob Wochenende, Schulzeit
oder gar Ferien waren und fast hatte ich mich damit abgefunden, dass ich nie
wieder auf einem Pferd sitze, oder ohne Schulbuch in den Urlaub fahre. Denn
selbst am Strand ist das Wellenrauschen nur Musik in meinen Ohren, wenn
nebenbei irgendetwas Produktives passiert.
Aber so ist es nicht mehr. Irgendetwas hat sich geändert.
Seit Weihnachten. Es reicht nicht mehr sich nach bestem Wissen und Gewissen zu
bemühen, obwohl es bis jetzt immer ausgereicht hat. Das versuchen zumindest die
Zeugnisse zu vermitteln.
Es ist, als wäre ich auf der Flucht. Jeden Tag, zu jeder
Stunde. Ich fliehe vor mit selbst und weil das nicht geht, werde ich mir nie
entkommen. Es läuft etwas hinter mir – etwas, das mich treibt. Etwas, das mir
den ganzen Tag vorhält, ich sei zu unproduktiv, zu langsam und zu dämlich. Wie
kann man eine Stunde brauchen um eine PCR zu lernen? Das ist zu lang. Das war
nicht gut – es war unproduktiv – jedenfalls ein Teil davon.
Es sammelt alle verschenkten Minuten und Sekunden und
errechnet daraus, dass die Noten ungerechtfertigt sind. Sind sie es?
Man gelobt meinen Ehrgeiz, meinen Fleiß – aber wie viel
davon bin ich? Ich wollte nie schlecht sein, aber der Preis….?
Jeden Abend dasselbe Spiel. Kopfschmerzen, Druck auf den
Ohren, Kälte und Müdigkeit und um 11 Uhr frage ich verzweifelt, ob ich ins Bett
gehen darf. Nein, heißt die Antwort – du musst die verschenkten Minuten
aufholen – auch die, für die du nichts kannst, weil alle irgendwie im Moment
alles andere als Schule im Kopf haben.
Und auch diese Minuten hier werde ich aufholen müssen. Es
sind 10. Ich habe vorher nachgesehen.
(Einer der wesentlichen Errungenschaften des ersten
Klinikaufenthaltes (das war 2017 – also 5 Jahre später) war es, dieses
minutiöse Bilanzsystem zumindest weitestgehend aus dem Kopf zu bekommen. Ich
fühle mich immer noch in jeder freien Minute „schuldig“, aber ich rechne nicht
mehr und hänge die Zeit vorne oder hinten an den Tag dran und nehme sie von
meiner Schlafzeit weg. Wie das fünf Jahre funktionieren konnte… - weiß ich
nicht.
Der Ergotherapeut, dem ich das damals nach Wochen des
Aufenthaltes zum ersten Mal erzählt hatte, ist fast hinten über gekippt. Immer
wieder meinte er, dass er ja schon viel gesehen und gehört habe in seiner
Karriere. Aber ich habe das wohl bis auf die Spitze getrieben. Ich hatte damals
tatsächlich auch meine Bücher dabei und habe zwischen den Therapien auch immer
gelernt. Anders ging es nicht. Anders hätte ich mich nicht ausgehalten.
Und auch im letzten Sommer konnte ich mich ja zumindest
damit beruhigen, dass ich Medizinsachen nach dem Abschluss ja erstmal nicht
mehr lernen muss, aber sich mal so eben nebenbei um Wohnung, Umzug, Küche,
Arbeitsverträge und Versicherungen zu kümmern, war vermutlich auch ein Ausdruck
genau davon. Unsicherheit ob Klinik „produktiv“ ist und – um sicher zu gehen
produktiv genug zu sein – die Tage weiter füllen).
Freitag, 20. April 2012
Naja, back to the topic: Gestern den Tag habe ich nur mit
Kopfschmerztabletten und schwarzem Tee überlebt und ich habe so allmählich das
Gefühl, das mir das hier alles immer weiter aus den Händen gleitet.
