Was das wohl damals war?

Die letzten Tage.
Ich lese so viel. Und verstehe so wenig. Von mir. Von uns. Von dem, was wir waren.

Ich durchwühle alte Blogeinträge, alte Tagebucheinträge, alte Zettel, die ich für Besuche in der Ambulanz bei der Therapeutin geschrieben habe. Und ich weiß nicht, was das damals war.
Irgendwie war es ja eine Dauerkrise. Es war ständig etwas. Und jedes Mal gipfelte das in der Suizidalität. Es passt nicht zu diesem Leben, das es doch nach außen hin war. Ein erfolgreiches Studium, jede Prüfung, bis auf eine einzige, bestanden. Irgendwann, als ich in der Studienstadt gelebt habe, eine Handvoll Freunde. Wenige, aber dafür schienen es Menschen zu sein, auf die man bauen konnte. Und einen allerbesten Freund. Einen Plan, wie das mal werden soll mit mir, den gab es auch. Der Ort in der Ferne, dort wollte ich sein und arbeiten.

Ich glaube um zu verstehen, wie das damals war, muss man eine Lebenswelt verstehen, in der nur ich gelebt habe. Die für die anderen Menschen um mich herum mutmaßlich unglaublich abwegig erschien. Die Prüfungen im Studium waren meine Existenzberechtigung. Nur wenn ich die bestehe, habe ich das Recht zu leben. Und ich wollte ja eigentlich leben. Und deswegen musste alles andere weit dahinter kommen. Und das war immer wieder Grund für Reibereien. Mit den Freunden, mit dem besten Freund, weil ich denen nur schwer gerecht werden konnte. Und jedes Mal vor den Prüfungen und insbesondere natürlich vor den Staatsexamen – oder immer dann, wenn mir meine Dimension meiner Lebenswelt bewusst geworden ist – gab es existentielle Krisen. Weil Prüfungen ja auch nicht immer steuerbar sind. Und wenn dann am Ende die Suizidalität hinten dran hängt, dann wird das schnell ein immer wieder kehrendes Desaster. Eine eigene Welt, in der man sich gefangen hält. Und ich habe nie begriffen, dass eine versiebte Prüfung nicht das Ende des Leben ist. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Der Freund und ich… - das ist Interpretationssache.
Seit einem Jahr höre ich mir von meinem Umfeld die verschiedensten Theorien an. Viele Menschen befinden, dass er nicht so wichtig gewesen sein kann, wenn ich mich trotz ihm entschieden habe, in die Ferne zu gehen. In einer Welt, in der das Überleben aber an den Job gekoppelt war, war das eine rein logische Entscheidung. Befinde ich heute. Und natürlich war mein Weg hier runter auch nicht unwesentlich an die potentielle Bezugsperson gekoppelt. Aber ob man das wirklich so einfach als Indiz nehmen kann, dass er mir nicht wichtig war…
Die Menschen befinden auch, dass – wenn wir uns wirklich geliebt hätten – mir das mit dem Studium einfach mal nicht so wichtig gewesen wäre. Dass ich dann mehr Zeit mit ihm verbracht hätte. Obwohl es für mich schon ein großes Zugeständnis war, mit ihm jeden Sonntag Zeit zu verbringen.
Die Menschen befinden, dass es doch sowieso nicht geklappt hätte. Wenn er hier runter gezogen wäre. Zu mir. Wenn wir heute unsere Leben, unseren Alltag, unsere Wohnung geteilt hätten. Die Menschen werten das als ein verzweifeltes Zugeständnis von mir einem Menschen gegenüber, der natürlich Druck gemacht hat, weil er mich so unbedingt in meinem Leben haben wollte. Am Ende – wenn man diese Interpretation weiter spinnt – hat mich sein Tod vielleicht vor unserem Unglück gerettet.
Und ich… - ich weiß es nicht mehr. Ich weiß kaum noch, wer ich damals war. Ich war sehr unter Druck. Aber weniger wegen ihm. Sondern mehr, weil ich gespürt habe, dass ich meine Ideen von einem Leben mit dem was ich geben kann, nicht unter einen Hut bekomme. Sich sicher durch ein Medizinstudium zu manövrieren beinahe ohne eine einzige Klausurkatastrophe und einen Freund zu haben, war fast unmöglich. 


