Vom Versuch eines überfälligen Gesprächs
Bevor Spätdienste die vorhandene Energie in der
Notaufnahme fast exponentiell verbrauchen, gehen die Morgen zumindest mit einem
Kaffee oder Tee, oder beidem, auf dem Sofa los. Das gibt mir die Möglichkeit,
die letzten Tage zu verschriftlichen. Es ist – so viel vorweg – nicht so gelaufen,
wie das geplant war.
Aber dennoch gab es Momente, die bewegt und berührt und zum Nachdenken angeregt haben.
Montag.
Es ist noch Nachmittag und meine „To – Do – Liste“
wächst schneller, als ich sie abarbeiten kann, als das Telefon klingelt. Der
Oberarzt steht auf dem Display und es ist eindeutig, dass das ein interner
Anruf ist. Was macht er hier? Er hat doch Urlaub? „Mondkind, komm mal rum…“,
sagt er.
Ich stecke kurz den Kopf bei ihm ins Büro, wo er mit
einem Stapel Briefe sitzt. „Wie lange brauchst Du noch…?“, fragt er. „Schon
noch eine Weile…“, gebe ich zurück. „Ah… - morgen ist Chefarztvisite…“,
entgegnet er. „Genau – das muss vorbereitet werden“, sage ich und hüte mich zu
erwähnen, dass ich zwischendurch noch mit Herrn Kliniktherapeuten zum
Telefonieren verabredet bin. Ich verspreche, mich zu beeilen.
Kurz vor 18 Uhr. Telefon. Diesmal eine externe
Nummer. Der Herr Kliniktherapeut am anderen Ende der Leitung. Ich schnappe
meinen Transponder und hoffe – nachdem mir der Spätdienst in unserem Büro mal
wieder das Ohr abgekaut hat – dass das zweite Arztzimmer leer ist.
Ich erzähle kurz vom Rotationsplan. Davon, dass mir
jetzt einfach die Zeit davon läuft und davon, dass es die Umstände jetzt
ergeben haben, dass wir heute Abend dieses Gespräch führen, das wir schon vor
mindestens einem halben Jahr hätten führen sollen.
„Wissen Sie eigentlich, wie Sie damit umgehen, wenn das Gespräch nicht
klappt…?“, fragt Herr Therapeut.
Kurzes Schweigen meinerseits.
„Nein…“
„Das habe ich mir gedacht…“, sagt er.
Und nach einer kurzen Pause.
„Wie wäre es, wenn ich morgen nochmal anrufe und wir das jetzt heute
nicht ausdehnen, damit Sie alles schaffen?“
Warum kann der Herr Therapeut eigentlich Gedanken lesen? Ich hätte
mich niemals getraut das zu fragen, weil ich weiß, wie knapp seine Zeit ist.
Aber das war auch schon meine Überlegung – das würde im schlimmsten Fall
zumindest den Funktionier – Modus wieder einschalten. Durchhalten bis zum
nächsten Abend – dann ist da Jemand, der sich mit mir Gedanken macht.
„Darf ich nochmal kurz mit den Kindern reden…?“, fragt er.
„Gern…“
Ich mag Ansprachen an das innere Kind. Augen
schließen und nachspüren. „Ich bin für Dich da…“ Das ist alles, was es braucht.
Jetzt in diesem Moment.
Wenig später. Ich beeile mich, alles zumindest
soweit fertig zu machen, dass ich die Patienten dort bis morgen liegen lassen
kann und nichts passieren wird. Zu ergänzende Briefe bleiben auf der Ecke
meines Schreibtisches liegen, genauso wie noch nicht ausgefüllte
Qualitätssicherungsbögen. Außerdem habe ich noch nicht alle Vorbriefe gelesen,
was man vor der Chefarztvisite aber getan haben sollte. Ich beschließe, am
nächsten Morgen 45 Minuten früher zu kommen, damit wir endlich los können –
abends zum 21 Uhr wird mein Gegenüber auch keine Gespräche mehr führen.
Auto.
Es geht zunächst um einige Belanglosigkeiten.
„So Mondkind, also zum Quatschen haben wir jetzt
keine Zeit mehr…“, erklärt das Gegenüber.
Okay…
Er erwähnt in einem Nebensatz eine Sache, von der
ich absolut keinen Plan habe, wie er das umsetzen möchte, wenn wir es nicht mal
schaffen, ein Mal vernünftig über die aktuelle Situation und die Bedürfnisse
auf beiden Seiten zu reden. Dieses längst überfällige Gespräch dauert maximal
10 Minuten und er hat sich sicher auch schon Gedanken um das Thema gemacht.
Eigentlich müssen wir nur mal unsere Einstellungen dazu austauschen. Aber per
Mail kommt eine nichtssagende Antwort, in der Klinik klingelt dann
grundsätzlich sein Telefon, das solche Gespräche immer beendet und außerhalb
der Klinik, fällt ihm auch etwas gerade sehr Wichtiges ein.
