Freitags...


Freitagmorgen.
Viertel nach fünf klingelt der erste Wecker. Halb sechs der Zweite. Bloß gut ist Freitag. Ich kann nicht mehr. Und heute erschlägt mich die Angst vor dem Tag schon fast, als ich noch im Bett liege.
Es hilft nichts. Aufstehen, Kaffee kochen, Bananenquark zusammen rühren und eine Khaki obendrauf schnibbeln. Energie tanken. Für das, was auch immer da heute wieder kommt.

Den Berg hoch schlurfen. Heute Morgen stressen mich sämtliche Wesen. Egal, ob sie hinter mir laufen, oder vor mir, oder mich irgendwo quer von der Seite anreden. Ab einem gewissen Grad von Überforderung kommt immer der Punkt, an dem jede Form von sozialer Interaktion ein Desaster für mich wird.

Auf der Station. Ein Kollege und ich beschließen die Verteilung der Assistenzärzte. Nehmen einfach mal so an, dass wir heute zu Viert sind. Bevor wir in die Frühbesprechung gehen stellt sich heraus – wir bleiben erstmal doch zu Zweit. Also wird die Stationsverteilung im Endeffekt ein einziges Chaos.

Freitägliche Frühbesprechung. Heute ist es besonders voll. Selbst diejenigen, die sonst unter dem Vorwand etwas Ultra – wichtiges erledigen zu müssen nicht kommen, sind heute da.  Es soll ja den Rotationsplan geben. Am Ende wird Jeder vom Chef  über spannende Fälle der Woche ausgefragt. Mein Herzschlag beschleunigt sich schon, weil ich heute schon mal gar nicht vor so vielen Menschen irgendwelches wirres Zeug erzählen und fünf Mal zwischendurch den Faden verlieren möchte. Mein Hirn ist einfach hin. Ich sitze aber vom Blickwinkel des Chefs aus so versteckt hinter einer Säule, dass er mich nicht sieht. Man muss auch mal Glück haben.

Kurz nach halb 10 sind wir wieder im Büro. Wenn um 10 Uhr die Visite starten soll. Ich schaue in Windeseile alle Befunde durch, rase von Zimmer zu Zimmer und versuche alles einigermaßen vorzubereiten. Zu unserem Glück kommt der Oberarzt etwas später, aber in Kombination mit der ungeschickten Stationsverteilung und ein paar Notfällen zwischendurch, wird die Visite zum Albtraum.

„Mondkind, Du sahst so fertig aus, ich dachte schon Du heulst gleich…“, sagt der Kollege, als wir zwischendurch kurz etwas essen gehen. „Hätte mich noch wer angeschrien, wäre das sicher auch passiert, aber ich konnte mich gerade noch beherrschen“, gebe ich zurück.

Am Nachmittag soll uns der in der Notaufnahme eingesetzte Assistenzarzt eigentlich helfen, weil es dort heute sehr ruhig ist – aber der kommt nicht. Allerdings kann ich wenigstens die Ruhe der Notaufnahme nutzen, um mit dem Notaufnahme – Oberarzt einen Ultraschall bei einem Patienten machen zu gehen. Er erklärt nebenbei sogar ein bisschen was und ich konnte etwas davon mitnehmen.

Die Hälfte des Nachmittags verbrauche ich für einen Patienten aus der Kardiologie, dann muss ich noch die Visite aller meiner anderen Patienten ausarbeiten und dann stehen noch die heutigen Entlassbriefe zusätzlich zu denjenigen, die ich gestern schon aufgeschoben habe.
Spätdienst möchte ich heute auch nicht sein. Wir haben ja seit Neuestem eine Neurochirurgie – also sind wir jetzt irgendwie doch so ein bisschen OP – angebunden, sodass der Spätdienst dort heute erstmal zwei Stunden (!) verschwunden war. Ich hoffe und bete, ich muss da nie hin. Dann muss noch Blut transfundiert werden, was ich ja offiziell gesehen noch nicht mal tun darf… - wäre das mein Spätdienst gewesen, wäre ich heute definitiv daran gescheitert. Nächste Woche bin ich auch wieder dran… - ich weiß noch nicht, wie ich das schaffen soll.

Zwischenzeitlich lerne ich auch mal, was genau in dem Geschenkkörbchen sein soll. Man merkt eindeutig… - wir sind in den höheren Gehaltsklassen angekommen. Ehrlich gesagt habe ich von solchen Dingen bis dato noch nichts gehört. Jedenfalls wird das morgen unglaublich viel Zeit kosten, das alles zu organisieren und mit Haushalt und einkaufen für meine Wenigkeit tue ich wohl gut daran, früh aufzustehen und die Seele nicht allzu lange auf dem Sofa baumeln zu lassen.

Heute ist es 21 Uhr, bis ich endlich das Krankenhaus verlasse. Nach 14 Stunden Dauer – Anspannung. „Hast Du gut gemacht heute Mondkind“, sagt der Neuro – Oberdoc, der mich auf dem Flur noch abfängt. Danke. Manchmal braucht es genau… - das. Dennoch weiß ich, dass das heute nicht der heldenhafteste Tag war. Trotzdem bin ich dankbar für die Wertschätzung. 

Auf einem Spaziergang letztens... - heute war es natürlich schon längst dunkel...

Auf dem Heimweg gehen die Gedanken auf Wanderschaft.
Worauf zum Geier warten wir hier noch? Wir tun so als wüssten wir, dass es irgendwann diesen Wendepunkt gibt. Dass das Tal irgendwann durchschritten ist. Dass es irgendwann bergauf geht.
Dabei ist das alles eine Einbahnstraße. Es wird nicht mehr besser. Es wird nur schlimmer. Ob der „erste Dienst“ eher kommt als der Stationswechsel, das ist mal so die Frage, aber eines von Beiden wird garantiert in den nächsten Monaten passieren. Und wenn sich – und das ist schließlich von keinem der Job im Krankenhaus – niemand Gedanken macht, wie man eine Panik – Mondkind da drüber hinweg bringt, dann werden das ganz kritische Situationen. Überhaupt habe ich das Gefühl, ist die Angst im Moment viel präsenter, als sie das früher war. Ich war zwar immer schüchtern, aber nicht immer so ein Hasenfuß. Zwar mache ich das Meiste trotzdem irgendwie – muss ich ja auf Arbeit auch – aber der Stress dabei… „Mondkind, hast Du immer so feuchte Hände…?“ fragt der Kollege heute schon ganz treffend.
Und natürlich habe ich so lange gehofft und dafür gekämpft, dass es irgendwann besser wird. Dass ich zumindest ein stabiles, privates Umfeld bekomme, das mittragen kann. Dass es noch ein einziges Mal irgendwie gut wird. Aber das wird es nicht mehr werden. Und wieso soll man sich jetzt die Zeit bis dahin trotzdem noch jeden Tag damit stressen, sich wie ein komplett inkompetentes Wesen zu fühlen, dass da im Kittel über die Flure rennt, nur um spätestens in ein paar Wochen zu begreifen, dass es nicht geht? Heißt es, wenn man etwas grundsätzlich irgendwie aushalten kann auch, dass man das zwingend tun muss…?
Und manchmal… - manchmal ist das so viel existentielle Angst. Was ist, wenn aus dem Plan hier neu anzufangen, ein Ende wird?

Mondkind

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