 

Wir sind in der letzten Zeit bei Stabilität und Suizidalität gelandet. Die Leute befinden, dass ich stabiler wirke. Und das bin ich auch irgendwie. Obwohl die Not nicht geringer ist. Ich habe heute verstanden, dass wir am Ende nur ein Licht im Universum sind. Und dass wir – auch wenn unsere Namen weiter getragen werden – nach dem Tod vergessen werden. Letztens gab es das Beispiel, dass jeder Goethe kennt. Aber nur vom Namen her. Niemand kennt diesen Menschen wirklich mehr. Und es mag egoistisch sein, aber ich will noch nicht vergessen werden.
Und dann sagte der Seelsorger mal zu mir, dass es eine Zeit gab, in der er nie wusste, ob ich noch lebe, wenn er aus dem Urlaub zurück kommt. Und ich möchte nicht, dass die Menschen so viel Angst um mich haben und sich so viel sorgen. Sie sollen an mich denken, wenn sie Lust dazu haben. Aber nicht mit einer Angst im Hintergrund. Und ich weiß, dass es keinen Menschen mehr gibt, dem ich so viel bedeute, wie das bei dem verstorbenen Freund der Fall war. Aber ich möchte nicht, dass jemand meinen Schatten auf seinen Schultern trägt. So wie ich den Freund durchs Leben trage.
Ich glaube, ich habe heute begriffen, dass vielleicht am Ende niemand wirklich sterben will. Und jeder nur einfach nicht mehr so leben will. Aber wenn man stirbt, dann hilft das niemandem. Denn weder bekommt man selbst das Leben, das man sich gewünscht hat, für das man im Zweifel schon seit Jahren kämpft, noch kann das Umfeld irgendetwas damit anfangen. Vielleicht ist es die Endstrecke von unendlich viel Verzweiflung von den tapfersten Kämpfern und am Ende nicht immer verhinderbar, wenn das Dunkel zu übermächtig wird, aber es ist immer eine Katastrophe und nie eine Erlösung. Für niemanden.

Therapie.
Liegt auf Eis im Moment. Die Frau ist und bleibt krank. „Aber Mondkind, Du hast Dich am Anfang so schwer getan damit und jetzt ist es schwer für Dich, dass sie nicht da ist.“ „Ja, weil ich genau das, was jetzt wieder passiert ist, verhindern wollte. Ich kenne mich. Ich weiß, dass ich auf so etwas unfassbar schnell anspringe. Dass ich sichere Orte schnell annehme, weil die mir am meisten fehlen. Und ich weiß, dass es immer eine Katastrophe ist, das zu verlieren. Gerade nach dem Herrn Kliniktherapeuten, der das super geschickt aufgezogen hat. Ich glaube heute tatsächlich, das Meiste war therapeutische Taktik. Er wusste, dass ich nicht jedem schnell vertraue, aber dass es besser geht, wenn man mir eine beinahe hundertprozentige Sicherheit gibt. Und das hat er getan. Am Anfang. Er hat so oft nach mir geschaut, signalisiert, dass er an mich denkt, dass ich ihm nicht egal bin und ich habe ihm das alles uneingeschränkt abgenommen und in Rekordgeschwindigkeit ein tiefes Vertrauen aufgebaut. Ihn zu verlieren war ein Desaster. Und ich würde immer noch sehr viel darum geben, ihn noch ein Mal sehen und sprechen zu können. Ich kann das nicht schon wieder. Und das Konzept mit der neuen Therapeutin ist so endlich. Im nächsten Frühling geht sie in Rente. Und jetzt fehlt sie mir auch gerade, weil ich mich an meine sicheren Mittwochs – Orte gewöhnt habe; an eine Stunde, die mal nur mir gehörte. Und manchmal ist das schlimmer, als die Entlastung, die die Anwesenheit der Person mit sich bringt.“
Mein Gegenüber nickt. „Jetzt verstehe ich Mondkind.“

So… - morgen 24 – Stunden – Dienst .
Mit diesem Hirn. Versteht jemand, dass ich Angst habe? Weil ich einfach nicht wirklich da bin. Geistig…
Dann werde ich Freitag tagsüber komatös sein, abends ist AGUS – Treffen, 14. Monatstag, Jahrestag von dieser schrecklichen Verlegung auf die geschlossene Psychiatrie und Samstag habe ich schon wieder Dienst. Es wird nicht langweilig… 

Mondkind 

Bildquelle: Pixabay

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