Rotationsplan, Urlaubsplan und ein bisschen Frieden
Während wir an diesem Morgen in der Frühbesprechung sitzen, schickt die
Sekretärin die neue Stationsverteilung raus. Große Überraschung, als wir zurück
kommen. Obwohl – so groß auch nicht. So, wie ich es schon fast erwartet habe,
rotiere ich in den Altbau zurück. Weit weg von der zentralen Notaufnahme und
von der Stroke Unit, wo ich quasi in den letzten 10 Monaten gelebt habe. Wieder
Verlust vom einzigen sozialen Umfeld, das ich habe. Einige Kollegen, die man
nur noch in der Frühbesprechung sehen wird. Ich weiß was mich erwartet – und
das ist vor allen Dingen sehr viel Arbeit. Nicht, weil das Arbeitsaufkommen
objektiv betrachtet so hoch ist, sondern weil diese Station der Inbegriff von
Chaos ist und oberärztliche Betreuung maximal sporadisch existiert. Jetzt habe
ich ja auch viel gelernt, seitdem man mich in den ersten Tagen des Januars
schon quasi überfallsmäßig aus dem Altbau in den Neubau geholt hat, mich
alibimäßig zwei Wochen auf der SU geparkt hat um mich dann in die ZNA zu
schicken. Und jetzt bin ich über den Parkplatz der SU zurück rotiert.
Naja, nicht ganz. Aktuell helfe ich auf der Kurzliegerstation aus und
diese Woche ist das bislang ein sehr schönes Arbeiten.
Urlaub.
Nächstes leidliches Thema. Jetzt hat man mir ja im Oktober statt der
einen Woche nur drei Tage zugestanden, mit denen ich jetzt geplant habe. Ich
denke, die werde ich auch nehmen können. Aber die erste Novemberwoche, die man
mir stattdessen gegeben hat – das ist ein Problem. Denn nach dem neuen Rotationssplan
sind wir jetzt zu viele im Urlaub. Jetzt habe ich halt schon die Mutter des
verstorbenen Freundes darüber informiert, dass ich Anfang November endlich mal
kommen könnte und sie hat sich auch schon sehr gefreut.
Und wer soll seinen Urlaub jetzt wieder abgeben, weil ich ihn ja auch
noch nicht lange bekommen habe… ? Natürlich, ich. Aber wenn man mir das sagt,
dann plane ich halt damit.
Wie man das lösen wird… - nobody knows…
Zum Thema Therapie.
Gute Neuigkeiten. Die neue Therapeutin arbeitet ab nächster Woche
wieder. Ich soll wie immer mittwochs um 13 Uhr da sein. Dumm nur, dass auf der
Station wo ich gerade aushelfe, um 14 Uhr Chefarztvisite ist. Also wer darf
morgen zur Oberärztin laufen und sie fragen, wie wir das lösen können? Ich
hoffe, wir finden eine Lösung, ich würde nämlich sehr gern hingehen.
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Langsam wird Herbst... 🍂 |
Ende des Tages. Büro. Es ist schon etwas dunkel.
Mein Gegenüber und ich diskutieren die Neuigkeiten. Ich darf trotzdem
noch ab und an vorbei kommen bei ihm, ich muss dann halt ein Mal quer über den
Campus laufen. Haben wir ja früher auch gemacht. Er sitzt eben nur nicht mehr
nebenan. Er geht auch pünktlicher nach Hause. Wenn dann halb 5 endlich mal ein
Oberarzt auf der Station auftaucht, hat man als Assistent dort sitzen zu
bleiben und zu warten, bis man dran ist. Wahrscheinlich wird unsere
Kommunikation hauptsächlich auf Mailkontakt hinaus laufen, aber naja… - im
Verlieren und trotzdem das Beste draus zu machen, bin ich ja langsam gut.
Ich soll das mit der Therapie klären, sagt er. Dass ich auch noch von
dort aus zur Therapie gehen kann. Wie das gehen soll, weiß ich noch nicht. Ich
glaube mit dem Arbeitspensum kann man sich halt echt begraben, wenn man mittags
erstmal fehlt. Ich weiß nicht, ob das weiter geht. Aber immerhin habe ich es
jetzt auch vier oder fünft Wochen ohne geschafft; ich habe aufgehört zu zählen.
