Ein tragendes Gespräch
Freitag.
Chefarztvisite.
Wir gehen von Zimmer zu Zimmer
und ich bin mal wieder so angespannt, dass die Muskeln schmerzen. Wenn es mir
sehr schlecht geht, dann habe ich Angst vor allem. Und heute ist wieder so ein
Tag. Da kommt stundenlange Konfrontation mit einer solchen Autoritäts – Person nicht
so gut für den Mondkind – Kopf.
Jedenfalls… - in einem Zimmer
sagt er etwas sehr Interessantes zu einer Patientin, die auch unter
Depressionen leidet: „Wie kommen Sie denn zur Zeit mit den Depressionen
zurecht? Gerade nach den Feiertagen sind ja Menschen wie Sie dafür prädestiniert,
in ein Loch zu fallen…“
Das ist mal eine Erkenntnis. Ich
dachte immer Weihnachten und Jahreswechsel seien das Hauptproblem und meistens
habe ich mir im Januar extreme Vorwürfe gemacht, wenn es immer noch nicht
besser lief. Bei mir ist das nämlich tatsächlich fast jedes Jahr so, dass auch
mindestens die Hälfte des Januars eher schwierig ist. Aber vielleicht ist das
ja… - „normal“ und es muss mir nicht wieder gut gehen, nur weil Januar ist und
die schwierigen Tage ja per Definition durch sind.
Ansonsten gibt es am Abend noch
ein Gespräch. Und wie so oft, fangen diese Gespräche im Arztzimmer an, werden
laufend von Pflegern und Kollegen unterbrochen, mit denen man zwischendurch
immer wieder etwas klären muss und enden dann – wenn Sie ohnehin in den letzten
Zügen liegen – mit dem Klingeln des Telefons meines Gegenübers.
Dann muss man sich schon arg
bemühen, nicht den Faden zu verlieren. Aber – wie fast immer – kann ich viel
aus dem ziehen, was er sagt. Und auch wenn Manches nicht mehr als eine Erinnerung
ist, hat das Panik – Hirn die Erinnerung gerade gebraucht. Weil es manchmal zu schnell
vergisst in seiner Angst.
„Mondkind – ich weiß, dass Du
ganz viel Angst vor Kritik hast – aber Dein größter Kritiker bist Du selbst.
Und das Erste was Du lernen musst ist, gut zu Dir selbst zu sein. Das ist jetzt
auch Deine Aufgabe fürs Wochenende. Sei gut zu Dir selbst.“
Spätdienste. Die da warten. Und
Mondkinds Hirn, das gerade durchdreht vor Panik vor diesen Diensten.
„Mondkind, Du bist da nicht
alleine. Du hast doch einen ersten Dienst. Wenn irgendetwas ist, dann musst Du
das nicht alleine machen. Die Station fliegt nicht Dir um die Ohren. Sie fliegt
wenn, dann Euch um die Ohren.“
Zur aktuellen Arbeitssituation
höre ich folgendes: „Wenn ich Dich so beobachte, dann habe ich schon das Gefühl,
dass es ein bisschen besser geworden ist. Am Anfang konntest Du da gar nichts
draus ziehen, weil Du nur Angst hattest. Mittlerweile habe ich den Eindruck,
dass Du zwar immer noch 99 % Deiner Energie da rein steckst, aber vielleicht
zumindest 1 % da raus ziehen kannst. Und
das ist das, was ich Dir immer gesagt habe: Das wird mit der Zeit mehr werden,
weil du jetzt ganz langsam hier ankommen kannst. Dazu brauchst Du nur etwas,
das Du wahrscheinlich auch nicht mehr hören kannst: Geduld.“
Und wenig später.
