14 Monate
Hey mein lieber Freund,
na, wie geht es Dir? Was machst Du so?
14 Monate. Und ich glaube, dass der Monatstag heute vor einem Jahr -
der zweite Monatstag – tatsächlich der einzige Monatstag ist, an dem kein Brief
existiert. Ich muss Dir ja jetzt nicht erzählen, dass Psychiatrie auch anders
kann. Das haben sowohl Du, als auch ich in diesem Sommer gespürt.
Das was heute vor genau einem Jahr eigentlich von meiner Seite aus als
kleines Abschlussgespräch gedacht war in dem nicht mehr als die üblichen
Floskeln ausgetauscht werden, artete völlig aus. Plötzlich sitzen da die
Menschen, denen Du doch bitte in den letzten acht Wochen alles erzählen
solltest, damit sie Dich bestmöglich behandeln können und nutzen Dinge, die Du
vor langer Zeit gesagt hast und auf die niemand reagiert hat aus, um Dich gegen
Deinen Willen auf die geschlossene Station zu befördern. Jedenfalls befinde ich
ein „entweder Sie unterschreiben mir das freiwillig oder ich rufe den Richter
an“, als ziemlich unfreiwillig. Plötzlich wurden mir da Dinge unterstellt, die
in einem klinischen Setting eigentlich unmöglich sind – wie irgendwelche
Tabletten zu sammeln, wo man die doch immer unter Aufsicht einnehmen muss.
Klar, geht bestimmt irgendwie, aber primär war ich ja nicht in der Klinik um
mich dort umzubringen.
Naja… - wie dem auch sei; alte Kamellen aufwärmen nützt auch
nichts. Mein Vertrauen in Kliniken und
in das Psychotherapiesystem hat das ziemlich nachhaltig einen Knacks verpasst.
Ich glaube auch, dass ich in Therapien nie wieder so offen reden werde, wie mit
dem Herrn Kliniktherapeuten. Auch bei der neuen Therapeutin überlege ich sehr
genau, was ich sage und wie man das auslegen könnte.
Ansonsten… - die letzten Wochen waren schwierig. Viele Dienste, viele Erinnerungen, die ich jetzt „Blitzlichtmomente“ nenne. Momente, in denen mir irgendetwas einfällt, das wir zusammen erlebt haben oder ich alleine in einem Leben, das es jetzt einfach nicht mehr gibt. Oder Situationen, kurz nachdem Du gestorben bist. Die Erinnerungen selbst dauern nur wenige Sekunden, aber das Gefühl bleibt.
Das sind die Bahnhofsmomente - sowohl die, als Du noch da warst als
auch der, wo ich abends nachdem Du gestorben warst auf dem Weg in die
Studienstadt war. Das ist eine Erinnerung an die Zeit auf der geschützten
Station, bevor dieses Drama mit der nochmaligen Verlegung passiert ist und Du
bemerkt hast, dass Du am Ende Spielball der Launen des Personals bist. Das war,
als ich noch geglaubt habe, dass die Menschen dort mit mir an meiner Seite für
eine bessere Zukunft kämpfen. Das sind Erinnerungen an Café – Dates in der
Studienstadt, das ist eine Erinnerung daran, wie Du mir „Liebe auf Distanz“ von
Revolverheld gezeigt hast.
Ich kann seit Tagen nicht mehr aufhören mit weinen, sobald ich die
Türschwelle übertrete. Meine Wohnung ist mein Schutz vor der Außenwelt, vor den
Anforderungen dort und vor allem vor der Aufforderung doch bitte ein normal
funktionierender Mensch zu sein.
Ich habe – nachdem ich die whatsApp gefunden habe, in der Du mir den
Link zum Lied von Revolverheld geschickt hast – ein bisschen weiter durch
gescrollt. Damals ging es auch oft darum, wo ich anfangen werde zu arbeiten.
Ich habe Dir immer gesagt, ab liebsten wäre es mir, wenn wir unsere beiden
Städte zusammen schieben könnten. Ich hatte in keinem anderen Krankenhaus als
in diesem hier das Gefühl, dass ich dort irgendwie arbeiten kann. Krankenhäuser
waren für mich ohnehin ein Ort, in denen ich mich nie zugehörig gefühlt habe –
so wie ich schon mit dem Studium an sich sehr gehadert habe. Dieses hier war
das erste und einzige Krankenhaus in dem ich das Gefühl hatte, dass man sieht,
dass ich vielleicht mal viel leisten und gut arbeiten kann, wenn man mir die
Zeit gibt, die ich brauche. Auf dieses nie ausgesprochene Übereinkommen haben
hier alle vertraut und am Ende hat es auch geklappt. Die ersten Dienste hätten
mich – im wahrsten Sinne des Wortes – fast umgebracht, was sicher sehr
übertrieben war, aber für mich war das damals meine reale Welt.
Ich habe mir die Entscheidung nicht einfach gemacht und hinterfrage
sie natürlich heute trotzdem sehr. Habe ich Dich zu wenig bedacht? Habe ich die
Möglichkeiten einer Fernbeziehung überschätzt?
