Von Wohnzimmer und Klinikdiskussion
Freitag
Spätdienst.
Ich komme ein paar Minuten
eher und arbeite schon mal alte Briefe ab, die in meinem Fach liegen. Das mache
ich eigentlich jeden Tag. Täglich 10 Minuten ins Fach zu investieren schützt
vor großen Katastrophen.
„Mondkind Du bist schon
da…?“, fragt mein Oberarzt und steckt den Kopf zur Tür herein. „Ja… - ehe es
gleich wieder stressig wird…“, entgegne ich. „Hast Du ein bisschen geschlafen
die Nacht?“, fragt er. „Ja etwas besser, danke“, entgegne ich. „Ich glaube, das
Schlimmste ist erstmal wieder durch.“ Die ängstliche Mondkind ist - wie erhofft - für den Moment müde geworden und die erwachsene Mondkind kann etwas zu Kräften kommen.
Aber lieb, dass er fragt. Ich
glaube, manchmal macht uns das beide sehr hilflos, wenn es mir so schlecht
geht, dass eigentlich keiner weiß, ob ich das die nächsten Tage durchhalte.
„Geh mal vorne in der Notaufnahme helfen Mondkind. Ich glaube, da müssen ein
paar Doppler gemacht werden“, sagt mein Oberarzt. „Okay“, entgegne ich,
schnappe meinen Beutel an, in dem mein ganzes Equipment ist und trabe in
Richtung Notaufnahme.
Ich genieße die mutmaßlich
letzten Tage im Neubau. Wenn der Chef wieder da ist – übernächste Woche – soll
es einen neuen Rotationsplan geben und durch die Blume wurde mir schon
angekündigt, dass ich zurück in den Altbau versetzt werde. Mich stresst das
schon jetzt ein bisschen. Ich habe letztens zu einer Bekannten gesagt: „Die
Arbeit ist ein bisschen mein Wohnzimmer.“ Und neben der Tatsache, dass wir alle
viel arbeiten, ist das eben auch aktuell der einzige Ort, an dem ein bisschen
Socialising stattfindet. Von daher fühlt sich eine Versetzung in ein anderes
Haus immer wirklich wie ein Umtopfen an. Raus aus dem einzigen sozialen Umfeld
das ich habe, in ein anderes. In dem ich wieder ein paar Monate brauche, bis
ich mich zurecht finde.
Aktuell genießen wir alle ein
bisschen unser Sommerloch; es ist ein bisschen entspannter hinsichtlich der
Patientenzahl. Auch die Fälle sind im Moment nicht so schwer – ich hoffe es ist
heute so geblieben; ich habe nämlich Nachtdienst und habe immer noch Angst vor
meiner ersten Reanimation oder meinem ersten Patienten, der in der Nacht
verstirbt.
Freitagnachmittag.
„Mondkind, willst Du mich
eigentlich arbeitslos machen?“, fragt mein Oberarzt. „Nein… - eigentlich
nicht“, entgegne ich etwas unsicher. Was will er jetzt schon wieder? „Mondkind,
ich habe erst zwei Briefe gehabt, in denen ich nicht ein Punkt oder Komma
korrigieren musste. Einer war von [einem Kollegen] und der Zweite ist Deiner.“
„Oh Danke“, antworte ich. Da hat es sich ja gelohnt, dass ich mir am Vorabend
noch ein bisschen Mühe für den Brief gegeben habe einer Dame, die plötzlich
ungeduldig wurde und unbedingt am nächsten Früh gehen wollte – da habe ich den
Brief halt in meinem Spätdienst für den Kollegen am nächsten Tag schon
vorgeschrieben, weil ich wusste, dass die schlecht besetzt sein würden, ich aber
wegen eines Termins auch nicht eher kommen konnte.
Irgendwann die Tage hatten
wir mal wieder die Klinikdiskussion. Die potentielle Bezugsperson und ich.
„Mondkind, es kommt irgendwann,
in den nächsten Monaten, Weihnachten und der Jahreswechsel.“ „Da wollte ich
jetzt eigentlich nicht dran erinnert werden“, entgegne ich. „Ich weiß Mondkind.
Aber es kommt trotzdem. Und ich persönlich fände es gut, wenn Du so ab Dezember
– bis dahin sind auch ein paar der neuen Kollegen da und es ist personell nicht
mehr so eng – in die Klinik gehen würdest. Dann wärst Du Weihnachten auch gut
aufgehoben.“ „Mh….“, grummle ich nur vor mich hin.