Ich meine, jetzt mal ehrlich: Was ist so schwer daran
morgens mal aufzustehen und zuversichtlich zu sein? Was ist so schwer daran,
morgens mal aufzustehen und keine Schmerzen zu haben?
Warum muss in meinem Kopf eine Bilanzmaschine existieren,
die den ganzen Tag herumrechnet und mich wahnsinnig macht, die dafür sorgt,
dass ich keinen Schritt und keinen Tritt mehr tun kann ohne mich in Gedanken zu
rechtfertigen?
Alles was früher mal normal war, geht nicht mehr.
Dienstag, 15. Mai 2012
Man muss doch etwas haben wofür man kämpft, damit es sich
lohnt, aber das habe ich nicht. Ich suche es, aber ich finde es nicht. Ich
finde nicht mal ein zu Hause, einen Platz, an dem man einfach nur seine Maske
ablegen darf und nicht jeden Tag so tun muss, als wäre alles Bestens. Einen
Ort, wo es nicht nur den ganzen Tag um Schuld oder Unschuld oder
Schuldzuweisungen geht, wo es nicht nur um Verantwortung geht… sondern einen
Ort, an dem man sich fallen lassen kann, an dem einem jemand zuhören kann und
mal ausnahmsweise ernst nimmt, was man sagt. Wo es mal nicht darum geht, ob die
Kinder wohl lieber auf Mum oder Dad hören, wozu natürlich auch zwei komplett
entgegengesetzte Meinungen gehören, die sie selbst gar nicht vertreten.
Manchmal versuche ich es sogar. Aber es ist, als würde man
gegen Wände predigen. Manchmal frage ich, warum es sein muss, dass man den
ganzen Tag auf der Suche nach Schuldigen ist. Und dann heißt es immer, das sei
doch gar nicht so. Und im nächsten Moment geht es wieder los.
Es ist dasselbe mit dem Studium. Ich weiß noch nicht
genau, was ich studiere – also natürlich in welche Richtung es gehen soll, aber
halt noch nicht exakt welcher Studiengang.
Aber mit irgendjemandem ernsthaft darüber reden – das kann
man gleich sein lassen. Die erste Frage ist nicht etwa, was man in dem
Studiengang überhaupt tut, oder wie die Jobaussichten sind, sondern wo man das
studieren kann und wenn es nicht hier ist, dann ist es gleich schlecht. Kann
man nicht einmal eine anständige Meinung bekommen? Eine, die einem auch hilft?
Donnerstag, 17. Mai 2012
Es ist so eine Leere in mir. Man muss sich das so
vorstellen, wie einen völlig sterilen, weißen Raum. Ohne Möbel. Ohne Fenster.
Nur weiße Wände.
Es ist so still, ich könnte eine Stecknadel fallen hören.
Und es ist so verdammt kalt. Eine Heizung gibt es hier nicht – aber es ist
Winter. Und ich bin ganz allein dort. Völlig einsam. Völlig leer.
Manchmal – da fängt es an zu rattern um mich herum, da
bewegt es sich. Wie Geister. Sie schwirren um einen herum, halb durchsichtig,
aber sie verhöhnen einen nur. Man bekommt sie nicht zu fassen. Genauso wenig,
wie ich meine Gedanken
Samstag, 9. Juni 2012
Noch 1/1/2 Tage Wochenende. Grausam. Ehrlich.
Im Moment geht es mir wirklich wahnsinnig schlecht.
Mama und Oma nerven echt. Ich dachte jetzt ist die Sache
mit dem Studium in trockenen Tüchern – nur die ganzen Vorbereitungen und
Voraussetzungen müssen noch getroffen bzw. erfüllt werden.
Man kann mit denen nicht reden. Man kann nicht sagen: „Was
würdet ihr in so ein Motivationsschreiben reinschreiben?“ Ich meine klar, ich
wälze auch das Internet, aber Ideen und Anstöße sind ja immer gut.
