EEG – Projekt, Rotationsplan und ein Kapitelende
Eine
anstrengende Woche neigt sich dem Ende. Eine sehr anstrengende.
Es
war nicht so ruhig hier, weil ich nichts zu sagen gehabt hätte – sondern, weil
ich jeden Tag bis 20 oder 21 Uhr auf der Arbeit hing. Auch heute hätte ich noch mindestens einen Brief anfangen können zu schreiben - aber der Spätdienst hat heute im Büro nicht aufgehört zu reden und mein Hirn war einfach ziemlich Matsche - vermutlich werde ich das ausgeruht am Montag schneller schaffen. (Vielleicht ist das auch nur eine Ausrede, um heute mal ein bisschen eher gehen zu können...)
Gelohnt
hat es sich jedenfalls irgendwie. Ich habe eine erfolgreiche Lumbalpunktion gemeistert.
Eine Zweite hat leider nicht geklappt – zu meiner eigenen Beruhigung (weniger
zu der des Patienten), hat es aber auch der Kollege nicht geschafft.
Nachdem
der Montag sehr schleppend los ging – ich mich aber über den Tag und Abend in
alle Fälle bis hin zum letzten Vorbrief eingelesen hatte - lief es aber arbeitstechnisch
gesehen ganz gut, wenn man von ein paar Verzweiflungsanfällen am Rand absieht.
Vor der Chefarztvisite war ich diesmal ganz besonders hasenfüßig, aber ich habe
alle Fälle so gut und logisch entwickelt, dass der Chef nur wenige Nachfragen
hatte (das ist nämlich meist erst der Punkt, der kritisch wird) und wir ein
wirklich großes Lob bekommen haben. Es geht mir ja weniger um das Lob, sondern
mehr darum, dass keine massive Kritik kommt – das reicht mir ja schon. Und wir
nicht als die schlechteste, neurologische Station gewertet werden. Trotzdem war
ich natürlich froh das zu hören und es war auf jeden Fall auch ein guter
Schritt gegen die Angst auf der Arbeit, die am Anfang der Woche ganz besonders
lähmend war.
Ich
habe es mich dann sogar getraut, freiwillig einen schwierigen,
kardiochirurgischen Fall zu übernehmen, der zu uns mit neuen Schlaganfällen auf
die Station verlegt wurde und bis jetzt klappt das ganz gut. Überhaupt habe ich
alle Patienten recht gut über die Woche bekommen. Ein Kollege hatte mich
gefragt, ob er meine Spätdienste haben kann – da habe ich natürlich nicht nein
gesagt – auch, wenn ich am Ende zeitgleich mit dem Spätdienst nach Hause
gekommen bin. Aber dafür: eigene Patienten und keine Gespräche mit Angehörigen
von Patienten, die ich nicht kenne, Einspringen in der Notaufnahme und dubiose
Anforderungen der Nachbarstation. Nächste Woche muss ich dennoch drei Tage Spätdienst machen.
Etwas
arbeiten müsste ich nur noch am Zeitmanagement. Mein Körper hat mir die Grenzen
zwischendurch schon deutlich gezeigt, wenn man – sobald man dann zu Hause ist –
nur noch eine halbe Stunde Zeit hat, bis man im Bett liegen muss. Mittwoch lag
ich mit Bauchschmerzen, Schüttelfrost (und konsekutiv mit dem dicksten Pulli,
den ich finden konnte, zwei zusätzlichen Wolldecken und einer Wärmflasche) in
meinem Bett und habe immer noch stundenlang gefroren.
Mittlerweile
haben wir den Rotationsplan bekommen.
Was
soll ich sagen… - ich war mir ja ziemlich sicher, dass ich vielleicht zumindest
bis zur Mitte des Sommers auf der Stroke Unit bleiben darf. Noch ein Mal einen
Sommer erleben. Die Meisten bleiben zumindest ein Jahr dort. Die Realität sieht
leider anders aus. Ich bin bis Ende des nächsten Monats noch auf der Stroke
Unit, dann rotiere ich zwei Monate in die Notaufnahme und dann geht es im alten
Gebäude weiter.
