Von mitternächtlichen Diskussionen und Trommelkurs
„Mondkind, Du musst langsam aus dem Quark kommen. Sonst habe ich da nicht mehr sehr viel Hoffnung für uns.“
Die Zusammenfassung.
Weit nach Mitternacht.
In einer Konstellation, die ich eigentlich unbedingt vermeiden wollte.
Mein Freund, meine Schwester und ich an seinem Esstisch. Meine Schwester spielt
Beziehungsberatung. Das ist nett gemeint und sie gibt sich wirklich Mühe,
allerdings hatte sie noch nie einen Freund, hat nie eine Beziehung geführt und
versucht schlaue Tipps zu geben, die eher weniger schlau sind für Themen, die
selbst für mich noch irgendwie fremd sind.
Aber sie sieht auch das, was ich spüre, was zu einer endlosen Erschöpfung führt, die aktuell nicht da sein darf. Ich habe die letzten Tage häufiger gesagt, dass ich einfach nicht mehr kann, dass ich müde bin. Es hieß, das könne nicht sein, immerhin könnte ich ja auch 24 Stunden am Stück arbeiten. Na, wenn das der neue Standard hier ist – warum gehen wir überhaupt schlafen, könnte man fragen…
Da ist so viel Liebe füreinander (die man wohl in unseren Augen sehen
würde), da gibt es zwischendurch immer wieder Momente, in denen das Miteinander
schöner nicht sein könnte. Momente, die Hoffnung in dieser Aussichtslosigkeit
generieren, jedes Mal aufs Neue.
Und dann, zwischenzeitlich etwas weniger, aktuell fast täglich diese
Diskussionen über das Ende der Beziehung, was aber letzten Endes doch noch
niemand wagt umzusetzen, obwohl wir wahrscheinlich beide wissen, dass es keinen
Sinn mehr macht.
Es gibt kaum noch die Momente von Herzrasen, von einem freudigen
Hüpfen des Herzens, von Wärme, wenn ich ihn sehe. Wenn wir uns ansehen, dann
sehen wir da auch noch etwas anderes. Und das Einzige was ich aktuell noch
spüre wenn ich ihn sehe, ist diese Angst und Gewissheit, dass das Herz wieder
weh tun wird. Weil es das immer tut bei diesen Diskussionen.
Der einzige Ort, an dem wir sicher zu sein scheinen, scheint der öffentliche Raum zu sein wo ich - wie gestern beim Trommelkurs - immer noch ganz viel Miteinander spüre.
Ich glaube, wenn es von meiner Seite zu einer Trennung kommen würde,
dann mutmaßlich, weil ich es emotional nicht mehr aushalte. Ich bin völligst erschöpft
mittlerweile – so schlimm war es glaube ich zuletzt letzten Winter.
Wir müssen mal eine Schiene fahren. Und entweder wir rudern jetzt mal
ein bisschen zurück und hören auf unseren nächsten Sommerurlaub zu planen, wenn
wir nicht mal wissen was übermorgen ist, oder es geht so nicht mehr lange für
mich. Auf der einen Seite ist da immer noch so viel Nähe zwischen uns und es
gab sogar gestern Abend einen Abschiedskuss nach dem ganzen Drama, auf der
anderen Seite weiß man nie, welches die letzte Umarmung, welcher der letzte
Kuss sein wird. Ich habe einfach keine Ahnung. Ich traue ihm schon zu, die
Grenze irgendwann schnell und schmerzlos zu setzen.
Und dann wäre eine Trennung ja auch wieder so ein Grundsatzding.
Natürlich sind wir da beide dran beteiligt. Ich weiß, dass das Problem, dass er
mit mir jetzt hat eines wäre, das auch in anderen Beziehungen immer wieder hoch
kommen würde. Darüber habe ich schon nachgedacht, bevor wir beschlossen haben
es mit einer Beziehung zu versuchen, aber ich hatte keine Ahnung, dass das für
ihn wirklich ein Trennungsgrund wird. Wahrscheinlich wäre es das aber für die
Meisten, habe ich mittlerweile festgestellt.
Meine Schwester hat mir zurück gemeldet, dass die Liebe zwischen uns
nicht zu übersehen ist. Allein wie wir uns anschauen, sagte sie. Ich glaube
schon selbst, dass es schwer wird, jemanden wie ihn nochmal zu finden. Ich
glaube, ich war einfach nie so sehr verliebt im Leben.
Und wenn es am Ende trotzdem nicht reicht, dann ist die Frage, ob ich
überhaupt in der Lage bin, Beziehungen zu führen. Der erste Freund hat sich das
Leben genommen – die Gründe sind ja bis heute nicht ganz klar, aber unschuldig
werde ich da sicher nicht sein; der zweite Freund hätte dann zumindest mal
vorher die Reißleine gezogen. Und das bin ja nicht nur ich, die verletzt aus
diesen Beziehungen raus geht. Das ist ja auch viel Leid für das Gegenüber.
Streckenweise eben zu viel Leid.