Dann kommt gleich wieder: „Die Uni ist so weit weg, da
kannst du dich doch nicht bewerben und das ist eh nicht das Richtige, du
solltest Medizin machen. Das machst du ja auch als Erstwunsch, oder? Und Unis,
die irgendwo in Bayern liegen, da kannst du doch nicht hin.“
Ich dachte, es sind die Finanzen, weil das ja schon echt
teuer ist, wenn man hier weg zieht und habe die mal vorsichtig darauf
angesprochen. Naja, erst haben sie sich echt drauf eingelassen und gesagt, dass
das ja alles teuer ist und da habe ich gesagt, dass es okay ist und ich das
verstehe. Ich habe gesagt, dass es mir bewusst ist, dass die uns nicht vollkommen
durchfüttern können und habe gesagt, dass ich dann halt arbeiten gehe – hatte
ich vielleicht sowieso vor. Und dann hieß es wieder: „Arbeiten? Nein bloß
nicht!“ Ja warum denn? Damit die uns weiter in ihrer Abhängigkeit halten
können?
Ich glaube, das Problem liegt woanders. Ich glaube, dass
Mum echt ein bisschen Angst hat mit dem Haus hier alleine dazustehen und wir
vielleicht manchmal sogar am Wochenende nicht kommen werden – und ich will das
nicht ausschließen.
Weißt du, Oma erzählt ständig irgendwas von Heimweh und
ich glaube, dass es das auch vielleicht geben wird – aber nur in dem Sinn, dass
man denkt, dass bei Mami ja vielleicht doch alles einfacher ist.
Eine normale Beziehung können wir hier einfach nicht leben
und das konnten wir die letzten drei Jahre nicht – warum soll es jetzt anders
werden? Und ich glaube, auch wenn Mama immer meint, es würde helfen so zu tun,
als wären wir eine glückliche Familie, dass sie genau weiß, dass es nicht so
ist.
Sie weiß genau, wenn wir die Freiheit einmal haben, werden
wir sie nie wieder gegen diesen Käfig hier eintauschen.
Und das ist der Grund, warum man hier gegen Wände redet –
beziehungsweise gegen Wände wär ja noch schön – die geben wenigstens keine
dummen Kommentare zurück.
Die reden so völlig an dem vorbei, was man sagt und lassen
einen da voll allein im Regen stehen.
Auch diese Medizinsache – die drängen mich da voll rein
und weißt du – ich weiß das jetzt gerade selbst nicht so genau, ob ich das nur
will, weil Mama das will.
Sie will, dass wir hier bleiben. Mit allen Mitteln. Ich
habe ihr gesagt, dass es doch nicht ernsthaft ihr Anliegen sein kann zu
entscheiden, was wir studieren. Immerhin muss ich das studieren und ich muss
mich dann um einen Job kümmern und ich muss dann da 40 Jahre oder so drin
arbeiten.
Und ich versuche zum ersten Mal meinen eigenen Kopf
durchzusetzten. Aber ich merke, wie ich langsam zurückrudere.
Weißt du, einerseits macht mich das fürchterlich wütend,
was hier so los ist. Weil ich einfach niemanden habe und jedes Gespräch in
dieser Familie im Moment zur Tortur wird und Mama ganz genau weiß, dass es mir
schlecht geht, auch wenn sie mir mittlerweile deutlich gesagt hat, dass sie
davon nichts mehr hören will.
Und dann muss sie auch unbedingt noch drauf hauen. Das ist
nicht fair.
Andererseits macht es mich aber auch ziemlich traurig. Ich
meine, ich kann sie irgendwie verstehen. Sie hat Dad verloren – ich meine, im
Grunde haben wir ihn alle verloren. Sie ihren Ehemann, wir unseren Dad. Dass er
uns 19 Jahre angelogen hat, das wussten wir nicht, sie schon.
Wahrscheinlich würden mir die Menschen sagen, dass ich
meinen eigenen Weg gehen soll. Dass es vielleicht nicht das Falscheste ist hier
auszuziehen, irgendwo neu anzufangen und vielleicht langsam mal wieder lernen
zu leben.