„Mondkind, Du darfst das alles
nicht so hoch hängen. Es ist nur ein Job. Du tust das nicht für den Konzern,
oder den Oberarzt oder für die Kollegen. Du tust das für Dich. Und wenn es
nicht geht, oder Dir nicht gefällt, dann kannst Du Dich noch an hundert anderen
Krankenhäusern bewerben.“
Ich glaube ehrlich gesagt, er
wird nie verstehen, was er für eine Rolle in dieser ganzen Konstellation
spielt. Und obwohl ich wirklich nochmal vorhatte ihn drauf anzusprechen, war es
Freitag nicht möglich, weil wir zu keinem Zeitpunkt so richtig alleine waren.
Und wenn ich wüsste, dass dieser
Mensch bleibt, dann würde ich vielleicht beruflich versuchen, etwas ganz
anderes zu tun. Denn im Moment fühlt sich dieser Job in mir halt doch nicht so
stimmig an. Eher so, als hätte ich mich selbst verbogen, damit zumindest die
wichtigsten zwischenmenschlichen Beziehungen bleiben. Aber nicht so, als würde
ich damit irgendetwas Gutes für mich tun. Und vor allen Dingen würde ich erstmal
gesünder werden wollen.
Und dann… - ganz heiße Kiste.
Aber es muss irgendwo hin, sonst platzt mein Hirn.
Zukunft.
„Ich habe im Moment so Angst,
dass ich nicht mehr sehe, wie die Bäume noch mal grün werden. Im Moment ist das
echt wieder so überpräsent. Zwar habe ich das Gefühl – wird es langsam schon
wieder etwas besser – aber es ist immer noch komplett instabil und frisst quasi
sämtliche Energie auf, wenn das von morgens bis abends im Kopf schlägt. Und
dann kommt noch dazu, dass ich mich selbst einfach so sehr dafür verurteile,
dass das einfach immer und immer wieder Thema ist.“
„Also Mondkind, mit der
Suizidalität…“, fängt er an. Ich bewundere das immer noch. Er ist so ziemlich
der einzige Mensch, den ich kenne, der den Wink mit dem Zaunpfahl versteht,
ohne, dass ich das Wort aussprechen muss. Und so ziemlich der Einzige, der sich
dann auch noch auf ein ruhiges Gespräch darüber einlässt ohne, dass man an
Stellen, an denen man das nicht möchte, über das Thema Klinik reden muss und
die eigentliche Intention - den Druck mal irgendwie abbauen zu können - in den
Hintergrund gerät.
Und dann höre ich, dass es erstmal wichtig ist, sich nicht dafür zu verurteilen. „Die Suizidalität ist im Prinzip der Gipfel von dem, was wir vorhin hatten“, führt er weiter aus. „Gut zu Dir selbst bist Du glaube ich nie, aber die Spitze davon ist dann die Suizidalität. Da steckt ja auch immer ganz viel Wut und Aggression dahinter“, erklärt er. „Und Mondkind, Du musst aufpassen, dass das nicht so eine Handlung gegen die Menschen wird, die Dir schaden wollen…“, schärft er mir ein. „Naja das ist es ja gerade. Die Therapeutin hat mir auch häufig unterstellt, es den Menschen, die mir mit konstanter Regelmäßigkeit geschadet haben „zeigen zu wollen“. Aber so ist das nicht. Genau deshalb tue ich mich da ja so schwer – weil es auch so viele Menschen gibt, von denen ich Angst habe, dass sie dann darunter leiden und deswegen gibt es auch so viele Schriftstücke für die Menschen, die dann hier bleiben – den meisten bin ich nämlich tatsächlich sehr dankbar, das mit mir ausgehalten zu haben. So gern ich manchmal die Verantwortung auch abgeben würde, aber in dem Fall möchte ich nicht, dass sich irgendwer verantwortlich fühlt. Ich will eigentlich keinem weh tun, aber es geht darum, dass ich diesen Schmerz in mir einfach nicht mehr aushalte“, erkläre ich.
