26 Monate

Hey mein lieber Freund,
wie geht es Dir auf der anderen Seite des Seins?
Ich weiß, Du mochtest die heißesten Tage des Sommer nicht so sehr. Schleichen sich langsam die ersten kühleren Tage ein bei Dir?

Es ist viel passiert in diesem August. Zu Beginn war ich gerade  aus der Studienstadt zurückgekommen und war damit noch eine Weile gedanklich beschäftigt (und überlege schon, ob und wann ich dieses Jahr nochmal fahren könnte). Die Intensivstation war weiterhin meine tägliche Herausforderung. Dazwischen ist viel zwischen dem lebenden Freund und mir passiert. Das war kein einfacher Monat für uns.
Und deshalb mussten wir letztes Wochenende an einem Tag 740 Kilometer fahren, um ein ernsthaftes Gespräch zu führen. Das war so eine verrückte Aktion, dass ich darüber sicher in ein paar Jahren noch erzählen werde. (Oder wir bringen häufiger solche Aktionen ;)  )

Weißt Du – ich frage mich manchmal, wie viel Sinn das noch macht, jeden Monat diese Briefe zu schreiben. Ich denke doch so oft an Dich und weiß doch, dass Du ohnehin spürst, was hier los ist. Und gleichzeitig ist es mein Zeichen Dir zu zeigen: Ich habe Dich nicht vergessen. Du begleitest mich immer noch.

Ich kriege das nur scheinbar immer gut hin, Beziehungen zu führen, die so eigentlich nicht erlaubt und nicht erwünscht sind. Zwischen Dir und mir war das eher ein familiäres Problem, das ich auch sehr für mich übernommen habe, zwischen dem lebenden Freund und mir ist dieses Problem tatsächlich ein bisschen größer.

Der lebende Freund und ich haben sich letztens Gedanken um das Thema Urlaub gemacht. Nächstes Jahr wollen wir zusammen nach Italien fahren mit meinem kleinen Auto. Verrückt oder? Hätte mir das jemand vor einem halben Jahr erzählt, dass es auch nur den Gedanken geben kann…?!
Und gleichzeitig bist Du mir sofort eingefallen und ich habe daran gedacht, dass wir unsere Pläne nie umgesetzt haben. Naja, Italien war nie im Gespräch. Dafür hatten wir schlicht keine Kohle, aber wir wollten in die Niederlande fahren – erinnerst Du Dich?
Heute wünschte ich sehr, wir hätten das gemeinsam erlebt und ich könnte die Erinnerungen in meinem Herzen tragen. Aus der Geschichte mit Dir sollte ich wohl lernen, die Dinge nicht auf morgen zu verschieben. Denn morgen kann es zu spät sein.

In dem Gespräch letztens, das ich da führen musste wegen des lebenden Freundes, ging es auch um Dich. Es ist über zwei Jahre her. Und dennoch muss ich mich in bestimmten Settings immer noch sehr zusammen reißen, nicht sofort in Tränen auszubrechen. Ob Du Thema in meiner neuen Beziehung sein darfst, war die Frage. „Einen Partner, der die Geschichte mit diesem Tod und mein damit verbundenes Erleben nicht akzeptieren kann, könnte ich nicht als Partner annehmen. Das hat mein Erleben, mein Fühlen, Denken und Handeln heute so sehr geprägt und ist letzten Endes ein sehr trauriger, aber nicht auszuklammernder Teil meines Lebens.“
Ich finde das immer wieder wichtig zu betonen. Ich möchte Dich und mich nicht verstecken.

Weißt Du, ich habe manchmal die Sorge, Du könntest denken, ich hätte Dich ausgetauscht. Abgesehen davon, dass der lebende Freund und Du Euch gar nicht so sehr ähnlich seid – ich möchte nur, dass Du weißt, dass das nie der Gedanke dahinter war. Und ganz bestimmt habe ich in der Situation, in der der lebende Freund und ich uns das erste Mal gesehen haben, nicht daran gedacht, jemanden kennen zu lernen.
Und doch denke ich mir immer wieder: Ich musste ja irgendwie weiter leben. Und ich bin eben hier und Du nicht mehr. So brutal wie das auch ist.
Ich möchte, dass Du weißt, dass Du immer noch einen großen Teil meines Herzens einnimmst. 

Nochmal unsere geliebte Studienstadt...

Aktuell habe ich große Schwierigkeiten das Privatleben und den Job unter einen Hut zu bekommen. In Beides würde ich gern mehr Zeit investieren, aber es geht einfach nicht und manchmal fühle ich mich sehr gestresst.
Ich habe mich mal gefragt, ob das bei uns auch so war? Wie hast Du das erlebt?
Ich kann mich erinnern, als ich noch studiert habe, haben wir uns auch meist nur am Wochenende gesehen. Unter der Woche war ich einfach zu beschäftigt. Und als ich dann gearbeitet habe und ich hier war und Du in der Ferne – ich glaube, wenn wir ehrlich zueinander sind, hat die Beziehung bevor Du so krank wurdest ziemlich doll gelitten. Und ich glaube, wir hatten da so unsere Diskussionen, weil Du – sicherlich zu Recht – meintest, dass ich zu wenig Zeit in Dich investiere.

Und irgendwie… - ich mag mich ja nicht beschweren, denn es ist gut so, wie es ist und – wie die potentielle Bezugsperson letztens sagte – Tausend mal besser als alles, was ich die letzten zwei Jahre erlebt habe, aber ich fühle mich einfach dauerhaft unter Strom. Ich glaube, ich muss da noch lernen viel mehr zu entspannen. Viele andere Kollegen stecken die Nase am Wochenende auch nicht in die Bücher – das habe ich gerade letztens wieder gemerkt, als es darum ging, wer einen Freitagsdienst übernehmen kann und jeder am Wochenende etwas vor hatte.

Diesen Monat habe ich zwei Wochen Urlaub – das ist der längste Urlaub, seitdem ich begonnen habe zu arbeiten. Und während Urlaub die letzten zwei Jahre nur bedeutet hat mich in meine Endlosschleife um Deinen Tod zu katapultieren, habe ich diesmal richtig viel vor. Ich hoffe, dass das wirklich gut wird. Sicher werde ich Dir davon erzählen.

Wir hören uns ganz bald
Ganz viel Liebe in Richtung Universum
Mondkind

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