Aber dann sind da wieder die Schuldgefühle. Dann habe ich
es vielleicht so gemacht, wie ich es wollte und alle anderen unglücklich
gemacht.
Und am Ende macht mich das auch nicht glücklich, weil es
für mich gerade schwer ist glücklich zu sein und dann ist das alles wieder
sinnlos.
Ich weiß es nicht. Eigentlich muss ich jetzt dieses
Motivationsschreiben für meine Studienwahl schreiben, aber so wirklich
Motivation habe ich dafür gerade nicht. Das funktioniert doch sowieso alles
nicht. Falsche Einstellung wahrscheinlich, aber wenn es doch die Wahrheit
ist???
Ich weiß nicht. Ich mache mal…
(Wow…- was für ein starker Eintrag. Alles genau durchschaut
– sehr gut Mondkind. Nur am Ende doch nicht stark genug gewesen, um
entsprechend zu handeln. Dann sind letzten Endes doch alle unglücklich
geworden. Ich musste im dritten Studienjahr doch Hals über Kopf zu Hause raus,
weil es einfach nicht mehr ging, gegen die Medizin konnte ich mich aber auch
nicht wehren).
Mittwoch, 27. Juni 2012
Ruhe. Endlich. Es ist fast 1 Uhr – und ich sollte
vielleicht lieber ins Bett.
Der Tag war unglaublich anstrengend.
Bewerben, auf das okay von Mum warten, abschicken,
ausdrucken – es wurde so viel gedruckt heute, alle haben alles in meinem Zimmer
hin und her geräumt, mein Zimmer wurde mal wieder zur Bahnstation, dazwischen
immer wieder warten, noch ein Pläuschen mit den Nachbarn, die die 1,0 wieder
hervorheben.
Bewerbungen – ja, es ist schwer. Da haben sie irgendetwas
über Life science rausgebuddelt, haben da irgendetwas ausgedruckt, daneben zum
Vergleich den Stundenplan von Biochemie gelegt, was man in [Stadt in der Nähe]
studieren kann und wollen mir jetzt erklären, dass es dasselbe ist. Was soll
ich sagen? Gegen Tatsachen auf dem Papier reden? Nein, das bringt nichts. Vielleicht
ist es bei einer Uni so, aber nicht überall.
Ich habe mir schon etwas dabei gedacht, als ich die Unis
rausgesucht habe.
Am Ende musste ich mich gezwungenermaßen selbst dagegen
entscheiden – sagen, dass ich dann wohl Bio – Chemie nehme. Obwohl ich das
nicht studieren werde.
Es ist okay. Es ist sowieso alles sinnlos. Wie konnte ich
jemals denken, dass es nach mir gehen könnte. Das Schlimme ist, dass ich es
selbst „zugeben“ musste. Mum ist nicht mehr verantwortlich, wenn ich mich gegen
den Studiengang entscheide. Ich bin es.
Nein, das war naiv.
Es wird Medizin – glaube ich. Die Alternativen sind
jedenfalls alle nicht mehr gut, oder so weit weg, dass es da noch so viele
Diskussionen geben wird, dass ich das nicht durchhalten werde.
Dienstag, 18. September 2012
Weißt du, welcher Satz mich verfolgt?
Frau [Englischlehrerin] hat geschrieben und sie meinte,
ich sah am Abiballabend echt fertig aus.
Für mich ist an diesem Abend endgültig klar geworden, dass
das Netz Schule wegbricht. Schule hat einen nicht nur einen Weg vorgegeben, den
man zu beschreiten hatte und der gleichzeitig dem Tag seinen Sinn gegeben hat,
ohne dass man Stunden darüber nachgrübeln musste, wie der Tag sinnvoll wird,
Schule hat einen auch irgendwie aufgefangen und in einem ganz engen Netz
gehalten, das ich so unbedingt brauchte.