Auch darüber, dass ich ein eigenes Auto brauche,
reden wir nochmal kurz und allmählich kann ich das irgendwie auch nicht mehr
hören. Unrecht hat er definitiv nicht, aber im Moment fehlt mir einfach die
Kraft, mich um irgendetwas anderes, als um die Arbeit zu kümmern. (Mal so am
Rand – was ich auch mal wieder machen müsste, wäre selbst diverse Ärzte aufzusuchen.
Aber zu deren Praxiszeiten arbeite ich ja – wie soll das gehen? Wie machen
andere Menschen das? Die Termine muss man ja teils auch Monate vorher machen –
da weiß bei uns auch noch keiner, wie die Verteilung auf der Arbeit ist. Mein
Plan war ja zuletzt einfach mal frühs einen Termin zu machen in der Hoffnung
Spätdienst zu haben, aber da ich jetzt bald von der Stroke Unit runter gehe,
gibt es dann auch keine Spätdienste mehr…).
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Dienstag.
Der Tag geht einigermaßen. Selbst die Chefarztvisite
überstehe ich heute mit weniger Angst. „Alles nicht so schlimm Mondkind –
spätestens heute Abend bekommen Dein Chaos – Kopf und Du noch ein bisschen Zeit…“,
denke ich mir.
Kurz nach 19 Uhr. Ich bin noch weit entfernt von „fertig“,
nachdem ich gestern viel liegen gelassen habe. Das Telefon klingelt. Externe
Nummer. Und ich gehe wieder ins andere Arztzimmer.
Insgesamt ein zähes Gespräch. Passiert bei ihm
irgendwie häufiger. Weil es für ihn eine Zukunft gibt. Weil er Fragen stellt,
über die man nachdenken muss. Da sträubt sich ein Teil von mir. Der will nicht
mehr produktiv über die Zukunft nachdenken.
Proaktives Handeln fordert er. Das sei ja nun nicht
gerade so meine Stärke. Obwohl ich finde, dass ich doch gar nicht so wenig
getan habe. Ich kann mein Gegenüber ja nicht ständig nerven. Ein bisschen Zeit
muss ich ihm schon immer wieder geben, bevor ich es nochmal versuche. Wir haben
verschiedene Kommunikationswege und verschiedene Situationen, in denen die
Kommunikation stattfand durch – und der Typ, der anderen Menschen auf den Füßen
herum getrampelt ist, war ich ja noch nie. „Also wenn ich Ihr gesunder
Erwachsener wäre – ich würde meine inneren Kinder nicht so hängen lassen…“,
sagt er. Und irgendwie tut das seltsam weh. Ich versuche ja als gesunde
Erwachsene Lösungen zu finden, springe immer wieder über die Schatten und
versuche da irgendeine tragende, zwischenmenschliche Beziehung herbei zu
führen, für die ich so viel aufgegeben habe. Und die inneren Kinder werden
langsam ungeduldig, weil sie das nicht bekommen. Aber zaubern kann ich nicht.
Und natürlich lasse ich die Kiddies damit hängen und kaufe mir noch mehr
Rebellion ein.
„Wer könnte eigentlich alles die Bezugsperson sein?
Könnte ich das auch sein? Was ist der Unterschied zwischen ihm und mir?“, fragt
Herr Therapeut.
Oh Herr Therapeut – was ist das für eine Frage? Die
hat so noch nie Jemand gestellt.
Eine ganz tiefe emotionale Sache ist das, erkläre
ich dem Herrn Therapeuten. Die ich mir mit dem Verstand nicht ausgesucht habe. Grundsätzlich
könnte ich mir sogar vorstellen, dass Herr Therapeut eine Bezugsperson werden
könnte – allein vom zwischenmenschlichen Aspekt her. Allerdings habe ich jetzt
schon lange genug Therapeuten in meinem Leben, um da von vorn herein für mich
eine Grenze zu ziehen – und ich hoffe, dass ich zumindest das immer schaffen
werde. Auch wenn er für mich sehr viel mehr tut, als er müsste (immerhin führt
er diese Gespräche mit mir quasi in seiner Freizeit) – aber das Ganze ist
trotzdem ganz nüchtern betrachtet, eine geschäftliche, professionelle Beziehung.
Die Konstellation, in der wir uns kennen gelernt haben, verbietet es schon,
dass er eine stabile Bezugsperson wird. Er kann mir schon ganz viel Halt geben –
und das macht er im Moment auch. Aber was ich langfristig brauche, sind
Menschen, die bleiben. Und therapeutische Beziehungen sind eine recht
kurzweilige Sache. Sich darauf zu stützen, wird am Ende wieder zu viel Leid
führen. Deshalb geht es nicht. Etwas anders wäre es, wenn wir uns im privaten
Rahmen kennen gelernt hätten. (Obwohl ich dann nicht so ganz wüsste, was er für
einen Gewinn mit mir in seinem Leben hätte).