Und dann höre ich, dass es erstmal wichtig ist, sich nicht dafür zu verurteilen. „Die Suizidalität ist im Prinzip der Gipfel von dem, was wir vorhin hatten“, führt er weiter aus. „Gut zu Dir selbst bist Du glaube ich nie, aber die Spitze davon ist dann die Suizidalität. Da steckt ja auch immer ganz viel Wut und Aggression dahinter“, erklärt er. „Und Mondkind, Du musst aufpassen, dass das nicht so eine Handlung gegen die Menschen wird, die Dir schaden wollen…“, schärft er mir ein. „Naja das ist es ja gerade. Die Therapeutin hat mir auch häufig unterstellt, es den Menschen, die mir mit konstanter Regelmäßigkeit geschadet haben „zeigen zu wollen“. Aber so ist das nicht. Genau deshalb tue ich mich da ja so schwer – weil es auch so viele Menschen gibt, von denen ich Angst habe, dass sie dann darunter leiden und deswegen gibt es auch so viele Schriftstücke für die Menschen, die dann hier bleiben – den meisten bin ich nämlich tatsächlich sehr dankbar, das mit mir ausgehalten zu haben. So gern ich manchmal die Verantwortung auch abgeben würde, aber in dem Fall möchte ich nicht, dass sich irgendwer verantwortlich fühlt. Ich will eigentlich keinem weh tun, aber es geht darum, dass ich diesen Schmerz in mir einfach nicht mehr aushalte“, erkläre ich.
Und das sei das Gefährliche, höre
ich. Wenn sich dieses „in Schutz nehmen“ der Mitmenschen irgendwann doch in Wut
umwandelt, kann es schnell unkontrollierbar werden, sagt er. Und, dass ich das
einfach wissen und aufpassen soll.
Und manchmal ist es dann beides
gleichzeitig. So viel Schmerz und so viel Dankbarkeit auf einem Haufen und ganz
viel emotionales Chaos, dass dann doch mal die ein oder andere Träne fließt.
Aber in dem Moment ist das dann
alles, was ich brauche. Keine Verurteilung, kein Unverständnis, keine Kritik.
Kein „Mondkind, wenn das jetzt so akut ist, dann musst Du in die Klinik“.
Einfach zuhören und darüber reden. Und jetzt – nach diesem Gespräch – ist es
wirklich ein bisschen besser geworden. Immer noch präsenter als „normal“, aber
eben besser.
Was mir auch auffällt ist,
dass er irgendwie schon ein bisschen auf mich aufpasst. Vielleicht mehr
mitbekommt, als man so denkt. Er hat wohl erfahren, dass ich von den ganzen To
Do’s, etwas überfordert bin. Nicht so genau weiß, in welcher Reihenfolge, wie
und wann ich alles abarbeiten soll. Also hilft er, wo er kann.
Letzte Woche hat er mir die
Telefonnummer von einem Eleketriker gegeben und jeden Tag gefragt, ob ich jetzt endlich
mal da angerufen habe und einen Termin gemacht habe. („Und Mondkind – da ich
Deine nächste Frage kenne: Du darfst auch mal pünktlich gehen oder
zwischendurch, wenn es terminlich anders nicht geht…"). Und jetzt waren die
vorhin da und haben selbst fast zwei Stunden gebraucht – aber ich habe endlich
Strom in meiner Küche!
Außerdem ist die Voraussetzung
für alles Weitere, seiner Auffassung nach Mobilität. Also wird er mir helfen,
das Auto – Thema anzugehen. (Nachdem ich da mit der Küche aufgrund meiner
Nettigkeit so viel Schiffbruch erlitten habe, kommt er diesmal lieber gleich
mit… - sehr gute Idee…).
Natürlich wirft das in ruhigen
Minuten auch wieder viele Fragen auf. Weil mir dieser Mensch so viel Halt gibt
und das alles trotzdem extrem instabil ist. Weil ich nie weiß, ob dieser Mensch
bleibt, wenn alles was wir tun, nicht mehr damit zu „tarnen“ ist, dass wir nun
mal zusammen arbeiten. Wenn ich auf eine andere Abteilung muss und wir wirklich
etwas dafür tun müssten, uns hin und wieder mal zu sehen. Aber erstmal bin ich
noch da. Ein paar Wochen bestimmt noch. Und zumindest bis dahin wird es wohl gehen.
Mondkind
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