Wir reden ein bisschen. „Ich
habe ein Angst, dass man mir dort meine Traurigkeit weg nehmen
möchte“, erkläre ich. „Die möchte ich nämlich (noch) nicht hergeben. Denn
immerhin ist Traurigkeit auch ein Gefühl, dass sehr stark verbindet und gar
nicht so schlecht ist, wie es im ersten Moment erscheint. Es muss nur
vielleicht eine „gute Traurigkeit“ werden. Also eine Traurigkeit, die nicht so
lähmend ist, so viele Ängste auslöst und so unkontrollierbar erscheint, sondern
eine, die vielleicht ein bisschen steuerbar bleibt, die auch gute Erinnerungen
trägt und von der man sagen kann, dass man Frieden mit ihr schließen kann, weil
sie schließlich auch zeigt, dass das was da verloren gegangen ist, wichtig war.
Weil dieser Mensch halt viel von meinem Leben geprägt hat. Weil er derjenige
war, der mich an die Hand genommen hat und mir so vieles überhaupt erst gezeigt
hat. Ich darf traurig bleiben und er darf ein Teil von mir bleiben, nur eben
anders als bisher und ich denke, das kann ein gutes Ziel sein. Oder?“ Findet er
ein gutes Ziel. Und ich glaube, dass man da hinsichtlich Bindungserfahrungen
noch ganz viel aufarbeiten kann. Und ich brauche tatsächlich mal ein bisschen
Platz zum Atmen zwischendurch und ein paar Zukunftsperspektiven. Es gab seit
Jahren kein Jahr mehr, das so still war wie dieses.
Und dann habe ich natürlich
auch Angst, dass das wieder eskaliert. Gerade wenn es mir sehr schlecht geht
und das scheinbar sowohl mein Umfeld als auch mich jedes Mal völlig
überfordert. „Das hat mich schon irgendwie geprägt“, erkläre ich. „Diese
Psychiatrie [in der Studienstadt] habe ich als einen Ort erlebt, der mich sehr
stark geschützt hat, an dem man sich sehr für mich eingesetzt hat und auch mich
als Menschen gesehen hat. Und dann hat man meine Offenheit damals so dermaßen
ausgenutzt. Ich weiß auch bis heute nicht, wessen Idee das war. Ich war ja nie
nicht absprachefähig, ich habe nie die Dinge getan, die mir da unterstellt
wurden. Ich war nur sehr verzweifelt, das ja. So lange wie ich glaube sicher
zu sein, bringe ich mich doch nicht um. Das Einzige das ich gebraucht hätte,
wäre wahrscheinlich mehr Kontakt zum Personal gewesen, wobei die dann hätten
auch mal auf mich zukommen müssen – wie der vertretende Stationsarzt das
vorgeschlagen hatte – weil ich einfach aufhöre zu reden, wenn es mir schlecht
geht.“
Diese Erlebnisse hängen schon
nach. Ob man will oder nicht. Das wurde ja auch nie nochmal transparent
besprochen. Wenn ich an diese Situation zurück denke, empfinde ich immer noch
eine tiefe Hilflosigkeit, Enttäuschung und auch ein – wie so oft –
Vertrauensmissbrauch. Und das möchte ich bitte nie wieder erleben. Ich weiß
nicht, ob ich nochmal so offen in einem Klinikrahmen sein kann.
Erstmal muss ohnehin der Chef
aus dem Urlaub zurückkommen - wobei der
Oberarzt diesbezüglich mit ihm schon gesprochen hat und er wohl einverstanden
war – und die neue Therapeutin muss wieder gesund werden, um das anzubahnen.
Man muss natürlich zugestehen:
So wie es jetzt ist, geht es halt auch nicht weiter. Irgendein Überleben und
Dazwischen immer wieder Krisen, bei denen ich jeweils lange brauche, bis ich
mich wirklich berappelt habe. Und wenn der Arbeitgeber so lieb ist, mir die
Zeit nochmal zu geben und das diesmal so abgesprochen ist, dass ich nicht um
den Job fürchten muss, was ja immer noch mein Untergang wäre, ist es doch
vielleicht eine Option, über die man zumindest mal kritisch nachdenken kann.
Ansonsten habe ich für Dienstag endlich mal wieder ein Termin mit dem Seelsorger. Wir haben uns ja auch schon ewig nicht mehr gesehen. Ist auch sehr gut, sollte Frau Therapeutin noch nicht wieder da sein; es klang nicht so vielversprechend.
Und wo wir schon letztens bei Revolverheld waren - die haben ein neues Lied. Ich mag es und ich bin mir sicher, dass es dem Freund auch gefallen hätte. Es ist so schwer zu begreifen, dass die Welt sich weiter dreht. Dass wir alle nur Lichter in einem Universum sind, von denen es nicht wirklich auffällt, ob eines mehr da ist, oder nicht. Ich hasse es so sehr diese immer größer werdende Lücke zu spüren. Zwischen dem was war und dem, was ist.
So Ihr Lieben, ich düse in den Nachtdienst. Drückt mir die Daumen. Keine Reanimation, keine Sterbenden, keine Lyse nachts um Drei. Bitte.
Mondkind
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