„Es geht Dir besser“, stellt er irgendwann fest. „Ja, ein bisschen“,
entgegne ich. „Ist das jetzt, weil die Therapeutin wieder da ist?“, fragt er. „Nein,
ich glaube nicht. Das stresst mich eher ein bisschen, weil ich gerade nicht
weiß, wie ich das noch unter kriegen soll. Aber ich habe letztens mit einer
Betroffenen geredet, die auch einen Menschen verloren hat und auch noch aus dem
Fachgebiet der Psychologie kommt. Und sie hat mir gesagt, dass sie vier Jahre
gebraucht hat, bis es besser geworden ist und dass das vollkommen okay ist. Und
da sind mir irgendwie Tonnen von Steinen von den Schultern gefallen. Ich glaube
manchmal ist es nur ein kleiner Knoten, der dann ganz groß wird. Nachdem der
Sommer so still war und es ja schon mehr als ein Jahr ist, hatte ich sehr stark
das Gefühl in den letzten Wochen, dass ich nicht mehr um ihn trauern darf. Und
dann hat sie gesagt, dass das alles Bullshit ist und ich mir meine Zeit nehmen
soll und es auch nicht schlimm ist, dass ich erst jetzt zurück in die
Studienstadt fahre und seine Mutter besuche. Wenn ich die Zeit gebraucht habe bis
hierhin, dann ist das okay. Und dieses Gespräch hat ganz viel Frieden mit sich
gebracht.“ Das versteht er sogar mal.
Wir reden noch kurz über die Dienste. „Das ist bei Dir ja glaube ich
auch immer so ein psychischer Faktor. Dich machen die Dienste einfach fertig“,
sagt mein Gegenüber. „Ja und zwei davon die Woche ist echt blöd gewesen; jetzt
bin ich ja erstmal durch bis Monatsende. Letzte Woche habe ich echt gedacht, es
geht nicht mehr. Und ich hasse mich selbst dafür, dass wirklich immer noch jede
Krise auf dem Boden mit der Suizidalität endet, wo ich es doch besser wissen müsste.“
Er erinnert nochmal, dass ich nächste Woche in der Therapie nochmal über das
Klinikthema reden soll. Gerade, weil die letzten Wochen gezeigt haben, dass es
so toll eben nicht läuft.
Wir reden nochmal über meine verkorkste Lyse. „Es geht ihr gut
Mondkind, das war kein sehr großer Fehler.“ „Es tut mir leid, ich wusste es
einfach wirklich nicht besser. Ich habe mir auch gedacht, ob ich nicht bis zu
einem INR von 1,7 einfach die Lyse rein geben soll trotz Marcumar, aber sie hat
es eben eine Stunde vorher genommen. Und mein Hintergrund war sich auch nicht
sicher. Ich habe kurz überlegt, ob ich Sie einfach anrufe und frage, aber Sie
hatten ja keinen Dienst.“ „Du kannst es immer gern versuchen Mondkind. Ich habe
mein Handy auch nicht immer dabei, aber wenn ich es da habe, dann helfe ich Dir
gern.“ Und nach einer kurzen Pause. „Und das nächste Mal lysierst Du. Und wenn
der INR bei 1, 69 ist, dann auch.“ „Okay…“, entgegne ich.
Auf dem Heimweg geht die Sonne unter. Die Bäume glänzen orange im
Licht.
Herbst.
Es tut weh. Aber gerade eben fühle ich – obwohl es eigentlich kein
sonderlich guten Nachrichten heute waren
- ein bisschen Frieden. Es sind noch ein paar Tage bis Oktober. Ein paar
Tage noch im alten Team, Tür an Tür mit der potentiellen Bezugsperson und wenn
dann Oktober ist, dann dauert es nicht mehr lange, bis ich die Studienstadt
wieder begrüßen darf.
Es wird schon. Es wurde immer am Ende.
Mondkind
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