Dennoch irgendwie eine sehr interessante Frage, über
die ich in der Nacht noch eine Weile nachdenke. Der Oberarzt war im Prinzip der
erste Mensch, den ich außerhalb von therapeutischen Beziehungen kennen gelernt
habe, der im Sinn eines „Papa – Ersatzes“ eine Bezugsperson hätte werden können
und das selbst sogar irgendwann mal angeboten hat und diese ganze Idee
zumindest eine Weile selbst und freiwillig mitgetragen hat. „Es gäbe viele
PJler, mit denen es einfacher wäre – aber die wären dann eben nicht Du“, sagte
er mal irgendwann in meinem PJ, was mich damals tief berührt hat. Bei ihm war
halt die Situation, dass wir uns auf der Arbeit in unterschiedlichen
hierarchischen Positionen kennen gelernt haben, das Problem – aber theoretisch
hätte er einfacher eine Bezugsperson werden können, als Menschen, die ich im
professionellen Rahmen kennen gelernt habe.
„Was ist das Schlimmste, das passieren könnte, wenn
Sie keine Lösung finden…?“, fragt er.
Naja… - was soll ich jetzt sagen? Natürlich ist es
ein bisschen radikal ein Scheitern der Idee Halt, Geborgenheit und Sicherheiten
mit dem Ende des Seins zu verbinden – auf der anderen Seite: Ist das nicht nach
so vielen Jahren Suche auch mal irgendwie okay? (Naja… - für Therapeuten ist so
etwas nicht okay, das ist mir schon klar…). Im Prinzip ist die akute Suizidalität auch nur deshalb so niederschwellig, weil da eben absolut nichts Positives ist, das dagegen halten kann und für das es sich lohnt, die ständige Negativität auszuhalten.
Nachdem ich lange genug schweige, kommt er zum Glück
von selbst darauf und dann können wir ein bisschen darüber reden, was
unglaublich entlastend ist. Denn eigentlich ist es ja auch nicht das, was ich
will. Diese drohende Endlichkeit, ohne jemals gefunden zu haben, was ich so
lange gesucht habe und dieses Wissen, wie sehr ich auch darum gekämpft habe,
macht mir Angst. Sehr viel Angst.
Wie er mir da helfen kann, möchte er wissen. Langes
Schweigen. Was soll er machen? „Am Ende muss ich das selbst aushalten. Wer soll
mir diesen Schmerz abnehmen?“, fragte ich. „Das ist leider so, ja…“, sagt er.
Und irgendwie tut die Antwort seltsam weh. Diese Bestätigung. Ich muss da
alleine durch.
Er schlägt vor, dass ich doch die ganze Thematik auf
der Arbeit lassen soll, wenn ich abends nach Hause gehe. Kann man es versuchen.
Aber ich glaube nicht, dass das funktioniert. Schließlich muss die Aufgabe
eigentlich andersherum sein – es darf auf der Arbeit ja gerade nicht so präsent
sein, dass es mich in der Patientenversorgung behindert.
Das Gespräch neigt sich dem Ende.
Wir reden über „Therapeuten – Tee“. Wenn ich das
nächste Mal in die Studienstadt fahre und mich entscheide auf den Berg zu
fahren (also aufs Klinikgelände), bringt er Nachschub mit, sagt er. Wie lieb. Ich
weiß nur bislang nicht mal, wann ich das nächste Mal Urlaub habe. Aber wenn ich
den anteilsmäßig auf den jeweiligen Stationen nehmen muss, kann das am Ende schneller
gehen, als gedacht.
Und wie wir verbleiben - das ist die Frage. Je
nachdem, wie es hier so weiter geht, ist meine Antwort. Ich möchte nicht, dass
mir die Leute dabei zuschauen, wie ich es am Ende nicht schaffe. Das ist auch
meine Verantwortung, das keinem anzutun. Er sagt, dass er selbst auf sich
aufpassen kann. Und möchte, dass ich mich nochmal melde. Irgendwann im Lauf des
Februars. Wie auch immer es dann aussieht
bei mir. Zumindest versuche ich mal so zu tun, als gäbe es eine Zukunft. Plane mit dem Kollegen ein bisschen am Epilepsie - Projekt.
Ehrlich gesagt rechne ich dem Herrn Therapeuten das hoch an. Einer der
wenigen Menschen, der das einfach so mitträgt. Die Ungewissheit. Die sicher
belastend ist. Und mir trotzdem keine Vorwürfe macht.
„Kann ich noch etwas für Sie tun?“ Schlussfrage.
Mich nicht sterben lassen. Bitte.
Das sage ich so natürlich nicht. Sondern bedanke
mich für seine Zeit und seine Mühe.
Und jetzt ziehe ich gleich mal los auf die Arbeit…
Mondkind
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