Irgendwie hatte man das Gefühl ein Teil von einem Ganzen
zu sein, ein Knotenpunkt, von dem vielleicht aufgefallen wäre, wenn er gefehlt
hätte. Schule war eine Art Familienersatz – ersetzte ein Familienleben, das wir
zu Hause einfach nicht hatten und manchmal, wenn nicht gerade Klausurenphase
war, habe ich mich in der Schule wohler und sicherer gefühlt, als an allen
anderen Plätzen dieser Welt.
Manchmal reichte es, wenn nur Montagmorgen jemand fragte,
wie das Wochenende war. Nicht, dass ich viel zu berichten gehabt hätte, aber
irgendwie war diese unbedeutende Art von Kommunikation schon mehr, als wir es
zu Hause manchmal an einem ganzen Tag tun.
Irgendwie hatte ich in der Schule manchmal das Gefühl,
dass es auffallen würde, wenn man eines Tages einfach nicht mehr da wäre. Dass
es den Lehrern auffallen würde, dass der Stuhl leer ist, dass es in Chemie in
meiner Reihe aufgefallen wäre, weil dann niemand aus der Reihe mehr die Hausaufgaben
hätte und man Niemanden hätte, von dem man sie abschreiben kann.
Man hatte das Gefühl, nicht irgendwer zu sein.
Und an jenem Abend ist mir plötzlich der Weg bewusst
geworden. Der Weg, der vor mir liegt, an dessen Seiten kein Netz mehr gespannt
ist, das einen hält, ein Weg, der stattdessen von Betonwänden gesäumt ist.
Ein Weg, auf dem man Niemanden mehr haben würde außer sich
selbst und ich setze nicht gerade viel Vertrauen in mich.
Und ich würde unweigerlich darauf geschubst werden.
Sonntag, 23. September 2012
Der Plan war nahezu den gesamten Sommer bei Dad zu
verbringen, viel zu unternehmen, die Seele baumeln zu lassen, aber der Plan
wollte nicht funktionieren.
Der Kompromiss zwischen Unruhe und Müdigkeit wollte sich
nicht finden lassen, das Gefühl der Unbeschwertheit, der Freiheit wollte sich
nicht einstellen, die Ruhe, auf die man nach dem Abi gewartet hat, wollte nicht
kommen.
Jetzt kommt die Uni zurück, ein strukturierter Tagesablauf,
der mir freitags die Frage vereinfacht, ob die Woche produktiv war. Die Uni
wird die Unruhe wegnehmen und sie bald wieder gegen die Müdigkeit eintauschen,
die Wochen werden wieder ziehen, aber diesmal wird es vielleicht okay sein,
weil Uni ja nicht schön sein muss.
Es wird ein neuer Abschnitt in unserem Leben sein, der so
wirklich neu auch nicht sein wird. Immerhin wird sich hier wenig ändern - Mal
abgesehen davon, dass wir länger weg sind und nicht mehr zur Schule, sondern
halt zur Uni gehen.
Mittwoch, 26. September 2012
Was gibt es über die Tage zu berichten?
Das Leben ist stehen geblieben. Es geht nicht mehr darum,
die Tage zu gestalten, zu versuchen ein Mensch zu sein, der Mensch [Mondkind],
der auf der Suche nach sich selbst ist.
Der Vorkurs hat mir all das abgenommen. Die Tage sind voll
mit Chemie – sämtliches Schulwissen wird hier in einer Woche durchgegangen.
Jede Minute des Tages – im Zug, beim Essen, bei Pausen an
der Uni wird mit einem Chemie – Zettel oder einem Chemie – Buch in der Hand
verbracht.
Es bleibt keine Zeit mehr über den Sinn des Ganzen
nachzudenken, darüber, ob das in diesem Ausmaß und der Genauigkeit, mit der ich
es betreibt überhaupt nötig ist. Essen und Schlafen vergesse ich darüber
genauso, wie alle Fragen der vergangenen Monate, die ich nicht beantworten
konnte.
