Mein altes Fahrrad

Meine Schwester war letzte Woche in der Studienstadt.
Sie war an der Uni. Ein Ort, an dem ich seit dem Tod des Freundes auch nicht mehr war. Hat sich auf die Suche nach meinem alten Fahrrad gemacht. Ich konnte es beim Umzug damals nicht mitnehmen. Mein Hab und Gut wurde mit einem Auto hier runter gefahren, da hatte das Fahrrad keinen Platz. Es hatte auch keine funktionierende Gangschaltung, die ich aber brauche, um die Klinik auf dem Berg zu erreichen. Außerdem hat meine Mama mir damals ein „neues“ Fahrrad geschenkt. Also… - sie hat es mir für neu verkauft. Der Fahrradladen hat dann herausgefunden: Schon mindestens 25 Jahre alt, nicht mehr zu retten und die Gangschaltung wird in diesem Fahrradleben auch nicht mehr funktionieren.
Ich habe damals mit einer Freundin vereinbart es ihr zu überlassen, da sie zu dem Zeitpunkt keines hatte. Und für die Unistadt braucht man nicht unbedingt eine Gangschaltung. Die Schlüssel vom Schloss habe ich ihr mit der Post geschickt, weil ich keine Zeit mehr hatte, es bei ihr persönlich vorbei zu bringen. Abgeholt hat sie es nie. Die Schlüssel hat sie vielleicht auch nicht mehr. Kontakt zu ihr habe ich keinen mehr.
Also steht es dort. Als Symbol für einen ziemlich hektischen Umzug. Ein Stück Seele von mir, die an der Uni geblieben ist. Ich hab’s sehr geschätzt, mein Fahrrad.

 


Es bricht mir ein bisschen das Herz. Nicht nur, dass ich es nie mitgenommen habe und man nun wohl erstmal mit irgendeiner Säge das Schloss durchsägen müsste und ich dann auch keine Ahnung hätte, was ich mit dem Fahrrad über 400 Kilometer entfernt von meinem aktuellen Wohnort tun sollte. Es sind auch die Erinnerungen, die an diesem Gefährt hängen und die heute umso wertvoller sind.

Fast zwei Jahre lang hat mich jeden Morgen zur Uni gebracht und mir damit einen - während der Studienzeit - lang gehegten Traum erfüllt: Ich wollte so nah an der Uni wohnen, dass ich sie mit dem Fahrrad erreichen kann. So eine richtige Studentin mit einem klapprigen Fahrrad wollte ich sein. Wurde ich. Es stand neben so viel Umarmungen neben mir, wenn der Freund und ich uns an der Uni verabschiedet haben. Es hat mich zur Therapie und wieder zurück nach Hause gebracht. Es hat mich mitten in der Nacht vom Fluss sicher zum Studentenwohnheim gebracht. Oder zu einer Freundin, mit der ich schon mal gegen kurz vor Mitternacht einen Kuchen gebacken habe. Es hat mich zum Examen gebracht. Und danach wieder mit nach Hause genommen. Stand so oft im Hof vor dem Studentenwohnheim, oder vor der Bibliothek, an der es jetzt auch steht, oder an der Urologie, weil das am nächsten dran an der Bahn war.
Es war Teil der beiden Jahres meines Lebens, die rückblickend betrachtet wohl diejenigen waren, in denen ich am meisten gelebt habe.

Ich vermisse es so, so sehr.
Diese Stadt. Die Erlebnisse dort. Das winzige bisschen Leben, das ich hatte.
Ich vermisse es an der Bahn zu stehen, die orange Schrift auf dem schwarzen Hintergrund zu sehen und hin und her zu rechnen, mit welchen Verbindungen ich am schnellsten da bin. Ich vermisse Umarmungen, Café – Dates, die Freunde von damals, die Abende am Fluss und ganz besonders natürlich die Zeit mit dem Freund. Am Dienstag werden es 13 Monate. Ob Briefe schreiben wohl nach über einem Jahr noch okay ist?
Ich vermisse so sehr, dass ich keine Worte mehr habe. Ich kann nur noch sagen, dass mein Herz davon weh tut, dass die Augen rot sind und schmerzen und ich es aktuell kaum schaffe weiter, als bis zum nächsten Tag zu denken.
Und ich glaube, am allermeisten vermisse ich mich selbst.

Es ist so leise hier geworden. Die potentielle Bezugsperson hat Urlaub und obwohl er meinte, dass ich schreiben darf, ist es sehr still und ich lasse es lieber. Der Seelsorger hat auch Urlaub, obwohl ich da selten war in letzter Zeit, weil ich es zwischen Arbeiten und Schlafen nicht geschafft habe.
Und ich … - ich würde so gern ein bisschen was von diesem Heimweh teilen. Damit es – verteilt auf zwei Schultern – ein kleines bisschen leichter wird. Aber da ist nur noch Stille.

Wer weiß... - vielleicht hole ich das Fahrrad irgendwann hier her. Wenn ich mal die Möglichkeit dazu bekomme.

Mondkind

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