Über das, was Damals nicht werden konnte

Ein Blogeintrag, der letzten Sonntag im Nachtdienst entstanden ist. Wenige Minuten, bevor es für den Rest der Nacht wieder viel Action war und ich noch ganz bewegt von meinen Gedanken sein konnte.
Bislang bin ich nur noch nicht dazu gekommen ihn zu veröffentlichen, weil ich entweder zu erschöpft war nach der Arbeit oder zu lange gearbeitet habe. Heute bin ich Beides, aber bald wird es zu spät für die Zeilen…

***
Sonntagnacht
Ich sitze in der Notaufnahme, habe eine Patientin in einem der Behandlungsräume liegen, die ich gut händeln kann. Nichts Dramatisches.

Ich schaue immer mal nach, was ich heute vor einem Jahr so in der Psychiatrie getrieben habe und heute war der Tag an dem ich das desaströseste Telefonat mit meiner Oma hatte, das es seit langer Zeit gegeben hatte. Seitdem haben wir vielleicht eins, zwei Mal gesprochen.
Da hat sie mir erklärt, dass ich dem Job ohnehin nicht gewachsen sei, dass ich keine Dienste machen könne, dass ich das doch einsehen müsste. Und dass das ganz schlecht für ihre und die Gesundheit meiner Mutter sei, wenn sie sich ständig Sorgen um mich machen müssten. Weil es ja auch so gar nicht ihre Idee war, dass meine Schwester und ich Medizin studieren und weil uns ja auch absolut niemand zu diesem Studium gezwungen hat. Ich sollte doch viel lieber Forschung machen und ich müsste doch auch bedenken, dass die Leute in der Neuro zwar schon offiziell nett zu mir sind, aber eigentlich wollen würden, dass ich kündige. Der Vertrag würde nie im Leben verlängert werden, also würde ich in einem Jahr ohnehin ohne Job dastehen. Sie hätte die Kündigung schon geschrieben, ich müsste sie nur noch unterschreiben und dahin schicken und dann könnte ich erstmal wieder bei meiner Mutter einziehen, mich um sie kümmern und dann weiter sehen. (Nachdem ich viele Jahre zuvor nur mit einem Koffer in einer Nacht- und Nebelaktion völlig kopflos ausgezogen war, weil ich es nicht mehr aushalten konnte dort. Aus Gründen).
Es war ein Sonntag. Kein Arzt da, kein Therapeut, nur die Pflege der man nicht non – stop auf den Senkel gehen konnte. Meiner Oma und meiner Mutter war schon zuzutrauen meine Unterschrift zu fälschen. „Ich bin schwer enttäuscht von Dir“ waren die Worte meiner Oma an ihre Enkelin, die erst vor wenigen Wochen ihren Freund verloren hatte.
Und in diesen Tagen dachte ich, ich verliere alles. Meinen Freund, meinen Job, die potentielle Bezugsperson, den Ort in der Ferne. Ich verliere innerhalb weniger Wochen alles, wofür ich jahrelang gekämpft habe.

Genau ein Jahr später.
Vorhin bin ich noch spontan von der potentiellen Bezugsperson eingeladen worden auf ein Straßenfest, das er veranstaltet hat. Ich kannte da so gut wie Keinen, aber Einer der dort war, hat mir meine Steckdosen in der Küche eingebaut und über ihn sind dann auch Gespräche mit anderen Menschen entstanden. Seine Tomaten sind übrigens viel schöner geworden als meine, musste ich feststellen. Der Gurke geht es auch gut und die Paprika… - ich habe ja noch nie einen echten Paprikastrauch (heißt das so?) gesehen.
Und jetzt bin ich direkt danach in den Nachtdienst gefahren. Und ja ich bin müde und vielleicht war das unvernünftig, weil ich ja auch noch den Tag morgen arbeiten muss – aber es hat sich gelohnt.

Und am allerliebsten würde ich jetzt die Mondkind von Damals in den Arm nehmen und ihr zuflüstern, dass sie in genau einem Jahr den Job noch hat, nachts im ersten Dienst sitzt und davor noch auf einer Straßenparty bei der potentiellen Bezugsperson war, der damals eine schreckliche Mail nach der anderen geschrieben hat. Ich glaube die Mondkind von damals würde nicht mehr aufhören zu weinen vor Erleichterung, dass es irgendwie werden kann, dass auch Dinge bleiben können, dass nicht alles verloren ist. Und so blöd, wie die Dienste manchmal sind, so sehr wie ich auch Herzrasen habe  manchmal, wie ich auch innerlich schimpfe – aber ich muss mir immer noch bewusst machen, dass es vor einem Jahr nicht mal denkbar war, dass es alles das, was ich heute habe, noch mal geben wird.

Danke an mich selbst fürs Durchhalten. Fürs Hoffen. Und fürs Glauben an mich selbst auch wenn das Licht manchmal so schwach war, dass ich es nicht mehr sehen konnte. 

 

Mein Glücksbringer, der mich immer noch in jeden Dienst begleitet. Herr Kliniktherapeut hat ihn mir mal geschenkt. Dieser Mensch hat Spuren in meinem Leben hinterlassen und ich bin froh, dass er das immer noch tut. Wenn auch nur noch gedanklich. Ich denk oft an ihn. Und hoffe, es geht ihm gut.


Mondkind

P.S. Übrigens sind meine freien Mittwochnachmittage nach der Therapie vorerst vorbei. Da von Gestern auf Heute nicht ein Punkt meiner To - Do - Liste vom Spätdienst abgearbeitet wurde, sich Entlassungen verzögert haben, ich heute bis 20:30 Uhr auf der Arbeit war und mehrfach beinahe einen Nervenzusammenbruch hatte, weil ich sonst so perfektionistisch bin... - hat der Oberarzt beschlossen, dass es so nicht geht... Schade eigentlich... hab den freien Nachmittag echt geschätzt. Insbesondere um noch ein bisschen gedanklich beim Freund zu bleiben.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen