13 Monate

Hey mein lieber Freund,
wie geht es Dir? Was machst Du so?

Was machen wir jetzt, nach 13 Monaten? Ich bin letztens so deutlich damit konfrontiert worden, dass es bitte nach einem Jahr besser zu werden hat und man das jetzt so nicht mehr akzeptieren könne. Und jetzt…? Es ist bestimmt okay weiter zu schreiben, oder?

Während ich vor einem Jahr noch in der Psychiatrie saß und verzweifelt um eine Zukunft gekämpft habe – ich glaube diese Tage vor einem Jahr waren ungefähr die wenigen Tage, in denen ich das Gefühl hatte, dass es doch vielleicht ganz gut läuft – habe ich jetzt mein Leben endgültig an den Job verloren. Der Personalmangel ist so hoch, dass wir alle Dienste ohne Ende machen. Es geht überhaupt nicht mehr um Lebensqualität – zumindest für mich nicht – sondern nur darum, zwischendurch so viele Tage zu haben, dass die Müdigkeit vor dem nächsten Dienst zumindest ein kleines bisschen weniger wird.
In der letzten Wochen habe ich den schlimmsten Dienst erlebt. Meine erster Patient, der es nicht geschafft hat. Der in einem gar nicht so schlechten Zustand in die Klinik kam, sich dramatisch verschlechtert hat und nach der Verlegung im Zielkrankenhaus verstorben ist. Die letzte Woche kamen ständig Menschen auf mich zu, haben genau nachvollzogen, was wann gemacht wurde, was ich dokumentiert habe um nachzuvollziehen, ob es Fehler gab. Viel hat mich nicht gefunden, aber ich war jedes Mal angespannt, wie ein Flitzebogen. Was allerdings niemand gefragt hat ist, wie ich das menschlich verpackt habe.
So oft denke ich in den schwierigsten Momenten an Dich. Ich weiß nicht, ob es so ist, aber ich denke, dass Du irgendwo da oben sitzt und mir zuschaust. Ob Du irgendetwas lenken kannst, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass Du – nachdem Du in meiner Angst vor den Diensten so unmittelbar eingebunden warst – denkst: „Ich bin stolz auf meine Lieblingsärztin. Go for it; Du packst das.“ Und manchmal gibt mir das die Kraft, um einfach irgendwie weiter zu machen. Weil ich einfach so sehr hoffe, dass wir uns wieder sehen und uns irgendwann mal die Geschichten erzählen können, die wir in der Zeit erlebt haben.

Ich weiß, wenn Du heute noch hier wärst, wir hätten viele Diskussionen. Über die Arbeitsbedingungen und den Job. Über die 24 – Stunden – Dienste und dass das unverantwortlich für Personal und Patienten ist. Du hättest Dich wieder mehr darüber aufgeregt als ich – weil ich dafür auch einfach keine Kraft mehr habe – hättest wieder das Gesundheitssystem angezweifelt, gesagt, dass wir einen anderen Job für mich finden müssen. Und nach der Flutkatastrophe wäre sicher auch der Klimaschutz und unser unverantwortliches Handeln mit dem Planeten ein Thema gewesen. Du hättest Dich wieder aufgeregt über die „oberflächliche Spaßgesellschaft“ und hättest Angst vor der Apokalypse zu unseren Lebzeiten gehabt. 

Schau her, ich muss Dir etwas zeigen... - Die Zucchini blüht... 😍 Wir hätten unseren Spaß mit diesem Wintergarten.

