Suizidprävention und ein Dienst - Schmankerl

10. September. Welttag der Suizidprävention
Eigentlich ist das mal einen Blogeintrag wert. Aber ehrlich gesagt habe ich es weder geschafft etwas dazu vorzubereiten, noch kann ich gerade mit meinem Hirn nach dem 24 – Stunden – Dienst, aus dem dann eher ein 27 – Stunden Dienst mit einer halben Stunde Schlaf insgesamt wurde, allzu sinnvolle Gedankengänge herstellen.

Ich habe das Thema Suizidalität ja nun von zwei Seiten erlebt. Lange Zeit war ich nur selbst Betroffene von ständig wiederkehrenden Suizidgedanken und dann ist die treuste Seele in meinem Leben durch einen Suizid verstorben, was auch meine eigene Haltung zum Thema sehr verändert hat. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie lebensverändernd ein solches Ereignis für das Umfeld ist. Wie viel Traurigkeit, Sehnsucht und Schuldgefühle das mit sich bringt, wie sehr das Leben in ein Davor und ein Danach eingeteilt ist.
Was ich immer sehr interessant finde, ist ein Kommentar in der AGUS – Gruppe, den ich wiederholt gehört habe: „Wir können ja alle nicht nachvollziehen, wie es den Verstorbenen vor dem Suizid ging.“ Wirklich nicht…? Ich glaube das spiegelt – selbst unter uns Betroffenen – das Tabu mit dem Suizid wieder. Es kann mir niemand erzählen, dass er nach einem solchen tragischen Tod eines wirklich nahe stehenden Menschen, in den sich die meisten Angehörigen sich ja auch unmittelbar involviert fühlen niemand den Gedanken hatte, einfach hinterher zu gehen. Vielleicht mit genug rationaler Komponente das nicht zu tun. Aber diese tiefe Verzweiflung, die kennen glaube ich mehr Menschen als die, die es zugeben.

Ich glaube, es ist ein Thema das sowohl Betroffene als auch umstehende Menschen vor allen Dingen eins macht: Hilflos. Ich habe meine eigene Suizidalität immer für real gehalten. Manchmal war mir das alles relativ gleichgültig und manchmal hat es mir selbst auch unglaublich Angst gemacht, wenn mir bewusst geworden ist, dass die Welt sicher noch eine Menge Möglichkeiten bereit hält, aber der Schmerz so groß ist, dass ich es nicht mehr aushalte. Ich kenne diesen Tunnel in den man gerät und aus dem man ab einem bestimmten Moment – nachdem man unglaublich lange gelitten hat – keinen Ausweg mehr sieht und einen auch mutmaßlich nur extrem lebensverändernde Ereignisse heraus holen können, wie das bei mir mit dem Tod des Freundes passiert ist.
Ich habe mich aber auch sehr hilflos gefühlt, als es dem Freund so schlecht ging. Hilfe konnte er kaum noch annehmen, ich habe gemerkt, dass er mich nicht mehr gespürt hat, dass ich mich hätte auf den Kopf stellen können und er mich einfach nicht mehr gesehen hätte. Das mitzuerleben und diese Angst auszuhalten diesen Menschen zu verlieren – vielleicht gar nicht mal unbedingt an den Suizid, aber an sich selbst – ist wirklich schwierig. Ich hatte den Moment in dem ich mich gefragt habe, ob ich ihm die Polizei vorbei schicken soll, oder nicht. Vor dieser Entscheidung zu stehen und am Ende den falschen Abzweig zu wählen ist etwas, das ich niemandem wünsche. Es ist ein schmaler Grad auf dem man balanciert, zwischen dem Vertrauen des Gegenübers den Schmerz zu teilen zu können und der Tatsache, dass man doch irgendwann Verantwortung für den anderen Menschen übernehmen muss, wenn er sie nicht mehr alleine tragen kann und Hilfe organisieren muss. Und manchmal geht das eben schief.

Und um mit ein paar Tipps für Betroffene und Helfer zu enden: Ich glaube man macht es sich einfacher, wenn sich beide Seiten bewusst machen, dass Suizidgedanken nicht wirklich der Wunsch sind zu sterben sondern lediglich ein Ausdruck, so nicht mehr leben zu wollen. Und weder will der eine den anderen damit erpressen, noch ist jemand Schuld an der Situation. Ich glaube – und ich kann nur für mich sprechen – dass es unglaublich schwierig ist, das Thema überhaupt anzusprechen. Und wenn ich mal gesagt habe: „Ich kann einfach nicht mehr“, dann war das schon immer durch die Blume die Anmerkung: „Ich habe da etwas zu sagen, aber es fällt mir schwer darüber zu reden.“ Was dann für umstehende Menschen, die wissen, dass es jemandem im Umfeld nicht gut geht, heißen könnte: Nachfragen, was damit gemeint ist. Man macht nichts schlimmer. Man nimmt im Bestfall Tonnen von Last von den Schultern. Was dann natürlich nahe liegend ist, sind die üblichen Floskeln. „Das wird schon wieder“ oder „Lass jetzt nicht schon wieder die Drama – Queen raus hängen“. Völlig kontraproduktiv. Ich glaube, am schwersten umzusetzen für das Umfeld aber am Besten für die Betroffenen ist es, einfach da zu sein. Da müssen keine großen Worte gesprochen werden. Da reicht es einfach den Betroffenen rein physisch nicht alleine zu lassen oder zu sagen: „Ich weiß um Deine Situation, melde Dich, wenn etwas ist.“ Ich habe das nie erlebt, dass da wer wirklich Telefonterror oder irgendetwas dergleichen betrieben hat. Je nachdem in welchem Setting man ist, reicht schon einfach eine Umarmung, die für den Moment mal trägt. Zwischenmenschliche Wärme, ich glaube das ist das Wichtigste.
Was man als Angehöriger auch noch tun kann ist zumindest Hilfe anzubieten. Wie – in akuten Situationen – das Angebot Jemanden zur Notaufnahme oder zum Therapeuten zu begleiten. Das hat mir immer ganz doll geholfen und letzten Endes können die Angehörigen die medizinische Verantwortung – die niemand, der nicht geschult ist übernehmen sollte – in fachliche Hände abgeben, aber man kann sehr gut helfen, dass der Betroffene überhaupt in fachliche Hände kommt. Das was Herr Kliniktherapeut damals für mich gemacht hat – mich zur Notaufnahme zu bringen, als ich völlig fertig nach dem Tod des Freundes in der Studienstadt ankam – können auch Angehörige machen. Ich hätte es mich alleine wirklich nicht getraut und brauchte diese Stütze.
Und ganz am Ende – wichtig zu sagen – auch Freunde und Angehörige müssen auf sich selbst aufpassen. Man kann nur ausreichend helfen, wenn man selbst dazu noch in der Lage ist. 