Die Unruhe verschwindet langsam, die Frage nachdem, was
produktiv ist, die Frage, wer ich bin, was ich will, was meine Wünsche und
Ziele sind, die ja ohnehin nicht gehört werden.
Jetzt macht man eben wieder. Mag sein, dass ich an mir
selbst gescheitert bin, aber ich muss mir selbst nicht weiter dabei zusehen,
weil ich meinen Strohhalm wieder gefunden habe, der mich zuverlässig durch die
Tage lotst.
November 2012
Ich muss dir noch was zeigen: Sieh mal, ich habe ein neues
Lied gefunden und in schwierigen Zeiten höre ich es gern – aber wer weiß, wer
das für mich tun würde…
If I die young,
bury me in satin
Lay me down on a bed of roses
Sink me in the river at dawn
Send me away with the words of a love song
(The Band Perry - If I die young)
Vielleicht reicht es, die Worte für sich sprechen zu lassen.
Vielleicht muss ich dazu nicht mehr viel kommentieren.
Es ist fast beeindruckend, dass ich nach so langer Zeit noch hier bin.
Das alles durchgehalten habe.
Vielleicht hilft es mir, mich selbst ein bisschen zu verstehen.
Im Grunde bin ich nicht weiter, als damals. Immer auf der Suche nach
Menschen, die mich nehmen, wie ich bin. Immer auf der Suche, nach einem zu
Hause. Langfristig gefunden habe ich es nie. Auch, wenn sich dieser eine Wunsch
wie ein roter Faden durch meine Tagebucheinträge, durch meine Jahre, durch mein
Leben zieht.
Fast wundert es mich nicht mehr, dass ich dafür durch halb Deutschland
gezogen bin. Auch, wenn ich weiß, dass ich das in dieser Konstellation, in der
ich heute bin, auch nicht finden werde. Und Momente immer nur Momente bleiben
werden. Von denen ich nicht weiß, ob sie die Sehnsucht in Schach halten.
Immerhin prallen da zwei Welten aufeinander. Das Einzige, das ich
kontinuierlich gehört habe ist, dass ich nie gut genug bin. Egal, wie gut die
Noten waren. Es war eine Katastrophe. Immer. Man stand immer kurz vor der
Hauptschule. Auch mit einem Einserschnitt. Und so absurd wie es war, aber die
Panikmache ist irgendwann auf mich übergegangen. „Mondkind, Du betrachtest die
Arbeitssituation zu kindlich“, kommentierte der Oberarzt letztens, als ich ihm
erzählt habe, dass es mich super fertig macht, wenn der Chef uns zur Schnecke
macht, ohne dass man überhaupt genau weiß, was nun schon wieder schief gelaufen
ist. Nachdem ich damals alle Hobbies aufgegeben hatte – zuletzt das Reiten –
war die Leistung alles, was blieb. Alles, über das ich mich definieren konnte.
Und gleichzeitig ist das immer noch diese überdimensionale Angst. Sind
schlechte Visiten ein Kündigungsgrund? Denken die vielleicht auch alle, dass
ich nichts kann? Stehe ich vielleicht schon auf der „Abschussliste…“? Wer weiß
das schon? Und auch, wenn ein Ende mit Schrecken von diesem Job vielleicht das
Beste wäre, das mir passieren könnte -
aber wo würde ich dann landen? Unter der im Hause Mondkind viel zitierten
Brücke?
Und gleichzeitig ist dieser Ort, der so viel Druck und Angst auf mich
ausübt auch ein bisschen „magisch“, habe ich dort doch den Menschen, der „Bezugsperson“
ist… - oder werden soll, oder was auch immer.
Ein bisschen wie „Ersatzpapa Deutschlehrer“ – nur, dass in der Schule
die Leistungen meist wesentlich positiver bewertet wurden als zu Hause und
dieses Konfliktfeld, dass Schule auch ein Ort war, der Druck ausgeübt hat zwar
vorhanden, aber nicht so groß war.
