Liebe auf Distanz

Die erwachsene Mondkind sitzt auf dem Boden.
Den Rücken gegen die Wand gelehnt.
Neben ihr liegt das traurige Kind, hat den Kopf auf ihren Beinen abgelegt. Intuitiv legt die erwachsene Mondkind den Arm um das traurige Kind. Es ist eher eine Geste, als wirklich mit der Intention das traurige Kind beschützen zu können. Denn die erwachsene Mondkind hat keine Kraft mehr.
Nicht weit weit entfernt tobt gerade das ängstliche Kind. Es sind ein paar Dinge aus dem Ruder gelaufen. Am Ende ein paar zu viele Dinge, sodass das ängstliche Kind zuerst nur nervös war, aber jetzt nicht mehr zu bändigen ist. Die Ängste sind schon längst nicht mehr rational, in Schach halten kann man das ängstliche Kind nicht mehr. Die erwachsene Mondkind hofft, dass es bald müde wird, sich in irgendeine Ecke legt und damit das beklemmende Gefühl in Mondkinds Brust verschwindet und die ständigen Panikattacken. Mit denen die erwachsene Mondkind noch nie so viele Probleme hatte, wie in den letzten Tagen.
Irgendwo im Hintergrund sitzen Kritiker und Forderer, schauen mit Adleraugen auf die erschöpfte, erwachsene Mondkind und erwähnen nur mal aus dem Off, dass es jetzt mit den Diensten richtig schwierig wird. Fast jeden Donnerstag und jedes Wochenende. Und, dass man die natürlich schaffen muss.

Das Unterstützungssystem ist gerade zusammen gebrochen. Frau Therapeutin, die Neue, ist krank und mit der potentiellen Bezugsperson ist mal wieder ein Tal einer Sinuskurve erreicht. Er hat verletzt, mal wieder, aber die erwachsene Mondkind lernt es ja auch nicht. Und es tut immer dann am meisten weh, wenn man ihn gerade am allerdringendsten bräuchte und merkt, dass er das entweder nicht verstehen und spüren kann oder will.

Blitzlichtmomente.
Dieser hier. 


 

Wir sind uns jedes Mal ein bisschen fremd
Als ob man sich noch gar nicht richtig kennt
Ich bin in deiner Stadt Tourist
Der nie wirklich zuhause ist
Doch alles irgendwie besser als getrennt
Die Wochen zwischendurch sind viel zu lang
Am Telefon, das macht uns nur noch krank
Ich kenne deinen Alltag nicht
Und wenn du nicht darüber sprichst
Bleibt er wie deine Sachen in mei'm Schrank
Ich sitze stundenlang im Zug
Und spür' mit jedem Atemzug

Ich hasse unsre Liebe auf Distanz
Ich hab' dich immer kurz, aber nie ganz
Die Trennung macht mich wahnsinnig
Und wo du warst, das frag' ich nicht
Ich hasse unsre Liebe auf Distanz


Ich kann mich genau erinnern; das war im Oktober 2018. Ich war im PJ, war hier im Ort in der Ferne und der Freund und ich haben uns viel zu selten gesehen.
Es war ein Freitag, wir hatten schon telefoniert, versucht den anderen am Telefon durch den Alltag mitzunehmen, als er mir dieses Lied geschickt hat und gefragt hat, ob ich es kenne. Ich weiß noch genau, ich saß am Esstisch auf dem vorderen Stuhl und habe ihm gesagt, dass ich mir das Lied morgen anhöre, weil ich jetzt wirklich schlafen muss. Aber natürlich habe ich es doch noch angehört. Viel geweint, weil es mich so sehr berührt hat, weil das so sehr wir waren. Und dann haben wir nochmal kurz telefoniert.

Ich spüre es, als wäre es gestern gewesen. Ich spüre Dich und ich spüre uns.
Und obwohl ich sie so sehr fühlen kann, diese Momente, scheint es doch ein anderes Leben gewesen zu sein. Und manchmal kann ich kaum glauben, dass es meins war. Es ist nicht in Worte zu fassen, wie diese Momente das Herz brechen.
Und manchmal hätte ich so gern wieder ein reales Gegenüber. Mit dem ich reden kann. Ein Mensch, der mich dann mal kurz in den Arm nimmt. Und nur für einen Augenblick die Erinnerungen, den Schmerz mitträgt. Und vielleicht auch ein Stück Dankbarkeit, dass ich so etwas mit einem Menschen erleben durfte. Auch, wenn es zu kurz war. Wenn er viel zu früh gegangen ist.

Und jetzt sitzt die erwachsene Mondkind hier noch ein bisschen. Weint, wie jeden Abend in den letzten Tagen, weil sie so überfordert ist. Und hofft auf ein paar Stunden Schlaf in dieser Nacht. Lange dauert es nicht mehr, bis das System crasht. Und es sind genau diese Situationen, vor denen ich in den guten Zeiten immer Angst habe. Es kommt. Immer und immer wieder.

Mondkind

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