 

***
Ein zwischenmenschliches Schmankerl aus dem Dienst.

Irgendwann gegen 21 Uhr. In meiner neurologischen Notaufnahme ist noch ein Platz frei. Ich warte auf zwei Stroke Angel, die beide innerhalb der nächsten 10 Minuten kommen sollen. Ein Patient aus einer Klinik in der Nähe, der nach mehrfachen Stürzen auf den Kopf eingetrübt ist und eine intubierte und beatmete Patientin, bei der der Verdacht auf eine Blutung nach Sturz besteht. Unterdessen terrorisieren mich die Kardiologen. Sie hätten da einen Parkinson – Patienten auf der Station der „zittert“. Naja, das ist bei Parkinson nicht so ungewöhnlich, aber sie rufen im Minutentakt an. Ich kann aber nicht weg. Irgendwann bitte ich meinen Spätdienst bevor er nach Hause geht dort vorbei zu schauen und die Wogen zu glätten, bis ich Zeit habe. (Was ich nicht wusste war, dass mit „zittern“ nicht das Parkinson – Zittern, sondern ein epileptischer Anfall gemeint war, aber ich dachte so viel Kommunikation können selbst Kardiologen…)
Kurze Zeit später steht nicht der Spätdienst, sondern mein Hintergrund auf der Matte, der das Konsil übernimmt. Da hat der Spätdienst wohl kurzen Prozess gemacht…

Kurz darauf klingelt das Telefon mit einer externen Nummer. Das klingelt heute im Drei - Minutentakt und ich bin kurz davor es aus dem Fenster zu schmeißen. Ich melde mich mit meinem Standardspruch. „Mondkind, ich habe gerade mal in die Disposition geschaut und ich habe gesehen, dass Du ziemlich viel zu tun hast. Ich wollte fragen, ob ich Dir irgendwie helfen kann.“ Die potentielle Bezugsperson. Er würde auch vorbei kommen. Ich erkläre ihm, dass mein Hintergrund gerade vor Ort ist und dass ich ziemlich gestresst bin und dankbar für seinen Anruf, aber dass wir beide es hoffentlich hinbekommen. Immerhin ist mein zuständiger Oberarzt für heute Oberarzt der Intensivstation. „Wenn noch etwas ist, dann kannst Du Dich gerne noch bei mir melden“, sagt die potentielle Bezugsperson nochmal.

Als ich aufgelegt habe, stehe ich erstmal ein paar Sekunden wie benebelt in der Notaufnahme und ich spüre eine undefinierbare Wärme in der Herzgegend. Wie schön ist das bitte, dass er darüber nachdenkt, wie viel ich wohl im Dienst zu tun habe, dann auch noch von zu Hause aus nachschaut und als er feststellt, dass es viel ist und die Fälle schwierig sind, auch noch Hilfe anbietet…? Es fühlt sich so gut an zu wissen, dass da jemand ein Auge auf mich im Dienst hat. Es ist so wärmend, gesehen zu werden. Und manchmal glaube ich schon – so sehr wie wir auch manchmal mit unseren Meinungsverschiedenheuten zu kämpfen haben – dass er mich vielleicht doch mag. Vielleicht reagiere ich nur einfach zu extrem auf die Kritik, die manchmal kommt.

Am Morgen heißt es, ich hätte einen guten Dienst gemacht. Mir selbst fällt es schwer, das so zu sehen, weil ich meinen Oberarzt wirklich ein paar Stunden vor Ort brauchte. Außerdem habe ich eine Sache wirklich falsch gemacht, weil ich im Stress etwas übersehen hatte. Zum Glück hatte es keine negativen Konsequenzen für den Patienten und nachdem was gestern los war, habe ich auch nicht wirklich Ärger bekommen – obwohl ich mich selbst schon genug geärgert habe und jetzt nochmal mehr drauf achten werde.
Ich falle ins Bett für heute. Und versuche mich morgen ein bisschen zu erholen, bevor ich Sonntag schon wieder Dienst habe.

Mondkind

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