Kurz
nachdem der Plan raus gegeben wurde, hat mich der Kollege angerufen, der sich
mit mir in meinem PJ das Büro geteilt hat. Damals war ich PJlerin und er war
kurz vor der Facharztprüfung. Ich habe mein Examen gemacht, er seinen Facharzt –
danach ist der Oberarzt geworden. Sein neuer Plan ist die Epilepsiestation, die
durch die ganzen personellen Umstrukturierungen im Zuge des Neubaus quasi unter
gegangen ist, neu aufzubauen. Aktuell laufen Epilepsiepatienten „so nebenbei“.
Er fängt an mit vier Betten, braucht dazu aber einen Assistenten. Mich hat er
angerufen und gefragt, ob ich es machen würde, sobald ich in den Altbau komme.
Es
ehrt mich schon, ehrlich gesagt, dass ich die Erste bin, an die er gedacht hat. Er ist auch ein sehr angenehmer und geduldiger
Kollege – bzw. mittlerweile Vorgesetzter. Auch wenn EEG – wie wir alle wissen –
so ziemlich mein Schwachpunkt schlechthin ist und ich mir gerade nicht sicher
bin, ob ich da für ihn wirklich die beste Wahl bin. Mitte Februar wäre eine
dreitägige, gute Fortbildung – da müsste ich den Chef überzeugen dorthin zu
dürfen, wenn ich mich dafür entscheide. Und dann könnte ich – wenn ich dann ab
Mai rüber in den Altbau gehen – mit ihm das Projekt starten. Ich finde
Epilepsie ja nicht uninteressant – ich kann es nur nicht. Aber ob man das bis
Mai nicht ändern könnte…?
Ich
werde im Altbau nicht nur vier Patienten betreuen - so wie er auch noch auf der
Intensivstation beteiligt ist – aber es wäre eben unsere „Epilepsie – Einheit“
und ich hätte ein Spezialgebiet, auf dem ich mich austoben könnte.
Wenn
man die Neuro arbeitstechnisch betrachtet, hätte ich also schon etwas wie eine...-
nicht uninteressante Zukunft dort. Ich bin halt absolut nicht prädestiniert für
das Notfallgeschäft. Zwei Monate Notaufnahme sind aber abzüglich der Wochenenden
acht Mal fünf Tage – also 40 Tage: Die kann man abstreichen und Schritt für
Schritt wird es weniger; das kann man schaffen. In der Chirurgie im PJ habe ich,
glaube ich, mehr gelitten. Und danach halt Normalstation und Epilepsie –
Projekt.
Das
riesige Problem ist die zwischenmenschliche Geschichte. Und langsam ist das für
mich so essentiell wichtig, endlich mal irgendwo anzukommen, bleiben zu dürfen –
länger als ein paar Monate – eine feste Bezugsperson zu haben, dass alles was
dahinter kommt, eine Sahnhäubchen ist, das aber eben die Grundlage braucht.
Dreieinhalb
Jahre lang hat mich die Idee und die Hoffnung, das hier zu finden, über die
Zeit gezogen. Manchmal war dieser Hoffnungsschimmer zu klein. Dann hat die
Klinik geholfen, um ein bisschen zu verschnaufen, ein bisschen Kraft zu
schöpfen, um dann das Ziel weiter zu verfolgen. Dreieinhalb Jahre lang hatte
ich einen Menschen, der irgendwie da, aber nicht so richtig greifbar war. Oft war das nicht schön – aber irgendwie in Ordnung. Wir hatten ja gar nicht so
unfassbar viel Zeit miteinander verbracht – und trotzdem war da von
meiner Seite aus ein ganz tiefes Vertrauen entstanden. Und ich habe immer
gehofft, dass er das eines Tages mittragen kann. Dass er ein bisschen diese
Bezugsperson werden kann, die mir so dringend fehlt. Ein bisschen – immer mal
wieder durch die Blume – hat er mir signalisiert, dass es vielleicht gehen kann.
Und noch im PJ hatten wir unsere „Freitagsgespräche“. Ich auf dem grünen Stuhl,
das Knie hoch gezogen, den Fuß auf der Sitzfläche und er übereck. Und manchmal
haben diese Gespräche mit einer langen Umarmung geendet. Die Hoffnung war, dass
zumindest das bleibt.
(Und
wer den letzten Blogpost gelesen hat: Schule war ja ein ähnliches
Spannungsfeld. Nur viel milder. Und da hatte das ja schon ein Mal geklappt…- warum also nicht nochmal?)
Ich
habe bei ihm so oft ein Lied von Connie Talbot im Ohr:
You
were my teacher, my brother
An
extraordinary friend
My
angel, believed in me till the end
Not
my lover or father
Still
you gave your all unselfishlly
You
were good to me
(Connie
Talbot – Good to me)
Was
passiert, wenn ich eines Tages von der Stroke Unit runter muss, wollte ich nie
wissen. Vielleicht war die Hoffnung, dass wir bis dahin eine Ebene gefunden
haben, auf der wir das Krankenhaus als „Verbindungsstück“ nicht mehr brauchen.
Und im schlimmsten Fall… - im schlimmsten Fall hätte ich zumindest ein Jahr
gehabt – mein „Stroke – Jahr“. Ein Jahr impliziert einen Sommer. Noch einen
Sommer leben.
Mir
war irgendwo immer klar, dass der Ort in der Ferne ein Anfang, oder ein Ende
werden kann. Ich habe viel aufgegeben in der Studienstadt, um diese Suche nach
Geborgenheit und einer Bezugsperson nach so vielen Jahren vielleicht endlich zu
beenden. Wenn das geklappt hätte, wäre es ein Anfang geworden. Wenn das nicht
klappt, dann wird es ein Ende. Das war immer die Angst im Hintergrund.
Dass
es schwieriger als erwartet wird, habe ich in den letzten Monaten gemerkt. Die
Hoffnung war, dass ich noch eine Weile bleiben kann. Oder zumindest nur auf die
Nachbarstation wechsle. Dass ich mal rüber laufen kann, wenn der Tag sich dem
Ende neigt.
Das
Projekt die Epilepsiestation neu aufzubauen würde – wenn die Seele permanent
schreit – nicht mehr als ein Durchhalten werden. Bei dem ich nicht mehr weiß,
worauf. Für das ich nicht mehr bereit bin. Das ich einfach nicht mehr will. Und
nicht mehr kann. Es wäre eben das jobmäßige Sahnehäubchen. Wenn die
Grundbedürfnisse erfüllt sind. Man baut eine Pyramide ja schließlich nicht von
oben nach unten.
Und
damit rückt ein weiterer Sommer in weite Ferne. Aber was auch passiert – es gab
gute Momente in den letzten Monaten mit diesem Menschen, von dem ich mir
gewünscht hätte, dass er ein bisschen länger bleibt. Und auch, wenn dazwischen
viel Dunkelheit war und es alles vielleicht ein blödes Ende wird, so zählt doch
das Licht, das ich dazwischen mal im Herzen hatte. Wie, als ich dick eingepackt
neben ihm auf dem Beifahrersitz saß, er alles aus der Autoheizung raus geholt
hat, die Sonne schrägt durchs Fenster geschienen hat und es einfach ganz
seltsam ruhig in mir war. Das waren die Momente, für die es sich gelohnt hat.
Er
wird das vermutlich nie wissen. Vielleicht ist das auch besser so.
Ein Monat noch, bis das endet, für das ich so lange gekämpft habe. Unfassbar, wie schnell manche Geschichten enden.
Mondkind
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