Wie lange noch?
Heimweg.
Wieder mal viel zu spät. Früh war
es noch nicht ein Mal diese Woche.
Du hörst Deine eigenen Schritte.
Und den Regen, der durch die
kahlen Bäume und auf das Laub fällt, das letztes Jahr im Herbst von den Bäumen
gesegelt ist.
Wenn Du in die Ferne schaust,
dann siehst Du die Lichter der kleinen Stadt, in der Du lebst. Und wenn Du ganz
genau hin hörst, dann hörst Du das entfernte Rauschen von den Autos, die die
Hauptstraße entlang fahren.
Wie lange noch?
Das ist die Frage, die seit dem
letzten Wochenende unaufhörlich in Deinem Kopf schlägt.
So viel Energie frisst, dass sie
Dich wieder an die Grenzen gebracht hast. Jedes „Mondkind, kannst Du mal…“ lässt
Dich auf der Arbeit innerlich zusammen brechen. Nein, eigentlich nicht. Denn
was ist, wenn Du dann den Patienten umbringst…?
Und zu Hause fällst Du nur noch ins Bett, weil die Angst vor Deinem Tun alles aus Dir heraus saugt, was auch nur nach Energie aussieht.
Eine Frage, die sich in Deinem
Kopf dreht. Keine Antwort erhält. Und den Weg nach Außen nicht mehr schafft.
Es ist mehr, als Du dem
Helfersystem zumuten kannst. Die Einen wären überfordert, die Anderen würden Dir
das nicht mehr abnehmen.
Also bleibst Du gerade allein damit.
„Mondkind, Du solltest doch
eigentlich nach drei Monaten Dienste machen…“, sagen die Kollegen schon fast
vorwürflich. Warum das nicht passiert, weiß ich nicht. Ob mein Oberarzt doch
noch ein bisschen Nachsicht beim Chef raus schlagen konnte, oder ob man mich
einfach in der Planung nicht beachtet hat, weil ich natürlich tunlichst die
Füße still halte, um keine schlafenden Hunde zu wecken… - man weiß es nicht. Und,
nur um es noch ein bisschen schlimmer zu machen, höre ich: „Also Mondkind,
Trachealkanülen solltest Du im Dienst schon wechseln können – dabei kann der
Patient sonst schließlich auch sterben…“ Ja… - und wo lerne ich das bitte?
„Ich hatte das ja mit der
Mondkind abgesprochen, dass sie die Station wechselt…“ Erklärt der Chef in der
Frühbesprechung. Wann und wohin weiß keiner. Mir ist das nämlich sehr neu. Und dann... - wieder ein neuer Alltag, wieder neue Vorgesetzte und wieder neue Ansprüche.
„Na Mondkind, da müssen wir Dich
ja vor Ende der Probezeit mal in die Notaufnahme stecken, um das nochmal zu
testen…“ Ich glaube, das war ein Spaß. Irgendwie trifft es mich trotzdem. Was
ist, wenn man dann tatsächlich dahinter kommt, dass ich eigentlich nicht
besonders viel kann?
Und dann stehen die nächsten
Spätdienste bald in den Startlöchern.
Manchmal frage ich mich, warum es
nie genug war. Warum man nicht einfach in Ruhe die Schule machen konnte,
irgendetwas studieren konnte, das im Bestfall Spaß gemacht hätte und dann
irgendeinen Job haben könnte, in dem man einfach mal ankommen kann. In dem man
nicht von hier nach da rotieren muss. In dem man, kaum, dass die Angst
vielleicht mal ein bisschen weniger wird, wieder eine Stufe höher in Form von
allen möglichen Diensten einsteigen muss, damit sich die Angst wieder
potenzieren kann.
Das ist einfach nichts für mich.
Wie lange noch…?
Was ist, wenn ich keinen Sommer
mehr erleben kann? Was ist, wenn ich nicht mehr sehe, wie die Bäume wieder grün
werden?
Was ist, wenn das hier alles zu
Ende geht, ohne dass ich vorher ein Mal das gehabt habe, das ich so lange
gesucht habe? Was ist, wenn all das Durchhalten nie ein gutes Ende haben wird?
Und wie gut ist der Plan des Endes
eigentlich? Was ist, wenn es ganz am Ende doch noch zu viel Leid wird…?
Was machst Du mit diesem Hirn?
Nach außen kommunizieren kannst
Du das nicht.
Wird es sich von allein
irgendwann beruhigen? Wird die Vernunft irgendwann siegen, die Dir verzweifelt
versucht zu erklären, dass Du so blöd schon nicht sein wirst und es im Krankenhaus
irgendwie hinbekommen wirst?
Oder wird das Gefühl siegen, das
nicht mehr einen Meter vorwärts gehen möchte. Das langsam zu müde von diesem
Zipfel Hoffnung ist, das Du immer versuchst irgendwo zu finden. Nur, um noch
ein paar Schritte weiter zu gehen in der Hoffnung, dass hinter der nächsten
Ecke zumindest etwas wartet, das Dich wieder ein ganz kleines bisschen weiter
zieht. Bis zur nächsten Ecke.
Mondkind
Bildquelle: Pixabay
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