Ein kleiner Bericht von der Arbeit


Was für eine Woche… Dass ich zwischendurch mal noch zum Schlafen komme und zumindest sporadisch whatsApp – Nachrichten beantworte, grenzt an ein Wunder. Da meine Kreativität vermutlich schon längst schläft, ich aber trotzdem mal festhalten möchte, was diese Woche alles passiert, wird es heute ein kleiner Wochenbericht.

Montag
Die Woche geht ganz gut los. Zumindest glaube ich das bis zur Frühbesprechung. Ich hatte seit langer Zeit gerade erst ein freies Wochenende und konnte die Batterien zumindest ein bisschen aufladen. Außerdem habe ich endlich Steckdosen in meiner Küche – und damit ist zumindest ein Teil der Einrichtung in der Wohnung abgeschlossen.
Länger als bis zur Frühbesprechung hält die Laune aber nicht. Der Chef hält eine Ansprache, die sich gewaschen hat. Er hält die Stroke Unit für die schlechteste Abteilung. Lange habe er das toleriert, weil wir so knapp besetzt gewesen seien (nicht, dass es jetzt viel besser wäre), aber nun werde er das nicht mehr tun. Er erwarte, dass wir zumindest ein Mal fleißig arbeiten und es am Dienstag zumindest ein einziges Mal schaffen, eine reibungslose Chefarztvisite zu gestalten. Das könne nicht sein, dass wir unsere Patienten nicht im Kopf haben, erklärt er und vergleicht unsere Situation mit derjenigen der Intensivstation, wo die Patienten gern mal Wochen bis Monate liegen. Unsere Patienten kommen so schnell es geht auf die Normalstation – die Meisten je nach Krankheitsbild zwischen 24 und 72 Stunden – wie soll man da alle seine Patienten mit allen Befunden und Laborwerten auswendig wissen…?
Es sind Worte, die doch irgendwie treffen. Ich kann nur für mich sprechen: Ich kann nicht alles zu meinen Patienten auswendig – aber dazu gibt es ja Stift und Papier. Aber ich gebe mir Mühe, versuche alles was für die Patienten wichtig ist zu erreichen und im Blick zu haben, schaue jeden Tag alle Befunde durch (die nicht selten nachträglich noch ergänzt werden und wenn die Chefetage das eher sieht als wir heißt es wieder, wir hätten die Befunde nicht gelesen) und versuche, eine gute Ärztin zu sein. Aber irgendwie reicht das scheinbar nicht.
Und eigentlich kann man ja auch nicht alle Mitarbeiter über einen Kamm scheren. Ich bin erst seit wenigen Monaten da – andere Kollegen arbeiten schon seit knapp 10 Jahren in der Neuro.

Spät am Abend sitze ich noch lange im Büro. Ich habe ein „internistisches Polytrauma“. Den Arztbrief aus dem einmonatigen Krankenhausaufenthalt habe ich besorgt und arbeite ihn durch. Kurz bevor ich um 19 Uhr gehen möchte, stellt sich heraus, dass so manche Gefallen ein Dankeschön erfordern. Also soll ich im Lauf der Woche noch ein Geschenkkörbchen erstellen. Wann auch immer ich das machen soll. Das wird mich noch den Rest der Woche stressen.

Dienstag
Ich stehe ein bisschen früher auf, frühstücke aufgrund von Magenschmerzen ein bisschen weniger und laufe etwas eher den Berg hinauf. Unterbrochen von der Frühbesprechung arbeite ich auf Hochtouren bis kurz nach 10 Uhr die Visite aus – dann steht der Chef auf der Matte.
Bloß gut sieht man unter den viel zu weiten Hosen nicht, dass meine Knie zittern, als wir in meinem Zimmer stehen. Es gibt einen „kritischen Moment“ in meinen Zimmern, in dem ich sogar eher unsanft die Hand meines Oberarztes im Rücken fühle, der mich etwas grob nach vorne schubst, damit ich auch genau den Patienten im Blick habe und mir anschauen kann, was der Chef für eine Frage über das Bein des Patienten hat, die ich nicht beantworten kann.
Die restlichen „kritischen Momente“ gehören zum Glück nicht mir. Aber allein daneben zu stehen, raubt alle Nerven.