Und was sagt und das jetzt alles? Wie löst man es? Wie komme ich aus
einem Job raus, in dem ich nicht sein möchte, ohne alles zu verlieren, dass es
vielleicht mal geben könnte? Ein bisschen bemüht sich der Oberarzt ja doch –
das muss man ihm lassen. Ich kann diesen einen Menschen nicht verlieren, an dem
mehr hängt, als er wahrscheinlich je vermuten würde.
Und trotzdem wäre Loslassen, etwas ganz Neues finden, einen Job, der
mir vielleicht Spaß macht, der ein bisschen mehr „ich“ ist und viel weniger mit
Angst zu tun hat, vermutlich die einzige Lösung, die mich langfristig glücklich
machen würde.
Aber dazu bräuchte ich einen ganz, ganz sicheren Ort, in dem ich nach
dieser Entscheidung erstmal zerfallen darf. Wenn ich wieder bei Null anfange.
Wenn da wieder nichts mehr bleibt. Ich bräuchte Zeit, um mich wieder ein
bisschen zusammen zu setzen, um irgendwann die Nase wieder hinaus in die Welt
zu stecken, zu begreifen, wie wundervoll die sein kann. Gelegenheiten, um
auszuprobieren und zu finden, was und wer ich sein möchte, was mir Spaß machen
könnte, wo ich arbeiten könnte.
„Dann eben nochmal Klinik“, mögen sich manche jetzt still denken. Nur,
dass auch das nicht sicher genug ist. Am Ende geht es da auch um
Wirtschaftlichkeit. Der Zeitfaktor, der mir im letzten Sommer im Nacken hing,
war das Schlimmste. Die Therapeuten dort, waren ja auch nicht blöd. Der Herr
Chefpsychologe hat mir deutlich gesagt, dass er mein ganzes Vorhaben unter der
Motivation die ich habe, für eine Sackgasse hält und ich lieber überlegen
sollte, etwas ganz anderes zu tun. Und wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst war,
wusste ich das auch.
Und dennoch war „Entlassung“ immer Thema. Der Zeitfaktor hing mir
immer im Rücken. Ich hätte nicht die Sicherheiten bekommen, die ich gebraucht
hätte. Nicht die Zeit, die ich benötigt hätte. Und so deutlich durfte ich es ja
nicht sagen, ohne, dass es als Erpressung aufgefasst worden wäre: Aber den Plan
nicht in die Ferne zu gehen, ohne Zeit, Gelegenheit und Ruhe zu haben, einen
alternativen Plan B zu entwickeln, erstmal ein stabiles Umfeld zu generieren,
bevor mich der Stromhalm „Arbeit“ zuerst wieder rettet, um mich langfristig
doch nicht weiter zu bringen, wäre schon am Ende des letzten Sommers das
sichere Todesurteil gewesen.
Und irgendwie scheint der Mensch doch so gestrickt zu sein, immer
Hoffnung suchen zu wollen. Oder… - ich zumindest.
Aber was ist jetzt? Wo die Spannungsfelder zu groß werden, ich zu sehr
überfordert, die Sehnsucht danach das hier endlich nicht mehr machen zu müssen
zwar schon jahrelang da, aber nie so vehement, so pausenlos war?
Gibt es eine Lösung, nachdem wir jahrelang in die falsche Richtung
gelaufen sind, auf der Suche nach Heimat und Geborgenheit?
Ich weiß es nicht. Wirklich nicht.
Mondkind
Wie würde denn das Zuhause aussehen, nachdem du suchst? Konnte dir ein Umfeld aus Freunden nie helfen dieses Sehnsuchtsgefühl etwas zu mildern? Vielleicht magst du dazu demnächst ja mal in einem Beitrag etwas erzählen.
AntwortenLöschenHallo,
LöschenDanke erstmal für den Kommentar.
Ein bisschen kann man es sich auch in diesem Blogpost schon zwischen den Zeilen heraus lesen. Aber ich behalte es mal im Hinterkopf. Wenn ich mal Luft und Zeit habe, kann ich darüber gern mal einen Beitrag verfassen :)