 

Die letzten Wochen waren schwierig. Ja, Wochen geht das ja jetzt schon so. Und ich weiß nicht, ob die Kraft am Ende reichen wird. Meine Schwester war letzte Woche in der Studienstadt – eigentlich auch nur, weil sie da etwas erledigen musste. Sie hat mir fast keine Bilder geschickt; ich glaube, sie wollte mit nicht quälen. Aber allein das Wissen, dass sie dort ist, hat das Heimweh nochmal verstärkt. Und dabei weiß ich immer noch nicht, ob ich einfach nur mal wieder die Stadt sehen möchte, oder ob ich uns so sehr vermisse. Einsamkeit hat ein völlig neues Level erreicht. Manchmal schalte ich nach einem 24 – Stunden – Dienst mein Handy ein und es hat einfach kein Mensch geschrieben.
Was vermisse ich so sehr? Das Leben von Damals? Das winzige Stückchen Unbeschwertheit, von dem ich nicht begriffen habe, dass es da ist? Ein ehrliches Lächeln. Ein „Mondkind, wollen wir heute Nachmittag auf die Büchermeile fahren?“ Weil wir doch beide Bücher so sehr geliebt haben. Und danach Eisessen im Hafen. Oder da war so ein Mexikaner auf der Promenade, erinnerst Du Dich? Ich möchte noch ein Mal erleben, dass Du mich durch die halbe Stadt schleppst, in so viele Bahnen hinein und wieder heraus schiebst, dass ich irgendwann keine Ahnung mehr hatte, wo wir eigentlich waren. Ich möchte mit Dir nochmal am Fluss auf den Treppen sitzen und der Sonne beim Untergehen zuschauen. Ich möchte eines der vielen Café – Dates noch ein Mal spüren. Ich möchte einfach mal wieder nicht mehr alleine sein.

Ich habe letzens mal in einem Forum so ein schönes Statement gelesen. „In der Todesnacht habe ich noch meinen besten Freund aktiviert und er hat mich keine Minute mehr aus den Augen gelassen. Ich glaube, ich habe monatelang das ewig Gleiche erzählt, sogar heute noch habe ich solche Phasen wo ich alles zerpflücken muss.“
Und wenn Du – dieser eine Mensch, der nie im Leben hätte gehen dürfen das nicht gewesen wäre – wir hätten es genauso gemacht. Ich weiß, Du hättest Deine Sachen gepackt und wärst hierher gefahren. Und ich weiß, ich hätte Dich am Bahnhof abgeholt, Dich in den Arm genommen, geweint und nicht mehr losgelassen vor Erleichterung darüber, nicht mehr alleine zu sein.

Ich möchte bitte mein altes Leben zurück haben. Unser altes Leben. Dieses Leben, in dem ich so sehr von einem Menschen geliebt wurde und das als viel zu selbstverständlich hin genommen habe.
Es ist so ein Alptraum hier.
Und ich glaube neben Dir vermisse ich am Meisten mittlerweile mich selbst.

Der nächste Monat wird schwierig. Nicht nur wegen Dir. Auch, weil ich wieder mein Arbeitsumfeld gewechselt habe. Umgetopft wurde auf die SU. Weil ich zwar Spätdienste genommen habe, aber auch gesagt habe, dass ich an zwei Tagen, die noch frei waren, nicht kann. Weil ich da einen wichtigen Termin habe. Weil da AGUS – Treffen ist. Nicht, dass das irgendwen interessiert hätte. Und nicht, dass das irgendwen interessiert hätte, mir einen Spätdienst NACH der Therapie zu geben. Erst Therapie, dann acht Stunden arbeiten. Perfekte Idee. Aber ich wehre mich auch zu wenig, muss ich ehrlich zu geben. Weil das auf der Arbeit alles vertikale Beziehungen sind, aber es sind zumindest überhaupt Beziehungen. Und ich habe Angst, dass man mich nicht mehr mag, wenn ich nicht allen anderen immer mit ihren privaten Plänen aus der Patsche helfe.
Und viele Dienste gibt es auch. Bis die Woche zu Ende ist schonmal noch zwei...

Halt die Ohren steif. Ich versuch’s auch. Ich versuche es wirklich, das verspreche ich.
Ganz, ganz viel Liebe in Richtung Universum.
Ich hoffe, Du bist okay, wo immer Du auch bist. Du fehlst.

Mondkind

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