Nachmittags muss ich noch eine Lumbalpunktion machen. Bei einem dementen, etwas aggressiven Patienten. Zum Glück kann ich einen Kollegen überzeugen, mitzukommen. Der Introducer lässt sich sogar ganz gut platzieren, aber dann hampelt der Patient so herum, dass ich die Nadel nicht vorschieben kann. Der Kollege schafft es dann aber zum Glück.
Dennoch telefoniere ich an dem Abend noch ewig mit seinem gesetzlichen Betreuer, muss noch Briefe schreiben und die Visite des Chefs ausarbeiten, der noch zahlreiche Ideen hatte, sodass es auch nach 19 Uhr wird, bis ich endlich nach Hause gehe.

Dort sehe ich dann, dass der Herr Klinik – Therapeut geschrieben hat. Ich habe ihn gefragt, ob wir vielleicht nochmal miteinander reden können. Könnte ja sein, dass andere Menschen nochmal andere Ideen haben und immerhin haben wir, seitdem es mit der Klinik über Weihnachten nicht geklappt hat, keinen Kontakt mehr gehabt. In den nächsten zwei Wochen hat er keine Zeit, schreibt er. Danach könnten wir versuchen einen Termin zu finden. Das ist so semi – gut ehrlich gesagt. Aber ich weiß, dass er viel beschäftigt ist. Nur ist ab der Woche der Oberarzt im Urlaub – telefonieren während der Dienstzeit kann ich also nicht. (Ungünstig ist auch, dass ich ausgerechnet in der Woche drei Spätdienste habe. Da ist die Station pünktlich ab 16 Uhr ohne Oberarzt – unser Oberarzt bleibt ja gern mal bis 18 Uhr). Wenn bis dahin etwas ist wisse ich ja, dass ich mich ja bei den akuten Anlaufstellen melden könne… Mh… - dass das nicht so einfach ist, sollte ja mittlerweile bekannt sein, aber ich hoffe einfach, es geht bis dahin.



Mittwoch
Mittlerweile bin ich ziemlich überreizt. Allein schon die Anwesenheit von Menschen stresst mich in der Früh, als ich durch das Krankenhaus rase. Telefonieren ist noch schlimmer. Ich muss es ja dennoch machen – aber es lässt die Müdigkeit exorbitant schnell ansteigen, weil es mich so anstrengt.

Heute nehme ich mir vor, früh nach Hause zu gehen.
Aber dann kommt mir eine junge Patientin dazwischen, die in einem meiner Zimmer liegt. Sie kam mit dem Verdacht auf eine Epilepsie und da ich mir die EEGs ja trotzdem alle anschaue, auch wenn ich nicht immer weiß, was ich da sehe, erkenne ich „verdächtige Zacken“. Die Kollegen wissen nicht recht weiter, unser Oberarzt auch nicht – also schauen Oberärzte der halben Klinik drauf bis klar ist, dass es Artefakte sind. Mithilfe der Befundvorlagen eines Kollegen schreibe ich meine beiden ersten EEG – Befunde. Es ist schon Abend, als die Patientin unbedingt heim möchte und ihr Vater sie mitnehmen möchte.
Aber erst brauche ich noch einen MRT – Befund. Und der ist noch nicht im System. Also rufe ich den verantwortlichen Radiologen an. Das MRT wurde von der höheren Etage befundet. Und die möchte sich gerade nicht mit unfähigen Assistenzärzten abgeben, sondern das direkt mit dem Oberarzt besprechen. Also Oberarzt anrufen und beichten, dass ich nicht mal in der Lage bin, einen MRT – Befund an die Front zu bekommen. Wer hat eigentlich je behauptet, dass Arzt – sein ein erfüllender Beruf ist? Eigentlich hört man den ganzen Tag nur, dass man weder etwas kann noch etwas wert ist. Und wenn der Job dann zum Lebensinhalt wird, ist das ziemlich kritisch.
Danach schreibe ich noch einen Brief für die junge Dame, telefoniere mit den Handchirurgen, von denen sie ursprünglich kam und organisiere die Entlassung.