Du hast mir damals mal zwischen all meine Überlegungen eine whatsApp
geschrieben, die mich – als ich sie nach all der Zeit gelesen habe – zutiefst
berührt hat. Oh ja, die Einsamkeit.
Hör mal Du weißt, ich bin der, der sich mit Dir vor die Heizung setzt. Das
meine ich echt so, wie ich es Dir sage... Nur die Entfernung macht es schwer.
Meine Angst ist, wenn Du ab nächstes Jahr lange weg bist, dass man sich irgendwann
am Telefon nur noch wenig zu erzählen hat. Weil man keinen gemeinsamen Alltag
mehr hat. Wenn man in der Nähe wohnt, kann man so viel gemeinsam machen:
Lesungen besuchen, Filme gucken, etwas besichtigen, spazieren gehen, chillen im
Park, ins Café gehen, zur Büchermeile. Sowas haben wir früher fast alles
zusammen gemacht. Eventuell in eine Selbsthilfegruppe gehen, gemeinsame
Bekannte haben oder so, sich gegenseitig unterstützen, wenn jemand krank ist.
Dann gibt es immer etwas, das man teilen kann. Denk mal nach, was drüber
denkst. Auch, wenn ich verstehen kann, dass Dir der Job und die Atmosphäre an
Deiner Klinik sehr wichtig ist und ich ja auch merke, dass Du da wohl fühlst.“
Ich frag mich manchmal, was
damals mit mir los war? Wieso habe ich Dich so wenig gesehen? Wieso habe ich
uns so wenig gesehen? War ich so sehr in meiner eigenen Welt, in meinen eigenen
Bedrohungen gefangen? Konnte ich nicht vertrauen, dass man die Dinge zusammen
vielleicht besser schafft? Wieso konnte ich das so wenig annehmen, was Du
geschrieben hast?
Und vor allen Dingen frage
ich mich, wer ich damals war, ob das wirklich mein Leben war, wieso ich damals
nicht glücklicher war. Denn es stimmt, beinahe alles was Du aufgezählt hast,
haben wir gemeinsam gemacht. Und Du weißt nicht, wie unendlich viel ich darum
geben würde, mit Dir einfach nochmal am Flussufer spazieren zu gehen .
Zwei Dinge noch.
Die Welt steht nicht mehr.
Für einen kurzen Augenblick zumindest nicht. Für einen kurzen Sommer war Corona
mal nicht das alles überschattende Thema. Man konnte wieder ein bisschen
Reisen, sich treffen und vor allem – es liefen wieder Konzerte. Die
Lieblingslieder gibt es endlich in neuen Live – Versionen. Wir hätten sie uns
hin und her geschickt. Revolverheld, Johannes Oerding – das war so das, was wir
gemeinsam gehört haben. Und neue Versionen der Lieder zu finden und sie nicht
teilen zu können, macht so schmerzlich bewusst, dass die Welt sich weiter
dreht, der einzelne Menschen und persönliche Schicksale im Gesamten da wenig
Bedeutung haben.
Und noch etwas: Ich spüre langsam dieses Gap, das kaum noch händelbar ist. Ich bin nicht mehr die Mondkind, die vor mehr als einem Jahr war. Vielleicht habe ich mich als Mensch nicht sonderlich weiter entwickelt, aber beruflich habe ich mit den Diensten und mit dem damit verbunden Selbstbewusstsein eine überregionale Stroke Unit durch die Nacht führen zu können weiter entwickelt. Und die Notaufnahme – Zeit hat mich natürlich auch vorangebracht. Ich habe unglaublich gelitten und viele Ängste ausgestanden um heute dort zu sein, wo ich bin, aber vielleicht hat sich das gelohnt. Jedenfalls wird mir dadurch immer klarer: Ich möchte auch nicht mehr der Mensch sein, der ich damals war, der all das noch nicht konnte und die Anforderungen das aber bald können zu müssen, wie einen riesigen, nicht zu bewältigenden Berg vor sich gesehen hat. Ich wünschte, ich könnte die Errungenschaften des letzten Jahres mit Dir teilen. Aber das kann ich nicht mehr. Und ich weiß nicht mehr, wer ich sein will. Die Mondkind von damals, die noch ein kleines Privatleben hatte oder die Mondkind von heute, die arbeiten gehen kann, aber der sonst wenig geblieben ist.
Oh und eine letzte Sache: Die Selbsthilfegruppe hat einen Baum gepflanzt. Ich konnte leider nach der Arbeit nicht schnell hinfahren, dazu sind die doch zu weit weg. Aber jeder durfte ein Herz mit ein paar Worten drauf an den Baum hängen und ich darf auch noch eines an ein Gruppenmitglied schicken und dann wird es auch noch aufgehängt.
So… - rate wer aus dem
Nachtdienst kommt und erstmal eine Mütze Schlaf braucht…
Halt die Ohren steif; Du
fehlst hier ganz doll
Bildquelle: Pixabay
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