Aber dann wäre alles was bleiben würde, eben noch der Job. Und obwohl
ich so aufgewachsen bin, dass die Karriere doch bitte an oberster Stelle zu
stehen hat, war das nie das, was ich für mich wollte – auch wenn ich natürlich
einsehe, dass man seine Kröten verdienen muss. Irgendwann in der zehnten Klasse
sollten wir mal Wünsche für unser Leben in 20 Jahren aufschreiben und ich habe
überlegt, ich möchte irgendeinen Job haben, von dem ich leben kann, einen
Freund, Kinder, eine hübsche Wohnung und eine Katze. Zwischenmenschliches
Miteinander und Familie war für mich in meiner Vorstellung sehr wichtig.
Es ist aber eben die Frage, ob ich so gestrickt bin, dass das
überhaupt je funktionieren kann. Und wenn nicht – dann ist der Sinn des Seins doch
sehr in Frage zu stellen. Und natürlich ist das auch ziemlich egoistisch
gedacht, denn was ich natürlich in den letzten zwei Jahren gelernt habe ist,
dass jeder Mensch der in irgendeinem – wenn auch losen – zwischenmenschlichen Gefüge
aufgehoben ist, einen Platz hat. Der vielleicht nie sonderlich wichtig ist, bis
er dann eben leer ist. Und dennoch bin ich im Grunde nicht mehr bereit, mein Leben
vom Privaten bis hin zum Job nur für die anderen zu leben. Das habe ich sehr
lange gemacht und damit war ich sehr unglücklich.
Und ich gebe zu, es kann auch sein, dass ich da irgendwie abhängig
bin. Weil ein Bedürfnis nach zwischenmenschlichen Miteinander wohl immer
Abhängigkeit bedeutet und im Prinzip nur die Menschen unabhängig wären, die ihr
Leben lang völlig alleine leben können und damit absolut kein Problem haben.
Dazu gehöre ich aber nun mal nicht.
Ansonsten… - ich bin gespannt, was die nächste Woche gibt.
Eigentlich wollten wir zusammen in die Geburtsstadt fahren. Der Plan
ist allerdings in Zeiten entstanden, in denen wir besser miteinander zurechtkamen,
ich voller Euphorie auf diesen Urlaub war und der Meinung war, dass das doch
eine tolle Möglichkeit wäre es auszuprobieren, wie Urlaub miteinander klappt,
bevor wir nächstes Jahr nach Italien fahren.
Mittlerweile sehe ich das halt nicht mehr so. Mit dem Level an
Erschöpfung irgendwo herum zu gurken ist eher Quälerei als alles andere, ich
glaube der Freund und ich haben auch beide nicht so die wahnsinnige Motivation
durch die Stadt zu laufen, wenn es eigentlich andere Dinge sind, die uns
bewegen und die wir klären müssen.
Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, was wir jetzt daraus machen. Ob
wir sagen, wir ziehen den Plan durch und wir machen halt das Beste draus;
vielleicht hilft so ein Tapetenwechsel ja auch. Oder ob wir das ausfallen
lassen; bisher würden wir – oder ich – ja „nur“ auf den Hotelkosten sitzen.
Und dann spüre ich da etwas sehr Altes, der Bekanntes in mir.
So viel Schwere, so viel Entrückt sein, so viel Verzweiflung und
Angst.
All die Emotionen, die so lange der alte Alltag waren.
Die schon fast wieder Anklopfen.
Und dann läuft Lotte hier auf Dauerschleife:
Wenn das alles vorbei ist, wenn ihr von nichts mehr steht
Wenn niemand mehr fragt, ob Kaffee oder Tee
Wenn an keiner Tür mein Namе mehr klebt, dann soll da Liebе sein
Wo ich war soll da Liebe sein
(Lotte – Dann soll da Liebe sein)
***
Und was das Trommeln anbelangt – darüber wollte ich ja eigentlich erzählen –
das ist hinter den Konflikten des gestrigen Abends natürlich wieder etwas
untergegangen. Aber an sich hat es wirklich Spass gemacht. Wenn man ein
bisschen Rhythmus – Gefühl hat, kann man das bei kompletter Ahnungslosigkeit
was die Trommeln anbelangt auch einigermaßen schaffen da zwischen allen, die
schon länger trommeln nicht negativ aufzufallen. Und irgendwie tut es echt ganz
gut, mal ein bisschen auf die Trommeln zu hören. Ein winziges Bisschen von dem
Gefühl zu haben, das sich auf Konzerten gern mal einstellt, wenn das Herzchen
sich ein bisschen dem Rhythmus der Trommeln anpasst. Und vor allen Dingen muss
man sich dabei echt konzentrieren. Sobald ein Gedanke, der dort gerade nicht
hingehört das Hirn kreuzt, kommt man eben auch aus dem Takt. Also gibt es nur
das hier und jetzt. Kein gestern, kein morgen. Und das war wahrscheinlich genau
das, was es gestern zwischendurch mal gebraucht hat.
Mondkind
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