Später am Abend geht es um mögliche Rotationen. Und was ich da so höre… „Also Kollegin xy muss jetzt mal runter von der peripheren Station – die soll ja auch mal wieder das Tageslicht sehen…“ Und von einer anderen Kollegin: „Auf der peripheren Station heult jeder – das ist normal…“
So so… - wir kriegen Freitag unsere Rotationspläne für dieses Jahr. Ich bin gespannt. „Ich glaube, bevor ich da nochmal hin muss, würde ich mich erhängen“, sagt der Kollege. „Mh…“, knurre ich nur.

Donnerstag
Heute gehe ich mal wirklich früher, denke ich mir. Je müder ich werde, desto mehr überfordert mich alles und da ich mittlerweile merke, dass ich wirklich mit keinem Menschen mehr reden möchte, weil da nur noch Angst ist, ist das wohl ein Zeichen auf meine Bedürfnisse zu hören.

Da habe ich aber die Rechnung mal wieder ohne meine Patienten gemacht. Am Nachmittag wird ein dementer Patient so umtriebig und unterschwellig aggressiv, dass er nicht mehr führbar ist. Eigentlich ist er ein ganz süßer Opa, aber er hat ganz große Angst davor ins Heim zu müssen und möchte deshalb einfach nur nach Hause. Eigentlich war die Entlassung für morgen geplant, aber ehe uns das noch völlig um die Ohren fliegt und wir ihn notfallmäßig in die Psychiatrie einweisen müssen, telefoniere ich mit dem gesetzlichen Betreuer und organisiere alles für eine heutige Entlassung. Einfach ist das nicht, weil auch noch die häusliche Situation geregelt werden muss. Ganz schnell ist es 17 Uhr, von meiner To Do Liste sind erst wenige Punkte abgehakt und der Plan pünktlich zu gehen, ist schon nicht mehr umsetzbar.

Ich bleibe bis kurz vor 19 Uhr. Eigentlich warten noch zwei Briefe, aber die schiebe ich dann wohl mal auf morgen Abend.

Eine Freundin fragt, wie es mir geht. Und… naja, wie soll es mir gehen…? So hatte ich mir Vieles nicht vorgestellt. Und manchmal habe ich einfach super viel Angst, dass ich das nicht mehr lange durchhalte. Und dann frage ich mich, wer ich heute sein könnte und was für ein Leben ich führen könnte, wäre so vieles anders gekommen.
Ich versuche, dass es nicht zu präsent wird. Dieses Nichtwissen, wie und ob es weiter geht. Noch ist jetzt. Noch bin ich hier. Die nächsten Hürden kommen. Ob ich die noch überspringen kann, weiß ich nicht. Aber das versuche ich erst zu hinterfragen, wenn ich da bin. Ob es noch Wochen, Monate oder Jahre werden, weiß ich nicht. Aber das ist im Jetzt auch nicht wichtig.
Irgendwie so. Das ist eigentlich die einzige Haltung, die gerade sinnvoll ist. Nur erfordert auch das viel Anstrengung und viel Verdrängung. Nicht an morgen denken. Nur an heute. 
Und trotzdem wird das spätestens morgen früh erstmal kippen. Mit dem Rotationsplan. Denn der bringt einen potentiellen Endpunkt. Den man eigentlich nicht wissen will. Und mit dem man trotzdem konfrontiert wird.

Ach so... - und für das Geschenkkörbchen hatte ich bisher keine Zeit... 

Mondkind

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